1992 war ein ziemlich spezielles Jahr, in dem das Leben so richtig Fahrt aufnahm. Irgendwann im Mai überschrieb mir mein Vater den Hof (wohl mehr aus Altersgründen, denn aus Überzeugung) und beendete damit den Status einer geschützten Werkstatt, in der ich es mir jahrelang eher risikolos und gemütlich eingerichtet hatte. Ab sofort hatte ich zwar freie Hand, trug aber plötzlich die Verantwortung für Häuser, Scheunen, Wälder, Wiesen und Tiere und würde in Zukunft für meine Fehler selbst bezahlen müssen. Lauter Umstände, die einen langsamen Reifeprozess auslösten, der in abgeschwächter Form bis heute anhält.
Im September heirateten Ines und ich nach sechsjähriger Probezeit, eine weitere richtungsweisende Lebensentscheidung. Weil weder Zeit noch Geld für eine große Hochzeitsreise zur Verfügung stand, beschlossen wir, dem nunmehr fast zweijährigen pferdefreien Zustand am Gasperitsch-Hof ein Ende zu bereiten. Mein alter Hafloaraber Flamenco hatte schon vor einiger Zeit das Zeitliche gesegnet, Vaters letzter Arbeits-Noriker Brauner (weil er braun war) hatte den neuen, motorisierten 55-PS-Zeiten mit ihren veränderten Rahmenbedingungen weichen müssen. Die Pferdestände standen erstmals seit Jahrhunderten oder sogar erstmals ever leer, setzten Staub und Spinnweben an und boten ein trauriges Bild des Niedergangs.
Also sammelten wir einschlägige Annoncen und tourten auf Pferdesuche durchs Land.
Erste Kandidatin war eine dreijährige Haflingerstute im tiefsten Rosental. Eigentlich ganz nett, aber nicht nett genug um irgendwelche Funken überspringen zu lassen. Wesentlich interessanter war da ein explosiver Hafloaraber-Hengst in Längdorf, der wie eine Reinkarnation meines Flamenco aussah. Unglücklicherweise war sein Preis zu hoch (ungefähr 1000 Schillinge pro km/h) und sein Bremsweg zu lang: Bei einem rasanten Probegalopp über einen langen, staubigen Feldweg wollte ich ihn bis zum Dorf wieder auf Normalgeschwindigkeit herunterbremsen….trotz intensivster Bemühungen kamen wir erst nach einer wilden Rodeo-Diskussion mit gesetzteswidrigen Geschwindigkeitsüberschreitungen im Ortsgebiet ein ganzes Stück vor der nächsten Ortschaft quietschend zum Stehen. Eine pfeilschnelle Adrenalin-Tankstelle, ja, aber nichts für Ines.
Eine gutmütige schwarze Hafloaraberstute irgendwo hinter der Gerlitzen auf dem Weg nach Himmelberg war nicht nur zu klein, sondern auch zu dick. Ihr schönes Hengstfohlen wäre zwar eine Überlegung wert gewesen, aber erst in drei Jahren reitbar. Auch nicht.
Der nächste Versuch an einem warmen, sonnigen Septembervormittag war eine Haflingerstute an einem steilen Südhang in der Nähe von Ferndorf. Ihr freundlicher Besitzer war ein wenig in die Jahre gekommen und die Arbeit war mühsam geworden, nun befand er sich auf der dringenden Suche nach einem guten Platz für seine Blondine. Ich hatte eher wenig Hoffnung, aber als ich sie mit ihrer weißen Mähne im Schatten riesiger Buschgruppen stehen sah, war mir in Sekundenbruchteilen klar: Das ist sie ! Genau die !!! Die Sache hatte allerdings einen Haken: Aus ihrem Windschatten löste sich direkt ein angriffslustiges, völlig respektloses Hengstfohlen. Ein kleiner Grobian auf vier Beinen, der offensichtlich riesiges Potenzial im Ärgermachen besaß. Meine Ambitionen, diesen Rüpel im Doppelpack mit seiner Mutter käuflich zu erwerben hielten sich in erträglichen Grenzen. Der Alte beschwor mich jedoch eindringlich, den kleinen Wilden ohne weiteren Aufpreis zu übernehmen und nahm mir das Versprechen ab, ihn weder kurzerhand, noch irgendwann an irgendeinen Pferdewurstproduzenten zu verscherbeln. Bingo !
Der Handschlag zählte und ich hielt mich an unsere Vereinbarung. Schon ein paar Tage später zogen Minka und Bingo bei uns ein, um hier eine lebenslange Stellung anzutreten und im Laufe der Jahre zu absoluten Verlasspferden und vierbeinigen Hoflegenden zu avancieren. In der Haltungs- und Trainings-Praxis der ersten Monate begingen wir zwar einige schwere Fehler, die aber durchwegs schön waren und an die ich mich heute noch gerne zurückerinnere. So ritten wir Minka in einem einfachen Learning-by-doing-Modus ein, halt immer mit Bingo als oft nervigen Begleiter, der unsere Bemühungen stets mit unnötigen Aktionen sabotierte. Durch die nie erfolgte Trennung sollten die beiden Haflinger ein Leben lang extrem aufeinander fixiert sein, bildeten dadurch aber ein perfekt eingespieltes, harmonisches Duo, welches in über zwei Jahrzehnten zahllose Kinder-Fortgeschrittenen-Anfänger- und Nachtausritte absolvieren sollte.
Während Minka mit ihrer fast grenzenlosen Gutmütigkeit und Geduld sofort zum unumstrittenen Liebling aller Kinder wurde, blieb Bingo bis nach seiner Metamorphose zum Wallach mit Vorsicht zu genießen. Unvergessen so mancher Hufschmied-Termin in jenen Tagen, als der Halbstarke wenigstens drei starke, erwachsene Männer gleichzeitig vollbeschäftigte. Regelmäßig war es eine actionreiche Reise nach Jerusalem, nach einer zünftigen Rangelei mit ihm war man kurzfristig urlaubsreif und langfristig bemuskelt. Umstritten auch seine damalige Glanz-Rolle als elektrischer Weidezaun-Revoluzzer und Warmblut-Ausbruchs-Guide.
Mit den Jahren legte sich der jugendliche Übermut und die kleinkriminelle Energie wich einer kaum für möglich gehaltenen Seriosität: Bingo entwickelte sich zu einem zuverlässigen Reitpferd, welches die Qualität seiner Reiter(innen) perfekt einschätzen konnte und sein Benehmen zu 100% darauf abstimmte. Wahrscheinlich könnte man ein Buch mit durchwegs heiter-besinnlichen Reitanekdoten aus 25 Jahren füllen. So viele witzige, schöne Erinnerungen, deren Wert man erst im Rückblick begreift. Ein einziges Mal endete ein Ausritt auf Bingo mit einem Sturz, der eine Verletzung nach sich zog, weil beim Angaloppieren auf der Zielgeraden unglücklicherweise der Riemen des Steigbügels riss. Ansonsten brachte der einstige Rüpel seine Reiter(innen) meist glücklich und stets wohlbehalten ins Ziel. Eine Cushing-Erkrankung bescherte ihm in seinen letzten Lebensjahren ein eher zottelig-struppiges Erscheinungsbild, hinderte ihn aber nicht daran, unverzagt einen Job als krisensicheres Verlasspferd auszuüben. Nichtsdestotrotz erhielt er sich bis zum Schluss so etwas wie eine selektive Grundschlitzohrigkeit. Wenn ich ihn ritt, was wirklich nur sehr selten vorkam, konnte ich unbedingt damit rechnen, dass er spannende Extras wie zB. muntere Bocksprünge zum gemeinsamen Unterhaltungsgewinn ins Programm einbaute, während er sich stets als friedliches Lämmchen präsentierte, sobald sich ihm ein ängstliches Kind oder eine vorsichtige Frau anvertraute.
In seinem letzten Sommer erlebte er so etwas wie einen zweiten Frühling und präsentierte sich fit und unternehmungslustig, ehe eine Kolik für ein abruptes, denkwürdiges Ende sorgte. Mehrere Tierarzt-Rettungsversuche mit einschlägigen Behandlungen und Spritzen konnten seine Verdauung nicht mehr in Gang bringen. Zwischen den Injektionen marschierte ich mit ihm stundenlang durch die Wälder, ohne ein rettendes Ufer erreichen zu können. Rückblickend war es ein Abschiednehmen der ganz speziellen Art, denn wir gingen gemeinsam ein letztes Mal viele jener Wege, die wir in so langen und doch zu kurzen 28 Jahren mit den unterschiedlichsten Leuten geritten waren. Unzählige Schauplätze witzig-wunderbarer Anekdoten und netter Erinnerungen: Das Unterholz, in dem in tiefschwarzer Nacht die Maus in die Mausefalle ging. Die weiche Gerade überm Sumpf, wo ihm unzählige Reiterinnen laut und deutlich Karotten, Äpfel oder hartes Brot versprachen, wenn er sie denn bitte nur gesund wieder nach Hause brächte. Die ansteigende Galoppstrecke mit der markanten Rechtskurve, wo er dem Tempo der Araber Tribut zollen musste. Der lange Sandweg ins Pfadfinderlager, dessen Wiesenabkürzungen er exklusiv kraft- und zeitsparend für sich entdeckte. Der unverschämt steile Anstieg zum Wauberg, der ihn immer ziemlich ins Schwitzen und seine großen Schauspieltalente zum Vorschein brachte. Die unwegsamen Wurzelstrecken, auf denen er regelmäßig seine Trittsicherheit unter Beweis stellen konnte. Vorbei an der Polana, auf der er viele lange Urlaubswochen genießen durfte. Die Abschnitte, in denen sich die frühe Morgensonne durchs Blätterdach kämpfte und deren Licht die quietschfidele Mutter der Zwillinge mit schöner Regelmäßigkeit dazu inspirierte, vergnügt Grönemeyer zu summen. Damals war ich heilfroh, dass sie das Liedchen wenigstens nicht sang, aber jetzt, mit fast zwanzigjähriger Verspätung kam der Text tatsächlich bei mir an: „Am Strand des Lebens, ohne Grund, ohne Verstand, ist nichts vergebens…“.
Am folgenden schwülwarmen Augustnachmittag verbrachte Bingo seine letzten Stunden gemeinsam mit seinen alten Weggefährt(innen) Santo, Lenzo, Messi, Mentos und Sulaika auf der Koppel, ehe er ganz am Ende seines Weges umkippte. Auch in seiner letzten Minute waren wir an seiner Seite.
Und es ist, es ist ok., alles auf dem Weg, es ist Sommerzeit, unbeschwert und frei. Und der Mensch bleibt Mensch und wird nur auf einem Pferd zum Reiter. Auf dessen Rücken liegt ja, so wissen Eingeweihte, das Glück dieser Erde.
Jung, dynamisch und top motiviert bringen uns drei Autos zum Parkplatz „Druidenland“. Ebenso jung und sportlich setzen wir, eine 14- köpfige Gruppe, uns in Bewegung, leider- Spoiler- ohne Druiden Begegnung. Kann ich das hier irgendwo reklamieren?
Da ich 2018 bereits den Schwarzkogel bewanderte, der sich mit unserem heutigen Ziel Mallestiger Mittagskogel einen größeren Abschnitt des Weges teilt, kommt mir der zuerst steinige, dann wurzelige Weg noch bekannt vor. Allerdings schien mir vor drei Jahren der Aufstieg deutlich flacher. Der ist doch heimlich gewachsen, dieser Berg! Dass meine Kondition, sowie meine Beinmuskulatur aufgrund der Lockdownpause ein wenig nachgelassen haben könnte, ziehe ich selbstverständlich auch in Betracht, aber es kann ja nicht immer an mir liegen, oder? Wie bereits oben erwähnt, ist die Gruppe deutlich größer als bei meiner letzten Wanderung, weshalb sich unter die hier ebenfalls vertretene Spezies, ich glaube man nennt sie Sportler, zu meinem Glück auch normalere Menschen gemischt haben. Hansi ist also gezwungen, ab und an eine Pause einzulegen. Nicht dass ich die gebraucht hätte…
Sind wir anfangs noch alle ungefähr im gleichen Tempo gelaufen, so teilt sich die Gruppe immer weiter auf, stolz über meine wahnsinnige Leistung sogar im Mittelfeld zu sein, fangen meine Gedanken an, eine andere Richtung einzuschlagen als meine Beine. Während meinen Oberschenkeln so langsam bewusst wird, dass das hier kein Spaziergang durch flache Niederrheinwiesen wird, habe ich keinerlei Ausreden mehr, um den mir im Kopf herumschwirrenden Gedanken und Fragen aus dem Weg zu gehen. Den Alltag zuhause habe ich mir, wie mir jetzt klar wird, recht geschickt vollgepackt, zwischen Schule, Lernen, Führerschein machen und nebenbei ein wenig Arbeiten bleibt kaum Platz für Selbstreflektion, zu laut sind die Stimmen der Mitmenschen, um meine eigene zu hören. Hier im Wald, wo Tierstimmen, ein noch ferner Wasserfall und flüsternde Blätter die Geräuschkulisse prägen, fühle ich mit fast von meiner Selbst überrumpelt. Fragen, die ich mich in der Vergangenheit nicht einmal traute mir zu stellen, serviert mein Unterbewusstsein mir nun ganz frisch, die ein oder andere passende Antwort als kleinen Gruß aus der Küche dazu. Auch fällt ein Druck, der mir vorher nie bewusst war, von mir ab. Hier guckt keiner auf deine Leistung, es ist total egal, wann du da oben ankommst und wie viele Liter körpereigenes Salzwasser zu dabei ausschwitzt. Während ich merke, wie meine Schultern trotz des Rucksacks deutlich leichter werden nehme ich mir also vor, diese neu errungene Leichtigkeit mit in den Schulalltag zu nehmen.
An einer Bank, die uns einen fantastischen Blick auf zwei Wasserfälle bietet, legen wir eine Pause ein und sehen eine Weile dabei zu, wie Massen an klarem Bergwasser eine mittlerweile glatt gewaschene Felswand hinunter donnern. Die Handys werden ausgepackt, das ein oder andere Foto wird gemacht, man genießt die Gelegenheit, die hechelnden Lunge ein wenig zur Ruhe kommen zu lassen.
So geht es nach einer erholsamen Pause mit fantastischem Ausblick in Serpentinen den Berg hinauf. Dieses Stück Weg liegt in der prallen Sonne, was das Wandern nicht unbedingt erleichtert und mein eben noch vor sich hin philosophierender Kopf gibt an meine Beine ab; „Macht ihr das mal, ich hab Pause“. Blöd nur, dass die Beine ebenfalls Urlaub beantragt haben. In Gedanken schon bei der Quelle, die man aus der Ferne plätschern hört und bei der die Trinkflaschen aufgefüllt und die Motivation reanimiert werden kann, schiebe ich mich den Weg entlang und wundere mich über Alex und Elisa, die noch nicht einmal begonnen haben zu schwitzen, obwohl sie mindestens doppelt so schnell unterwegs sind wie ich. Das muss das Alter sein. Na gut, vielleicht auch die Sache mit dem Sport. An der Quelle angekommen bringe ich mit eiskaltem Wasser meinen Kreislauf wieder in Schwung, Asche hat tatsächlich Traubenzucker dabei (fantastisches Zeug) und Hansi guckt mich etwas schief an; „Du hast recht, das ging vor drei Jahren bei dir irgendwie noch besser.“ Jaja ist gut, ich weiß. Diese eigentlich eher ernüchternde Erkenntnis schenkt mir allerdings eine dicke Portion neue Motivation, der nächste Abschnitt ist zwar nicht weniger anstrengend, ich dafür wieder deutlich besser gelaunt. Der Weg ist wieder von schattenspendenden Bäumen gesäumt, die ernüchternden Serpentinen weichen federndem Waldboden, diese Art zu wandern ist deutlich mehr nach meinem Geschmack. Ich lausche dem gratis Konzert der Vögel und lasse meinen Gedanken wieder lange Zügel.
Die nächste Pause bietet einen ersten Ausblick in Richtung Tal, beeindruckt davon, wie weit oben wir doch sind, sitze ich auf einem mit Moos gepolsterten Stein, Hansi versichert uns, dass der nächste Abschnitt bis zur Mitzel Moitzel Hütte deutlich moderater sei. Allgemeine Erleichterung.
Tatsächlich wird der Weg weniger steil, links und rechts ist der Waldboden mit Moos, Farnen und hüfthohen, lilafarbenen Blumen geschmückt und das Licht der frühabendlichen Sonne malt goldene Muster in die Luft. Die Atmosphäre hat beinahe etwas magisches, sodass ich schon fast damit rechne, einem Einhorn oder einem Hobbit zu begegnen. Wenigstens ein Druide wäre doch nett gewesen, wir scheinen jedoch nicht die Auserwählten zu sein, denen sich ein verborgenes Elfenvolk zeigt. Auch ohne magische Begegnungen lassen wir den Märchenwald hinter uns, an der Mitzel Moitzel Hütte machen wir unsere nächste Pause, unter uns der Faaker See, links neben uns eine zerklüftete Felswand. „Da oben ist das Gipfelkreuz“ sagt Hansi und deutet auf die Spitze des Felsen. „Auf dem letzten Stück muss man ein wenig klettern, aber wir sind in höchstens einer halben Stunde oben“. Die Worte „ein wenig klettern“ in Kombination mit der Steilwand vor uns lösen in mir ein nie zuvor gespürtes Unwohlsein aus, ich vertraue Hansi in Sachen Wandern voll und ganz, diese Wand sieht allerdings nicht wie etwas aus, was man ohne Sicherung hinaufklettern möchte. Da aber alle anderen vollkommen ruhig bleiben, schlucke ich meine Frage, ob das nicht ein wenig gefährlich wäre, hinunter. Gut so, wie ich fünf Minuten später merke, denn wir klettern natürlich nicht die im 90° Winkel stehende Felswand hoch, sondern nehmen die flachere Seite. Der Weg verengt sich zu einem schmalen Pfad zwischen Steinen und Felsen, diese Art zu Wandern macht unfassbar viel Spaß. Hansi hat recht, wir klettern mehr als das wir wandern, einen richtigen, vorgegebenen Weg gibt es an manchen Stellen kaum noch, such dir deinen eigenen Weg, passe dich der Natur an. Als ich gerade denke, meine doch relativ kurzen Beine könnten langsam eine kleine Pause verdienen, wartet hinter einem der vielen grauen Felskanten der Teil der Gruppe, den ich bereits der Spezies Sportler zugeordnet habe, die Rucksäcke liegen auf einer grünen Wiese, Hansi redet gerade davon, ein wenig Feuerholz zusammen suchen zu wollen, da es in den letzten Tagen genügend geregnet hatte, um bedenkenlos ein kleines Lagerfeuer zu machen. Meine Schultern atmen erleichtert auf, als ich zuerst meinen Rucksack und dann mich selbst zu den anderen auf die Wiese fallen lasse. Wow, was eine Aussicht. Jeder einzelne Tropfen Schweiß und jeder Muskelkater den ich garantiert bekommen werde ist es wert, hier oben zu sein. Die Natur darf hier noch machen was sie will, wir sind ihre Gäste uns sie die wohl beste Gastgeberin. Kaum melden die Beine wieder ansatzweise Betriebsbereitschaft, machen wir uns auf zum Gipfelkreuz, denn unser Schlafplatz liegt ein Stückchen davon entfernt. Auch hier klettern wir eher als das wir wandern, links und rechts der von einer spärlichen Böschung gesäumte Hang, denkt man zu viel darüber nach könnte es leichtsinnig klingen, lässt man dieses ewige Denken für einen Moment mal sein und verlässt sich auf seine Füße, ist es eines der besten Gefühle, was man sich vorstellen kann. Ich laufe hier, auf 1800 Metern über einen schmalen Pfad, um mich herum nichts als die pure Freiheit, es ist fantastisch. Am Gipfelkreuz angekommen scheinen Hansi die 1802 Meter, auf denen wir uns laut Schild befinden, nicht zu reichen, denn er klettert auf den Querbalken des Kreuzes um ein paar Fotos zu machen. Die sehen aus 1804 Metern Höhe natürlich gleich viel spektakulärer aus. Hansi halt. Mir reicht die Aussicht von „unten“ vollkommen, die Schönheit der Natur liegt wie ein Gemälde vor uns. Die Sonne nähert sich dem Horizont und taucht alles in ein goldenes Licht. Herrgott, das ist schon ein wenig kitschig.
Als die Sonne den Dienst an den Mond abgegeben hat, macht Hansi ein kleines Feuer an, das mittlerweile wirklich nötig ist, denn mit den letzten Sonnenstrahlen schwindet auch das letzte bisschen Wärme merklich. Mit dem Lagerfeuer werden Erinnerrungen an längst vergessene Tage wach und ich ertappe mich dabei, wie ich beinahe sehnsüchtig in den Flammen nach der Vergangenheit suche. Glücklicherweise lenkt mich das aktuelle Gesprächsthema ab, es geht um Musik, und so philosophieren wir über gute und schlechte Bands, witzige, prägende und schöne Momente auf Konzerten und und und, bis sich langsam aber sicher eine allgemeine Müdigkeit einstellt.
Da mein Schlafsack ein Spontaneinkauf beim Hofer war, ist das mit der Wärme so eine Sache, aber mit zwei T-Shirts und einem Pulli übereinander ist es aushaltbar. Noch während ich eine geeignete Schlafposition suche, überrollt mich plötzlich eine bleierne Müdigkeit, auf dem Rücken liegend, über mir ein glitzernder Himmel, fallen mir die Augen zu. Der Schlaf hält allerdings nicht lange, denn neben mir wird sich noch die halbe Nacht lebhaft unterhalten. Ja, genau euch drei meine ich. Nun gut, wach kann man wenigstens die Sterne angucken und die geben sich diese Nacht ganz besonders viel Mühe, wunderschön auszusehen, die eine oder andere Sternschnuppe lässt sich auch blicken.
Gegen fünf Uhr werden wir nach und nach von der Kälte und den ersten zaghaften Strahlen der Sonne geweckt. Während sich die Sonne wie eine übergroße Orange hinter den Wolken hervorschiebt, werden die noch halb schlafenden Glieder daran erinnert, dass es gleich noch einmal knapp 950 Höhenmeter abwärts geht. Kaum das die Sonne über dem Horizont hängt und der Asche mit „Here comes the sun“ für die musikalische Untermalung gesorgt hat (glücklicherweise vom Handy abgespielt, nicht selbst gesungen), schultern wir hochmotiviert die Rucksäcke und laufen los in Richtung Kaffee und einer warmen Dusche. Hansis Methode „Man muss rennen, das ist besser für die Gelenke“ erweist sich zumindest auf dem ersten Stück bis zur Mitzel Moitzel Hütte als weniger clever, logisch, wenn man bedenkt, dass wir beim Aufstieg geklettert sind. Vielleicht liegt das auch an meiner Unerfahrenheit in den Bergen, in meiner Heimat am Niederrhein gibt es davon ja reichlich wenige, aber bevor ich diesen von Geröll bedeckten und Abhängen gesäumten Pfad entlang renne, nehme ich lieber ein bisschen mehr Muskelkater in Kauf. Am Aussichtspunkt der Mitzel Moitzel Hütte lassen wir uns noch Zeit für ein kleines aber einmaliges Frühstück, ich bin mir sicher, noch nie beim Essen eines Müsliriegels eine solch wunderschöne Aussicht gehabt zu haben. Während wir dabei zusehen, wie die Morgensonne unter uns den Faaker See türkis schimmern lässt, beschäftigen wir uns mit den wichtigen Fragen des Lebens; eine Bananenschale kann man ja bedenkenlos in der Natur entsorgen, aber wie sieht es mit dem Aufkleber aus? Gibt es biologisch abbaubaren Kleber? Wo ist Elisas Rucksack? Wer holt ihn aus dem Gebüsch, in das er gerutscht ist? Startet Hansi jetzt doch eine Karriere als Dichter und Denker? „Schlafplatz ist Vergangenheit, Rastplatz ist Gegenwart und die Zukunft besteht aus einer warmen Dusche und Kaffee. Kaffee? Gibt es erst Unten! Also weiter. Ab jetzt renne sogar ich, durch den Märchenwald, der im goldenen Licht des noch jungen Morgens, es muss ungefähr kurz nach 6 sein, nicht weniger magisch aussieht, nach einem kurzen Stopp an der Quelle die Serpentinen hinunter- Herrgott, am Hinweg waren die mein Endgegner- bis zur Bank mit Aussicht auf die beiden Wasserfälle. Hansi guckt mich deutlich weniger mitleidig an als beim Aufstieg, „das ist die Toni, wie ich sie kenne“, grinst er. Unten am Parkplatz geht es mit der Freude weiter, die Frauenquote der Erstankömmlinge ist hoch; Franzi, Elisa, Sandra und ich sitzen neben Hansi auf dem Boden und warten auf den Rest, der, zugegebenermaßen, auch zum Teil mit Knieschmerzen und umgeknickten Knöcheln zu kämpfen hat, wobei sich glücklicherweise niemand ernst verletzt hat. Die Autofahrt zurück zum Hof gestalten wir mit kollektivem Schweigen, schuld ist die Müdigkeit. Zuhause angekommen laufen Elisa und ich vom Hof bis zur Blockhütte, auf unserem Weg am alten Taborhof vorbei fällt unser Blick auf den Mallestiger Mittagskogel und trotz der müden Beine und meinem starken Koffeinbedarf bleiben wir beide kurz stehen und gucken ein wenig ungläubig diesen Berg an. Da oben waren wir. Und obwohl ich bereits jetzt den Muskelkater- oder heißt das bei mir dann Muskelkatze? Fragen über Fragen- spüre, bin ich mir zu 100% sicher; ich würd’s immer wieder machen.
