KANN UNS BITTE ENDLICH JEMAND DAS WASSER REICHEN ?

(Der tiefere Sinn und die klaren Ergebnisse einer regionalen, überregionalen, internationalen und stillen Wasserprobe)

Nach 50 erstaunlich kurzweiligen Jahren mit kalten Kriegen, eisernen Vorhängen, Ozonlöchern, Tschernobyl, Twitter und permanenten klimatischen und gesellschaftlichen Klimawandeln häufen sich zunehmend jene Momente, in denen ich ziemlich erleichtet bin, bereits zu den fortgeschrittenen Semestern zu zählen und damit zu jenen, deren Tage bereits ein wenig (an)gezählt sind. Obwohl ich noch lebe, weiß ich ganz genau: Das „Facebook & Smartphone-Zeitalter” geht garantiert ohne mich über die Bühne. Definitiv. So viel Zeit bleibt mir dann doch nicht mehr.

Glücklicherweise kann man den linearen Verlauf seines Lebens ja nicht bis auf den letzten Tag berechnen…
…aber spätestens nach einem halben Jahrhundert werden die Wettbewerbsbedingungen deutlich unerfreulicher:Man(n) wird immer langsamer, obwohl die Zeit immer schneller vergeht. Ich werde also ganz bestimmt nicht behaupten, dass ich mich mit 50 viel wohler in meinem Körper und meiner Haut  fühle. Altern in Würde ist manchmal ein gordischer Knoten. Es zwickt und zwackt nicht nur zunehmend im subjektiven Selbstwertbereich, sondern vor allem objektiv in den Gelenken und in der Muskulatur. Materialermüdung aus fünf intensiven Jahrzehnten. Nicht nur Geist und Körper senden – übrigens ebenfalls ganz ohne Smartphone und für 0,0 Cent/ Minute – klare Signale, sondern auch trocken diagnostizierende Allgemeinmediziner, bevorzugt mit in Falten gelegter Stirn und in besorgniserregender Stimmlage: „Herr Mikl… (kurze Pause)…. ihr Langzeitzucker gefällt mir leider gar nicht”. Natürlich hätte ich dem Arzt erklären können, dass Milka, Suchard und Lindt nicht nur blutdrucksenkend wirken, sondern obendrein sehr wirksame Medikamente gegen den immer akuter werdenden Weltschmerz darstellen. Ich hätte seine Meinung zu Serotonin einholen sollen und unbedingt nachfragen müssen, ob alternativ Antidepressiva gesünder wären. Wie man es auch dreht und wendet, das Leben hat seine unerwünschten Nebenwirkungen und am Ende endet es garantiert tödlich. Für eine tiefschürfende Diskussion war das  Wartezimmer ohnehin zu voll und kein einziges Gegenargument hätte etwas an der Diagnose geändert, also folgte ich notgedrungen den allgemeinen Ratschlägen unbedingt nötiger Zuckerreduktion und war bereit, dann und wann auf irgendwelche Nahrungspyramiden zu klettern, um den beanstandeten Langzeitzucker wieder in den Griff zu kriegen. Auf der dunkelroten Liste der Gefährder fanden sich leider ca. 95% meiner bevorzugten Lebensmittel, hinkünftig sah ich mich gezwungen ….von Vollkornbrot, ungeräucherten Fischen, Obst, Gemüse, Luft, Liebe, Hoffnung und Optimismus zu leben. Und von Wasser !!!!

„Wasser ist eine chemische Verbindung aus den Elementen Sauerstoff und Wasserstoff. Wasser ist als Flüssigkeit durchsichtig, weitgehend farb- geruch und geschmacklos. Wasser ist die Gundlage des Lebens auf der Erde”. Sagt Wikipedia und die Allgemeinbildung stimmt weitgehend (über die „Geschmacklosigkeit” werden wir bald streiten können) zu.

