21.08.2012 – Mittagskogel 2146m

Als Hansi eine Wanderung auf den Mittagskogel mit Übernachtung unter freiem Himmel am Gipfel ankündigte, gab es für mich nichts zu überlegen. Ich erinnerte mich an unsere Tour des letzten Jahres auf den Mallestiger Mittagskogel und Schwarzkogel mit malerischem Sonnenunter- und -aufgang, Lagerfeuer, Hüttenübernachtung, und sehr viel Spass trotz anstrengender Wanderung.
Voller Vorfreude packte ich meinen Rucksack mit Schlafsack, Reserve-Shirt, langer Hose, Weste, Regenjacke, 2l Wasser, Wurst, Käse und ganz wichtig das “Gipfelbier”. Martin als Mitglied der NÖ Bergrettung packte noch sein Erste Hilfepaket, Karabiner und ein Seil ein. Spätestens jetzt hätte ich genauer nachfragen sollen. Um 16 Uhr waren Hansi, Mariano, Martin, Jens, Jürgen und ich startklar. Noch schnell eine Banane zur Stärkung und ab ins Auto.

Unsere Wanderung begann bei sommerlichen 30 Grad auf ca. 920 m Höhe in gewohnt zügigem Tempo, anfangs über eine Forststraße die bald durch einen schönen Waldwanderweg abgelöst wurde. Der Schweiß treibte aus allen Poren und unsere Shirts waren sehr schnell durchgeschwitzt. Martin’s neue Wanderschuhe bescherten ihm bereits nach ca. 1,5 km schmerzende Blasen und uns bis zur Wundversorgung eine etwas längere Verschnaufpause. Bei fast gleichbleibendem Tempo wurde der Weg nun etwas steiler. Bald meinte Jürgen am Ende seiner Kräfte zu sein wogegen wir sofort mit Traubenzucker und etwas Magnesium ankämpften. Unsere nächste Rast legten wir bei der ehemaligen Annahütte auf 1577m, die vor Jahren abbrannte, ein. Eine kleine Hütte mit 2 Matratzen bietet hier, falls notwendig, auch heute noch einen kleinen Unterschlupf.

Wir setzten unsere Tour fort und sehr bald sollte ich erfahren wo meine für mich scheinbar unüberschreitbaren Grenzen liegen. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass ich unter starker Höhenangst leide. Als Martin einen Gurt um mich legte, einen Karabiner an meinem Rucksack anbrachte und Hansi das Ende eines Seiles in die Hand legte mit dem ich ab nun gesichert werden sollte, senkte das meine steigende Nervosität in keiner Weise. Hansi versuchte mich zu beruhigten, es könne mir nichts passieren, ich bin absolut sicher zwischen ihm und Martin angeseilt, uns ich solle stets zum Berg und niemals auf den Abgrund sehen. Der Weg wurde steiler und steiniger. Es folgten genaue Anweisungen von Hansi wohin ich meine Füße setzen solle und immer wieder aufmunternde Worte. Ein paar wenige Sicherungsseile in der Wand die von mir dankbar und fest umklammert wurden und bald meine erste große Hürde. Mit viel Überredungskunst und dem von Hansi und Martin gespannten Seil gelang die Passage. Ich hoffte die schlimmste Stelle überwunden zu haben, doch handelte es sich hier leider um einen Irrtum. Vor uns war ein großer, für mich unüberwindbarer Krat. Links und Rechts tiefer Abgrund, weite Sicht, kleine Steigung und ein Stahlseil dass meiner Ansicht nach viel zu tief und zu weit links angelegt war. Nun war mein absoluter Tiefpunkt erreicht. Ich sah mich dem Tode nahe und flehte Hansi an, mich doch bitte, bitte wieder absteigen zu lassen. Ich würde in der kleinen Hütte übernachten und auf die Rückkehr unserer kleinen Truppe am nächsten Morgen warten. Für Hansi war dies ausgeschlossen “schau, das sind nur 2 Schritte, du bist angeseilt, gib mir die Hand, es kann dir nichts passieren”. Ich hätte mich am liebsten in Luft aufgelöst. Voller Verzweiflung versprach ich Hansi 1 Kiste Bier zu besorgen, wenn er mich nur umkehren lässt, 2 Kisten wenn er mich zur Hütte begleitet. Worauf Hansi meinte: “jetzt stöll di net so on! Gib ma dei Hond”. Oh Gott, ich schaff das nicht. Doch ich merkte Hansi´s Entschlossenheit mich auf den Gipfel zu bringen. Mir war klar, dass es vor dem Erreichen des Gipfels keine Umkehr gab. So erhöhte ich mein Angebot auf 3 Kisten Bier wovon 1 ganze Kiste Villacher dunkel sein würde, wenn ich nur ja wieder heil herunter käme. Hansi mußte mir noch ungefähr 3 mal zeigen, wie ich zu gehen oder klettern hätte, spannte das Seil mit Martin, ich atmete tief durch, und …. unglaublich, es war geschafft. – Danke an dieser Stelle auch an Jens, Jürgen und Martin, die während der ganzen Zeit vollkommen ruhig blieben und nie versuchten mich zu drängen sondern stets aufbauende Worte parat hatten! – Wir mußten weiter, die Zeit drängte, denn wir wollten vor Sonnenuntergang am Gipfel sein. Hansi entschloß sich, einen geplanten Abstecher aus Rücksicht auf mich (oder die versprochenen Bierkisten?) auszulassen und am kürzesten Weg aufzusteigen, nicht ohne mich stets zu ermahnen: “schau auf meine Fiaß”. Mariano entdeckte eine Gemse im Gelände die auch ich mit viel Überwindung sehen konnte. Jürgen meinte einmal kurz: “Jaqueline, es tut mir ehrlich leid dass du so starke Höhenangst hast, aber ich bin dir dankbar, dass dadurch das Tempo endlich reduziert ist.” Hut ab für diese Ehrlichkeit, das fand ich einfach nett. Wanderer kamen uns entgegen und meinten, dass es am Gipfel unmöglich wäre zu übernachten weshalb sie bereits wieder abstiegen. Juhuu, das macht Mut. Ich beruhigte mich mit dem Gedanken, dass ich davon überzeugt bin, dass Hansi weiß was er tut und was er uns zumuten kann. Die letzten Meter waren für mich nochmal recht schwierig, doch mit Hansi´s mahnenden Worten an mich “schau auf meine Fiaß” kamen wir alle wohlbehalten oben an.