Das rasante Inslandziehen der Jahre sollte man besser nicht auf die leichte Schulter nehmen und Ideen umsetzen, ehe sie in der Schublade verschwinden, um dort Staub zu fangen und in weiterer Folge irgendwann vergessen zu werden. Während ich viel zu häufig unter latentem Zeitmangel leide, hat Rudolf Waizer absolut keinen Stress mehr, denn er ist schon seit dem 8. Dezember 1897 tot und wird die ewige Ruhe für einen Quervergleich zur Gegenwart des Jahres 2018 kurz unterbrechen. Seit ich mich mit der eigenen Sterblichkeit arrangiert habe, bin ich gerne mit Toten unterwegs, um deren Vergangenheit meiner Gegenwart gegenüberzustellen. Nachdem ich im September 2017 mit Anton von Rauschenfels richtig kläglich im ersten Ansatz am vermeintlich einfachen Entern der Faaker-See-Insel gescheitert bin, werde ich im Mai 2018 einen neuen Anlauf wagen, diesmal hoffentlich etwas zielführender und zur Abwechslung eben mit Rudolf Waizer, der das bewaldete Eiland im Sommer des Jahres 1875 besucht hat. Die besagte Insel, – mit gut 80.000 Quadratmetern übrigens recht geräumig- welche den Faaker See neben seiner türkisblauen Farbe und dem kulissenhaften Bergpanorama zu einem ganz besonderen Blickfang macht, wird garantiert schon seit ewigen Zeiten mehr oder weniger erfolgreich von Menschen angesteuert. Rudolf beschreibt mit gutgemeinten Verbesserungsvorschlägen und ziemlich konkreten Zukunftsvisionen den einstigen Ist-Zustand der gemütlich-beschaulichen Anfangstage in den Kinderschuhen des Fremdenverkehrs ebendort und ich werde mir aufmerksam ansehen, was bald 150 Jahre später daraus geworden ist.
Rudolf 1875:
„Nicht so wie gewisse moderne Touristen, die, um eine Gegend gut zu sehen, dieselbe im Buche lesend durchgehen, verließ ich jüngst das Bahncoupe in Föderlach, eine Station an der Linie Klagenfurt-Villach, um in Gottes freier Natur den Staub der Akten von dem Rücken zu schütteln. Gegen Süden an der Straße dem Dörfchen Föderlach zuschreitend, sprachen ich und ein Reisegenosse, der sich zu mir gesellt hatte, im Gasthause des Herrn Glaser zu, der uns freundlich willkommen hieß und uns einen Morgenimbiß – ein exquisites Bockfleisch mit Kartoffeln – vorsetzte, der uns Leib und Seele stärkte und gar weidlich mundete.
Nach kurzem Aufenthalt gings weiter über die Drau, die durch die Gegend ihre grauen Fluthen wälzt, und von da gegen Südwesten durch grünendes Flachland und obstbaureiche Tristen dem Dörfchen Bogenfeld entgegen, von wo aus der Weg in kleiner Steigung in die Höhe leitet, und von wo aus man bald den lieblichen Faaker See erreicht. In dreiviertel Stunden von Föderlach aus erreicht man das Gestade der hellgrünen Wasserfläche, dem eine hehre Staffage einen ganz besonderen Reiz verleiht“.
Hansi 2018:
„Nicht so wie gewisse moderne Touristen, die, um eine Gegend gut zu sehen, dieselbe gnadenlos mit dem Smartphone niederschießen, und sie mitsamt der eigenen grinsenden Selfie-Visage auf Facebook, Twitter oder Instagram posten, stopfe ich am einstweilen noch wolkenverhangenen Pfingstmontagmorgen meine Kurzurlaubstasche hastig mit Taschenbuch, Kamera, Tennisschuhen und Tennisracket voll, um mit Dir, Ines und Nasti ausgiebig die Faaker-See-Insel zu erkunden. Der Mai hat bitterlich geweint, heute trocknet er zwischenzeitlich seine Tränen und verspricht zur Abwechslung etwas Sonne. Rechtzeitig schon wurden 45 Euro pro Kopf und Nase in einen eintägigen „Insel-Urlaub“ investiert, welcher zu einem reichhaltigen Frühstücksbuffet lädt, zum Eintritt ins altehrwürdige Strandbad berechtigt, außerdem eine hölzerne und höhenverstellbare Strandliege mit einer dazugehörigen Strandtasche –befüllt mit Badetuch und Bademantel- inkludiert, eine Doppelstunde auf den hoteleigenen, roten Sandplätzen zur Verfügung stellt und zur finalen Erholung davon einen Fitnessraum und eine Sauna anpreist. Voila, die Anreise ist mit fünf Minuten im blauen Citroen kurz und komfortabel und endet direkt an der Bootsanlegestelle des Insel-Hotels in der Südwestecke des Sees“.
Rudolf 1875:
„Fast in der Mitte des Sees liegt ein liebliches Eiland, auf das uns ein gutmüthiger windischer Charon gegen Erlag der Schiffertaxe per 10 Kronen hinüberleitet. Sanft streicht das kleine Schifflein durch die Wellen, und gar bald erreicht es das grüne Ufer der Insel. Auf derselben winkt uns ein Försterhaus zur freundlichen Einkehr, und ein schattiger Hain verbreitet auf derselben seinen kühlenden Schatten. Das ist ein Plätzchen wie geschaffen zur stillen Zurückgezogenheit. Drum wer ferne vom wogenden Treiben überfüllter Vergnügungsorte, aber in stetem Kontakt mit der herrlichen Natur und deren unerforschlicher Mannigfaltigkeit, in einer Idylle sein Sein verbringen will, der eile hierher und genieße der Fülle an Naturschönheiten in vollen mächtigen Zügen“.
Hansi 2018:
Auf dem Weg zur Insel
„Das liebliche Eiland liegt noch immer unverändert quasi im Mittelpunkt des türkisen Sees. Der Wassertaxi-Kapitän heißt Jovo, stammt aus Kroatien, Bosnien oder Serbien (schwer herauszuhören), er kennt die Strecke in- und auswendig und könnte sie bestimmt auch mit verbundenen Augen bewältigen. Die Schiffertaxe ist im Preis des „Insel-Urlaubs“ inbegriffen und nach nur wenigen Minuten sanfter, motorisierter Seefahrt stehen wir auch schon sicher und erwartungfroh auf dem Landungssteg der Insel. Dein bescheidenes Försterhäuschen von 1875 ist in wohl mehreren Baustufen einer immerhin nicht überdimesionierten Hotelanlage gewichen, die es sich durchaus romantisch in einer gepflegten Parklandschaft mit Rasenflächen und Blumenrabatten bequem gemacht hat. Das Interieur ist vielleicht ein wenig in die Jahre gekommen und versprüht authentisch den Charme der 60er, 70er und 80er, was penible Luxus-Konsumenten möglicherweise zum Rümpfen der Nase motivieren könnte, in mir aber erfreuliche, nostalgische Gefühle auslöst. „Hotel California“ klingt ja mit seinem XXL-Gitarrensolo auch nicht eingestaubt. Außerdem: Das vermeintliche Stehenbleiben der Zeit ist ein intelligenter Gegenentwurf zur allgemeinen Rast- und Ruhelosigkeit der „Generation Smartphone“, kann tatsächlich extrem charmant sein und benötigt dafür legitime und vor allem sichtbare Ausdrucksmittel. Über helle Sandwege erreicht man eine große Linde, die den Gebäuden breitkronigen grünen Schatten spendet. Die Sitzgarnituren darunter sind zu früher Stunde und nach einer feuchten Periode noch menschenleer und die alten Fotos im Rezeptionsbereich beweisen lange Tradition im wortlosen Erzählen von Geschichten aus längst vergangenen Tagen. Der Andrang hält sich in Grenzen, eine Schlacht findet am umfangreichen Frühstücksbuffet in Ermangelung von konkurrenzfähiger Gegnerschaft gar nicht erst statt. Die wenigen und noch dazu müden Anwesenden sind nach einem wahrscheinlich rauschenden Hochzeitswochende noch ziemlich lethargisch und wissen den herrlichen Ausblick von der Terrasse ins schimmernde Türkisblau des Sees offensichtlich nicht zu schätzen, was den souverän servierenden Königspinguin aber nicht daran hindert, mir in aller Seelenruhe und als willkommene Zugabe zwei herrliche, schinkenbegleitete Spiegeleier zu kredenzen. Ines und Nasti bügeln derweil in langen Gesprächen an privaten Unebenheiten herum, ohne sie wirklich planieren zu können. Zu dieser Jahreszeit und dieser Wetterlage ist dieses Plätzchen also noch immer wie geschaffen zur stillen Zurückgezogenheit“.
Rudolf 1875:
„Nicht leicht ein See hat eine so reizende Lage, eine so pittoreske Umgebung, als der Faaker See. Ich möchte sagen wie eingebettet ins Herz der Berge liegt derselbe vor dir. Als südlicher Grenzwächter staut seine pyramidenförmige Kuppe, der Mittagskogel, 6762 Fuß in die Höhe. Von den Felsvorsprüngen in dessen Mittellage grüßt das spitze Kirchthürmlein von St. Kanzian, und wie ein Trauerflor hängt sich der Schatten an die romantischen Ruinen des einst so mächtigen Schlosses Finkenstein. Weiter gegen Osten weitet sich das Thal, indeß gegen Westen die ausichtsreiche Villacheralpe (6814 Fuß) den Wanderer zum Besuche einladet. Im fernen Norden dehnt sich der südliche Abhang der dunkelgrauen Görlitzen (6090 Fuß), indeß uns in nächster Nähe das Dörfchen Faak sein Willkommen entgegensendet“.
Hansi 2018:
„An der reizenden Lage des Sees und der wesentlichen Hardware des Panoramas hat sich gar nicht so viel verändert. Dem Mittagskogel, dem Dobratsch und der Gerlitzen konnte die alltägliche Erosion nur unmerklich zusetzen, lediglich die Wälder an den Berghängen sehen im Zuge des Klimawandels zunehmend etwas zerzaust aus. Die Uferzonen des Sees und die umgebenden Dörfer hingegen kann man wohl kaum mehr als pittoresk bezeichnen. Es sei denn, man verharmlost das völlige Baustilchaos aus Bade- und Wochenendhäusern, Strandbädern, Hotels, Eigentumswohnungs-Trutzburgen und Einfamilienhäusern und die leider weiter fortschreitende und zunehmend irreversible Zerstörung des einst so harmonischen Landschaftsbildes und redet sich tapfer ein, all dies wäre notwendig und nicht zu verhindern. Die ursprüngliche Schönheit ist nur mehr in den geschützten bzw. nicht bebaubaren Schilfbereichen an der Westseite des Faaker Sees zu erahnen“.
Rudolf 1875:
„See und Insel sind ein Eigenthum des Fürsten Liechtenstein. Die Insel selbst, an und für sich betrachtet, ist ein mehrere Joch umfassendes reizendes Stück Erde, auf welcher gejagt und geackert wird, und allwo sich eine Förster- oder Fischerfamilie im Auftrage des Dienstherrn angesessen hat und die Kulturen bearbeitet. Das ebenerdige Häuschen, vor dem einige Zwetschgenbäume und ein Salzburger Birnbaum stehen und im Herbste saftige Früchte spenden, ist eben groß genug für die Familie, die ankommenden Besuchern des Sees gegen geringes Entgelt Backhühner, Kaffee, Milch und einen leidlichen Wein verabfolgt“.
Hansi 2018:
„Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit haben der See und seine Insel die Menschen zu allen Zeiten in ihren Bann gezogen. Jungsteinzeitliche Funde aus der unmittelbaren Umgebung vom Wauberg und Kanzianiberg sind deutliche Indizien, römische Insel-Artefakte sprechen für ein paradiesisch gelegenes Heiligtum. Spätestens ab dem Frühmittelalter ist der See im Besitz der nahegelegenen Burg Wartberg bzw. der Herrschaft Rosegg, die ab 1831 von den Fürsten Liechtenstein übernommen wird. Zu den vermutlich kapitalsten Fehleinschätzungen dieses Landadels zählt dann der Verkauf des Faaker Sees und seiner Insel im Jahre 1918 an einen Verwandten des Philosophen Wittgenstein, dessen Nachfolgern es aber zweifellos gelungen ist, die touristische Nutzung der Insel behutsam-überschaubar voranzutreiben und das Eiland in seiner natürlichen Einzigartigkeit auch für kommende Generationen zu erhalten. Anstelle von landwirtschaftlichen Kulturen werden jetzt halt maximal 70 Betten und deren Insassen bearbeitet, geackert wird auf den Tennisplätzen und gejagt werden höchstens noch Schürzen, schwarze Zahlen oder lohnende Fotomotive“.
Rudolf 1875:
„Als ich ankam, sprang gerade ein circa zweijähriges Bübel, einzig und allein nur mit einem Hemdchen bekleidet, vor dem Hause herum und reicht mir ganz ungenirt seine beide Händchen zum Willkommensgruße entgegen. Die Hitze des Tages machte sich mit aller Dämmigkeit geltend und erregt in uns den Wunsch eines Badgenusses. Am südlichen Gestade der Insel unfern des Hauses, steht das hölzerne Fragment einer Bedekabine, die eben nur den Beweis liefert, daß hier einmal eine derartige Hütte gestanden hat. Nach nicht allzulangen Federlesens hatten wir die adamitische Tracht angezogen und badeten in den Wellen des lauwarmen Wassers. Nach eingenommenem Bade betrachteten wir nochmals die Bruchstücke des halb zerfallenen Badehauses, dessen noch stehende Bretterwand an der Innenseite mit allerlei poetischen und nichtpoetischen Sentenzen angekritzelt war, unter denen der Knittelreim:
„O wüßtest Du, Fürst Lichtenstein,
Wie hier lustig ist zu baden !
Du würdest ungesäumt –
Eine neue Hütte lassen machen von – Laden“….
….gewiß auf einiger Wahrheit basirt, und in welchen Klageruf auch wir aus ganzer Seele einstimmten“.
Hansi, 2018:
Badehaus und Strandleben in den 1930er Jahren
„Na ja, große Poesie klingt dann doch ganz anders, kleine Tragödien in diesem Umfang erfordern keine Klagerufe, schon gar nicht aus ganzer Seele, und die durchgelockerten Willkommensgepflogenheiten haben sich in der Zwischenzeit offenbar ein wenig geändert: Die junge Rezeptionistin empfängt uns weder in „evamitischer“ Tracht, noch ist sie um diese Uhrzeit und unter diesen Umständen nur einzig und allein mit einem Hemdchen bekleidet, sie überbringt aber zumindest freundlich und mit einer Geste des Bedauerns die traurige Nachricht, dass die Sandplätze leider noch nicht bespielbar sind. Das erspart Nasti zwei mühsame Stunden und degradiert das mitgebrachte Equipment zu reinen Dekorationsobjekten. Das Leben geht trotzdem weiter und wir folgen Dir unauffällig zum gepflegten Strand, der fast unverändert auf eine lange Badekulturgeschichte zurückblicken kann und der an den südlichen Gestaden der Inselanatomie wegen stationär geblieben ist. Deine ganzseelischen Klagerufe haben hier zweifellos und vollinhaltlich Gehör gefunden – die fragmentarische Bretterbaracke des Fürsten wurde opulent durch ein wunderschönes, jugendstilartiges und geräumiges hölzernes Strandhaus ersetzt, welches mittlerweile seit gut 100 Jahren in Würde gealtert, stabil und herrlich retro seinen Zweck erfüllt und deshalb verdientermaßen längst unter Denkmalschutz steht. Alte Badehäuser verströmen eine besondere Aura und einen ganz spezifischen Geruch, der zeitlos ist und eindeutige Botschaften transportiert: Sommer, Sonne, See !!!
Badefreuden in den Anfangszeiten
Obwohl sich die Sonne immer wieder tapfer durch die Wolken kämpft, bleibt der Strandbereich den ganzen Tag über praktisch unberührt, lediglich Ines, Nasti und ich nützen den Komfort der Holzliegen, um praktisch ungestört die Ruhe und das Sein zu genießen. Zum ungestörten Lesen hingegen verziehe ich mich mit meinem Taschenbuch in die oberste Etage des Badehauses in eine reizende kleine Veranda mit Tisch, Stuhl und exklusiver Aussicht. Dort wird das dicke Buch ruckzuck dünner. Die Damen verschwinden zwischenzeitlich wellnessend in der Sauna und danach nässend, kurz und quietschend im See, um diesen allerdings erstaunlich schnell wieder zu verlassen. Die noch ziemlich erfrischenden, alles andere als lauwarmen 18 Grad erregen in mir ganz sicher nicht den unmittelbaren Wunsch eines Badgenusses und so bleibt es mir erspart, in die weiblichen Klagerufe aus ganzer Seele miteinstimmen zu müssen. Ein breites Grinsen tut´s eigentlich auch.
Bei 18 Grad Wassertemperatur ist der Andrang überschaubar
Rudolf 1875:
„Überhaupt fehlt im großen Ganzen der ganzen Lokalität des Inselraumes eine ordnende und schaffende Hand. Würden im Bosquet des Eilandes labyrinthische Wege angelegt, würde eine kleine Blumen- und Parkkulrur gezogen werden, und würde überhaupt für den Komfort der so zahlreich kommenden Besucher dieses lieblichen Erdenwinkels durch Errichtung einer Restauration und eines Badehauses gesorgt werden, gewiß würde der Schaffer all dieser Wünsche seine beste Rechnung und auch seine eigene Freude daran finden“.
Hansi 2018:
„So wie es aussieht, wurden Deine Vorschläge praktisch zur Gänze umgesetzt, ohne dabei mit andauerndem Profitdenken oder zeitgeistigem Trend- und Aktionismus-Unsinn der Natur das Wasser abzugraben. Man kann das Eiland auf weichen Waldwegen im gesamten Uferbereich umrunden oder querfeldein den wild wuchernden Insel-Mischwald erkunden, in dem man ebenfalls weitestgehend ungestört noch viele alte Baumriesen näher kennenlernt, welche Dir damals in ihren frühen Sturm- und Drangzeiten möglicherweise schon Schatten und Trost gespendet haben.
Spaziergänge im Inselwald
Jedenfalls könntest Du hier Dein Pseudonym „Waldhorst“ noch immer in ganzer Bandbreite ausleben. Zusätzlich verzaubert der idyllische Rundgang mit stillen kleinen Buchten und sehenswerten Aussichtsplätzen, an denen sich das Türkisblau des Wassers mit den verschiedenen Grüntönen des Hintergrunds zu einem wunderbaren Gesamtbild verabredet. Mitunter wirkt die Wirklichkeit gar nicht so wirklichkeitsgetreu und das ist auch gut so, denn man könnte das dringende Bedürfnis empfinden, sowohl Füße, als auch Seele ausgiebig baumeln zu lassen.
Für domestizierte Zivilisations-Anhänger hat man die nähere Umgebung des Hotels mit der geforderten „Blumen- und Parkkultur“ und zahlreichen, meist schattigen Sitzgelegenheiten ausgestaltet. Als gelungen kann auch die erhöhte hölzerne Uferterrasse bezeichnet werden, die bequem umfangreiche Wasser- Milieu- und Landschaftsstudien erlaubt.
Ganz besonders witzig und unterhaltsam empfindet man die cartoonigen Bade- und Benimm-Anleitungen für unkultivierte oder gar analphabetische Strand-HooligansInnen, grenzgenial die exponierte Lage der Tischtennisplatte, welche ein schnelles, frustbewältigendes Abkühlen nach unglücklichen Niederlagen notfalls sogar in adamitischer Tracht ermöglicht“.
Rudolf 1875:
„Die Primitivität, die sich an allen Orten, die nur halbwegs abseits von den Verkehrsadern liegen, geltend macht, könnte in unserem Kärnten schon zum Ariom geworden sein. Die Leute lieben halt allzusehr ein gewisses dolce far niente, welches unser heimatlicher Lyriker, Ernst Rauscher, in seinem „Hängematten-Gedichte“ so richtig zu beschreiben weiß, als wäre er selbst ein Anhänger von dieser Gattung Kultur, der eben in dem Gefühle, systematisch nichts zu thun, seinen Kulminationspunkt findet. Würde der rege Sinn für Schaffungs- und Verwerthungs-Geist in unserm leilossianischen Volke einmal Wurzel greifen, so würde auch das Land mit seinen Herrlichkeiten, seinen Gletschern, Seen, Tristen, Alpen und Thälern dem Touristen das werden, was ihm jetzt die Schweiz ist, ja und fürwahr, es wäre unser Land dann selbst im Stande, derselben in jeder Hinsicht Konkurrenz zu machen. Darum aufgerafft aus dem Saumsalsbusel (???) und die Hände angelegt zum schaffenden Werke, welches Niemandem seinen Lohn versagen wird.
Mit diesen und ähnlichen Gedanken setzten wir uns in den Kahn und ließen uns an das westliche Ufer hinüberschiffen“.
Hansi 2018:
„Am Ende gehen unsere Meinungen aber dann doch noch gravierend auseinander. Der hart arbeitenden, ärmlichen Landbevölkerung des späten 19. Jahrhunderts ernsthaft Primitivität und Hängematten-Mentalität im Sinne von „systematisch nichts zu thun“ anzudichten, beweist nur völlige und geradezu erschreckende Ahnungslosigkeit aus der überhöhten Perspektive eines gutsituierten Stadtmenschen. Nach ein paar landarbeitenden Praxiswochen mit Holzrechen, Heugabel, Melkeimer, Spaltaxt, Brot, Sterz, Milch und Wasser hätten Du und der Herr Rauscher vielleicht topfit oder aber mit massiven Bandscheibenproblemen die gesellschaftlichen Ungleichheiten und andauernden Ungerechtigkeiten angeprangert und vehement und wenig lyrisch eine faire, angemessene Entlohnung der Bauern gefordert. Eigentlich hat sich an dieser bedenklichen Schieflage nicht viel geändert. Außer, dass es deshalb heute eh kaum mehr Bauern gibt und auf ihren Feldern weder Kartoffeln noch Getreide gedeihen, sondern nur mehr Einfamilienhäuser oder wenigstens Immobilienangebote für Gutbetuchte. Nicht nur da warst Du, mein lieber Waldhorst, mit deinem pseudo-lyrischen Brachial-Ministranten gewaltig auf dem Holzweg unterwegs, auch euer aufkeimender und bald schon übersteigerter Deutschnationalismus hat in weiterer Folge leider viele Anhänger gefunden und im Laufe des 20. Jahrhunderts fundamentale Katastrophen verursacht, die die kleine Welt am Faaker See und die große Welt drumherum bestimmt nicht besser gemacht haben. Und die umtriebigen lokalen und globalen „Schaffungs- und Verwerthungsgeister“ sind im Geiste des Kapitalismus mittlerweile auf allerbestem Wege, den Planeten an die Wand zu fahren. Aller empirischen Evidenz zum Trotz hält man weiterhin an Plan A fest. Weniger wäre wahrscheinlich viel mehr gewesen. Erare humanum est in der XXL-Version. Ja und fürwahr, so hat halt jede Zeit ihre Irrtümer, Totengräber, Heißluftproduzenten und Rattenfänger.
Sicher ist nur: Damals wie heute benötigt man gerade als praktizierender Nichtschwimmer unbedingt ein Boot, um diesen Ort zu verlassen und wenn ich ganz ehrlich bin, fällt mir der Abschied wesentlich schwerer als ursprünglich erwartet,…denn diese Insel ist unverändert ein Paradies, aus dem man nur ungern vertrieben wird. Mit diesen und ähnlichen Gedanken setzen wir uns schließlich in Jovos Wasserfahrzeug und lassen uns an das westliche Ufer hinüberschiffen“.
Hätte man mir vor 2 Wochen gesagt, ich würde mich einmal freiwillig für eine Wanderung auf einen Berg anmelden, hätte ich wahrscheinlich lachend die Augen verdreht. Was für ein Unsinn! Naja, am 8. August stehe ich dann mit gepackten Rucksack am Hof. Wie das passieren konnte? Keine Ahnung, aber es war freiwillig. Wir sind zu sechst. Sechs dynamische Wanderer, die alle hoch motiviert sind, den Schwarzkogel zu erklimmen. Und dann geht’s los. Das erste Stück ist wunderbar entspannt; wir fahren mit dem Auto zu besagtem Berg. Tolle Landschaft! Und so hohe Berge…Naja, und dann kommt der Parkplatz. Ab hier geht es dann zu Fuß weiter. Hansi flitzt vor und schon nach wenigen Minuten ist er nur noch ein kleiner Punkt am Horizont. Der Hansi läuft eben sein eigenes Tempo. Uff! Ist das steil! Und hui ist das heiß! Wie war das noch mal mit dem hochmotiviert? Von irgendwo gaanz weit oben ruft Hansi, wir würden gleich eine Pause machen. Pause! Er hat Pause gesagt!! Also weiter dem immer steiler werdenden Weg folgen. Und wer an asphaltierte Straßen denkt, der war noch nie mit Hansi wandern, sollte es aber unbedingt nachholen, denn es lohnt sich! Mit Blick auf einen Wasserfall und eine schroffe Felswand machen wir eine kleine Pause. Kurz durchatmen, etwas trinken und den Ausblick genießen. Herrlich! Doch schon geht’s weiter im Programm. Der Weg schlängelt sich diesmal nicht mehr durch den schattigen Wald, sondern in praller Sonne steil nach oben.
Die nächste Pause legen wir an einer kleinen Quelle ein, an der man sich erfrischen und seine Wasserflasche auffüllen kann. Ein gutes Stück weiter fragt Hansi, ob wir den längeren, flacheren Weg oder den kürzeren, dafür steileren Weg gehen wollen. Den Kürzeren, ist doch ganz klar! … Ach du meine Güte! Ist das steil!