Eine altbewährte, über Jahrtausende krisenerprobte Art des Durstlöschens kann man also nicht neu erfinden, aber immerhin für sich selbst neu entdecken und damit eine Niederlage langfristig in einen Sieg verwandeln. Bei der Umgestaltung fragwürdiger Lebensgewohnheiten registriert man so ganz nebenbei nicht nur klare ökologische, sondern auch ökonomische Vorteile: Keine Logistik, keine Verpackung, kein Müll , kein Zucker, keine Konservierungsstoffe, kein flüssiges Adrenalin, dafür ein breites, faltenfreies  Grinsen des Allgemeinmediziners. Unser ganz persönliches Wasser wird schon seit eh immer frisch, konglomeratmineralisiert und kostenlos vom Tabor frei Haus geliefert, ist längst seibersdorfgeprüft und nennt sich deshalb ob seiner Inhaltsstoffe und ohne Übertreibung „Aqua Miklerale Naturale”.

Wie gut (oder schlecht) es tatsächlich ist, soll der spannende Praxis-Test einer „Wasserprobe” unter Beweis stellen. Obwohl die Leute üblicherweise zwar gerne Wasser predigen, um dann aber viel lieber Wein zu trinken,  findet die Idee erstaunliche Resonanz: Nicht weniger als 19 Teilnehmer (!!!!) haben nach einem sonnigen Augusttag Zeit und Energie in diesen Versuch und die laue Nacht investiert, die Tischtennisplatte vorm munter prasselnden Lagerfeuer ist praktisch ausverkauft. Ein Blick in die anwesenden Gesichter offenbart entweder geringfügige Vitalverstimmungen (bei den Wein- und Biertrinkern), ein wenig Müdigkeit (bei den Erziehungsberechtigten) oder konzentrierte Vorfreude (bei den Experimentierfreudigen).

Vor dem abendfüllenden Studium verschiedenster Wassersorten (am Start stehen so ziemlich alle Quellen der näheren Umgebung, gängige Produkte aus Supermärkten und Alltagsflüssigkeiten aus städtischen Wasserleitungen – alle anonym in Standard-Plastikgebinden in ein- und demselben Kühlschrank gelagert, um faire Wettbewerbsbedingungen zu garantieren) bin ich jedenfalls ziemlich gespannt. Das bunte Register der handelnden Personen sollte außerdem Spaß und Spannung beinahe garantieren.

Die subjektiv objektive Bewertung der verschiedenen Wässer wird der Einfachheit halber im österreichischen Schulnotensystem erfolgen:

1 = Sehr gut

2= Gut

3= Befriedigend

4= Genügend

5= Nicht genügend

Na dann.

Der leitende Archäologe eröffnet die Premiere des Wasserreigens und greift gravitätisch in den Kühlschrank. Die Flasche verschwindet flugs und anonym im tarnenden Jutesack, Augenblicke später sind die Gläser gefüllt. Im trüben Licht der Lampe erscheint das erste Wasser unverschämt klar, geschmacklos ist es nicht unbedingt: Es schmeckt nämlich leblos, schwer-leer, irgendwie nach Fastenzeit und Askese und weist (wie Claus bei solchen Gelegenheiten so schön sagt) einen eher geringen „Weitertrinkfaktor” auf. Allzu weit gehen die Meinungen nicht auseinander, das „Wernberger Klosterwasser” wird durchwegs mit 3 oder 4 bewertet und dürfte mit 64 Punkten wohl im hinteren Drittel landen.

Schon die nächste Sorte, von Ines präsentiert, sorgt für deutlich breitere Streuung und geteilte Meinungen zwischen 2 und 5. Ernüchternde 63 Punkte dürften die lokalen Wasserleitungsbefüller trotz überzeugender offizieller Testergebnisse in tiefe Verzweiflung stürzen – das „Mittagskogel-Wasser” schneidet erstaunlich bescheiden ab. Ein mickriges Pünktchen vor der Antiquität aus dem Klosterbrunnen. Besonders im Fokus der munter werdenden  H20-Diskussionen steht erwartungsgemäß Franz, weil der die einzelnen Flüssigkeiten gar nicht erst verinnerlichend kostet, sondern in „äußerlicher Anwendung” energetisch testet. Ein Umstand, der beim Durchschnittskonsumenten mit weit heruntergeklappten Kinnladen für länger anhaltende Fassungslosigkeit sorgen kann.