Der Gipfel war erreicht, die Aussicht grandios und auch die versprochene Wiese mit unseren Schlafmulden war vorhanden. Während wir den Sonnenuntergang mit unserem wohlverdienten Gipfelbier genossen konnten wir Gewitter in der näheren Umgebung beobachten. Wir zogen wärmere Kleidung über, Martin versorgte seine mittlerweile überdimensional großen Blasen an den Versen. Wir schlüpften in unsere Schlafsäcke, verzehrten unseren Proviant und versuchten zu schlafen. Bei einigen von uns blieb es beim Versuch. Während ich mir Gedanken über den Abstieg machte, plagten Martin schlimmste Gedanken über die vielen Blitze die wir sehen konnten. Unsere Angst überwanden wir mit viel Reden, was wiederum die anderen von ihrem Schlaf abhielt. So durfte ich Martin stündlich die Uhrzeit ansagen, die Sterne am Himmel zählen, Auskunft darüber geben in welche Richtung ich gerade sehe, von 3 Sternschnuppen berichten etc. Nach Mitternacht wurde dann auch noch die Windstärke besprochen. Gut, dass wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wußten, dass in der Gegend ein Bär und ein Lux frei herumliefen. Belohnt wurde diese lange Nacht mit einem malerischen Sonnenaufgang und wunderschöner Aussicht. Schnell waren unsere Rucksäcke wieder gepackt, und der Abstieg konnte beginnen. Martin und Hansi erkannten nach ganz wenigen Schritten, dass auch für den Abstieg ein gespanntes Seil zwischen uns unabdingbar war und nahmen mich somit wieder in ihre Mitte. Ich sah nicht viel von der Aussicht, da ich mich wieder voll auf Hansi´s Füße konzentrieren mußte, wurde aber von Schritt zu Schritt ein wenig sicherer. Und Mariano stets voraus war ständig auf der Suche nach dem für mich besten Weg. So erreichten wir mit nur 10 Min. Verspätung unseren von Ines gedeckten Frühstückstisch.

Zu Erwähnen ist noch, dass Mariano während der ganzen Wanderung, egal ob bergauf oder bergab, wie eine Gazelle hin und her sprang, keine Abzweigung ausließ, die Aussicht in vollen Zügen genoss und sich sicherlich darüber wunderte, was ich hier für gefährlich hielt. Trotz seiner Jugend kam ihm jedoch nie der Gedanke mich auszulachen. Ich hatte wirklich großes Glück, in so einer Runde geborgen zu sein.

Was für die einen eine sipmle Wanderung sein mag, war für mich eine höchst Alpine Klettertour und eine ganz neue Erfahrung.

Danke allen Teilnehmern und ganz besonders unserem lieben Hansi!