Oben angekommen haben wir aber eine herrliche Sicht auf die Julischen Alpen . Es ist nicht mehr weit, versichert Hansi. Und nach einem weiterem Stück den Berg hinauf können wir endlich das Gipfelkreuz sehen. Wow! Was eine Aussicht. Die Sonne verschwindet langsam und in den schönsten Sonnenuntergangsfarben hinter den Bergen. Weit unter uns glitzert Villach und über uns kommen nach und nach die Sterne zum Vorschein. Und die paar Sternchen, die man Zuhause von unserer Terrasse aus sehen kann, sind gar nichts gegen diesen Sternenhimmel. Eine Sternschnuppe nach der anderen gleitet über den nachtschwarzen Himmel. Mein letzter Gedanke ist, dass der Schlafsack garantiert auf dem feuchten Gras ein Stück in die Kuhle rutschen wird, über der ich liege, dann bin ich auch schon eingeschlafen.
Ich wache davon auf, dass es kalt ist. Verdammt kalt. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Irgendwo müsste doch mein Rucksack mit dem Pullover… Ups, ja ich bin gerutscht. Oder besser gesagt mein Schlafsack mit mir. Ich versuche also mitsamt meines Schlafsacks und ohne die anderen zu wecken wieder nach oben zu rutschen. Ohne Erfolg. Naja, dann wenigstens den Pullover holen. Mein Gott, ist das kalt.
Langsam färbt sich der Himmel rötlich und die Sonne taucht am Horizont auf. Wir machen noch ein paar Fotos am Gipfelkreuz und dann geht es auch schon wieder los. Es steht ja immer noch das Versprechen, zum Frühstück seien wir wieder zu Hause, im Raum.
Sonnenaufgang am Gipfelkreuz
Oje. Hoch war anstrengend, aber runter ist wahnsinnig kompliziert. Hansis Kommentar; “Du musst rennen, dann geht das besser.” Ja klar. Damit ich mir das Genick breche? Nie im Leben! Keine 10 Minuten später springe ich im Laufschritt den Weg entlang. Keine Ahnung wie das gekommen ist. Aber Hansi behält Recht; es geht wirklich um einiges leichter als das mühselige Gerutsche, was meine erste Taktik gewesen war. Und schneller. Um einiges schneller.
Hä, wir sind schon fast unten?? Der Hinweg war länger, ganz sicher! Da hat doch jemand ein Stück vom Berg abgesägt. Über Nacht. Was eine Frechheit!
Unten angekommen geht’s mit dem Auto zurück nach Hause. Wir sind noch vor dem Frühstück da.
Ob ich das noch einmal machen würde? Naja, wenn ich eines aus der Sache gelernt habe, dann dass man niemals niemals sagen sollte. Und das so eine Wanderung auf 1842 Metern Höhe nen ordentlichen Muskelkater mit sich bringt.
Warum schreibt man Tagebücher ? Man schreibt sie jedenfalls nicht, damit andere sie lesen müssen, sondern vordergründig, um irgendwann sehr viel später die eigene Erinnerung neu beleben zu können, um Orte wieder zu betreten, die man längst vergessen hat, um Momente zu konservieren, die sonst im reißenden Fluss der Zeit untergehen würden und um die Überlagerungen der Tage, Wochen, Monate und Jahre fein säuberlich zu trennen. Noch dazu werden beim schriftlichen „Neuerleben“ ganz persönliche Erkenntnisvorgänge in Bewegung gesetzt, die sonst vielleicht gar nicht stattgefunden hätten.
Archäologische Grabungstagebücher (zumindest meine) kommen offensichtlich nicht ganz an Indiana Jones vorbei. So fühle ich mich am Vorabend des Grabungsstarts von den Erschwernissen des Alltags und vom Lauf der Dinge überrollt..ein wenig wie die ansehnliche Blondine namens Elsa im „letzten Kreuzzug“, die überm gähnenden Abgrund hängend verzweifelt versucht, mit der einen Hand doch noch irgendwie den Gral zu erhaschen, anstatt sich mit beiden Händen zu retten …und die dann leider auf Nimmerwiedersehen in der Tiefe verschwindet und die vielleicht unmittelbar vorm harten Aufprall registriert, dass man nicht nur alles gewinnen, sondern ganz schnell alles verlieren kann. Man(n) kann halt nicht alles haben und wenn man auf zu vielen Hochzeiten tanzt, programmiert man den eigenen Absturz voraus. „Man(n) sollte – so flüstern mir meine Teufelchen sofort – es aber wenigstens versuchen“. Objektiv betrachtet bleibt für ein solches Projekt zu viel von meinem Rest-Leben, meiner Energie und meinen Nerven auf der Strecke. Vernünftigerweise also sollte nach Plan A die bevorstehende dritte Grabungskampagne auf dem Wauberg, völlig unabhängig von Erfolg oder Misserfolg, zugleich auch meine letzte sein.
Dementsprechend ist diesmal schon zu Beginn etwas Nostalgie dabei. Ein Teil der Mannschaft trudelt bereits am Sonntagabend ein. Claus führt die kleine ReVe-Vorhut an und wirkt gleichermaßen müde, wie voller Tatendrang. Auch an ihm scheint das Programm der letzten Monate nicht ganz spurlos vorübergegangen zu sein. Neben Jonas, den ich schon vom vergangenen Herbst kenne, ist mit Christian ehrenamtlich ein absoluter Grabungs-Neuling mit von der Partie. Fast zeitgleich trifft mit Martin und Lilly die steirische Delegation ein. Während Lilly in jeder Hinsicht völlig unverändert erscheint, macht Martin nach seinem vorjährigen Kreuzbandriss einen sehr frischen und fitten Eindruck. Am Lagerfeuer werden spontan Würstchen gegrillt, alte Erinnerungen aufgefrischt und alle möglichen Aussichten der Grabung in voller Bandbreite in Erwägung gezogen. Gegen Mitternacht lichtet sich die Runde deutlich, Martin und ich basteln unverzagt an unseren Erwartungshaltungen herum und einigen uns am Ende auf eine Kampagne mit tollen Funden.
Tag 1. Montag, 30. April 2018: Ein Slow-Food-Unterstand, eine Mauer und eine feuchtfröhliche Walpurgisnacht
Die etwas riskante Rechnung mit wenigstens 5 Stunden Schlaf geht nicht ganz auf, weil ein paar GTI-Piloten mit tiefergelegtem Intellekt in unmittelbarer Nachbarschaft und mitten in der Nacht schlafraubende Motorentests veranstalten, die in ihrer Geräuschkulisse ein wenig an Stalingrad erinnern. Die Idee einer selbsterklärenden Konkurrenzveranstaltung in Form eines Rasenmäher-Traktor-Motorsägen&Motorsensen-Revanchekonzerts verwerfe ich ab 3 Uhr wegen bleierner Müdigkeit. Meine Begeisterung beim viel zu frühen Klingeln des Weckers ab 6 Uhr hält sich einigermaßen in Grenzen, auch der Blick aus dem Fenster wirkt sich mit tiefhängenden Wolken nicht sonderlich erfrischend auf meine Lebensgeister aus. Die Pferde, Rinder und Ziegen interessiert das herzlich wenig, sie legen größten Wert auf ihre frühmorgendliche Futterration. Im Frühstücksraum sammelt derweil der Grabungsleiter die schriftlichen Kaffeesud-Orakel des Grabungsteams ein, wie schon 2016 versuchen sich die Teilnehmer im Früherkennen der Grabungswahrheiten. Leichte Regenschauer verzögern den Start ein wenig, ab 9 Uhr geht es mit Traktor, Anhänger, Mensch, Material und Proviant bergauf. Die Startformation besteht diesmal schlagkräftig aus Claus, Martin, Jonas, Lilly, Christian, Mirko, Andreas und dem schulfreien Mariano.
Überm Wauberg öffnet sich gerade rechtzeitig ein blaues Loch in der Wolkendecke, die ersten Aufstiege über den Zehendner dienen traditionell der umfangreichen Werkzeug-Ausstattung. Die kollegiale Beförderung der nicht nur großen, sondern auch vollen Aluminiumkiste mit Claus erfüllt dabei sogar den Tatbestand eines Fitness-Checks. Oben am Berg sind die Positionen rasch bezogen und die Aufgaben schnell verteilt: Der mittelalterliche Ofen und die Berthahütte vom 13. Mai 2016 müssen bis aufs Vlies hinunter exhumiert werden. In der Zwischenzeit setze ich mit Motorsäge, Hammer, Nägeln, einer Kunststoffplane, Mirko und Jonas einen persönlichen Verbesserungsvorschlag um, der das Grabungsteam, das Equipment und den Proviant in den kommenden Tagen vor Wind (weniger) und Regen (mehr) schützen sollte…und zimmere aus Föhrendürrlingen, verankert am waagrechten Ast einer massiven Buche, einen primitiven, aber halbwegs wasserdichten Unterstand zusammen.
Gute Taten belohnt der Herr sofort und das ab sofort nicht nur täglich, sondern auch pünktlich um 10: Mirko serviert unter dem gesunden Motto „Anappleadaykeepsthedoctoraway“ mundgerechte Apfelspalten. Mittlerweile kommen alte Bekannte langsam wieder ans Tageslicht, bis Mittag sind sowohl der Ofen, als auch die Hütte zurück in die Gegenwart geschaufelt. Kurzer Abstecher hinunter in den Alltag: Jonas und Lilly müssen dringend zu einer Baustelle nach Hermagor, Mariano kutschiert den angeschlagenen Motormäher zu einer Reparatur in die Stadt.
Schon nach der Mittagspause bin ich wieder zurück und grabe mich mit den anderen weiter durch die Zeiten. In der Berthahütte tauchen nicht allzu überraschend bronzezeitliche Scherben und eine mutmaßliche Feuerstelle auf, Martin prophezeit einen zähen, aufwändigen Grabungsverlauf.
Luftaufnahme der Berthahütte
Der Ofen-Schnitt wird nicht allzu breit, aber relativ lang nach Westen erweitert und gleich am ersten Tag schon gerate ich archäologiewettentechnisch gegen Claus mit 0:1 in Rückstand, weil in Ofennähe eine Mauer auftaucht. Der erste greif- und fotografierbare Burgmauerbefund – und das in der dritten Kampagne (!!!!) – , Claus ist begeistert, Mirko zückt die Kamera und ich denke schon über die Wahl des Sechserträgers nach. Außerdem erscheint mir diese komische Burg immer rätselhafter, denn im Aushub findet sich kaum nennenswerter Bauschutt oder gar Mörtelreste, die es aber unbedingt geben müsste, wenn hier einst eine stattliche Mauer gestanden haben sollte. Immerhin bin ich jetzt einen Sixpack ärmer und habe wieder konkrete Merkwürdigkeiten, über die ich nachdenken kann. So bleibt die Anlage, vor bald 1000 Jahren gebaut und danach als Steinbruch bis aufs Fundament geplündert, weiterhin für mein Auge und mein Gehirn unangreifbar.
Trotzdem frohes Schaffen bis 17 Uhr. Daheim am Hof warten schon ein nun funktionsfähiger Motormäher und hungrige Tiere als erwartungsvolle Verbraucher meiner Energiereserven.
Es kommt eine Walpurgisnacht, die im Frühstücksraum hinterm Kachelofen zwar nicht heller leuchtet, die sich aber mit 6 Teilnehmern und 18 Biersorten heiter und feuchtfröhlich in den 1. Mai hineinzieht. Wer will da noch ernsthaft hoffen, der Wecker könne am Tag der Arbeit ausnahmsweise später klingeln ?
Tag 2. Dienstag, 1. Mai 2018: Ein Knochenwürfel am Tag der Arbeit
Der Verdrängungsprozess endet bereits um 6 Uhr und die Müdigkeit ist nicht Fiktion, sondern Realität. Nach immerhin 4,5 Stunden Schlaf ohne Motorengeräusche spannt sich ein durchwegs hellgrauer Himmel über den 1. Mai. Santo, Lenzo, Messi und Mentos schütteln mich auf dem Weg zur Koppel gehörig durch, danach sind meine Sinne wieder halbwegs geschärft.
Für den Rest der Mannschaft endet die Arbeitslosigkeit pünktlich um 8 Uhr, mit Allrad und im Schongang geht es bergwärts. Der Vormittag entpuppt sich nicht gerade als große Herausforderung: Umfangreiche Vermessungs- und Dokumentationsarbeiten sorgen für zeitweise Leerläufe und mehr oder weniger schöpferische Foto- Apfelspalten-Gesprächs- und Diskussionspausen. Dazwischen darf wieder zur Schaufel gegriffen oder Geduld geübt werden. Zur Verkürzung der Wartezeit denke ich sogar über Yoga nach und bin einigermaßen erleichtert, dass ich noch immer kein Smartphone besitze, mit dem ich erfolglos halbleere Minuten totschlagen könnte.
Nach der Mittagspause wird es deutlich spannender, denn direkt vorm Unterstand wird ein neuer Mittelalter-Schnitt in Angriff genommen, der mit einer Mischung aus Walderde, Buchenwurzeln und Steinen erneut wenig Greifbares in Aussicht stellt oder gar offene Fragen beantwortet, weil darunter ziemlich bald lediglich der spröde, graue Dolomit des Waubergs zum Vorschein kommt. Wenigstens finden sich ein paar Tierknochen, Scherben, Dachziegelreste und Andreas sei Dank als Tageshighlight ein klitzekleiner Knochenwürfel, den höchstwahrscheinlich ein unglücklicher Verlierer beim mittelalterlichen Glücksspiel frustriert zum Fenster hinausgeworfen hat. Das Glück war halt schon immer ein Vogerl und (zwischen)menschliche (Be)Funde beflügeln entweder die Fantasie oder befeuern die Gerüchteküche. Meinen Vorschlag, den Würfel am Abend und nach vielleicht 700- bis 800jähriger Spielunterbrechung bei einer Partie „Mensch-ärgere-dich-nicht“ wieder in Betrieb zu nehmen , lehnen die Archäologen entrüstet ab.
Zwischendurch kommen Ines und Mariano vorbei. Die behutsamen Streicheleinheiten in der Berthahütte fördern weiterhin Gebrauchskeramikreste aus der Bronzezeit zu Tage, außerdem erscheint zur willkommenen Abwechslung der eine andere kleine Artefakt aus der mittleren Kupferzeit. So wandelt man beschwingt zwischen den Zeiten und die Zeit selbst vergeht wie im Flug. Der späte Rückzug erfolgt erst gegen 17:30.
Frohes Schaffen in der Frühgeschichte
(Un)geduldig auf Nina und Johanna (Frankens next Top-Archäologinnen sollen weitere Gailtal-Kastanien aus dem Feuer holen) wartend verzögert sich das Abendessen bis zur kulinarischen Schmerzgrenze. Die rustikalen Transportkartons eines lokalen Pizzaherstellers beenden im Dutzend und 5 vor 12 das bereits beängstigend akut gewordene Hungergefühl der Ausgehungerten. Danach ist die Stimmung deutlich entspannter, tollpatschige oder dramatische Grabungsanekdoten machen die Runde. Entstehende Pausen füllt Christian mit den neuesten Weissagungen seiner Wetter-App oder alternativ mit unterhaltsamen Begebenheiten aus Theorie und psychotherapeutischer Praxis.
Je später der Abend, desto schöner die Schlagzeilen: Die Münchener Bayern verabschieden sich mit einem 2:2 bei Real in Madrid aus der Champions League. Meine eigenen Unzulänglichkeiten offenbaren sich spätestens zur Geisterstunde, denn auch diese Nacht wird zu kurz.
Tag 3. Mittwoch, 2. Mai 2018: Die Zehe und der Zehendner, eine Swimmingpool-Abdeckung, (k)eine weitere Mauer und ein Nachtausritt
Aprilgefühle bei Sonne, Wolken und Regen. Im Halbschlaf zu früher Stunde stelle ich mir gerne die eher überflüssige Frage, in welchem Land der Träume ich noch sein könnte, wäre nicht der Wauberg dazwischengekommen. Spätestens nach dem Morgentraining und beim Bepacken des Rucksacks bin ich bereit, mich für neue, gemütlichere Lebensentwürfe zu öffnen. Claus hat da ganz andere Probleme: Der Zehendner und falsches Schuhwerk haben seinen großen Zeh in Mitleidenschaft gezogen – es wartet ein eher schmerzhafter Mittwoch mit Teebaumöl und zusammengebissenen Zähnen. Dr. Christian, der Grabungsarzt, versucht sich als Spontanheiler. Johanna, Nina und Jonas müssen auf noch unbestimmte Zeit ins Tal der Gail. Trotzdem ist die Besetzung mit Christian, Martin, Mirko, Lilly, Claus und Andreas noch immer schlagkräftig genug, um einen wechselnd bewölkten Vormittag zu bewältigen.
Nach Studium der Wetterkarten könnte die hohe Regenwahrscheinlichkeit die Berthahütte jederzeit in einen prähistorischen Swimming-Pool verwandeln. Mein erster Problemlösungsansatz, ein „Abwasserkanal“ zur Hangkante hin, scheitert an den zu erwartenden Funden bzw. am Dokumentations- und Vermessungsaufwand. Plan B ist eine transportable Abdeckung aus Holzstangen und einer riesigen grünen Kunststoffplane. Mit Mirko und Motorsäge begebe ich mich auf die Suche nach geeigneten Dürrlingen und gehe damit wieder funktionellen Alltagstätigkeiten nach, die zwar wenig Spaß bereiten, aber unbedingt notwendig sind, um den Vorgeschichtsbereich auch nach Extremwetter einigermaßen trocken zu halten. Unterdessen wird in den Schnitten feingearbeitet, was wohl auch wenig Spaß bereitet.
In der Mittagspause wird nicht nur pausiert und gegessen, es wird angeregt diskutiert und dabei eine Erweiterung der Berthahütte nach Norden beschlossen, um die bereits während der 2016er-Kampagne angeschnittene Grube zur Gänze zu erfassen. Überraschenderweise erweitert sich auch die Nachmittags-Besetzung ums „Gailtal-Trio“ und der Wauberg gleicht dann einem wuselnden Ameisenhaufen: Überall Leute, überall Schauplätze. Die Berthahütten-Expansion lohnt sich sofort mit Scherbenfunden aus sämtlichen Epochen, außerdem bergen wir ein Stück eines Mauerziegels und etwas tiefer taucht im Profil so etwas wie die nächste Mauer auf….was nicht nur ein unerwarteter Befund wäre, sondern Claus bei unseren exzessiven Archäologie-Wetten ein 2:0 bescheren könnte. Noch allerdings fehlen dem ersten Verdacht das Fundament und die Eindeutigkeit und für fahrlässiges „Pitzeln“ (ein launiger Fachbegriff für Grabungs-Insider, der im Laufe der Zeit zum Modewort ausartet) zwecks Beweissuche im Profilbereich hat der vorgeschichtliche Grabungsleiter vernichtende Blicke im Repertoire.
Grüner Arbeitsplatz
Schlagzahlerhöhend ein weiterer Einfall der lokalen Erlebnis-Archäologie: Oben am Zisternenrand entschließt man sich, dem Verlauf einer Sandsteinplatte quer über den schmalen Wanderweg mit einem weiteren Schnitt zu folgen. Weil sich exakt dort, quasi als Sandsteinplattenhalterin, eine mittelprächtige Kiefer angesiedelt hat, ist deren Schicksal rasch besiegelt. Zum schnellen Vollstecken des Todesurteils holt man erwartungsgemäß mich und meine Motorsäge. Die Delinquentin bzw. deren Krone verfängt sich während der Hinrichtung leider etwas unglücklich in den Ästen einer benachbarten Buche, erst eine nicht sämtlichen Sicherheitsvorschriften entsprechende Kletterpartie sichert mit leichter Verspätung den Start der Grabungsarbeiten. Immerhin stimmt in diesem Bereich die Frauenquote: Nina und Johanna übernehmen die Baustelle, deren Name Programm ist: „Wuide Hehna“.
In der Zwischenzeit ist die „Knochenwürfelgrube“ endgültig vermessen (Jonas bildet überaus erfolgreich Christian zum Prismaten aus), dokumentiert und beschrieben und darf deshalb wieder unter der Erde verschwinden. Abschließend erfährt die Regenabdeckung der Berthahütte ihren ersten Praxistest, erneut werden die Felder erst nach 17 Uhr geräumt.
Einsetzender Regen erzwingt die schnelle Verlegung eines Leider-Nein-Open-Air-Grillabends hinunter in den Frühstücksraum. Später, als der Regen wieder nachlässt, und die Gespräche hinterm Kachelofen nicht in den Amazonas münden, sondern sich um Amazon drehen, stellt sich bald eine verbale Müdigkeit ein, die Gefahr läuft, im Wachkoma zu enden. Zwei sinnvolle Fluchtwege tun sich auf: Entweder ins rettende Bett…oder aufs rettende Pferd. Und so liefert ein Nachtausritt durch dunkle Wälder mit Santo, Lenzo und Nina ein erfrischendes Gefühl von schemenhafter, aber sehr (ent)spannender Gegenwart. Danach ist man einigermaßen aufgemuntert zu allen Schandtaten bereit und begibt sich mit Martin zurück in die goldenen Kupfer- und Bronzezeiten der Berthahütte, bis man sich am Ende eines 19-Stunden-Tages die Frage stellt, was wichtiger ist: Ein kürzeres Gespräch oder eine längere Nacht ?
Tag 4. Donnerstag, 3. Mai 2018: Kein Helm, viele Fragen, wenige Antworten und freie Zimmer
Waschküchenwetter mit Nebel, Sonne, Wolken und späten Gewittern. Ähnlich wie das Wetter fühlt sich auch die Müdigkeit bleiern an. Das gewohnte Morgenprogramm wird mit dem Anruf eines Journalisten und einer losen, wetterabhängigen Verabredung zu einem Besuch der Grabung aufgepeppt. Ein voller Anhänger rumpelt über die tiefen Wege und durch die dampfende Landschaft, die Aussicht vom Wauberg präsentiert sich mit locker über den Bergen hängenden Dunst- und Nebelnegligees mystisch und fotogen. Die Berthahütte hat die erste Regennacht in ihrem Ganzkörperkondom weitestgehend trocken überstanden und wird nach der Enthüllung umgehend von Martin und Lilly bearbeitet. Wenn die Normalsterblichen Pech haben, steht der Vormittag ganz im Zeichen von Dokumentation und Vermessung. Muskeln und Wirbelsäule profitieren, man beschäftigt sich mit anfallendem Kleinkram, kümmert sich ums Recycling von Apfelspalten, führt Gespräche und sucht nach Fotomotiven und ähnlichen Therapieangeboten zum Vergehen der Zeit. Christians Lieblingsplatz befindet sich offensichtlich bei den beiden Holzbänken mit dem weiten Blick ins Land. Oft sehe ich ihn dort, sinnierend, betrachtend oder fotografierend. Manchmal gesellt sich Mirko zu ihm, eine Nachkriegsseilschaft der Grabungsältesten.
Blick in die Waschküche
Zu Mittag gibt es, wie üblich, kalte Platte, heißen Kaffee und hausgemachtes Kaffeegebäck aus privaten Hausmanufakturen. Der Nachmittag bringt sonnige Phasen und erhöhtes Verkehrsaufkommen: Der Hühnerstall wird erweitert und diese Expansion erfordert die mühsame Herausnahme eines federnden Wurzelteppichs. Vorwärts also, notwendigerweise brachial. Als ich diese Methode auch im darunterliegenden Bauschutt anwende, domestiziert mich Johanna mit lebenserwartungssenkenden, wortlosen Körpersprachen: Die nächste Mauer, erneut erbärmlich, kommt zum Vorschein. Entweder die erschütternde Arbeit eines Lehrlings, oder das Todesurteil für den Meister. Wie so oft wird auch dieser Bereich mehr Fragen aufwerfen, als beantworten.
Zurück in die Urgeschichte. Dort setzt sich die Tradition des ersten Donnerstags fort: Diesmal ist es Lilly, die eine Tonspule findet, nebenbei kommen Scherben und Tierknochen ans Tageslicht. Martin rätselt ob der diversen (un)organisierten Schichten herum und komprimiert seine Gedanken in einem Wort: Grubenhaus. Auf der aktuellen Grube jedenfalls liegen zwei massive Steinplatten, deren Sinn und Zweck die betrachtenden Gesichter mit Fragezeichen versieht. Große Aufregung währenddessen oben im Hühnerauslauf an der Zisterne….ein Metallfund im Schutt, direkt neben der Mauer. Die Form des zerknüllten Alteisens erlaubt in der Erstansprache viele Deutungen. Claus tippt auf den Knüller der Grabung in Form eines mittelalterlichen Helms. Ich mache vom Recht der Meinungsfreiheit Gebrauch und wette dagegen. Weil die feinen Spachteln das Objekt behutsam herausoperieren, irgendwann ein Stiel am Eisen auftaucht und man sich deshalb auf ein pfannenartiges Metallprodukt einigt..geht diese Runde an mich – 1:1. Für eine erfolgreiche Bergung reicht die Zeit allerdings nicht mehr. An diesem ersten Donnerstag erfolgt die Heimreise bei leichtem Sprühregen ohne jegliche Proteste und leicht notgedrungen bereits um 16Uhr15, denn ab 18 Uhr steht die Eröffnung einer neuen Sonderausstellung im Villacher Stadtmuseum auf der unbedingten To-Do-Liste.
Teile des Grabungsteams ziehen sich aufs Zimmer oder ins passive Privatleben zurück, während Ines, Claus, Lilly und Martin den Abend in „Zimmer frei“ investieren. Im Auto riecht es nach Rasierwasser, Duschgel und Parfüm, Frisuren und Wetter halten einstweilen, die leicht überhöhte Geschwindigkeit auf der langen Gerade vor Maria Gail wird mich später wohlfeile 35 Euro kosten.