Schon bei Startnummer 3 ist das feuchte Auditorium nicht mehr ganz leise. Sophia zieht eine Flasche, deren Inhalt bei mir gruselnde Gänsehaut, bei anderen Testern aber durchaus Begeisterung auslöst. Die ersten Einser werden eingetragen, aber mit meinem und anderen Fünfern und insgesamt 64 Punkten reiht sich auch das „Nationalpark-Wasser aus den Nockbergen”  im geschlagenen Feld ein. Überhaupt fällt es schwer, die (vermeintlich) herausgekosteten Ingredienzien mit geeigneten Eigenschaftswörtern zu versehen, ohne dabei neue erfinden zu müssen. Würde ich „schmeckt nach 1979″ sagen, könnte es kein Mensch wirklich verstehen und ich müsste ein paar Geschichten über mein ganz persönliches 1979 (nicht nur Hot Chocolate, sondern auch Michaelergruft) erzählen. Besser nicht.

Andrea sorgt  ungewollt, aber doch für den ersten massiven Schlag in meine Magengrube und schüttet heiter eine Sorte ein, die ich maximal zur gelungenen Klospülung empfehlen würde oder zum Befeuchten eines staubigen Tennisplatzes. Insgeheim frage ich mich viel zu früh, worauf ich nun eher verzichten könnte: Auf das Aufhören oder auf das Weitermachen ? Sehr erstaunlich allemal, selbst das „gefilterte Bamberger Wasser” findet abgebrühte Liebhaber: Bert adelt es mit einer 1, Franz verpasst ihm eine energetische 2 und mich tröstet, wenn ich schon gar keine Antworten auf schwierige Fragen finde…stets die Erkenntnis, dass sogar Modern Talking sehr erfolgreich waren. Weil die Welt nicht immer ungerecht ist, hängen stolze 68 Punkte dem vierten Wasser die neue Rote Laterne um.

Ausgerechnet Herbert, dessen Teilnahme unter dem Motto „Schwere Bedenken” eher auf der Kippe stand, ist es vorbehalten, den langsam sinkenden Spaßfaktor ein wenig ansteigen zu lassen und für das erste Highlight zu sorgen: „Goccia di Carnia” von „De Spar” stammt in dritter Linie aus dem Regal der gleichnamigen italienischen Supermarktkette, in zweiter Linie aus dem benachbarten Friaul und in erster Linie aus der „Fleons-Quelle”, welche dort auf 1370 Metern Seehöhe nördlich von Forni Avoltri aus den Karnischen Alpen sprudelt. Die gestrenge Jury zückt 3 Einser, 10 Zweier und 6 Dreier: 41 Punkte sind zunächst die klare Führung, das vorherrschende Gefühl dazu ist Erleichterung und der Energetiker legt das Produkt ausdrücklich anwesenden Blasenleidenden ans Herz.

Ob es nun am „gefilterten Bamberger” liegt oder am „Goccia di Carnia”, beim persönlichen Kredenzen der nächsten Flasche kämpfe ich ein wenig mit Gleichgewichtsstörungen. Was Ende August wahrscheinlich ganz normal ist. Die Anonymität der Standardgebinde ist besonders spannend, wenn man selber an der Reihe ist. Das Wasser kommt mir zwar bekannt vor, aber wenn ich es zuordnen müsste, würde ich vermutlich kläglich scheitern, obwohl ich es als frisch, erfrischend und sauber mit einer wohlschmeckenden Zwei belohnen würde. Während ich intensiv über die mögliche Herkunft nachgrüble, regnet es unzählige Vierer, welche die „Polana-Quelle” (immerhin meine Lebensretterin an unzähligen heißen Heu-Sommertagen dort) mit nicht weniger als 62 Punkten ins hintere Tabellendrittel spülen. Meine Rhetorik ist unter Schock kurzfristig auf stand by. Kleiner Trost: Franz lobt die Wirkung auf die Nieren. Na immerhin.