Natürlich, man muss es mögen, das Leben in der Kleinstadt. Auch wenn es nicht so laut, bunt und hektisch wie in der Großstadt ist…nach intimen, ruhigen Grabungstagen oben am Berg und weit außerhalb der Öffentlichkeit empfindet man schon das Gedränge und den Gesprächsgeräuschpegel im Innenhof des Museums als akustische und visuelle Zumutung und schielt mit einem Auge nach dem Notausgang zurück in die ruhige Abgeschiedenheit der Ausgrabungen. Beengtes, aber glückliches Wiedersehen mit Mirko und Gerti auf den Unebenheiten im vorderen Bereich. Die kleine Wauberg-Abordnung findet auch diesmal Eingang in die freundlichen Begrüßungsworte, die Begleitmusik stellt mit überarbeiteten Schlager-Evergreens (Mariandl-andl-andl im Pleamle-Gwandl-wandl-andl, wenn man so will) ein leichtes Upgrade zu den unmelodiösen Römern von 2016 dar, erkennbar an vereinzelt leicht rhythmisch-drehenden Hüftbewegungen im Publikum. Zu „Zimmer frei- Die Entwicklung der „Fremdenpflege“ in Kärnten“ , den durchaus kritischen Höhen-und-Tiefen-Betrachtungen der regionalen Tourismusgeschichte, könnte ich abertausende sehr persönlicher Anekdoten aus dem Nähkästchen und unter der Gürtellinie aus ereignisreichen fünf Jahrzehnten aus dem Handgelenk und dem Langzeitgedächtnis schütteln, verzichte aber dankend darauf und finde mich und meine Familie auf sämtlichen Schautafeln wieder, obwohl wir dort gar nicht abgebildet sind. Zu den vielen Fotos ziehen ähnliche Bilder aus der Erinnerung an mir vorüber, süß-saure Sentimentalitätseinbrüche sind da kaum zu verhindern und müssen ausgehalten werden. In der Zwischenzeit haben wesentlich schlauere Leute die vorbereiteten Finger-Food-Buffets fast zur Gänze geplündert, nur ein paar belegte Brote haben das Massaker überlebt. Zum Sterben zuviel, zum Leben zuwenig. Unter den Gewölben wird, an kühle Mauern gelehnt, noch mit kleinen Bierflaschen nachbetrachtet und gesmalltalked. Claus zieht neue Aufträge an Land, ich ziehe mit der richtigen 1:2-Anzahl an Tonspulen im Archäologiewetten-Zwischenstand hauchdünn mit 2:1 am verdutzten Grabungsleiter vorbei und Mirko zieht sich ungeduldig schon etwas früher aus der Affäre, um das (von mir rechtzeitig angekündigte) Ausscheiden der Salzburger Bullenherde aus der Europa-League live zu verfolgen. Knurrende Mägen und hohle Zähne fordern unterwegs mit türkischem Fast-Food ihren Tribut in einem innenstädtischen Kebap-Stand, müde und verspätet rollen wir praktisch gleichzeitig mit einem lauten, nächtlichen Gewitter auf den Hof. Der Donnerstag wird am Ende seinem Namen gerecht und endet spät, aber gemütlich mit erwärmenden Kachelofengesprächen.
Tag 5. Freitag, 4. Mai 2018: Der Schöpfer des Wauberg-Laufs, eine bronzene Gewandnadel und eine Freiluft-Dusche
Durchwegs trüb, der Regen lässt in den Morgenstunden nach, hört bald auf und die Wolken halten aller Bedrohlichkeit und Christians Slapstick-Wetter-App zum Trotz bis weit in den Nachmittag hinein dicht. Die Pferde schlurfen mit hängenden Köpfen durch feuchte Grautöne zur morastigen Koppel. Georg, der Journalist, und Helmuth, der Fotograf, verschieben den 8-Uhr-Termin sinnvollerweise auf die kommende Woche und auch im Grabungsteam herrscht nicht gerade euphorische Aufbruchsstimmung. Liegt zum Teil wohl an der Heimreise von Nina und Johanna, die uns nach dem Frühstück in Richtung Bamberg verlassen. Leicht verspätet geht es los, im Vetterlingomobil sind bunte Regenschirme aufgespannt und der Traktor benötigt Allrad, um Mannschaft und Anhänger über die letzte schmierige Steigung zu hieven. In den Baumkronen hängen Nebelfetzen, an den Bergen tummeln sich dunkle Wolken und der seifige Zehendner sieht rotgesichtige Bergaufgeher. Zum ersten Vormittags-Highlight avanciert die behutsame Operation des Mittelalter-Spezialisten an der offenen Pfanne. Unter den gespannten Blicken der Lehrlinge löst Meister Claus mit feinem Gerät und viel Gefühl das Altmetall vom Untergrund. In der Zwischenzeit beschaffe ich unten im Dorf einen „Bergekarton“, in dem das Fundstück, eingebettet in einem Sand/Erde-Gemisch, spätestens am Abend den Weg ins Tal und zur Restauration antreten wird.
Dokumentation und Vermessung
Witzige Veranstaltungen entstehen oft ganz zufällig. Weil Jonas sein Prisma unten auf dem Anhänger vergessen hat, fliegt er so schnell wie nur möglich den Hang hinunter und wieder hinauf und weil er diesen Husarenritt in 1:58 Minuten (!) absolviert, liegt er dann minutenlang nach Luft ringend auf dem Waldboden neben den Holzbänken. Nachdem ich gerade Zeit und Lust habe, liegt es in der Natur der Sache, in sportlicher Wertigkeit ebenfalls zu überprüfen, in welcher Höhe die Lorbeeren hängen. Nun ja. Zu hoch…denke ich mir direkt schon nach dem Start im Steilhang, denn es meldet sich die innere Abteilung für Prävention (=Vernunft) und diese empfiehlt dringend eine Temporeduktion wegen erhöhter Sturz- und hoher Verletzungsgefahr. Bergauf läuft dem Alternden auf dem steilen Boden der Realität weiterhin rasend die Zeit davon und oben an den Bänken fehlen Welten auf Jonas …3:20 kommen in die Wertung. Was dann unter ferner liefen (im wahrsten Sinne des Wortes) für den zweiten und trotzdem letzten Platz reicht, weil sich sonst niemand freiwillig der Herausforderung stellen möchte. Das Grabungsestablishment sieht im „Wauberg-Lauf“ eher eine hirnbefreite Challenge als so etwas wie eine humorvolle Manifestation von Geländetauglichkeit.
Wie auch immer, alle Schuster müssen zurück zu ihren Leisten. Atmosphärisch riecht es förmlich nach Regen, Vermessungs- Dokumentations- Grob- und Feinarbeiten auf allen Arealen. In der Berthahütte werden die zwei Steinplatten dokumentiert, weiterhin tauchen ständig Scherben auf. Keramik findet sich auch oben im Hühnerstall, im Ofenbereich sorgt eine sonderbare Steinansammlung für Kopfzerbrechen. Nach einigen Drohgebärden macht das Wetter schließlich ernst, bei einsetzendem Regen findet Lilly im Bereich der Steine eine bronzene Gewandnadel, die gerade noch geborgen werden kann. In Windeseile werden die Berthahütte und der Ofen überdacht bzw. eingepackt, dann öffnet der Himmel kräftig seine Schleusen. Das vorläufige Abwarten in der Notunterkunft wird bald sinnlos, am erfrischenden Gang mitten durch die kalte Dusche führt kein Weg vorbei. Unten am Traktor werden die Schirme wieder aufgespannt, dadurch entsteht ein ziemlich intensives Prasselgeräusch, welches bei den Humorvollen sogar für Heiterkeit sorgt. Andreas und Mirko gelingt knapp, aber doch die abenteuerliche Flucht im PKW, wir flatschen mit leichter Verspätung durch die Gischt und sind ab 15Uhr45 ebenfalls im Trockenen. Sämtliche Öfen werden angeworfen, bei Tee und Reindling verkommen die Strapazen schnell zur Anekdote.
Letzte Zornesfalten werden bei einem kollektiven Abendessen in der Nudelfabrik geglättet, Geschmacks- und Meinungsnuancen machen während einer Dreierkombination die heitere Runde, lediglich Andreas kommt leicht verspätet und durch einen Rohrbruch gestresst. Von meinem Stuhl aus sieht die Gegenwart mit Spaghettini in Zitronenpesto und durchwegs zufriedenen Gesichtern relativ positiv aus. Vom wahren Ernst des Lebens sind wir gerade weit genug entfernt und dieser wird sich auch später am geheizten Kachelofen nicht einstellen. Stattdessen werden bis in den Samstag hinein diverse Pesti, bronzene Gewandnadeln und vermeintliche Ideallinien am Berg entweder diskutiert oder monologisiert. Jede Uhrzeit hat ihre Existenzberechtigung, wenn sich die Arbeitswoche einstimmig verlängert.
Tag 6. Samstag, 5. Mai 2018: Grubenräumung und Kupferzeit unter der Burg
Der lange Samstag startet mit etwas Verspätung sehr human. Auch heute lässt der nächtliche Regen gerade noch rechtzeitig nach, um ab 9 eine halbwegs pünktliche Abfahrt zu ermöglichen. Jeder Tag hat seine individuelle Bestbesetzung, die andauernd wechselt, eine Standard-Startaufstellung existiert nicht. Die unverzagte Wochenendbesetzung besteht aus Ines, Lilly, Martin, Claus, Christian und Jonas. Die Grundstimmung bleibt nebelig-dunstig-wolkig-mystisch, die sparsame Sonne zeigt sich nur ab und zu für Minutenbruchteile, aber immerhin bleibt es ganztägig trocken bei durchaus angenehmen Arbeitstemperaturen. Aus keiner Geste und aus keinem Blick könnte man ein unmotiviertes „Lohnt sich das überhaupt ?“ herauslesen, in der freiwilligen Überzeit kommt eine gewisse Unaufgeregtheit hinzu, obwohl das Arbeitsspektrum aus Vermessung, Dokumentation, Grabung und Spekulation vollzählig abgerufen wird.
Kein Werbefoto vom Wörthersee
Martin, Lilly und Ines räumen vor, nach und zwischen Vermessung und Dokumentation im Laufe des Tages die besagte Grube in der Berthahütte aus. Sie erbeuten zwar keine spektakulären Devotionalien aus der Frühgeschichte, aber selbst mit der nächsten Tonspule und einer Menge Scherben kann man ganz gut leben. Jonas und Christian switchen unverdrossen von einer Vermessung zur nächsten und ich bin so überall wie möglich. Beschaulich bleibt es bei Claus in dessen Ofenschnitt, nennenswert erscheint gerade einmal eine gelochte Metallscheibe, die beim Sondieren aus dem Abraum auftaucht. Unerwartet spannend wird es hingegen im Hühnerstall, wo sich eine mehrjährige Theorie innerhalb weniger Stunden in Schall und Rauch auflöst. Bislang war man (= die leitenden Archäologen) felsenfest davon überzeugt, dass auch auf dem Wauberg, mittelalterlicher Praxis entsprechend, darunterliegende Schichten planierend für den Burgbau einfach kurzerhand übern Hang geschaufelt wurden. Gute Idee zwar, weil irgendwie naheliegend, aber sie landet auf der gedanklichen Mülldeponie, denn unter dem Abraum der Burg tauchen in feinem ockerfarbigem Material kupferzeitliche Keramikreste in beachtlicher Anzahl auf. Außerdem zeigt sich eine von Rillen, Spalten und Klüften durchzogene Felsstruktur. Dafür wächst meine Vorstellung von einem uralten Siedlungsplatz immer kompakter zusammen und kann kaum mehr in Frage gestellt werden. Claus ist not really amused, Martin kommentiert die geänderten Meinungen mit einem breiten Grinsen von einem Ohr zum anderen. Irgendwie erinnern die Forschungen ein wenig an die „Dalli-Klick“-Challenge von Hans Rosenthal…um zu einem konkreten Bild und zu einer eindeutigen Diagnose zu gelangen, müsste man wahrscheinlich den ganzen Berg völlig auf den Kopf stellen. Je länger wir graben, desto mehr Fragen tauchen auf und das ständige hinterfragende Rätselraten oder zu Grabe tragen überholter Einschätzungen zählt vermutlich zu den klassischen Symptomen von Archäologie. Zwischen den offenen Spekulationen hängt jeder seinen Gedanken nach oder lenkt sich mit der nächsten Arbeit ab. Kann man keine Einigung erzielen…wird halt gewettet.
Bei allen Unwägbarkeiten gibt es auch vorhersehbare Dinge. Dass die lange Arbeitswoche um 16 Uhr ein glückliches Ende findet beispielsweise. Oder dass uns Lilly allseits schwerer Herzen in Richtung Graz verlassen muss. Ein Wiedersehen steht wie immer in den Sternen. Irgendwie, irgendwo, irgendwann auf alle Fälle. Martin besucht seine Schwester in Klagenfurt, also bleibt mit Claus, Jonas und Christian nur ein klitzekleines Überbrückungskontingent für den kläglichen Rest des Wochenendes.
Verschnaufpausen sind trotzdem nicht eingeplant: Die Tiere benötigen frisches Gras und der hohe Rasen muss dringend gemäht werden. Auch sinnvolle Alltagsarbeiten können entspannend sein, wenn sie einigermaßen ohne Zeitdruck stattfinden dürfen. Die lange Arbeitswoche endet jedenfalls gemütlich und wie so oft im Frühstücksraum, diesmal mit einer Gulaschsuppe von Ines. Die Streichfähigen streichen früh die Segel, es wartet ein langer XL-Sonntag im Dreiländereck.
Tag 7. Montag, 7. Mai 2018: Neue Männer, Hufschmiede, Paul, Webgewichte und Reibeplatten
Nach solchen Sonntagen in einen kunterbunten Montag zu starten, setzt jahrelanges Studium des eigenen Lebens und fortgeschrittene Rodeo-Qualitäten voraus. Am Vorabend hat sich das Grabungsteam bambergisch verstärkt: Günther, Samuel und Michi, außerdem Claus´ Frau Andrea. Günther kenne ich schon von der 2016er-Kampagne. Er ist einer der unaufgeregtesten Menschen, die mir in fünf Jahrzehnten über den Weg gelaufen sind. Seine meist heitere, seelenruhige Gelassenheit erscheint fast grenzenlos, nicht einmal der Aufstieg seines 1. FC Nürnberg in die Bundesliga entlockt ihm nennenswerte Emotionen. Samuel scheint da ein wenig anders gestrickt: Ein witziger Bayer (sofort am Dialekt erkennbar) mit langer Vorgeschichte, der beim Lachen nicht sparsam ist und mit seiner guten Laune neutrale Mundwinkel rasch nach oben zieht. Noch dazu hat er das Herz am richtigen, am Grünwalder Fleck. Michi macht hingegen einen eher introvertierten, aber unverschämt hemdsärmeligen Eindruck. Andrea wird mit Ines im Hintergrund kalte Platten zimmern, organisatorische Lücken schließen und mutmaßlich überall dort sein, wo gerade Not am Mann ist.
Archäologisches Stilleben
Das Montagswetter hat sich ausnahmsweise zu relativer Beständigkeit entschieden, die Sonne fräst im Laufe des Vormittags den Hochnebel weg und scheint dann fröhlich von einem wechselnd bewölkten Himmel. Anhänger (Claus, Martin, Mirko, Christian, Jonas, Günther, Samuel und Michi) und Tag sind ziemlich voll, an den Grabungsgesetzmäßigkeiten ändert sich auch mit neuer Besetzung nicht allzuviel. Meine Rolle als unrasiertes und ungeschminktes Mädchen für alles wird leider immer konkreter. Zuerst hänge ich in Claus-Vetterling-Manier am Handy (Telefonate mit Georg, dem Journalisten meines Vertrauens, mit Paul dem Landes-Prähistoriker, mit Mirkos Frau Gerti und mit den zu erwartenden Pferdehufbearbeitern), dann muss ich zurück ins Dorf, um eben den Gitschtal-Hufschmieden bei unseren Pferden unter die Arme zu greifen und was dann vom Vormittag noch bleibt, ist mehr als überschaubar. Ungestörtes, konzentriertes Graben, welches irgendwann in einen fast meditativen Zustand münden kann, wird für mich wohl nicht mehr stattfinden.
Kurzes Comeback zur Mittagspause, um live mitzuerleben, wie Claus im Vorübergehen ein keilförmiges Webgewicht aus dem Berthahütten-Abraum zaubert. Diesmal ist es Martin, der not amused ist. Trotzdem ist es der nächste Beweis für die frühe Textilherstellung auf dem Wauberg. Fachsimpeleien und nicht ganz runde Tische im Ofenbereich. Ines und Andrea forschen mit Martin und Samuel in der Berthahütte weiter. Die mittelalterliche Expertenkommission ordnet einen großen Eingriff im zentralen Burgbereich an, dort erscheinen Funde und Befunde sehr wahrscheinlich, die etwas mehr Licht ins Dunkel der Anlage bringen sollten. Beim Entfernen der Wachstumsschicht kann ich noch behilflich sein, dann muss ich wieder bergab, um Paul mit dem Vetterlingomobil abzuholen. Pauls jahrzehntelange Erfahrungen ermöglichen eine unterhaltsame Rätselrallye mit den Grabungsleitern über sämtliche Baustellen und so nebenbei wird eine Reibplatte aus der Bronzezeit (?) ergattert. Ein weiterer Stein, auf welchen Paul nachdrücklich hinweist, entpuppt sich später und bei genauerer Betrachtung als Pochstein, der deutlich sichtbar Rechenschaft über die Metallverabeitung vor Ort ablegt. Highligh-Hotspot ist weiterhin die Berthahütten-Erweiterung, dort werden ein weiteres Webgewicht und sehr spezielle Keramikreste herausgespachtelt, während der neue Mittelalter-Schnitt vorerst außer Wurzeln, Erde, Schutt und Schweiß wenig zu bieten hat.
Am Manic- Monday werden die Handtücher etwas früher geworfen, denn Claus ist pünktlich mit Kurt, dem Villacher Museumsdirektor verabredet und auch Paul rufen akute Pflichten. Im fahrenden Register sitzen 9 Personen, größtenteils gutgelaunt. Ein bis zwei hätten vielleicht noch Platz, dann wäre die Kapazität erschöpft. Systemerhaltende Tätigkeiten und gemeinsames Abendessen. Das laue und trockene Wetter erlaubt schließlich noch ein paar behagliche Stunden draußen am Lagerfeuer. Mariano und Martin würgen und streicheln ihre Gitarren bis zur Geisterstunde.
Montagsende am Lagerfeuer
Tag 8. Dienstag, 8. Mai 2018: Journalisten, Fotografen, Rillenschlegel, Rinderkiefer und ReVe-Nudelfabrik
Manchmal fällt es schwer, ein Verhältnis zu haben, zu sich, zu den anderen und zu den Tagesabläufen. Nachts war ich in wilden Träumen unterwegs und als es richtig spannend wird, klingelt wieder einmal der Wecker zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Wer auch immer den Dienstag geplant hat: Er hat ziemlich dick aufgetragen. Immerhin scheint oft die Sonne und es fühlt sich endlich ein wenig nach Mai an. Ab 8 transportiere ich Samuel, Günther, Jonas, Mirko und Christian zur Arbeit, um den Traktor dann umgehend zurück ins Dorf zu manövrieren: Grabungs-Bestandsaufnahme mit Georg, dem Journalisten und Helmuth, dem Fotografen. Das muntere Duo soll die Wauberg-Historien in Wort und Bild einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren, Claus, Martin und ich moderieren und meandern durch die Jahrtausende und den selbsterlebten Lauf der Dinge seit 2015 und veranschaulichen Geschichte und Geschichten mit aktuellen Fundstücken oder berichten von gravierenden Rätseln, an deren Lösung wir bisher grandios gescheitert sind. Danach reist man gemeinsam in die tatsächliche Wirklichkeit hinein, die man zuvor nur wort- und gestenreich angedeutet hat. Die Bäume stehen Spalier und der Zehendner nimmt wenig Rücksicht auf die Debütanten. Georg notiert, Helmuth fotografiert, Claus multipliziert, Martin dividiert und fließend wird aus einer vermeintlichen Pflichtübung ein angenehmer Lokalaugenschein für alle Beteiligten. Zeitgleich geht das Grabungsleben unvermindert weiter, in allen Schnitten wird geforscht, geschaufelt, gespachtelt, gepitzelt und gepinselt. Trotz eines ernsten Krankheitsfalles in der Familie ist auch Andreas zwar gedämpft, aber mit dem gewohnten Enthusiasmus vor Ort. Das richtige Leben verteilt oft wahllos eine breite Kollektion an Emotionen und noch öfter wird man aus Paradiesen vertrieben und seiner Träume beraubt und muss sich trotzdem daran erinnern, dass es zu früh ist, die Flinte ins Korn zu werfen. Die Wauberg-Zeit von Georg und Helmuth endet erst gegen Mittag, mitten in der gleichnamigen Pause bin ich wieder zurück auf dem Gipfel.
Endlich richtig Sonne
Beim achten Versuch wird am bisher sonnigsten Nachmittag in der Berthahütte erstmals der überdimensionale Mehrzweckschirm aufgespannt. Darunter fühlt man sich zwar noch immer wie in der Sauna, erfreut sich aber an erträglicheren Arbeitsbedingungen und schönen Funden: Ein erstaunlich gut erhaltener Rinder-Kiefer (Lilly, Jonas und Samuel einigen sich auf Kalb) aus der Bronzezeit und neben 08/15-Keramikrückständen eine besonders schön verzierte Scherbe aus der Kupferzeit. Claus fördert ein rätselhaftes Gebilde aus seinem mittelalterlichen Ofen-Schnitt. Man diskutiert, ist sich nur nicht ganz sicher. Hinter vorgehaltener Hand wird vorsichtig abschätzend ein „Rillenschlegel“ in den Mund genommen. Oben im Burgkern bei Günther und Michi hingegen nur jede Schutt im hohen Kubikmeterbereich und auf dem Weg zum Mittelpunkt der Erde taucht ein Bodenbefund aus Steinen auf.
Ab 19 Uhr sind die Strapazen des Tages vergessen, Günther und Claus ziehen die XXL-Spendierhosen an und laden die gesamte Belegschaft großzügig zu einem opulenten ReVe-Abendessen in die Nudelfabrik ein. Draußen gewittert es hörbar, ganz drinnen rumort es etwas leiser spätestens nach dem dritten Gang. Zufriedenheit wirkt besonders dann nach, wenn sie allgemein ausfällt. Der verbliebene Rest-Dienstag ist Frühstücksraum-Kultur hinterm Kachelofen mit Whiskey für Torfstecher und Birnenlikör für Hartgesottene und wer nicht rechtzeitig ins Bett geht, den bestraft der Mittwoch. Goodbye Ruby Tuesday, still I´m gonna miss you. Anyway.
Tag 9. Mittwoch, 9. Mai 2018: Steirische Reisegruppe und Grabungsfest
Die Berthahütte und ihr Regenschutz
Der Himmel ist weiterhin undicht und der nächtliche Regen lässt erst in den Morgenstunden nach. Tagsüber hat Petrus Waffenstillstand vereinbart und es bleibt deshalb zwar meist trüb, aber mit gelegentlichen sonnigen Einschlägen zumindest bis zum Abend trocken. Die umfassende Wauberg-Aussicht jedenfalls ist vorerst auf ein Minimum reduziert, Nebel und Wolken haben die Landschaft hellgrau-weiß überpinselt und die feuchten Bedingungen locken die Feuersalamander aus der Reserve und vor Christians Kamera. Altherrenvormittag in Bestbesetzung, mit gelegentlichen Abschnittsarbeiten, den gewohnten und nötigen Dokumentationsphasen, Vermessungssessions und schöpferischen Gesprächs- Foto- oder Apfelspalten-Pausen. Wenigstens die Mittagspause ist sonnig, außerdem kommt auch Andreas, mit Kaffee und Gebäck im Gepäck, um am Nachmittag zwischen den Baustellen zu zirkulieren. Den zentralen Burgschnitt teilen sich heldenhaft Günther und Michi, deren Aushub wächst und wächst, trotz Blut, Schweiß und Tränen bleibt der Output bescheiden. Spärlich sind dort die Funde und auch die Befunde sind nicht deutlich: Mauer ? Boden ? Nichts Neues im Süden….Keramik und Knochen in der Berthahütte. Ziemlich tote Hose im Ofen-Schnitt, es sei denn, man feiert eine Kalkschicht als besonders bemerkenswert ab.
Meine Verweildauer ist in letzter Zeit eh nicht von Dauer. Diesmal befördere ich eine kleine, rein berufliche Reisegruppe aus der Steiermark zum Berg: Eva und Jörg vom Bundesdenkmalamt sind in offizieller Mission unterwegs, während Georg, ein namhafter Archäologe, in den vergangenen Jahren bereits mehrere Wauberg-Expertisen abgeliefert hat, ohne jemals vor Ort gewesen zu sein. Wer es sich leicht machen will mit Beurteilungen sagt einfach: Aha. So etwas könnte bei Eva und Jörg wohl kaum passieren und deshalb entstehen speziell im Hühnerstall witzig-hitzige Fachdiskussionen, die dann wegen Materialermüdung und Zeitmangel in einer vermeintlichen Pattstellung enden. Als neutraler Beobachter sehe ich Eva nach Punkten klar vorne, mit ihr liefere ich mir dann doch lieber kurzweilige Fußball-Scharmützel und tippe im österreichischen Pokalfinale allen Ernstes auf den krassen Außenseiter Sturm Graz.
Derweil macht Georg unten in Martins vorgeschichtlicher Manufaktur Nägel mit Köpfen: Der Rillenschlegel ist selbstverständlich ein Rillenschlegel, die Pochplatte ist natürlich eine Pochplatte und gemeinsam sind sie ein mehr als herzeigbares bronzezeitliches Metallverarbeitungs-Set. Punkt. Selbstredend handelt es sich bei der Berthahütte um ein Grubenhaus, noch dazu um ein ziemlich umfangreiches aus der Sehenswert-Rubrik. Rufzeichen (! ) Einverstanden, sehr sogar.
Am Ende steht ja jeder zu bereits fortgeschrittener Tageszeit in Konfrontation mit dem eigenen Stoffwechsel und empfindet Hunger und Durst nicht gerade als erstrebenswerte Bestandteile des Daseins. Mit dem traditionellen Grabungsfest soll Abhilfe geschaffen werden. Die Feier ist gut ausstaffiert: Wie immer gibt es erstklassiges Fassbier aus Franken, über der Glut bruzzeln ebenfalls spezielle Produkte aus Nordbayern, Mirko spendiert eine überdimensionierte, ziemlich spektakuläre regionale Brettljause und die Nachschub-Anchorwomen Ines und Andrea wirbeln um die Wette. Punkteabzüge gibt es nur für den Sprühregen, der uns wieder einmal in den Frühstücksraum zwingt und für den Umstand, dass Eva, Jörg und Georg viel zu früh in Richtung Osten aufbrechen müssen. Ansonsten hängt die Lärchenholzdecke größtenteils voller Geigen, Teller und Gläser leeren sich beständig, der Raum ist bis zur Oberkante gefüllt mit Gesprächen, Rezensionen, Fachsimpeleien, Zukunftsplanungen, Gegenwartsanalysen, Vergangenheitsbewältigungen, Pläneschmieden, Weichenstellungen, Dialogen und Monologen. Der spätere Abend bringt wegen der morgigen Himmelfahrt Christi ein überraschendes Comeback von Lilly, die gleich ihren Freund Clemens als Verstärkung mitgebracht hat. Kurt und Erik sind die nächsten Kandidaten auf der Abschussliste, danach verkleinert sich die Anwesenheitsliste im Zehn-Kleine-Negerlein-System, bis nur mehr der harte Kern den Anbruch des Donnerstags erlebt. Währenddessen entwurzelt der David Sturm Graz den Red-Bull-Goliath aus Salzburg. Einverstanden, sehr sogar.
Tag 10. Donnerstag, 10. Mai 2018: Christi Himmelfahrt, Teilnehmerrekord, Hofer-Filiale und Sondierungen
Früher einmal war Christi Himmelfahrt ein Feiertag. Heute wird lediglich der Start etwas benutzerfreundlicher gestaltet und erfolgt erst um 8Uhr45. Der Regen fällt praktischerweise nachts, der Rest-Donnerstag ist wechseln bewölkt mit zwischenzeitlichen Auflockerungen und erlaubt beschwingtes Graben bis zur Sch(m)erzgrenze. Das Himmelfahrtskommando stellt mit Claus, Günther, Christian, Michi, Jonas, Samuel, Lilly, Mirko, Clemens und Andreas einen neuen Rekord an Grabungsteilnehmern auf, der in die Jahre gekommene Anhänger besteht den ultimativen Belastungstest ohne Folgeschäden. Munteres Treiben in den altbekannten Arbeitsplätzen, dem deutlich erhöhten Personenaufkommen werden im Laufe des Tages sogar neue Spielplätze zur Verfügung gestellt. Mit zusätzlichen Verwandtschafts- und Familienbesuchen erinnert die Szenerie zeitweise an einen öffentlichen archäologischen Wochenmarkt, der mein Kühlwasser in den roten Frequenzbereich erhitzt. Meine eher miese Laune mündet dummerweise in eine überflüssige, aber emotionale Auseinandersetzung mit Mirko zu einem oft diskutierten benachbarten Thema. Claus reagiert prompt umsichtig und beschäftigt mich zur langsamen Blutdrucksenkung mit einer sinnvollen 50x50er-Tiefsondage an der Ofenmauer. Der kleinflächige Eingriff erweist sich als lohnende Fundgrube mit einer Vielzahl an zunächst mittelalterlichen und tiefer unten prähistorischen Keramikresten und einem beachtlichen Sortiment an Tierknochen. Andreas, der in einem früheren Leben sehr wahrscheinlich als Privatdetektiv oder Kriminalkommissar tätig war, fahndet und findet in meinem Abraum. Claus, der direkt nebenan werkelt, nimmt bei Bedarf die Bestimmung vor und schon bald stellt sich wieder konzentrierte Ruhe ein.
In der Mittagspause setze ich mich links vom Abraum ins passive Abseits, meide Gespräche und hänge lieber meinen Gedanken nach oder schicke sie auf Wanderschaft. Mit 51 sollte man entweder wissen, an welchen Schaltern man drehen muss oder wenigstens welchen Gesprächen man besser aus dem Weg gehen sollte. Erik, der Bearbeiter der sprechenden Römer-Grabsteine von 2016, besucht mit Frau und Hund die Grabungsschauplätze zwecks möglicher Drohnenbefliegbarkeit. Kopfüber endet die erfolgreiche kleine Tiefenbohrung neben dem Ofen bei 1Meter20 klaustrophobisch, dunkel und zwangsläufig, ohne das Ende der Fahnenstange bzw. den anstehenden Fels erreicht zu haben. Südlich der Zisterne eröffnen Mirko und Clemens die erste und gleichzeitig wohl letzte Hofer-Filiale auf dem Wauberg: Gesucht wird die Fortsetzung der Hühnerstall-Mauer, gefunden wird absolut gar nichts. Null. Niente. Nada. Was erstaunlich ist, aber halt nicht besonders erfreulich. Nicht viel besser läuft es nach wie vor im zentralen Burgbereich bei Günther und Michi, die unverzagt immer tiefer schürfen – ein paar Scherben, Knochen und das Überbleibsel eines Messers sind für den zu erwartenden Premium-Schnitt eine erschreckend magere Ausbeute. Tiefer gegangen wird auch im Nordbereich der Berthahütte, dort hingegen werden die Mühen praktisch permanent mit attraktiver Keramik aus der mittleren Kupferzeit (Vucedol, Stare Gmajne) belohnt. Man merkt es an den eher beiläufigen Erntemethoden von Samuel. Eine weitere kleine Sondage mitten in der Hütte bestätigt wieder einmal, dass man sich mitten in einer wilden Grubenansammlung befindet – die Zufriedenheit ist spürbar und das Bedürfnis, die Arbeit niederzulegen eher gering.
Die Helden des Mittelalterschnittes
Spät erst, gegen 18 Uhr, geht es endlich bergab. Unten, in der Zivilisation warten schon Alltagstätigkeiten, Alltagsprobleme, Standard-Hamsterräder und eine kollektive kalte Platte von Andrea und Ines mitten im Frühstücksraum. Die Müdigkeit hat schon bald viele leblose Gesichter, Gespräche verlaufen eher schleppend und versanden, ehe sie spannend werden könnten. So also endet der Donnerstag, ehe der Freitag beginnt.
Tag 11. Freitag, 11. Mai 2018: Begräbnisse, Kasnudeln aus der Kraftort-Küche und noch eine Bronzenadel
Der nächtliche Regen stört nicht unbedingt, weil er in der Früh aufhört und einen trüben Vormittag hinterlässt. Im Laufe des Tages erhellen zunehmend sonnige Abschnitte die Zielgerade. Nachdem ich mich durchs frühe Morgenprogramm gewuselt habe, laufe ich auf dem Weg zum Rucksack Claus in die Arme. Zwischen Tür und Angel ergibt sich außerhalb des harmonischen Teamgefüges ein weiteres Streitgespräch, welches zwar einige wenig schmeichelhafte, durchaus berechtigte Bemerkungen zu zwischenmenschlichen Fragestellungen liefert, ohne dabei gleich irgendwelche Standpunkte zu verschieben, aber wenigstens pünktlich zur Abfahrt weiteren Stress erzeugt und später im Hühnerstall seine Fortsetzung findet. Auch der Grabungsbeginn verläuft mit der nächsten Familien-Reisegruppe eher laut und unrhythmisch, ehe mit endlich ungestörten Arbeitsabläufen wieder ein wenig Ruhe einkehrt. Einer der Wauberg-Feuersalamander war offenbar unachtsam und ist dabei in den tiefen Burgschnitt gestürzt, ich befreie den hilflosen Schwanzlurch mit der Schaufel aus seinem mittelalterlichen Kerker. Gemeinsam mit Mirko begrabe ich nicht nur unser gestriges Kriegsbeil, sondern auch die veritable Pleite der Hofer-Filiale. Nach abschließender Foto-Dokumentation verschwindet auch der Hühnerstall wieder unter der Erde und die Schlussphase im zentralen Burgbereich, beim Badeofen und in der Berthahütte kann mit konzentrierten Kräften eingeleitet werden.
Das nächste Projekt startet am späten Vormittag und wird zum abschließenden kulinarischen Höhepunkt dreier Grabungskampagnen: Andreas hat klassische Kärntner Küche auf den Speiseplan gesetzt und im mühsamen Alleingang die Kücheneinrichtung und sämtliche Zutaten auf den Berg geschleppt: Wasserkanister, Kochtöpfe, Einweg-Geschirr und Holz-Besteck, zwei riesige Säcke mit Kärntner Nudeln, Butter. Für die rasche Umsetzung guter Ideen bin ich immer zu haben und begebe mich im feuchten Wald auf die Suche nach halbwegs trockenem Feuerholz. Auf dem östlichen Abraumhaufen der Berthahütte wird ein primitiver Ofen zusammengestellt: Zwischen zwei großen Steinen wird ein Feuer entfacht und darauf der große Topf mit Wasser gestellt, in dem schon bald Unmengen an Kärntner Nudeln herumschwimmen. Andreas überwacht als Outdoor-Chefkoch die Prozedur in aller Seelenruhe, aber mit Argusaugen. Die Übung gelingt und wird mit satter Zufriedenheit zum vollen Erfolg- keine der pikanten Kasnudeln und der süßen Kletzennudeln überlebt, mit Butter begossen, die verlängerte Mittagspause.
Die Kasnudlküche auf dem Wauberg
Weil Liebe offensichtlich durch den Magen geht, verläuft das Nachmittagsprogramm in gewohnter Harmonie, aber zunehmender Hektik, denn die Zeit läuft davon. In der Berthahütte wird teilweise sehr brachial gepitzelt, um den Nachholbedarf zu befriedigen. Vergeblich allerdings, die Latte liegt viel zu hoch und das ursprüngliche Ziel, die Arbeiten in diesem Schnitt planmäßig zu beenden…bleibt beim besten Willen unerreichbar. Freude und Trost spenden Scherben in großer Zahl und eine weitere Bronzenadel erweitert die umfangreiche Sammlung an vorgeschichtlichen Höhepunkten. Ausnahmsweise erhöhte Spannung auch im großen Burgschnitt bei Günther und Michi, ziemlich in der Mitte tut sich eine Grube auf, die ildefonsoartig mit wechselnden Asche- und Sandschichten gefüllt ist. Wieder einmal viele Fragen, breiter Raum für Spekulation und wenige Antworten. Zwischen den beiden Hotspots dreht Claus endgültig den Schlüssel im Ofenschnitt um und verabschiedet sich nachdenklich auch von der schönen, aber nicht haltbaren Zugangsweg-Theorie. Die Kalkschicht und die Steinansammlung werden rätselhaft bleiben, der Ofen wird behutsam zum zweiten und letzten Mal in Vlies gehüllt, danach findet unter großer Anteilnahme und Mithilfe die dritte Beerdigung dieses langen Freitags statt. Ziemlich oft fühle ich mich hier oben unbemerkt durch die Zeiten gezogen und nicht immer fällt es mir so unmittelbar auf wie jetzt, wenn ich noch einmal meine Werkzeuge sortiere und im Unterstand deponiere. Die Abendsonne begleitet uns wärmend und versöhnlich auf den Weg nach unten.
Dort in den Niederungen wartet, wie so oft der Alltag mit seinen Imponderabilien. Die Pferde haben wieder einmal Teile des Weidezauns zu Kleinholz verarbeitet. Weil an einer Reparatur kein Weg vorbeiführt muss ich meine Teilnahme an einem Slow-Food-Abendessen mit der Grabungsmannschaft auf dem Sternberg absagen und mache mich mit Mariano, Material und einschlägigem Werkzeug ans Werk.
Am Ende des Tages sitzen alle wiedervereint im Frühstücksraum, zwischen drohendem Abschied und präventiver Trauer scheint wohl ein kausaler Zusammenhang zu bestehen. Auflockernd wirkt da die auswertende Kaffeesudlesung der schriftlichen Wahrheitsfindungsversuche, die der Grabungsleiter zwar in gewohnter Eloquenz, aber fachlicher Strenge höchstpersönlich vornimmt. Auch bei dieser Veranstaltung bleibt mir ein zweiter Platz, erneut macht Jonas das Rennen, diesmal mit 3,5 Punkten etwas knapper, und der entscheidende Unterschied liegt in und an einem Pferdeknochen. Ironie kann noch erfrischender sein als ein Hirter 1270. Gravitätisch, aber unweigerlich geht es dem Ende entgegen: Kleine Gläser mit dunklem Gurktaler werden erhoben, auf die tollen Ergebnisse, auf das, was war und auf das, was kommt und überhaupt. Jonas und Samuel erkennen als erste den Ernst der Lage und machen sich beizeiten aus dem Staub, sie wollen schon in aller Herrgottsfrühe auf den Wauberg starten, um letzte Notwendigkeiten über die Bühne zu bringen. Der Rest verteilt wechselseitig Nachschusslorbeeren, schwelgt in Grabungs-Erinnerungen und vergisst ein wenig, dass man den Samstag besser nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Ende gut, alles gut ? Scheint fast so.
Tag 12. Samstag, 12. Mai 2018: Emotionale Abschiede und drei Sträflinge in der Berthahütte
Sämtliche Wettergötter und Schutzheiligen drücken noch einmal alle Augen zu und bescheren uns einen sonnigen Abschied. Beim Klingeln des Weckers sind Jonas und Samuel bereits unterwegs, der Rest der Abschiedsbesetzung folgt pünktlich ab 8: Claus, Günther, Martin, Michi, Mirko, Christian und Mariano. Die erste Fehleinschätzung unterläuft mir beim Packen des Rucksacks – wegen der vermeintlichen Leichtigkeit der Zielgeraden beschließe ich wenig Proviant, wenig Wasser, wenig Mühe und wenig Schweiß zu investieren. Noch einmal schleppt sich die Solidargemeinschaft den Zehendner hinauf. Selbst in der Nachspielzeit wird noch dokumentiert und vermessen, die abschließenden Forschungen ziehen sich ein wenig in die Länge. Was Mariano die günstige Gelegenheit gibt, vor dem Griff zur Schaufel noch schnell die angekratzte Familienehre der Mikls wieder herzustellen: Er verbessert während der Wartezeit den Rekord beim „Wauberg-Lauf“ auf atemberaubende 1:40,77. Immerhin befinden sich jetzt zwei Mikls unter den ersten Drei. Auch in der Wetten-Challenge erhöht sich der Score zufriedenstellend: Martin gibt mir als unabhängiger Schiedsrichter den „Mauer-Punkt“ aus dem Berthahütten-Profil und die 2,50er-Tiefen-Wette kann ich ebenfalls aufs Konto buchen.
Auf der Zielgeraden
Danach wird der zentrale Burgschnitt endlich zur Bestattung freigegeben, die letzte große Teamarbeit dieser Kampagne. Am späten Vormittag leert sich der Unterstand zusehends, Werkzeuge werden verstaut, Rucksäcke befüllt, Absperrbänder eingerollt, Planen zusammengelegt und letzte Erinnerungsfotos geschossen. Die große Abschiedswelle schwappt über den Wauberg und reißt entweder mehr oder weniger emotional den Großteil der netten Leute in alle Himmelsrichtungen mit sich fort.
Ende gut alles gut
Für den Nachmittag und die Berthahütte ist nur mehr der harte Kern übriggeblieben: Martin, Claus und ich. Ironie kann ungemein ermüdend und anstrengend sein, denn auf der Kraftfeld-Lichtung warten gleißendhell die heißesten und sonnigsten Stunden der gesamten Grabungskampagne. Besonders intelligent, wenn man dann kaum Flüssigkeit und Proviant zur Verfügung hat und eh schon auf Reserve läuft. So wird es ein nicht weniger als dreistündiger Härte- und Charaktertest, der uns direkt an die Außengrenzen körperlicher und geistiger Erschöpfung führt. Ganz am Ende der strengen Übung entsteht zwischen den drei Sträflingen jene spezielle Verbindung, die nur ein gemeinsam überstandenes Abenteuer herstellen kann. Humor ist außerdem, wenn man trotzdem lacht. Mit dem Rest-Equipment rutschen wir auf dem Zahnfleisch nach unten. Überstanden. Beim Rodeo geht es darum, sich über die Zeit zu retten, ohne dabei vom Pferd zu fliegen.
Regeneration ist angesagt. Passenderweise bei beklemmender Gewitterstimmung unten am Strand, im böigen, auffrischenden Wind bleiben Blitz und Donner auf der gegenüberliegenden Seite des Sees hängen. Auf der Bank sitzend, mit Kaffeebecher in der Hand, wird zufrieden zurückgeblickt. Mit viel Milch hat sich der Kaffee meiner Stimmung angepasst, die Aussicht auf ein wenig Normalität ist durchaus verlockend.
Nacht(r)ag. 17. Mai 2018: Der letzte Mohikaner, die Popotniki und die zukünftige Vergangenheit
Kurzer Ausstieg aus dem Alltagsmodus, um den Bereich des Grabungsunterstands zu renaturieren und neuer Vegetation über der Berthahütte auf die Sprünge zu helfen. Wenig überraschend, weil es ja immer so ist, bin ich der letzte Mohikaner, der sich diesmal mit motorisiertem und mechanischem Abbruchwerkzeug und in Begleitung eines Heuballens zurück auf den Wauberg kämpft. Das plötzliche Alleinsein verkraftet man ganz gut, die Stille ist umfangreich. Niemand da, alle weg: Das Grabungsteam, die Feuersalamander, der Nebel und die Wolken. Die Sonne scheint von einem hellblauen Himmel, die Vögel zwitschern, nach dem Regen riecht es intensiv nach Wald und Erde. In Christian-Manier gönne ich mir ein paar Minuten am höchsten Punkt und lasse meine Gedanken mit einem Mäusebussard in luftigen Höhen um die Wette fliegen. Die Gedanken kehren schon bald auf den Boden der Tatsachen zurück, landen ganz zentral in meinem Kopf und kommen nicht an der Zukunft der Wauberg-Vergangenheit vorbei. Selbst meine engsten Berater sind zwiegespalten: Mein Großhirn sagt: Finger weg, lass es gut sein. Mein Kleinhirn sieht die Dinge zwar etwas differenzierter, will aber ebenfalls den Schlüssel umdrehen. Mein Bauch und mein Herz hingegen sind in wilder Opposition: Mach weiter, unbedingt, es ist viel zu spannend, um jetzt aufzuhören und sich später zu fragen, was gewesen wäre, wenn. Für grenzenlose Gelassenheit bin ich wahrscheinlich noch zu jung, obwohl ich mich gerade eher alt fühle.
Der engmaschige Tagesplan erfordert leider umgehend den chronologischen Auseinanderbau des Unterstandes, im kühlen Schatten der Buchen eine angenehme, robinsocrusoeartige Aufgabe. Die Stangen werden mit der Berthahütten-Überdachung einstweilen am Waldrand zwischengelagert, man weiß ja nie.
Abbruch GmbH
Nächster Programmpunkt ist das Begrünen der Berthahütte, die mit einem duftenden Heuteppich überzogen wird. Auf der Lichtung liegen als sichtbare Erinnerung die größten zwei Felsblöcke aus dem Grubenhaus. Nach einigen Jahrtausenden unter der Erde werden sie in Zukunft als themenbezogene Sitzgelegenheiten herhalten müssen, Zeitzeugen aus längst vergangenen Kupfer- und Bronzetagen. Andreas zu Ehren nenne ich sie „Popotniki“, die Reisenden. Schon berührend, wenn man daran denkt, dass sie einst von Menschen auf den Berg geschafft wurden, die noch nicht einmal das Rad kannten, die gerade den durchaus revolutionären Übergang vom Nomadendasein zur Sesshaftigkeit vollzogen und die sich den Wauberg doityourself zum Hauptwohnsitz ausgebaut hatten. Ihre Hütten sind verrottet, die Töpfe nur mehr Scherben, namenlose Sippen in Niemandsländern, mit längst ausgestorbenen Sprachen und unbekannten Göttern. Es gibt keine Überlieferungen aus jenen Epochen, die weißen Wissensflecken sind weiterhin zahlreich bis grenzenlos und genau hier oben sind wir tatsächlich mittendrin auf der Suche nach Beweisen und Indizien. Die Frage nach dem tieferen Sinn unserer Arbeit sollte sich eigentlich längst erledigt haben.
Übrigens, zwecks Relation und wissenschaftlichem Wert: Der berühmteste und einzige gut erhaltene zeitgenössische Repräsentant und Werbeträger ist längst ein Weltstar und liegt tiefgekühlt mit Datumsstempel (3300 vor Christus) in Bozen. Aus der Tiefkühltruhe liefert Ötzi, die Gletschermumie aus der späten Jungsteinzeit (hierzulande auch als Kupferzeit bekannt) regelmäßig neue Schlagzeilen, wenn aktualisierte Eckdaten oder sehr persönliche Interna verkündet werden: Braune Augen, Pfeilspitze im Rücken, lokales Slow-Food als letzte Nahrung, Magengeschwür und Wachstumsstörungen, Verschleißerscheinungen am ganzen Körper, Schuhgröße 35 , 50 Kilo Kampfgewicht verteilt auf 1Meter60, bewaffnet mit der verbesserten Version eines Kupferbeils, welches Mariano zufällig auf dem Tabor fand.
Was bleibt also ? Realisieren, dass das Graben ein andauernder Revisionsprozess ist, dem man sich stellen sollte ? Akzeptieren, dass nicht nur Sollbruchstellen brechen können ? Eine neue Balance zwischen Gefühl und Vernunft suchen ? Ein verbessertes Sensorium für das Überleben von Grabenkämpfen entwickeln ? Rückkehr in gemütliche emotionale Mittellagen ? Oder einfach neue Schmerzgrenzen festlegen ?
Geheimnisumwitterte, sagenumwobene Arbeitsplätze in der Umgebung, Teil IV:
Der Mittagskogel und sein Goldpfarrer
(von Hansi Mikl)
Nüchtern betrachtet besteht das Leben aus einer Vielzahl von mehr oder weniger intensiven Lebenabschnittspartnerschaften. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn ich über meine vergangenen Jahrzehnte nachdenke, so war die jeweilige Besetzung meiner Bezugspersonen ziemlich wechselhaft: Zuerst meine Eltern, dann meine Frau, anschließend meine Kinder und dazwischen ein paar Freunde und ziemlich viele Weggefährten, die irgendwann an irgendeiner Kreuzung abbogen. Auch die klitzekleine, ganz persönliche Welt ist also permanent im Wandel. Unermüdlich spült die Zeit die alten Bekannten weg und schafft neuen, unbekannten Nachschub heran. Die Anzahl der wirklich dauerhaften Begleiter von der Wiege bis zur Bahre ist mehr als überschaubar. Das mag ja völlig normal sein, setzt dem diagnostizierenden Menschen im Laufe der Jahre aber schon ein wenig mehr zu, als man offen zugeben würde.
Wirklich zuverlässig und stationär ist eigentlich nur …er.
Der Mittagskogel.
Für mich ist er klarerweise mehr als nur irgendein Berg unter irgendwelchen Bergen, denn er dominiert als attraktiver Mittelpunkt mein heimatliches Panorama und den Blick nach Süden, und die vielen, oft sehr besonderen Erlebnisse auf und mit ihm machen ihn mittlerweile ohne Zweifel zu einem geheimnisumwitterten, sagenumwobenen Arbeitsplatz. Wobei mir das Wort „Arbeitsplatz“ in diesem Zusammenhang nur bedingt gefällt.
Wie das selbst bei selbst bei extremen Langzeitbeziehungen so ist: Auch sie sind stetem Wandel unterworfen.
Als kleines Kind bewunderte ich ihn mit offenem Mund, wenn ihm die letzten Sonnenstrahlen eines kalten Wintertages zu einem fast unwirklichen Glanz verhalfen. Da malte ich mir als eine zweibeinige Stecknadel tief unter ihm und weit entfernt, in bunten Farben und wahrscheinlich überdimensional, aus, wie es wohl hoch oben auf dieser abgeschnittenen Pyramide sein könnte, mit einem Blick möglicherweise über die ganze Welt oder darüber hinaus.
In der Schule erfuhr ich dann, dass es keinen Weihnachtsmann und keinen Osterhasen gibt und dass es weitaus höhere Berge als meinen Mittagskogel gibt und zwar eine ganze Menge davon. Egal, dachte ich mir, dafür ist er viiiieeeeel schöner. Schon damals sah ich in ihm einen massiven, verlässlichen Sakralbau aus Kalkstein, schloss zwar einseitige, aber echte Freundschaft und schwor, wenn möglich, lebenslange Treue.
Als nicht gerade ausbalancierter Teenager lernte ich ihn schließlich ganz hautnah kennen und genoss den allerersten Aufstieg in einer unbeschwerten Mischung aus ahnungsloser Neugier und purer Lebensfreude als noch heute sehr prägendes kleines Abenteuer. Auch wenn mir die große Erleuchtung damals natürlich nicht zuteil wurde, die Landschafts- und Naturerfahrungen am Wegesrand erweiterten meine Wahrnehmung ganz erheblich, die sonnigen Steilhänge schulten meine Leidensfähigkeit und wenn man am Ende der Fahnenstange den höchsten Punkt erreicht hat, wirkt sich der Blick auf die Welt von oben bestimmt nicht negativ auf die Weltoffenheit und die plötzlich sehr relative eigene Größe aus.