Während ich ob der desaströsen Polana-Wertung nochmals verzweifelt und vergeblich nachrechne, ist Sabine mit vorbildlicher Zügelhaltung und im versammelten Arbeitsgalopp längst schon beim nächsten Wasserlassen. Dieses schmeckt sich irgendwie an, wie die flüssige Schweiz, nur halt ohne Berge und damit ohne Höhen und Tiefen – völlig neutral, keine Ecken oder Kanten, emotionslos. Ein Durchlaufposten. Unbedingt durstlöschend, gewiss, aber ohne dabei in Erinnerung zu bleiben. Mit soliden 53 Punkten wird der „Gottestal-Brunnen” im soliden Mittelfeld wenig Aufsehen erregen.

Helga zählt zweifellos zu den Menschen, die besonders glücklich sind, wenn sie andere glücklich machen dürfen (zB mit altbewährten, neuen und oft gewagten Kreationen aus ihrer Küche), die aber ebenso glücklich sein können, wenn sie andere unglücklich machen (zB mit ihren Grundschlägen an der Tischtennisplatte). Bedauerlicherweise beweist sie beim mutigen Griff ins verbleibende Sortiment kein besonders gutes Händchen: Selbst wenn Startnummer 8 keine unmittelbar letale Wirkung ausübt, so empfindet man den Ausschank zumindest als mittel- bis hochgradig kontaminiert. So in etwa würde ich mir Grundwasser aus entweder städtischen Ballungsräumen oder intensiv gedüngten ländlichen Gebieten vorstellen. Trotz gesetzlicher Grenzwerte schmeckt es nach einem Suizid auf Raten, etwas Chlor und Jod könnten nicht schaden. Franz zückt erstmals die Fünf,  Claus erkennt das Unglück im Ansatz und der Verdacht bestätigt sich sofort: Es ist die Unplugged-Version der Bamberger Wasserwerke: „Ungefiltertes Bamberger Wasser”. 79 Punkte, letzter Platz. Jeder lacht, obwohl es nichts zu lachen gibt.

Die nächste Sorte stellt Heinz auf die Platte und weil es in einer Talsohle kaum tiefer bergab gehen kann, geht es  gleich deutlich bergauf. Die „Einsiedlerquelle” aus dem gleichnamigen Tabor-Abri kann das nun wieder besser gelaunte Wasserprobenpublikum in der emotionalen Mittellage überzeugen und übernimmt mit 40 Punkten hauchdünn die Führung. Heimniederlagen lassen sich bestimmt verschmerzen, aber Heimsiege sind mir natürlich wesentlich lieber.

Bert bringt nicht nur die nächste Wasserflasche mit, sondern vor allem seine stets gutgelaunte Freundlichkeit. Damit gewinnt er bei Bedarf jedes Bewerbungsgespräch und fährt außerdem Bonuspunkte ein. Dabei tappen die Wassertester im Dunklen und in die erste Stolperfalle, denn einige Gewässer wurden doppelt eingelagert. Die „Polana-Quelle” landet bereits zum zweiten Mal in den Gläsern, wird aber diesmal mit 54 Punkten deutlich besser eingestuft. Mir hingegen schmeckt sie jetzt gar nicht, meine 4 ist hochgradig peinlich, steht aber leider schwarz auf weiß in der Wertung. Vor kleinen Irrtümern in den Stromschnellen dieser Veranstaltung ist allerdings niemand gefeit – der Energetiker lobt die Wirkung auf Galle und Leber.

Weils so schwierig ist serviert Jaqueline ungewollt den nächsten Doppelgänger, erneut unterscheidet sich die Wertung deutlich vom ersten Versuch. Je nach Jahreszeit und Intensität der Niederschläge kann sich möglicherweise der Härtegrad des Wassers verändern. Dass sich die Wertung in 10 Minuten um 12 Punkte verschiebt, zählt dann zu den Mysterien einer Wasserprobe: Die „Einsiedler-Quelle” erhält bei ihrem zweiten Start 52 Punkte. Schwer zu erklären, wie sich Meinungs- und Geschmacksnuancen in kürzester Zeit ändern können.