Berufsbedingt musste/durfte/sollte (jedes Wort trifft zu) ich später meine häufigen Besuche auf ihm mit unseren Gästen teilen. Was oft mühsam, noch öfter unterhaltsam, manchmal sehr spannend und in ganz speziellen Fällen beinahe legendär war. Nicht zuletzt diese Erfahrungen schufen mit der Zeit neue Zugänge zum Berg. Während ich in den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus prophylaktischen Sicherheitsgründen den flachlandtirolertauglichen, aber eher langweiligen Weg über die Südseite wählte, wechselte ich direkt nach dem Millennium auf die anspruchsvollere, kaum begangene und aussichtstechnisch wesentlich spektakulärere Westseite, die sich damals im Vergleich zu heute menschenleer und ursprünglich präsentierte. Was die nun folgenden, sportlich wertvolleren Mittagskogelbegehungen sofort auf eine gesteigerte Qualitätsstufe mit noch größerem Unterhaltungswert stellte. Im Laufe der nächsten Jahre fielen leider laufend Haare in diese Suppe: Die Besucherzahlen am Berg stiegen nämlich an und mit dem fortschreitenden Forstwegebau kamen schließlich noch die Mountainbiker hinzu…mit der einstigen Ruhe unterm kleinen Mittagskogel war es schließlich bald und wohl endgültig vorbei. Die wachsende Anzahl an Ärgernissen sorgte zwangsläufig für die nächste Richtungsänderung: Übernachtungen im Schlafsack direkt unterm Sternenzelt auf dem Mittagskogel (!), Sonnenuntergänge und Sonnenaufgänge so ganz nebenbei inklusive. Selbsterfahrungsmäßig und abenteuertechnisch tatsächlich eine neue Dimension. Wenn die Dunkelheit die Landschaft überzieht und im Westen Gewitterwolken grollen und Blitze zucken…schrumpft man dort oben ganz schnell von 1Meter80 auf die Größe eines Zwergpudels oder gar einer Ameise. Kein Wunder also, wenn in solchen und ähnlichen Nächten wunderbare, skizzenhafte Geschichten entstehen, die dann mit jeder Erzählung bunter ausgemalt werden und die halt irgendwann zu später Stunde am Lagerfeuer ein fettes, opulentes Gemälde ergeben. So in etwa werden quasi im Bausatzsystem Sagen gebastelt, die zwar über einen wahren Kern verfügen, die aber mit jedem Erzähler etwas umfangreicher ausgeschmückt wachsen, bis sie irgendwann irgendwer in der XXL-Version aufschreibt.
Einer wie der Mittagskogel benötigt nicht unbedingt meine Geschichtchen, um geheimnisumwittert zu sein. Der wird schon seit längerer Zeit von einer gar nicht so alten Sage umrankt, deren Wahrheitsgehalt für eine Sage vergleichsweise relativ hoch ist (keine Drachen, keine Zwerge, keine Jungfrauen), und die es in nicht weniger als drei leicht bis deutlich abgewandelten Formen nachzulesen gibt:
Der Pfarrer von Latschach
Im 17. Jahrhundert erzählten sich die Bewohner eines Dörfchens in unmittelbarer Nähe des Faaker Sees, daß der Mittagskogel Gold berge. Es gab daher viele Leute, die es zu gewinnen trachteten und bald da, bald dort Grabungen anstellten, aber immer vergebens. Auf dem Berge, wo heute die Bertahütte steht, dehnten sich schöne Almen aus und auf den saftiggrünen Wiesen weideten die wohlgenährten Herden der Talbewohner. Grund und Vieh gehörte drei Bauern aus dem Orte, mit Namen Irschnig, Hojer und Koblar. Bei dem ersten stand eine Sennerin im Dienste, welche drei Dukaten besaß. In der damaligen Zeit war das für einen Dienstboten eine große Summe und deshalb war sie auch das Gespräch sämtlicher Dörfler. Ihr Dienstgeber drang so lange in sie, bis sie endlich sagte, woher das Geld stammte. Das Mädchen erzählte nun, daß schon dreimal ein fremder Mann aus Italien auf die Alm gekommen sei und oben übernachtet habe. Für die gebotene Milch und sein Nachtlager habe er ihr jedesmal einen Dukaten überreicht, frühmorgens die Hütte verlassen und sei abends, reich mit Gold beladen, in seine Heimat zurückgekehrt.
Irschnig erzählte dies dem Ortspfarrer, und beide rieten nun der Sennerin, vor dem bestimmten Tage einen Scheiterhaufen zu errichten und diesen beim Erscheinen des Fremden anzuzünden. Nach einiger Zeit brannte wirklich hoch oben am Mittagskogel ein Holzstoß. Der Pfarrer und der Bauer sahen das verabredete Zeichen, nahmen jeder ein Gewehr und eilten auf die Alm, wo sie den Fremden fanden. Alsogleich drohten sie ihn zu erschießen, wenn er ihnen nicht gutwillig die Hälfte des Schatzes abtrete. Mit saurem Gesichte ging der Goldgräber auf diesen Vertrag ein und konnte es tun, da ja für alle Gold genug vorhanden war. Die zwei nahmen ihn in ihre Mitte und ließen sich von ihm zur Fundstelle führen, wo sie so viel Erz nahmen, als jeder zu schleppen vermochte.
Als der Welsche eines Jahres nicht erschien, erhielt Irschnig den Auftrag, den auf den Entdecker entfallenden Anteil nach Görz in seine Wohnung zu bringen. Er tat dies und fand ihn wirklich in einem vornehmen Hause auf. Da er nun in einem Zimmer dem Welschen allein gegenüberstand, zog dieser plötzlich eine Pistole aus der Tasche hervor und sagte höhnisch: „So, jetzt will ich dir’s heimzahlen! Bringst du mir nicht jährlich meinen Anteil her, so bist du augenblicklich des Todes.” Willig oder nicht mußte der Kärntner sich fügen, denn das Leben war ihm lieb. Von nun an erhielt der Italiener jedes Jahr eine Menge Goldes aus Kärnten zugeschickt und brauchte selbst nicht mehr den weiten Weg zurückzulegen.
Der Pfarrer – Latschacher war sein Name – ließ das Gold zu Münzen prägen und erbaute an Stelle der kleinen hölzernen Kapelle des Dorfes eine schöne Kirche, die Schule und das Pfarrhaus. Aber einige Neider verklagten ihn heimlich bei Gericht, daß er auf unehrliche Art reich geworden sei. Da er das Geheimnis nicht verraten wollte, wurde er zum Tode verurteilt, und zwar sollte er lebendig eingemauert werden. Heiß und inbrünstig flehte er zu Gott, daß er ihn diese Schmach nicht erleben und lieber eines natürlichen Todes sterben lasse. Aber der Tag der Hinrichtung kam immer näher, und so sprach er denn einmal zu seinen Pfarrinsassen: „Ihr wißt, wozu ich das Geld verwendet habe. Sind es nicht gute Taten, die ich vollbracht, so soll mein Körper verwesen wie jeder andere. Ist das Geld aber zu gutem Zwecke angewendet, so werde ich selbst nach hundert Jahren nicht verwesen.”
Sein Gebet fand Erhörung, denn er fiel eines Tages, noch ehe die Zeit abgelaufen war, am Altare tot zu Boden. Der Bauer, welcher jetzt allein um das Geheimnis wußte, sank bald darauf im Gasthause Worouz in Oberferlach beim „Kegelscheiben” entseelt zur Erde, und niemand weiß zu sagen, wo jener unerschöpfliche Goldschatz verborgen ist. Der Leichnam des Pfarrers wurde im Mttelschiff der von ihm erbauten Ortskirche beigesetzt.
Noch jetzt zeigt man im Mesnerhaufe den Schmelzofen sowie die Pressen, worin das Gold geprägt wurde. Im Jahre 1870 wurde die Gruft zum zweiten Male geöffnet, und noch immer war der Leichnam unverwest. Das Volk sagt, wenn der Sarg im Jahre 1970 geöffnet werde und der Leichnam noch immer nicht in Verwesung übergegangen sei, werde Latschacher vom Papste heiliggesprochen werden.
Längst schon hat das Dorf einen andern Namen. Aus Dankbarkeit für den Gründer der Kirche nannte man es Latschach. Noch heute spricht man davon, daß der Besitzer des Irschnighofes ein Nachkomme des „Goldbauers” sei.
In Kärnten geht die Sage: Ein Italiener habe noch vor zirca 100 Jahren sich oft auf der Jepca-Alpe unterm kleinen Mittagskogel südlich von Latschach eingefunden und aus einer jetzt nicht mehr wahrnehmbaren Grube edles Metall hervorgeholt. Die Sennerin, in deren Hütte er sein Nachtlager zu halten pflegte, habe er – so heißt es – jedesmal mit zwei harten Thalern belohnt. Als dies der Eigenthümer der Alpe, ein Bauer aus Latschach erfuhr, beauftragte er die Sennerin, ihn von der Wiederkehr des Wälschen durch ein am Rande des Gebirges angezündetes Feuer zu verständigen. Er begab sich sodann bei Wahrnehmung diese Zeichens auf die Alpe und nöthigte den solchergestalt überrumpelten Goldgräber mit vorgehaltenem Schießgewehre zur Theilung der von letzterem bereits gemachten Ausbeute.
Dieser soll es räthlich befunden haben, dem Bauer, um ihm Stillschweigen aufzuerlegen, die ganze Goldgräberei gegen die Verpflichtung zu überlassen, dass er alljährlich am Pfingstfeste den halben Gewinn nach Görz überbrächte. Als nun der Bauer im folgenden Jahr zur festgesetzten Zeit nach Görz kam und einen Sack voll Gold dem Wälschen ablieferte, nahm ihm dieser unter fürchterlichen Drohungen den Eid ab, dass er auch in Zukunft die bestimmte Frohne nach Görz liefern würde. Der Bauer hielt den so geschlossenen Vertag gewissenhaft und ward dabei unermesslich reich.
Am Sterbebett vertraute vertraute er das Geheimnis einem anderen, vor 20-30 Jahren verstorbenen Latschacher an, der daraus den gedachten Nutzen fortzuziehen nicht ermangelte, und da er große Mengen feinen Goldes in den Verkehr brachte, in den Ruf eines eminenten Chymicus kam. Thatsache ist, dass derselbe nicht nur seine Verwandten reichlich bedacht, sondern auch so viel Vermögen besaß, dass er die Kirche zu Latschach neu aufbauen lassen konnte. Viele aber meinen, selbigen Mannes Reichthum habe nicht von Schatzgräberei, sondern davon hergerührt, dass er aus alten spanischen Thalern, welche bekanntlich aus güld´schen Silber geprägt wurden, reines Gold zu extrahieren verstand.
Das walische Mandl und der Pfarrer von Latschach
Der Igelbauer, vulgo Ičnik, aus Latschach hatte unter dem kleinen Mittagskogel eine Alm. Eine Sennerin versorgte auf dieser Alm das Vieh für den Bauer. Sie kam jede Woche einmal ins Tal herab, um für sich Verpflegung zu holen. Da fiel es dem Bauern auf, dass die Sennerin jedes Mal einen goldenen Dukaten herumzeigte, wenn sie ins Tal kam. Auf die Frage, woher sie denn diesen hätte, erzählte die Sennerin, es käme zu ihr des öfteren ein walisches Mandl und bleibe da in der Sennhütte über Nacht. Am frühen Morgen bricht es auf und kommt erst am späten Nachmittag mit einem vollen Sack wieder zurück. Für das Schlafen und Essen gibt es ihr immer einen goldenen Dukaten.
Jetzt wurde der Bauer neugierig und wollte erfahren, was denn das walische Mandl auf der Alm zu tun hätte. Er trug daher der Sennerin auf, sie sollte unbemerkt am Abend ein Feuer anzünden, wenn der Fremde wieder käme. Dies sei für ihn die Verständigung. Nach mehreren Tagen bemerkte der Bauer abends ein Feuer auf seiner Alm und wusste so, dass sich das walische Mandl dort befinde. Er nahm sein Gewehr und stieg auf seine Alm hinauf.
Am nächsten Morgen verfolgte der Igelbauer den Welschen. Dieser stieg zum kleinen Mittagskogel auf und verschwand dort in einem Felsloch. Nach längerer Zeit kehrte das Mandl mit einem prallgefüllten Rucksack aus dem Loch zurück. Jetzt verstellte der Bauer ihm den Weg und nahm sein Jagdgewehr in Anschlag. Er forderte den Welschen auf, den Inhalt des Rucksackes zu zeigen. Sogleich folgte der Fremde aus Angst um sein Leben. Da kamen Steinklumpen zum Vorschein, die wie Gold schimmerten.
Nun erzählte das walische Mandl von seinen Schürfungen und zeigte schließlich auch dem Bauer die verborgene Stelle. Alsbald kamen die beiden überein und schlössen miteinander einen Vertrag. Das walische Mandl versicherte, nicht mehr hier heraufzukommen, wenn ihm der Bauer die Hälfte seiner gewonnenen Schürfungen nach Italien, und zwar nach Udine bringe. Er trug weiters dem Bauer strenge auf, davon niemandem etwas zu sagen, ansonst würde ihn ein furchtbares Schicksal treffen.
Der Bauer hielt sich an dieses Übereinkommen und wurde ein reicher Mann. Als er nach längerer Zeit wieder einmal nach Udine kam, um sein Goldgestein abzuliefern, da lud ihn der Welsche zum Essen ein. Als sie so beim letzten Tischgericht angelangt waren, kam eine zugedeckte Schüssel auf den Tisch. Der Welsche nahm den Deckel ab, und in der Schüssel lag ein Revolver und ein Messer. Da meinte das walische Mandl: »Ich könnte dich jetzt töten, da auch du mich am Leben bedroht hast. Doch wir wollen uns an unseren Vertrag halten.« Jetzt nahm er den Revolver und meinte zum Igelbauer: »Schau hier in diesen Spiegel!« Als der Bauer in den Spiegel sah, erblickte er darin seine Alm daheim und vor der Hütte zwei Kühe auf der Weide. Nun fragte ihn das walische Mandl voll Gier und Hohn: »Aufweiche der beiden Kühe soll ich schießen?« Der verdutzte Bauer dachte sich nichts dabei und zeigte auf die ältere. Der Welsche drückte ab, und der Bauer sah, wie die Kuh tot umfiel. Dann wandte er sich zum Igelbauer: »Solltest du dich nicht an unsere Übereinkunft halten, so wird es dir genauso ergehen!« Als der Bauer wieder heimkam, erfuhr er alsbald, dass seine älteste Kuh auf der Alm plötzlich umgestanden sei. Da er nun näher um die Zeit des Vorfalles fragte, stimmte diese genau mit dem Augenblick überein, da der Walische zu Udine in den Spiegel geschossen hatte.
Jetzt bekam es das Bäuerlein gar sehr mit der Angst zu tun. Es ging bei nächster Gelegenheit zum Pfarrer Laitschacher, um zu beichten und alles zu erzählen. Der Pfarrer von Latschach war aber ein gelehrter Mann, der auch über die geheime Chemie Bescheid wusste. Er überredete den Igelbauer bald und ließ sich die Fundstelle zeigen. Nach einiger Zeit erfuhren die Leute, dass der Pfarrer unter dem Mittagskogel nach etwas schürfe, was er dann zu Hause verarbeitete. Zur selben Zeit begann der Pfarrer auch schon mit seinem neuen Kirchenbau. Dabei wurden die Arbeiter alsbald aufmerksam, dass sie der Pfarrer am Ende der Woche immer mit neuem Geld auszahlte. Bald verbreitete sich die Kunde, dass der Pfarrer Laitschacher das geschmolzene Erz nach Italien verkaufe und dafür immer neues Geld bekomme. Später aber hieß es, dass er sogar selber Münzen prägte.
Der Bauer, der davon erfuhr, erinnerte sich nun der Worte des walischen Mandls. An einem Sonntag ging er zum Wurotswirt, dem heutigen Hotel Mittagskogel, und als er dort fröhlich bei einer Tischrunde saß, fiel er plötzlich tot zu Boden.
Von den Goldfunden und der Geldmacherei erfuhren natürlich auch die Obrigkeiten und Behörden. Der Pfarrer wurde daher alsbald von Aufpassern beobachtet. Eines Tages kamen sogar früh morgens Trenkpanduren mit dem Auftrag, den Pfarrer zu verhaften. Dieser muss aber davon rechtzeitig erfahren haben. Als er nämlich die heilige Messe zelebrierte, stürzte er plötzlich nach der Kommunion tot zu Boden. Die Leute redeten später, er habe vor Beginn der Messe Gift eingenommen.
*
Man erzählt diesen Vorfall auch noch anders. Als nämlich nach der heiligen Messe die Köchin des Pfarrers bemerkte, dass Gendarmen in der Pfarrhof kamen und nach dem Pfarrer fragten, verwies sie diese, der Pfarrer sei in seiner Kanzlei, sie hätte ihm soeben das Frühstück dorthin gebracht.
Als man nun in die Kanzlei eintrat, lehnte der Pfarrer mit über dem Kopf verschränkten Händen an seinem Tisch. Als ihn nun die Gendarmen anfassten, bemerkten sie erst, dass er tot war. Es heißt, dass ihn der Herrgott nicht dem weltlichen Gericht ausliefern wollte, sondern dass er ihn selbst richtete. Das Urteil für ihn soll nämlich gelautet haben, dass er lebendig in der Kirche eingemauert worden wäre. In der Kanzlei aber soll man sein Testament mit folgendem Inhalt gefunden haben: »Sollte ich aus dem Erlös der verkauften Edelmetalle mit Unrecht meine Kirche gebaut haben, so wird mein Leichnam nach hundert Jahren verwest sein. Habe ich aber im Namen Gottes und recht gehandelt, so bleibt mein Leib unverwest.«
Die Obrigkeit erlaubte nun, dass Pfarrer Laitschacher in einer Gruft in der Kirche beigesetzt wurde. Im Jahre 1872 wurde diese Gruft erstmals nach hundert Jahren wieder geöffnet. Dabei fand man den Leichnam des Pfarrers unverändert vor. So bestätigte sich sein Testament und wurde damit erwiesen, dass er in Gottes Namen gehandelt hatte. Es wird auch erzählt, dass bei der Eröffnung der Gruft im Jahre 1872 ein Schuster namens Fritz zugegen war, der dem Verstorbenen die Betschnur ausgetauscht haben soll.
Quelle: Tschermernjak, 1965, S. 10 f., zit. nach Sagen aus Kärnten, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1993, S. 156 – 160.
Von dramaturgischen Schwächen und der oft merkwürdigen Wortwahl („ihr Dienstgeber drang so lange in sie, bis sie sagte …“) ganz abgesehen. Alles ziemlich dubios. Die überlieferten Geschichten können sich nicht einmal auf einen gemeinsamen Schauplatz einigen. Einmal wirtschaftet die Sennerin an der Ostseite des Mittagskogels auf einer Alm in der Nähe der Berthahütte, in der zweiten Version befindet sich der Tatort aber völlig entgegengesetzt auf der Westseite unterm kleinen Mittagskogel. Beide Adressen existierten tatsächlich als Almen, sind aber mit dem Niedergang der Landwirtschaft längst schon wieder im Wald verschwunden. Auch bei den beteiligten Bauern und dem bauwütigen Pfarrer handelt es sich nachweislich um reale (Sagen)Gestalten. Etwas bizarr erscheint hingegen der goldschürfende Italiener, dessen Stützpunkt das eine Mal in Görz liegt und das nächste Mal in Udine, und auch am sagenhaft Goldrausch im Mittagskogel (realistisch erscheint, wenn überhaupt, der Abbau von Kupfer – und der kann dort um 1750 wohl kaum heimlich stattgefunden haben) darf mehr als massiv gezweifelt werden. Blendet man also diese auflagensteigernden, zuhörerfesselnden Science-Fiction-Passagen aus, bleibt nur die zentrale Frage übrig: Woher stammte das Geld für den Kirchenbau ?
Im Jahre 1752 löste sich Latschach von der Urpfarre Maria Gail und verselbstständigte sich. Der erste Seelsorger der brandneuen Pfarre, Johannes Leitschacher (1718-1772) setzte einen Neubau der bisherigen, klitzekleinen
Filialkirche durch und errichtete in den Jahren zwischen 1752 und 1762 ein barockes Gotteshaus, welches wegen seiner Größe gerne als „Dom des oberen Rosentales“ bezeichnet wird. Die Finanzierung dieses Großprojekts wirft bis heute Fragen auf und war der perfekte Nährboden für die nachfolgende Legenden- und Sagenbildung innerhalb der ländlichen Bevölkerung, die nicht nur mit eher kargen Lebensumständen zu kämpfen hatte, sondern auch mit latentem Analphabetismus. Wesentlich wahrscheinlicher als der fragwürdige Goldbergbau dürfte ein anderer Zugang zur Wahrheit sein: Leitschacher war nicht nur ein Diener des Herrn, sondern verfügte vor allem über umfangreiches (Spezial ?)-Wissen im Bereiche der Montanlehre/Metallurgie/Geologie und Chemie und dürfte seine Kenntnisse in einem geheimen Laboratorium (der Volksmund spricht vom Keller des alten Schulhauses oder vom Getreidespeicher des Pfarrhauses) mit diversen Experimenten weiterentwickelt und verfeinert haben. Drei umfangreiche Veröffentlichungen zu diesen Themenbereichen (insgesamt immerhin stolze 1347 Seiten stark) untermauern diese These. Möglicherweise also lukrierte der geschäftstüchtige Geistliche die benötigten Mittel aus dem heimlichen Verkauf von Metallfarben oder ähnlichen Erzeugnissen im benachbarten Friaul. Dass sich chemisch-metallurgische Arbeiten und Experimente auf Dauer nicht übermäßig gesundheitsfördernd auswirken, sollte außer Streit stehen. Johannes Leitschacher verschied jedenfalls gar nicht sagenhaft vorm drohenden lebendigen Einmauern oder gar während der Messe vorm Altar, sondern am 22. Februar 1772 als kranker Mann mit 55 Jahren in seinem Sterbebett, nahm seine Geheimnisse mit ins Jenseits und wurde ohne klare Beweise für den Lauf der Dinge bzw. den Fluss der Gelder für die Nachwelt zur legendären Figur.
In meiner Kindheit fand ich die Passage mit dem unbegrenzten Haltbarkeitsdatum von Leitschachers sterblichen Überresten außerordentlich gänsehauterzeugend. Meine Mutter erzählte mir dann gerne und ergänzend, als Insider- I-Tüpfelchen sozusagen, ihr Vater, mein Großvater also, wäre in seiner Funktion als Faaker Kirchenkämmerer bei der zweiten Öffnung der Gruft im Jahre 1972 persönlich anwesend gewesen, und man habe bei dieser Gelegenheit den vor 200 Jahren verstorbenen Priester weiterhin völlig unversehrt vorgefunden. Als ich einige Jahre später mit gerade 13 Jahren in der stickigen Wiener Michaelergruft Dutzende luftgetrockneter, vollständig erhaltener Leichname in Augenschein nehmen und dort uA das ganz natürlich konservierte Leben nach dem Tod „kennenlernen“ durfte, wurde mein Zugang zu solchen Themen ganz automatisch sehr humanistisch und ich sah sofort die klaren Vorteile von Erd- und Feuerbestattungen, weil man dann posthum zumindest nicht mehr Gefahr läuft, ständig von Schaulustigen angestarrt zu werden. Mit ewiger Ruhe hat das herzlich wenig zu tun. Spätestens seit ich mit Archäologen konfrontiert bin, tendiere ich sogar stark zum alle Spuren beseitigenden Krematorium – da bleibt dann tatsächlich kein Raum mehr für Spekulationen.
Wie auch immer, 1872 wird Leitschacher noch als unversehrt beschrieben, während Mitglieder des Kirchenchores bei einer Besichtigung der Gruft im Jahre 1982 (angeblich) „nur mehr ein Häufchen Asche“ vorfanden.
Zurück in die Gegenwart, um den Mittagskogel mit einer Tagestour von West nach Ost zu umrunden, dabei ein wenig in Erinnerungen zu schwelgen, aber auch im Vorübergehen aktuelle Projekte unter die Lupe zu nehmen. Ende Oktober ist wegen der eher erfrischenden Temperaturen von einer Übernachtungstour freundlich abzuraten und auch das Stapfen durch tiefen Schnee zählt nicht unbedingt zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Noch vor einer Woche nämlich war der Berg tief eingewintert, eine Warmfront hat ihn überraschend schnell wieder begehbar gemacht. Jetzt gilt es, die Gunst des Wetters zu nützen. Ines bringt das pflegeleichte Zweier-Team zu früher Stunde zum gewohnten Ausgangspunkt: Bleierner Start im „Tal der Gesetzlosen“. Begleitet werde ich diesmal von Paul, einem Tiroler aus der Steilwand-Kategorie. Schon nach den ersten Steigungen stellt sich heraus, dass unsere Betriebsgeschwindigkeiten ziemlich ähnlich sind. Wechselseitige Wartezeiten finden nicht statt und man kann sich ungestört im eigenen Rhythmus durch den Hochwald kämpfen. Die einst so dichten Wälder weisen von Mal zu Mal größere Lücken auf: Dieser Umstand ist einerseits den breiten Forststraßen geschuldet, welche sich schon fast bis an die Baumgrenze nach oben schlängeln. Andererseits schafft der Klimawandel permanent neue Baustellen, die dringend bearbeitet werden müssen.
Paul ist selbst durch das selektive Steilstück hinauf zur Jepca-Alm nicht totzulaufen und verzichtet dankend auf eine Pause beim klassischen Rastplatz an den Fundamenten der ehemaligen Annahütte. Eine private Initiative feilt hier schon seit längerer Zeit intensiv am Plan eines Wiederaufbaus „als bewirtschaftete Almhütte“, der in den Wirren des 2. Weltkriegs niedergebrannten Unterkunft. Unter dem Motto „Wem gehört die Natur ?“ versucht man deshalb, die tiefen Gräben zwischen Grundbesitzern, Jägern und Umweltschützern auf der einen, und E-Bikern, Mountainbikern und anderen Freizeitsportlern auf der anderen Seite, möglichst im Konsens zu überbrücken. Schwierig. Meinen Erfahrungen und Beobachtungen nach fehlt dem Outdoor-Bewusstsein und dem Freizeitverhalten der modernen Pedalritter häufig der nötige Respekt und der noch nötigere behutsame Umgang vor und mit der Natur. Über den angeblich trendigen Ansatz, die Natur als Sportgerät zu betrachten, sollte man besser noch einmal genauer nachdenken.
Der Abschnitt zwischen der Annahütte und kleinem Mittagskogel zählt für mich zu den landschaftlichen Highlights der Wanderung: Felsen, Latschenkiefern, orange Lärchen und jede Menge Aussicht. Spätestens am kleinen Mittagskogel kann ich den zügigen Tiroler von der Notwendigkeit einer ersten Pause überzeugen. Ein spektakulärer, windiger Ort, ideal zum Studium der Mittagskogel-Nordwand und des West-Grats. Unten im Tal liegt noch dichter Nebel, der aber schon erste Lücken aufweist. Ein wenig mystisch tauchen mit dem Kanzianiberg und dem Kathreinkogel uralte Berge auf. Nur ein flotter Imbiss, für einen längeren Aufenthalt ist es zu ungemütlich.
Bald passieren wir den bedrahtseilten Übergang in den Westgrat und bemühen uns, in der Geröll- und Gesteinswüste auf Kurs zu bleiben. Überm Berg hängen noch ein paar graue Wolken, die für eine etwas monochrome Stimmung sorgen. Da und dort passieren wir noch vereinzelte Schneereste. Langsam, aber sicher wird das gerade noch ziemlich kleine Gipfelkreuz größer, und als die Sonne durchkommt, leuchtet es, als wäre es an einer Steckdose angeschlossen worden.
Blick nach Osten
Wir sind da. Selbst beim hundertsten Mal ist es ein besonderer Moment. Die begrünten, leicht windgeschützten Mulden an den südwestlichen Ausläufern des Gipfelplateaus stellen nicht nur eine halbwegs komfortable Übernachtungsmöglichkeit dar, sie sind mit ihrer ungestörten Fernsicht nach Osten und Süden der willkommene Schauplatz für unsere zweite Pause an diesem Tag. Man überprüft, was Rucksack und Plastikboxen so zu bieten haben und darf sich entspannungstechnisch zwischen der geerdeten Horizontalen und der luftigen Vertikale entscheiden. Rechts ein paar weiße Wölkchen überm Triglav, links darunter das Klagenfurter Becken im herbstlichen Nebel-Vollbad, dazwischen der freie Blick über die Karawanken nach Osten. Im Zeitraffer ziehen so viele Gedächtnisprotokolle und abgespeicherte Bilder von vergangenen Gipfelsiegen vorüber, während ich versuche mit der digitalen Kamera ein kleines Stück der Gegenwart in die Zukunft zu retten. Dazwischen sinnieren wir ein wenig über Gott und die Welt, Kärnten und den gemeinen Kärntner. Hier oben fällt es offensichtlich etwas leichter, vollendete Tatsachen mit dem nötigen Humor zu kommentieren. Paul erweitert das Spektrum sogar und begibt sich auf mögliche Spuren alter Jäger und Sammler, ohne dabei fündig zu werden.
Kathreinkogel im Nebelmeer
Erst jetzt geht es zum Gipfelkreuz. Erwartungsgemäß hat sich dort schon eine Vielzahl an Alpinisten eingenistet, was dem Augenblick einen geselligen, großfamiliären Charakter verleiht. Wir halten nur kurz die Stellung, um schon bald auf der Suche nach etwas mehr Ruhe in Richtung Ostgrat weiterzuwandern. Schwindelerregende Blicke über die Nordwand mit ihren Türmen, die kräftiger werdende Sonne fräst zunehmend die Nebelfelder um den Faaker See weg. Auf einer Kuppe hat sich in luftiger Höhe ein Fotografierender mit seinem Stativ positioniert, er genießt blinzelnd den sonnigen Rundumblick in vollen Zügen. Wenigstens am näheren Gesichtsfeld wird sich hier so schnell nicht allzuviel ändern, denn der Mittagskogel wurde von seinem Eigentümer, dem Unternehmer Robert Rogner, und den zuständigen Landespolitikern längst zum „Natura 2000“-Gebiet erklärt und befindet sich demnach auf der Liste der Europaschutzgebiete. Was sich auf einer Fläche von immerhin 672,3 Hektar nicht nur positiv, weil erhaltend auf die lokale Flora und Fauna auswirken sollte, sondern zusätzlich möglichen künftigen Großevents oder jedweder kommerzieller Infrastruktur auf diesem Berg einen Riegel vorschiebt( http://archiv.btvon.at/videos/3767/view?page=2 ).
Ganz menschenleer ist es auch beim Ostkreuz nicht, aber hier hält sich der Ansturm in erträglichen Grenzen. Mittlerweile ist bereits ein Großteil der Landschaft überschaubar und unsere Beinaheumrundung des Mittagskogels schreitet weiter fort. Zuerst geht es zurück zum Ausgangspunkt im Gipfelbereich, von dort aus zügig über die Südseite bergab. Am letzten Grat verabschieden sich die Julischen Alpen und der Blick nach Süden. Über eine Strecke, die außer ein paar Tiefblicken nach Osten keine nennenswerten Perspektiven bietet, geht es vergleichsweise unaufgeregt weiter. Bei sommerlichen Touren bestrahlt die Sonne jene Bereich zu fast 100% und verschafft den Schwitzenden in Verbindung mit der gleichzeitigen Wärmespeicherung der Felsen die sehr unmittelbare Erfahrung einer mühsamen Wanderung in einer überdimensionalen, aber ganz natürlichen Mikrowelle. Diesen (un)menschlichen Transpirationsprozess beschrieb hier einst ein Hamburger sehr prägnant und mit einem Gesichtsausdruck, in dem sich alles Elend dieser Welt wiederspiegelte: „Ey Alder, das is die Hölleee“. Das Faszinierende am Gedächtnis: Es verfügt über enorme Speicherkapazitäten. Mit einem breiten Grinsen fallen mir in der Bergabbewegung ganze Hundertschaften bemerkenswerter und merkwürdiger Begebenheiten ein, die ich teilweise auch gerne vergessen hätte und die das geistige Auge zwecks Bodenhaftung unbestellt mitliefert. Die emotionale Bandbreite deckt mit fast unbekleideten Holländern in leichten Strandsandalen bis hin zu einem völlig Beinlosen (weder Beine, noch Strandsandalen !), der sich hier mit kaum fassbarer Motorik und Willenskraft steil und stufig, aber beständig bergauf hievte, fast das gesamte und ziemlich breite Spektrum menschlicher Kuriositäten ab. „A groassa Stoanahaffa, sunst nix“ (wie ein grantiger Bayer den Berg mit Augenzwinkern (t)adelte) als gelungener Integrationsort für Alltagsflüchtlinge ? Wer weiß ? Wahrscheinlich sind es ja gerade diese unzähligen heiteren Episoden, die stark bewölkten Anekdoten, teils regnerischen Begebenheiten und oft gewittrigen Grenzerfahrungen aus nun bald 35 langen und doch so kurzen Jahren, welche den Mittagskogel für mich zu einem ganz speziellen, mitunter sogar geheimnisumwitterten Arbeitsplatz machen.
Weiter unten wird das Labyrinth noch felsiger, hier erzwangen Starkregenereignisse mit entsprechender Erosion schon die eine oder andere kleine Streckenänderung. Wichtig sind in diesem Zusammenhang die üppig wuchernden Latschenkiefergemeinschaften, die mit ihren Wurzeln dem brüchigen Untergrund etwas Stabilität verleihen. Die Baumgrenze liefert spät im Oktober mit goldorangen Lärchenwäldern unentwegt erhellende und im Vorbeilaufen bewegte Bilder, an denen man sich kaum sattsehen kann.
Schneller als erwartet sind wir an der Berta-Hütte, einigen uns aber noch schneller darauf, sie einfach links liegen zu lassen. Paul ist als kritischer Geist auch kein großer Freund von kollektiver Hüttenkulinarik in zirbenschnapserhöhten Lärmpegeln. In gewohnter Paul-Manier, also pausenlos, geht es fast fluchtartig den nächsten Steilhang hinauf. Oben, auf der sonnigen Schädeldecke des Türkenkopfs bleibt genügend Zeit und Lust für die dritte und letzte Pause, für prächtige Rundumsicht auf die absolvierten Tagesschauplätze, für digitale Rundumfotos und verbale Rundumschläge. Hier, mit ein wenig Abstand und im Gegenlicht, wird mir wieder einmal klar, was ich eh vorher schon wusste: Die Begleiter ändern sich so zuverlässig wie das Wetter. Wirklich stationär bleibt nur er – der Mittagskogel.
Für den Rest der Strecke hinunter nach Kopein hat schon anno 2003 der bekannte norddeutsche Alpinist Thorsten Bruhns mit einem zeitlosen Zitat die richtigen Worte gefunden: „Es ist erstaunlich, wie lange man bergab gehen kann, ohne unten anzukommen“. Das mag so sein, ist aber nicht schlimm. Paul und ich haben noch jede Menge Gesprächsstoff.
(Eine (übel)launige Zeitreise mit Anton von Rauschenfels) von Hansi Mikl
Normalerweise bin ich nur selten mit Unbekannten unterwegs. Ganz besonders dann nicht, wenn diese schon seit längerer Zeit, nämlich seit dem 2. Mai 1877, tot sind: Anton von Rauschenfels war im Herbst des Jahres 1870 um, am und auf dem Faaker See zu Gange bzw. zu Boote und hat seine damaligen Eindrücke in blumiger Sprache schriftlich festgehalten. Auf den ersten Blick vielleicht eine eher morbide Idee, aber unbedingt Grund genug, sich fast 150 Jahre später, im Herbst des Jahres 2017, für ein paar Stunden an seine Spuren zu heften und in mehr oder weniger heiteren Dialogen mit ihm die teils gravierenden Veränderungen von Land und Leuten auszuloten und sich Gedanken über den Lauf der Zeit zu machen. Ob der Brückenbau von der relativ beschaulichen Vergangenheit in die hektische Gegenwart gelingen kann? Anton hat die behutsamen, bescheidenen Anfänge des Gründerzeit-Fremdenverkehrs in den 1870ern erlebt, ich könnte vom überaus lebendigen Brachial-Tourismus der 1960er- und 70er-Jahre berichten, als man in einer aus allen Nähten platzenden Region sogar Badewannen und Dachböden problemlos vermieten konnte, und von den Abwärtsspiralen und der Ernüchterung nach dem kurzen Goldrausch. Zeitzeugen auf vergleichender Wanderschaft. Warum denn nicht ? Den Versuch ist es wert.
Anton 1870:
„In östlicher Richtung von Villach sind mehrere äußerst lohnende Ausflüge zu machen…
… die wir aber nur andeuten, nicht beschreiben wollen, um nicht zu ermüden. Da ist Wernberg mit dem weitläufigen Schlosse des Grafen Wagensberg, Damtschach mit dem schönen Rosenbergischen Parke, Sternberg mit der herrlichen Aussicht, Velden der freundliche Badeort am Wörthersee, und Rosegg an der Drau in herrlicher Lage, mit dem Hirschpark des Fürsten Liechtenstein, von dessen Belvedere aus man einen prächtigen Ausblick auf das schöne Rosenthal genießt. Nur beispielsweise wollen wir eine solche Tour näher verfolgen, auf einem Rundgang, der durch die interessantesten Parthien führt, die man in der Umgebung Villachs, im kurzen Laufe eines Tages, ohne sonderliche Anstrengung berühren kann”.
Hansi 2017:
Verglichen mit Dir, mein lieber Anton, bin ich zwar eher ein schriftlicher Grobmotoriker – hinzu kommt, dass Du mit teils ausgestorbenen Worten jonglierst, die längst aus dem modernen Sprachbild herausgefallen sind -, aber in den schnellen Zeiten der zwitschernden Kommunikation bilde ich immerhin noch ganze, zusammenhängende Sätze und werde unsere gemeinsame Wanderung durch die Zeiten ohne Netzhauttrübung und garantiert ohne rosarote Brille absolvieren. Die aktuelle Wirklichkeit wirklichkeitsgetreu wiedergeben zu müssen, ist nicht gerade einfach, weil mit Schmerzen verbunden. Weniger physisch, mehr psychisch. Wo möglich, werde ich mich exakt an deine Vorschreibungen halten. Wo nötig, werde ich die Spur zwangsläufig verlassen und mir eigene Varianten ausdenken müssen. Wo sinnvoll, werde ich neue Streckenprofile anlegen – in 150 Jahren hat sich eine ganze Menge verändert und darüber, ob der vermeintliche Fortschritt nicht doch eher ein Rückschritt sein könnte, werden wir ernsthaft diskutieren müssen.
Anton 1870:
„Am besten fährt man von Villach mit dem Frühzug nach Föderlach, der ersten Station der Villach-Marburger Bahn, oder wer das nicht thun will, der kann zu Wagen, entweder über Maria Gail oder über Wernberg, in einer Stunde ebenfalls dahin gelangen. Ist er nun in Föderlach und verspürt etwa einiges Verlangen nach einem Gabelfrühstück, so mag er sich getrost bei Herrn Glaser an dem Marmortisch unter der großen Linde niederlassen, er wird zur Zufriedenheit bedient werden, dann aber auf und über die Draubrücke ans jenseitige Ufer, wo man nicht die Straße, die längs der Drau läuft, sondern den Weg einzuschlagen hat, der durch den Wald sehr mäßig bergauf führt, bis man nach drei Viertelstunden zu den ersten Häusern von Petschnitzen gelangt. Hier geht rechter Hand ein Fußpfad ab, der nach einer weiteren halben Stunde auf die Felsenkuppe des Berges Tabor führt, eine mäßig hohe Erhebung jenes vielgestaltigen, wechselreichen Mittelgebirges, welches von Müllnern bis unterhalb Rosegg am rechten Ufer, zuerst der Gail, dann der Drau sich hinzieht, wo es mit dem steil abfallenden Kumberg endet, eine eigene Gebirgswelt voll ungeahnter landschaftlicher Reize und Überraschungen, aber noch wenig gekannt und begangen”.
Hansi 2017:
Nach dunklen Regentagen. Die Septembersonne müht sich mit den frühen Hochnebelfeldern ab. Mariano setzt uns direkt am Bahnhof in Föderlach ab, übrigens noch ein altehrwürdiges Relikt aus deinen altehrwürdigen K&K-Zeiten. Alles Fassade allerdings, eigentlich ein Eisenbahn-Museum, denkmalgeschützt vielleicht, nur innerhalb herrscht menschenleere Friedhofsruhe, die Schalter sind schon seit Jahren unbesetzt und der Wartesaal geschlossen, die Gespräche der Wartenden sind den Smartphones zum Opfer gefallen. Die moderne Welt des globalen Kapitalismus hat sich Gewinnmaximierung auf die Fahnen geheftet, sie ist (er)nüchtern(d), digital und effizient. Selbst die Sentimentalität wird wegrationalisiert, weil sie klarerweise keine Erträge einspielt. Mein Verlangen nach einem Gabelfrühstück hält sich ebenfalls in erträglichen Grenzen, nicht nur, weil Gabelfrühstücke generell nicht mehr am zeitgenössischen Speisezettel stehen, sondern weil es hier schon lange keine Marmortische unter großen Linden gibt. Marmortische sind nicht besonders pflegeleicht und große Linden stellen in stürmischen Zeiten ein unkalkulierbares Sicherheitsrisiko dar. Zu gefährlich, jeder Schadensfall erfordert unbedingt einen verantwortlichen Schuldigen, Schicksal und höhere Gewalt als Erklärung haben ausgedient. Florierende Landgasthöfe sind gleichermaßen selten geworden, eine bedrohte und wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern, bald ausgestorbene Gastronomiespezies. Dafür ist der hiesige Lärmpegel beachtlich, LKWs im Dreiminutentakt und PKWs im Minutentakt begleiten uns mit der breiten Landstraße in Richtung Draubrücke. Weder die große Fleischfabrik auf der linken Seite, noch das große Schotterwerk auf der rechten Seite sind sehenswerte Augenweiden und deine Drau von einst produziert hier träge und breit auf die Turbinen eines Kraftwerks wartend als Stausee immerhin umweltfreundliche Energie für eine Gesellschaft, deren Energiebedarf jährlich und ständig steigt. Das letzte Stück bis zur Schnellstraßenkreuzung ist ein sportlich wertvoller Spießrutenlauf mit nur geringem Entspannungsfaktor. Ein freundlicher Feldweg führt dann endlich verkehrsberuhigt und verhältnismäßig naturbelassen durch Felder und Wiesen, links an Bogenfeld vorbei, mitten in jene „vielgestaltige, wechselreiche Mittelgebirgswelt hinein, die ob ihrer Unwegbarkeit noch immer wenig gekannt und begangen wird und die nach wie vor voller ungeahnter landschaftlicher Reize und Überraschungen steckt”. Der alte Waldweg, der uns auf moderater Steigung Petschnitzen näherbringt hat schon deutlich bessere Zeiten erlebt, nach den Starkregenereignissen der letzten Sommer präsentiert er sich in eher bemitleidenswertem Zustand. Stumme Zeugen des fortschreitenden Klimawandels am Wegesrand sind umgestürzte bzw. hängende Bäume und dürre bzw. sterbende Opfer des Borkenkäfers und anderer Schädlinge. Die Landschaftsbilder werden sich in den kommenden Jahren mehr oder weniger gravierend ändern. Nach drei Viertelstunden und kurz vor den ersten Häusern von Petschnitzen empfängt uns mit dem Brummen eines Steyr 8055 eine altbekannte Geräuschkulisse: Mariano beliefert die Pferde und Rinder in der Polana mit frischem Gras. Rechter Hand geht es wie damals auf den Tabor. Allerdings nicht mehr über einen schmalen Fußpfad, sondern über eine asphaltierte Straße. Eine dünne und leider eher desolate Zivilisationsschicht, die ziemlich holprig mit Rissen, Furchen und Schlaglöchern die finanzielle Lage der Kommunen erschreckend deutlich wiederspiegelt.
Anton 1870:
„Die Aussicht vom Tabor ist eine wundervolle. Das Treffner Thal bis in die Gegend von Feld, das Drau-Thal aufwärts bis zur jähen Biegung bei Möllbrücken, weit hinauf ins Möllthal bis Obervellach, wo die schneegefurchten des Feldseekofels den Weiterblick hemmen, ins untere Gailthal, ins Kanalthal, von wo hoch über dem grünen Luschariberg, die kahlen Dolomitwände des Montaccio herüber winken, ins schöne Rosenthal bis Feistritz und endlich hinab zu den fernen steirischen Grenzgebirgen.
Dies ist der äußerste Horizont der großartigen Rundschau und hat sich das Auge daran satt gesehen, so bleibt noch das prachtvolle Panorama der näheren Umgebung zu bewundern übrig. Am Fuße des Berges fluthet zunächst der liebliche Faaker See mit seiner anmuthigen Halbinsel, welche, wenn sie nur ein bisschen größer wäre, ganz wohl an Armibas Zaubergarten gemahnen könnte. Über weitgedehnte Auen und Felder, über bewaldete Hügel und anheimelnde Thälchen schweift der Blick, bald fesselt ihn ein weißer Kirchthurm, bald ein altes Schloß. Besonders Wernberg und die Ruinen von Landskron machen den Eindruck wie galiläische Bergstädtchen in einer Bilderbibel, auch Finkenstein schaut, wiewohl in Trümmern, noch trutziglich zu Thal von seinem Felsenthrone, und die wenigen Ueberreste der dahingesunkenen Raubburgen von Föderaun und der Ritter von Rase, so wie die stattlichen Fensterreihen der uralten Abtei zu Arnoldstein sind ebenfalls selbst dem unbewaffneten Auge erreichbar. Gegen Osten enthalb eines Gewoges grüner Hügel glänzt die blaue Fläche des Wörther Sees und vermag der Blick den Schlangenwindungen der Drau zu folgen, bis wo sie den Fuß der Karawanken netzt, deren kahle Felswände sich coulissenartig in einander schieben, vom Mittagskogel im Süden, dessen Risse und Schruden man von hier aus zählen kann, bis zur Petzen, deren Contouren im blauen Dunste verschwimmen. Wer vermöchte die Reize aller dieser Landschaften genügend zu schildern in Sonderheit, wenn über das Ganze ein klarer Himmel sich wölbt und die Sonne freundlich drein scheint, so dass man meint, es könne nur Glückliche geben auf diesem ganz prächtigen Stück Erde”.
Hansi 2017:
Schön geschrieben und in einem Punkt herrscht absolute Einigkeit: Die Aussicht vom Tabor ist (nach wie vor und fortwährender Landschaftsbildzerstörungen zum Trotz) eine wundervolle !!!!!. Für mich persönlich selbst nach dem 1428. Versuch ein funktioneller Herzerwärmer und ewig junger Sehnsuchtspunkt. Zeitlos schön. Dafür bezweifle ich stark, dass es weder damals unter den blauen Himmeln des 19. Jahrhunderts, noch heute unter den problemlos nachcolorierbaren Himmeln meiner Zeit nur Glückliche gab und gibt. Bei der österreichischen Selbstmordstatistik war und ist Kärnten meistens Spitzenreiter und die Nervenheilanstalten sind stets gut besucht, die freundliche Sonne und ein klarer Himmel reichen halt längst nicht aus, um auf Dauer im Gleichgewicht zu bleiben. Jeder kennt die hartnäckigen Adria-Tiefs als Gegenentwurf. Jedenfalls, vergleicht man die aktuellen Aussichten vom Tabor mit deinen Beschreibungen, so dürfte der Berg bei deinem Besuch längst nicht so üppig bewachsen bzw. überhaupt kahlgeschlagen gewesen sein. Kalkbrennen als zusätzliche Einkommensquelle war dann auch nicht besonders naturnah. Die Sicht nach Südwesten und Westen ist heute noch ungehindert beschaubar: Der Mittagskogel, die westlichen Karawanken, die Karnischen Alpen, der Dobratsch und im Hintergrund die Hohen Tauern stehen den Facebook-Postern und Twitter-Usern uneingeschränkt zur Verfügung, während die restlichen Himmelsrichtungen praktisch zur Gänze hinter dem Wald mit seinen hohen Bäumen verschwunden sind. Vor einiger Zeit stand deshalb auf der Taborhöhe sogar ein Aussichtsturm, in seiner Endphase musste jedoch auch er vor der munter wachsenden Vegetation kapitulieren, diente nur mehr ornithologischen Beobachtungen und wurde irgendwann wegen sehr eingeschränkter Fernsicht demontiert. Möglicherweise etwas kurzsichtig und voreilig, denn der Klimawandel rückt, wie bereits erwähnt, mit Borkenkäfern, Stürmen, Dürreperioden und massiven Nassschneeereignissen den Wäldern permanent zu Leibe – es wäre wohl keine große Überraschung, wenn die Rundumsicht von anno dazumal in absehbarer Zeit wieder möglich wäre. Vorerst beherbergt der Tabor-Wald in seinen Baumkronen aber noch einen Waldseilpark in verschiedenen Schwierigkeitsstufen ( www.hochhinauf.at ) und im Erdgeschoss darunter tummelt sich darüber hinaus in bemerkenswerter Artenvielfalt allerlei Getier (Braunbären, Rehe, Hirsche, Dachse, Luchse, Eulen, Adler etc. –), welches sich mit grenzenloser Gelassenheit als jeweils stationäre Kunststoff-Zielscheibe im Rahmen eines „3-D-Bogenparcours” zahlender und zielender Kundschaft zur Verfügung stellt. Der eher bizarre Einfall eines fliegenden Fuchses vom Berg zur Insel hat den Sprung aus der Schublade zur drohenden Ausbaufähigkeit Gott sei Dank noch nicht geschafft.
Meine Bewunderung für das prachtvolle Panorama der näheren Umgebung ist ebenfalls enden wollend: Zwar „fluthet am Fuße des Berges noch immer der liebliche Faaker See”, aber um ihn herum sind die einstigen „weitgedehnten Auen und Felder, die bewaldeten Hügel und anheimelnden Thälchen” nicht gerade behutsam, sondern eher rücksichtslos verbaut worden – die Landschaft schrumpft von Jahr zu Jahr und sie wächst leider nicht mehr nach. Setzt sich der Trend, für genügend Geld sogar seine Großmutter, das Familiensilber und jedes Grundstück verscherbeln zu wollen ungebremst fort, und es hat leider so den Anschein, hat es sich mit „den Reizen aller dieser Landschaften” irgendwann erledigt. Womit man dann den Ast, auf dem man sitzt endlich abgesägt hätte: Ein halbwegs intaktes Landschaftsbild stellt eine touristische Grundvoraussetzung dar.
Manche deiner historischen Sehenswürdigkeiten sind selbst schwerbewaffneten Augen nicht mehr erreichbar, weil sie entweder im Wald verschwunden oder vom Zahn der Zeit abgenagt worden sind (Federaun zB oder die kümmerlichen Reste der Ritter von Rase), andere hingegen haben neue Untermieter leicht zweckentfremdet mit neuen Ideen und gravierenden Richtungsänderungen vorm endgültigen Verfall bewahrt: In den Trümmern der Ruine Finkenstein ist ein gleichermaßen bekannter wie beliebter Veranstaltungsort entstanden ( www.burgarena.at https://www.youtube.com/watch?v=hbJ1ez6AsGI https://www.youtube.com/watch?v=epqbhItByqk ), die Abtei zu Arnoldstein wurde ebenfalls 5vor12 erfolgreich wiederbelebt ( www.burgruine.at ) und der Burghügel von Landskron hat sich zum sicheren Zufluchtsort für bedrohte einheimische Greifvögel und außereuropäische Primaten mit gehobener Gastronomie für den Homo sapiens ( www.adlerarena.at https://www.youtube.com/watch?v=P4ln3ehs_g8 ) entwickelt.