Walter ist es bestimmt, den Leuchtturm des Abends zu präsentieren. 5 Einser, 8 Zweier und 5 Dreier küren einen neuen Tabellenführer und der plätschert keine 20 Meter entfernt 24 Stunden täglich ins Brunnenbecken: „Aqua Miklerale Naturale”. Der folgende, rege Meinungsaustausch entwickelt sich wenig wissenschaftlich, eher halb- bzw. unwissenschaftlich. Wahrscheinlich ist die Runde einfach zu groß, um zu den Quintessenzen vordringen zu können und wie soll man über Wissen nachdenken, von dem man zu wenig weiß ? Etwas schlauer könnte man nach der zehnten Wasserprobe sein. Im Augenblick ist mir das aber herzlich egal: Unser Wasser liegt vorne !!!! Wunderbar.

Die Nacht und ihre Teilnehmer bleiben weiterhin unberechenbar und rationale Erklärungsversuche die Ausnahme. Verspätet schlurft Jakob mit dem nächsten Kandidaten um die Platte. Er hat wahrscheinlich eine kurze Nacht gehabt und diese wird wohl auch nicht wesentlich länger werden. Leichte Ermüdungserscheinungen kann man allerdings in mehreren Gesichtern wahrnehmen, so etwas wie eine „Wassererkennungskompetenz” sucht man hingegen auch in Runde 13 der Kneipp-Kur vergeblich und findet sie nicht einmal dann, wenn ein Kandidat en suite eingeschenkt wird. Die zweite Wertung fürs „Aqua Miklerale Naturale” unterscheidet sich deutlich vom ersten Versuch. Das kann verstehen, wer will.

Mit Anne wird es pädagogisch extrem wertvoll, denn in den Wassergläsern landet (noch anonym) ein Produkt, für welches viele der gerade testenden Konsumenten im Supermarkt und in der praktischen 1.5-Liter-Flasche ohne mit der Wimper zu zucken wohlfeile 75 Cent auf den Tisch legen, üblicherweise im praktischen Sechserpack. Hier werden sämtliche Hygienestandards erfüllt, alles ist bis in den letzten Inhaltsstoff getestet,  es wird mit appetitlichen Werbeslogans angepriesen und hat Rang und Namen. Einziger Nachteil: Es schmeckt nicht !!!! Statt Einsern und Zweiern in Serie werden Dreier, Vierer und Fünfer verteilt und als Startnummer 14 einen Namen erhält…ist das Erstaunen groß: „Vöslauer ohne”, ein hiesiger Branchenprimus. Siege von Quellen-Underdogs (noch dazu, wenn es die eigenen sind) übers Mineralwasser-Establishment waren so nicht zu erwarten und lösen bei mir  zwar keine überbordende Schadenfreude, aber zumindest zufriedenes Amüsement aus. Wenn flüssige Sollbruchstellen auch bei den Anwesenden einen Nachdenkprozess auslösen sollten, hat sich der Aufwand gelohnt.

Was jetzt noch kommt, kann nur mehr Zugabe sein. Maximilian ist der vorletzte Ritter einer Wasserschlacht, die sich ihrem Ende zuneigt. Was er zum Besten gibt, wird an diesem Abend viel zu kalt serviert, denn die übliche Betriebstemperatur liegt bei ca. 28 Grad und bereitet, in sternenklaren Nächten darin badend, normalerweise deutlich mehr Freude, als es die 56 Punkte auch nur annähernd erahnen lassen: Das „Maibachl” verkauft sich etwas unsentimental und mit 56 Punkten eher unter Wert.

Leicht hängende Mundwinkel und allseits klimpernde Nierensteine signalisieren einen gewissen Wasser-Sättigungsgrad. Alina bringt im Stile einer großen Schauspielerin die Challenge souverän und unaufgeregt ins Ziel. Das „Wiener Hochquellwasser” reißt zum Abschluss keine Bäume mehr aus, die Bilanzen fallen zwar positiv, aber zwiespältig aus, das Feuer ist heruntergebrannt und verbreitet schon mehr Rauch, als Licht.