Anton 1870:
„Und nun wieder hinab vom Berge Tabor und wenn es gerade Herbstzeit ist, zwischen den in üppigster Blüthe stehenden Buchwaizenfeldern, welche die Luft mit ihrem Honiggeruch würzen, hindurch, gegen das bescheidene Dörfchen Petschnitzen, das mit seiner kleinen Kirche und dem idyllischen Pfarrhofe unter einem Walde von Obst- und Lindenbäumen versteckt liegt, recht freundlich und anmuthig. Vor dem Pfarrhause prangt ein nettes Gärtchen mit den mannigfaltigsten Herbstblumen; im Gartenhause ist eine improvisirte Knabenschule etablirt und die buchstabirenden Kinderstimmen schallen weithin durch die Luft, während Bienenschwärme das an das Gärtchen anstoßende Haidenfeld geschäftig umsummen, ein reizendes Bild des heiligen Friedens, doppelt rührend zur Zeit als ich es sah, wo ich die Gedanken nicht los werden konnte an die ausgebrannten Wohnstätten und die zertretenen Fluren auf den blutgedüngten Schlachtfelder im Norden und Süden”.
Hansi 2017:
Querfeldein auf direktem Wege lernt man die richtig stillen Ecken des Tabors kennen und ist nebenbei schnellstmöglich wieder am Ausgangspunkt im unverändert bescheidenen Dörfchen Petschnitzen angelangt. Dieses hat, wie praktisch alle ländlichen Gegenden, in den letzten Jahrzehnten einen dramatischen Strukturwandel absolvieren müssen. Mit ihm sind nicht nur die blühenden Buchweizenfelder und die Obstbaum- und Lindenwälder verschwunden, die Selbstversorgung und Unabhängigkeit der lokalen Bauernschaft und deren Kultur sind entweder massiv im Rückzug begriffen oder längst schon die Drau hinuntergegangen. Die hügeligen Wiesen am Weg leicht bergab zur kleinen Kirche hin werden fortschreitend von Goldruten, Schilfgras, Brombeeren und Sträuchern renaturiert und die buchstabierenden Kinderstimmen der einstigen Pfarrhof-Knabenschule sind schon lange verstummt. Mutmaßlich hat damals während deines Durchmarsches wohl mein Urgroßvater eine der harten Schulbänke gedrückt und zählte damit zur ersten Generation des Ortes, die das Privileg besaß, den Analphabetismus hinter sich zu lassen und auf bessere Zeiten und angenehmere Lebensbedingungen hoffen zu dürfen. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung kamen leider zwei Weltkriege, ständige Rechtschreibreformen und gesellschaftliche Umwälzungen in Serie. Die hiesigen Bienen treten übrigens kaum mehr in Schwärmen auf, sie zählen längst zu den bedrohten Tierarten (Varroa-Milbe und andere Schädlinge, Monokulturen, Pestizide, Wiesen, die schon Wochen vor der Blüte in Plastikfolien verschwinden etc. etc. etc.). Stark rückläufig ist auch die Anzahl der Geistlichen und Gläubigen, nicht nur in der kleinen Kirche von Petschnitzen. Abgesehen von Zölibat und neuen Glaubensrichtungen haben sogenannte soziale Netzwerke oder digitale Heilsbringer aus der Esoterik-Ecke die Seelsorge der versprengten Schäfchen übernommen. Was nicht automatisch schlecht sein muss, aber irgendwie fühlt man manchmal deutlich diese enorme Diskrepanz zwischen der Sehnsucht nach einer helleren Zukunft und der Enttäuschung bei ihrem dunkleren Eintreffen. Hätte dir damals jemand den baldigen Untergang deiner Epoche prophezeit, hättest du es geglaubt ?
Anton 1870:
„Von Petschnitzen geht der Fahrweg knapp am Ufer des Faaker Sees nach Egg und Drobolach, wo man sich auf die Insel übersetzen lassen kann, um in deren schattigen Haine längs dem Uferende einen Rundgang zu machen, der durch die wechselvollsten Landschaften, die einem bei jeder Wendung des Pfades entgegentreten, gewiß höchlich interessiren wird. Von der Insel mag man entweder zurück rudern nach Drobolach und von da durch die Dobrowa über Maria Gail nach Villach wandern, oder man fährt in entgegengesetzter Richtung ans südliche Ufer des Sees und schlägt durch die Auen den Weg nach Malestig ein wo das Kmetische Gasthaus willkommene Rast bietet. Der Mittagskogel mit seinen vorgelagerten Felsrissen, von denen die Ruinen Finkenstein und St. Kanzians Kirchlein hernieder schauen, präsentirt sich von hier aus auf sehr eindrückliche Weise. Anderseits gewähren die Felswände des Dobratsch, und im Vordergrunde der malerische Felsenkopf von Föderaun, so wie die weite Perspektive des Gailthales bis hinauf gegen Kötschach, ebenso reiche als charakteristische Landschaftsbilder”.
Hansi 2017:
Das Leben als limitierte Edition könnte an einem sonnigen Septembertag so leicht sein. Aber leider ist es eher schwer – mit dem Harley-Treffen ist der Sommer am Faaker See lediglich inoffiziell, aber trotzdem irreversibel beendet. Dort, wo vor einigen Tagen noch lautstark die Motorrad-Motoren blubberten und ihre Zweirad-Bären steppten … sagen sich jetzt schon die Füchse gute Nacht. Theoretisch und von der Geländestruktur erwartet uns eigentlich ein müheloser Spaziergang mit lösbaren Aufgaben: Zum See schlendern, ein Boot mieten und die Insel „mit ihren schattigen Hainen erkunden”. Klingt tatsächlich ziemlich problemlos und das war es vor 150 Jahren offenbar auch. Damals war vermutlich der Großteil des Seeufers völlig unverbaut und durch Auen und Mooswiesen jeder Mann und jeder Frau frei zugänglich. Die Ruderboot-Kapitäne des 19. Jahrhunderts dürften sich außerdem gemeinsam mit dem Insel-Wirten über jede Fahrt, jeden Passagier und jeden Kreuzer ehrlich gefreut haben. Es war einmal und ist nicht mehr. In der Praxis zeigt sich einmal mehr sehr deutlich, dass sich der vermeintliche Fortschritt seit 1870 in erträglichen Grenzen hält. Kurzer Faktencheck und schnelle Hürdenhöhenmessung, lieber Anton. Problem Nr. 1: Sowohl in Egg, als auch in Drobollach haben sich die mietbaren Elektroboote bereits vor Herbstbeginn in die Winterpause verabschiedet. Lediglich in Faak könnte man, so verspricht die Recherche im Internet (http://www.elektro-boote.at/ ), noch ein Boot ergattern. Zweites Problem: Das Inselhotel (http://www.inselhotel.at/ ) hat ebenfalls seit 17. September geschlossen und wird erst im kommenden Mai wieder seine Pforten öffnen, die dazugehörige Insel befindet sich gleichfalls in Privatbesitz und unser geplantes privates Entern des Faaker-See-Eilands in Jack-Sparrow-Manier würde glatt den Tatbestand einer strafbaren Handlung erfüllen. Der „Rundgang längs dem Inseluferende” wird also bestenfalls eine Rundfahrt mit einem Elektroboot, was zwar nicht gut, aber noch immer besser als gar nichts ist.
Der Weg zum See führt uns mit dem „Fitness Parcours” mitten durch die Auwälder direkt ans Ostufer. Das entspricht zwar wieder einmal nicht ganz deinen Vorgaben, ist aber etwas kürzer und wegen der absoluten Ruhe eine sinnvolle, Gelenke und Gehörgänge schonende Alternative zur vielbefahrenen Hauptstraße. Die Strandpromenade empfängt uns weitestgehend einsam: Die Touristen befinden sich wieder in ihrem Alltag und die geschlossenen Lokale sind im Betriebsurlaubsmodus. Den Gegenverkehr bis nach Faak am See kann man an einer Hand abzählen… ein wandelnder Rucksack, zwei nordische Geherinnen und 1 hyperaktiver Mischlingshund mit hochroter Begleiterin. Erste Station ist die Elektroboot-Marina. Elektroboote schaukeln da zwar in ausreichender Anzahl und friedlich auf zahlende Kundschaft wartend im Wasser, es fehlt aber ein wenig am guten Willen. Achselzuckend und (weil von höherer Wettergewalt bei strahlendem Sonnenschein wohl kaum die Rede sein kann) mit einer heiteren Motivationsseminarsweisheit vertröstet uns der völlig überredungsresistente, mit allen Salben gesalbte und mit allen Wassern gewaschene Bootsverleiher aufs kommende Wochenende. Was uns im Augenblick nicht wirklich weiterhilft. Wir sind noch nicht reif für die Insel und für die Aufarbeitung persönlicher Befindlichkeiten fehlen mir Zeit und Lust. Unverrichteter Dinge geht es weiter nach Faak. Der Ort hat den einstigen Dorfcharakter erfolgreich abgelegt, die unzähligen funkelnagelneuen Einfamilienhäuser strahlen eine nüchtern-saubere, überaus überzeugend eingezäunte, fast klinische Vorstadtatmosphäre aus. Wenigstens der „Kärntnerhof”( https://www.kaerntnerhof.net/ ) nimmt noch Fußvolk, Geld und Bestellungen an. Einen Kaffee und einen Topfenstrudel später verlassen wir erneut Plan A und wählen statt der breiten Landstraße den idyllischen Sandweg durchs Finkensteiner Moor. Als munterer Begleiter plätschert sich der Faaker Seebach nach Westen und verwöhnt den sehenden und hörenden Wanderer mit lebendiger Geräuschkulisse und versteckten, aber durchwegs lauschigen Rastplätzen. Mit beschwingter Leichtigkeit geht es mit minimalem Gefälle durchs Schilfgebiet, das Licht des frühen Nachmittags hellt erlittene Enttäuschungen nachhaltig auf. Die Ruinen von Finkenstein und St. Kanzians Kirchlein schauen weiterhin unverdrossen hernieder, Malestig und die willkommene Rast im Kmetischen Gasthaus hingegen können wir getrost von deiner To-Do-Liste streichen: Beides gibt es nicht mehr. Malestig wurde irgendwann vermeintlich wohlklingender in Finkenstein umbenannt und vom Kmetischen Gasthaus fehlt überhaupt jede Spur. Wenigstens die reichen und charakteristischen Landschaftsbilder der umliegenden Bergwelt sind vollzählig erhalten geblieben. Ab Höfling hat man wieder Asphalt unter den Sohlen, das benachbarte St. Stefan erinnert schon im Ansatz bzw. im östlichen Peripheriebereich an die Faaker Vorstädte und kann ohne dramatische Erlebnisverluste zügig durchschritten werden.
Anton 1870:
„Ein kurzweiliger Weg führt von Malestig über das schön gelegene Dorf St. Stefan und durch das parkähnliche Thälchen von Müllnern zur Fähre an der Gail, von wo aus man das Villacher Warmbad erreicht. Der Art hat man binnen wenigen Stunden einen Berg mit herrlicher Aussicht bestiegen, die zwei größten Flüsse des Landes überschritten, einen schönen See durchschifft und mag sich schließlich im Badebassin von der geringen Müdigkeit erholen, die alles dies verursacht; die empfangenen angenehmen Eindrücke dieser Parthie wird man nicht so bald los werden”.
Hansi 2017:
Nach den letzten Häusern von St. Stefan quert man die Bahnlinie und wechselt in ständiger Begleitung des Faaker Seebaches in das Thälchen, dessen Parkähnlichkeit nur mehr an wenigen Stellen und bestenfalls in Ansätzen erkennbar ist, in Richtung Müllnern. Auch hier befindet sich die einstige Kulturlandschaft auf dem Weg zurück zur Natur. Unglücklicherweise werden die brachliegenden Nischen an Böschungen und Straßenrändern bevorzugt von unsympathischen, weil inversiven Neophyten, wie dem drüsigen Springkraut bevölkert, welches den eingeborenen Pflanzengesellschaften zunehmend den Lebensraum streitig macht. Unterwegs lernt man sogar den gemeinen Maschendrahtzaun zu schätzen, denn er hindert den zähnefletschenden Schäferhund auf der anderen Seite erfolgreich daran, die betont unaufdringlich vorbeimarschierenden Rucksackträger als mobile Kostprobe zu betrachten. Unbeschadet, aber hungrig erreichen wir Müllnern und die örtliche Nudelfabrik (http://www.finkensteiner.at/ ). Zu deiner Zeit pochte an dieser Stelle noch ein Hammerwerk, ehe man die Produktion Mitte der 1890er Jahre auf Teigwaren umstellte. Was uns jetzt praktischerweise die Möglichkeit eröffnet, den knurrenden Magen mit Käferbohnensalaten und Ciabatta und die verdiente Pause mit unterhaltsamen Milieustudien zu füllen. Die Fähre an der Gail ist längst durch eine stabile Brücke ersetzt worden. Diese bringt im Zuge einer breiten Straße nicht nur uns, sondern vordringlich den Nahverkehr über den Fluss hinüber nach Villach, darüber ist eine Autobahn für den Schwer- und Fernverkehr zuständig und daneben rollen auf der Bahnstrecke nationale und internationale Züge durch die Gegend. Daraus ergibt sich mit vereinten Kräften eine recht beachtliche Lärmkulisse, zusätzlich läuft man am schmalen Bankett balancierend permanent Gefahr, als lebendige Kühlerfigur am fließenden Verkehr teilzunehmen. Solchermaßen absolviert man bis kurz vor Warmbad eine sportlich wertvolle, aber insgesamt eher strenge Übung. Erst ein Fluchtweg kurz vor einer Gärtnerei fährt Blutdruck und Herzfrequenz wieder etwas herunter. Der gewählte Umweg führt durch den angrenzenden Wald und eines der schönsten Naherholungsgebiete der Stadt. Am Wegesrand streift man so ganz nebenbei verschiedene Sehenswürdigkeiten wie die Napoleonwiese. Der namensgebende berühmt-berüchtigte französische Feldherr wollte hier angeblich einen Park anlegen – ein wenig glaubwürdiges, schwerverdauliches Produkt aus der lokalen Gerüchteküche. Der gute Mann hatte damals bestimmt ganz andere Ziele und Probleme. Gesichert sind hingegen Hügelgräber aus der Hallstattzeit und eine alte Römerstraße. Sehr wahrscheinlich waren sowohl Kelten, als auch Römer begeistere Besucher des nahegelegenen Maibachls, welches nach zuletzt ergiebigen Regenfällen gerade munter sprudelt. Um diese Tageszeit komme ich trotzdem nicht ernsthaft auf die Idee, in den natürlichen Badebassins „Erholung von der geringen Müdigkeit” zu suchen – zu viel Frequenz im Wasser und am Ufer zu viele schaulustige Beobachter mit gezückten Smartphone-Objektiven. Dem Abfluss folgend trudeln wir von Norden in den Kurpark ein. In den großen Parkanlagen scheint von jeher die Langsamkeit beheimatet, die Rekonvaleszenten sind zwangsläufig im Schongang unterwegs, gedämpfte Gespräche unter ausladenden Baumkronen oder auf Holzbänken vor verblühenden Blumenrabatten. Man kann die letzten Stunden schlagen hören.
Am großen Vorplatz der Kärnten-Therme endet auf futuristisch anmutenden Sitzgelegenheiten unsere kleine Reise quer durch die Zeiten. Wir müssen wohl oder übel Abschied nehmen. Du wirst wieder in den ewigen Jagdgründen wildern und ich muss mich wieder um alltägliche Notwendigkeiten kümmern. Die Zeit läuft davon, die Arbeit nicht.
Mein lieber Anton: Ohne Dich hätte ich nicht binnen weniger Stunden einen Berg mit herrlicher Aussicht bestiegen, die zwei größten Flüsse des Landes überschritten, wäre nicht sang- und klanglos am Durchschiffen eines schönen Sees gescheitert und hätte wohl nie so unmittelbar bemerkt, wie viel sich seither verändert hat. Und wenn wir jetzt unsere beiden Monologe einfach in einen Topf werfen…ergibt sich ja vielleicht am Ende daraus so etwas wie ein Dialog, der uns verbindet.
Und selbst wenn längst nicht alle empfangenen Eindrücke angenehm waren: Irgendwie wars ja trotzdem schön.
Mentos auf Umwegen, Mentos auf Abwegen; Mentos der Sympathieträger; Mentos – (fast) allein unter Arabern; ein Pferd, das man am liebsten einpacken und Zuhause aufs Sofa setzen würde; Mentos –ein richtiger Mikl …mir wären diverse Titel für den Bericht über meinen Lieblingshaflinger eingefallen. Warum ich gerade Astrid Lindgrens Buchfigur als Vergleich herangezogen habe?
Jeder der die Geschichten um den schwedischen Jungen kennt, weiß, was ich meine. Sie sind frech, aufgeweckt, für jeden Unsinn zu haben und allseits beliebt. Doch nicht nur im Wesen ähneln sich Pferd und Kinderbuchheld, beide haben einen wuscheligen Blondschopf.
An unsere erste Begegnung an Ostern 2013 erinnere ich mich noch gut…
Mit dickem Winterpelz (Ostern lag früh im Jahr – Ende März), Eiszapfen in der lockigen Mähne und Schneeresten auf der Kruppe stand er neben seinem Kumpel Messi auf der Polana und malmte genüsslich einen Heuhalm nach dem anderen. Schon da (fast noch als Fohlen) habe ich ihn direkt ins Herz geschlossen, kam er doch sofort angestapft, um die Unbekannte am Koppelzaun genauestens unter die Lupe zu nehmen. Ich glaube, von diesem Tag stammen die Löcher im Ärmel meiner Lieblingswinterjacke. Aber kaum der Rede wert, schließlich blieben sie nicht die einzigen – ich nenne es mal vorsichtig- Mentos-Gebrauchsspuren.
Von Benimmregeln und anderem Kram
Im Jahr 2014 begann das Mentos-Ausbildungsprogramm am Boden. Dazu zählten unzählige Diskussionen über manierliches Hufegeben, Longiertraining auf der Polana und ausgiebige Erkundungsspaziergänge auf den üblichen Reitstrecken. Ob er den Sinn dahinter immer so recht nachvollziehen konnte – ich weiß es nicht. Er konnte jedenfalls nicht behaupten, nicht ausreichend auf sein späteres Reitpferdeleben vorbereitet gewesen zu sein! Und Spaß hatten wir auf jeden Fall. Besonders gern machte er sich einen Spaß daraus, sämtliche Putz-und Trainingsutensilien zu entführen und damit möglichst weit weg zu laufen. Ich könnte schwören, er lachte sich ins Fäustchen wenn wir uns, die Augen verdrehend, auf den Weg machten um sie wieder einzusammeln. Und er lernte schnell, sehr schnell. Er war immer mit Eifer bei der Sache und konnte selbst nach mehrstündigem Aufenthalt auf der Polana noch nicht genug von den Menschen bekommen. Wäre ich dort eingezogen, ich glaube ich hätte ihm noch Gute-Nacht-Geschichten vorlesen und mit ihm zusammen frühstücken können, er wäre dem nicht überdrüssig geworden. Seine einzige unkooperative Angewohnheit war, dass er, kaum hatten wir den Roundpen verlassen, sehr gerne mit der langen Leine quer über die Polana galoppierte. Ohne mich, versteht sich. Eine Lösung für das Problem fand sich aber recht schnell. Einfach schon vorher die Leine ab und so tun als gehöre das zum Plan!
Manchmal haben wir aber auch sehr unterschiedliche Auffassungen von gutem Benehmen. Zum Beispiel wenn es darum geht, ob man beim Heimreiten von der Polana einfach umdrehen und zurück galoppieren darf. Darf man nicht!!! Oder doch? Oder ob man vor lauter Ungeduld vor dem Ausritt in der Box die Trense zerstört. Durchaus diskussionswürdige Angelegenheiten…
Aber egal was passiert, man kann ihm einfach nicht lange böse sein.
Kulinarische Ausflüge mit ein bisschen Reiten
Im Frühjahr 2015 war es dann so weit: Einreiten stand auf dem Programm.
An den Sattel wurde er natürlich im Vorfeld gewöhnt und da das für ihn kein allzu großes Problem darzustellen schien, folgte bald das erste Aufsitzen. Ich stellte mich bereitwillig als Dummy zu Verfügung und machte mich auf Unruhe, Bocken oder sonstige Irritationen gefasst. Nichts dergleichen. Hatte er mich überhaupt bemerkt? Um sicherzugehen streichelte ich ihm beruhigend über den Hals. Wobei – beruhigend ist nicht ganz der richtige Ausdruck, schließlich war dieses Pferd die Ruhe selbst. Seine hauptsächliche Reaktion bestand darin, sich ab und an umzudrehen, nach dem Motto „ach, DA bist du!” „Wieso versteckst du dich denn da oben?” Alles in allem gestalteten sich die ersten Reitversuche äußerst komplikationslos. Mentos’ einzige Bedingung zum Reiten bestand recht bald darin, die Reitstunden ins Gelände zu verlagern und nicht immer dieselben öden Runden im Roundpen zu drehen. Das war schließlich viel zu langweilig. Aber auch das Ausreiten, erst geführt und später frei, meisterte er bravourös. Wie ein alter Hase trottete er bei unseren ersten richtigen Ausritten hinter den anderen her und benahm sich, als hätte er nie etwas anderes getan. Wenn es ihm zu anstrengend wurde, fing er einfach theatralisch an zu schnaufen und es wurde Rücksicht auf uns (oder eher ihn) genommen. Er hatte die Sache mit dem Energiesparen schnell raus. Manchmal war es fast so, als wären wir allein unterwegs, der Abstand zum Rest der Gruppe vergrößerte sich mit jedem Schritt, aber Mentos störte das nicht. Im Gegenteil, sobald die anderen hinter einer Kurve verschwunden waren, atmete er tief durch als würde er sagen wollen: endlich kein Stress mehr, jetzt können wir „chillen”.
Unser erster Galopp war übrigens eine sehr spontane Sache. In den leichten Sitz, ein bisschen mehr Tempo, Nase in den Wind und einfach einmal über die Polana fegen. Ich glaube so würde ich das mit kaum einem anderen Pferd machen… 😉
Als selbstbewusster junger Haflinger mit einer gehörigen Portion Abenteuerlust geht Mentos aber auch ganz gern mal seine eigenen Wege. Immer schnurgerade den ausgetretenen Wegen zu folgen wäre auch viel zu eintönig! Man muss sich eben auch mal trauen, bekannte Pfade zu verlassen, oder wie war das? Dabei setzt er seine Ideen mit viel Kreativität und starkem Willen durch. Er kann stundenlang am langen Zügel durch den Wald bummeln als könne ihn kein Wässerchen trüben. Sollte ihm aber plötzlich in den Sinn kommen, einen kleinen Galopp einzulegen, dann hat das aber bitteschön auch sofort und auf der Stelle zu passieren! Ihm sitzt der Schalk einfach im Nacken, da kann er gar nichts für. Und wenn er mal den Haflinger-Turbo anschaltet geht die Post ab! Dann können wir fast mit den Arabern mithalten (okay, nur auf Kurzstrecken, aber immerhin!). Unvergessen bleibt auch der Nachtausritt am Pfadfinderlager, bei dem wir im vollen Galopp die falsche Abzweigung genommen haben, da Mentos –ganz Haflinger- den ebenen der beiden Wege wählte statt den bergan führenden. So kam es, dass wir uns in der Hofeinfahrt eines Wohnhauses wiederfanden. Ich glaube wir haben für einen Moment beide ziemlich dumm aus der Wäsche geschaut. Dieses Missgeschick ist übrigens nicht nur einmal passiert…
Insgesamt sind es aber immer sehr entspannende Ausritte bei denen man manchmal ganz vergisst, dass man auf einem erst 5-jährigen Pferd sitzt.
Hätten wir nicht den ein oder anderen Galopp eingelegt, ich glaube die Wälder rund um Petschnitzen wären nur noch halb so dicht bewachsen. Mentos macht Fresspausen bei jeder Gelegenheit (das macht man als Haflinger übrigens so) und ist manchmal so intensiv auf der Suche nach Reiseproviant, dass er nebenbei das Laufen „vergisst”. Frei nach dem Motto „kulinarische Ausflüge mit ein bisschen Reiten”.
Als Mentos-Reiter sollte man deshalb stets bereit sein, sich unter dem ein oder anderen Ast mehr wegzuducken als es die anderen tun, tolerant gegenüber eigenwilligen Routenvorschlägen sein und eine ordentliche Portion Humor mitbringen.
Was sonst noch gesagt werden sollte…
Mentos verbreitet stets gute Laune und liebt große und kleine Menschen -man könnte auch sagen, er hat sie zum Fressen gern. Wobei man ihm zugutehalten muss, dass er seine aktive Nase schon viel besser unter Kontrolle hat.
Seiner langen, elfengleichen Mähne trauere ich heute noch hinterher, die hat er sich nämlich auf der Suche nach frischem Grün (was auch sonst) unterm Weidezaun abgeschubbelt.
Auf keinem Pferd muss ich beim Reiten öfter schmunzeln als auf Mentos (wenn er zum Beispiel ganz eifrig Äpfel vom Boden aufliest und dabei völlig ignoriert, dass die anderen schon fast im Stall sind). Aber das Beste kommt ja bekanntlich zum Schluss. Mentos hat dieses Prinzip jedenfalls voll verinnerlicht.
Er wird im Laufe seiner Karriere noch vielen Zweibeinern ein Stirnrunzeln und direkt danach ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Man muss ihn einfach gern haben, alles andere ist ausgeschlossen.
Momentan durchlebt er eine ausgeprägte Abneigung gegenüber steinigen Untergründen, was positiv betrachtet aber auch eine Art von Entschleunigung ist ;-).
Mentos verkörpert das Mikl’sche Prinzip von Fröhlichkeit und Eigensinn und ist schon längst nicht mehr aus der Herde wegzudenken (ein richtiger Mikl eben ;-).
Eigentlich bleibt mir nur eins zu sagen: Dieses Pferd ist genau am richtigen Platz!