Zeit nachzulegen, die Nacht ist noch immer jung und läuft Gefahr, in istrianische, friulanische und schottische Bahnen gelenkt zu werden. Morgen in der Früh werde ich mich (wieder einmal) für sie entschuldigen müssen. Das wohl größte Problem beim frommen Leitspruch „Carpe Noctem” stellt wohl irgendwann der chronische Schlafmangel dar. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte, die nicht erzählt werden muss.

1.     Aqua Miklerale Naturale     38

2.     Einsiedler-Quelle       40

3.     Goccia di Carnia      41

4.     Aqua Miklerale Naturale     49

5.     Einsiedler-Quelle      52

6.     Gottestal-Brunnen     53

7.     Polana-Quelle    54

8.     Maibachl       56

9.     Polana-Quelle      62

10.    Mittagskogel-Wasser     63

11.    Nationalpark-Wasser aus den Nockbergen  64

12.    Wernberger Klosterwasser    64

13.    Wiener Hochquellwasser     67

14.    Bamberger Wasser, gefiltert   68

15.    Vöslauer ohne     70

16.    Bamberger Wasser, ungefiltert   79

„Die Frage, wie man seinen Körper tagtäglich mit Flüssigkeit versorgt, sollte man sich gut überlegen. Denn sie ist extrem wichtig für die Gesundheit. Zahlreiche Studien würden beweisen, dass der Konsum von Wasser als Ersatz für Softdrinks zur Vermeidung von Adipositas beitragen könnte. Doch die WHO schätzt, dass der Verbrauch von Softdrinks in den nächsten fünf Jahren weiter ansteigen wird. Das bedeutet, dass parallel dazu die Zahl der Menschen mit Übergewicht weiter steigen wird und damit jene der Diabetespatienten”.

(Oberösterreichische Nachrichten, 10. 08. 2016)

Ein besonderer Ausritt

von Kati Szangolies

Es gibt Momente im Leben, die einfach mehr als nur besonders sind, nämlich einfach unbeschreiblich! In diesem Schreiben möchte ich von so einem Moment berichten.

! Achtung ! Freie Interpretation. :o)

Mein Traum war es seit Kindheitstagen, einmal mit einem Pferd im Galopp durch den Wald zu reiten (Klein-Mädchen-Traum). Ich kannte lange Zeit nur das englische Reiten. Galopp im Wald während der Reitstunde war also ziemlich unwahrscheinlich. Aber auf dem Mikl-Hof wurde mein Traum dann wahr.

Fertig ausgerüstet mit Reitstiefeletten und Chaps ging es in den Stall zum Striegeln und Hufe auskratzen. Dann Satteln und Trensen. Dummerweise hatte es eine halbe Stunde vorher angefangen zu regnen. Und selbst dann als die Pferde fertig waren, schüttete es immer noch. Also, fünf Minuten warten und raus. Der Regen hatte schon sehr nachgelassen.

Pferd Santo vorne weg, Lenzo und danach Bingo ging es in Richtung Wald.

„Hmmm! Ein Ast zum Fressen! Der Reiter merkt das bestimmt nicht…”, dachte Bingo – doch ich bemerkte es sehr wohl. „Nix da, futtern kannst du später.” „Menno”

Hier ein Blatt, dort ein Ast, der einem ins Gesicht hängt, da ein rutschiger Stein – jede “Problematik” wurde überwunden.

Dann war es endlich soweit: „Wir würden da vorne mal ein Stück galoppieren. Ist das Okay?” „Ja! Super!”

Ich sah wie sich die Vorderpferde in Bewegung setzten und wenige Sekunden später galoppierten. Ich brauchte Bingo gar nichts zu sagen, der merkte schon, dass jetzt die Abwechslungsstrecke kam.

Anmerkung:  Ich bin im Schulbetrieb eigentlich immer ein Pony geritten. Und wenn es dann hieß: Galopp, dann immer eine gemütliche, im Takt bleibende Gangart. Aber das war ein Pony gewesen…

Sssssssssssssip! Und wech! Aber so richtig! Bingo legte los, als ob wir gejagt worden wären. Ein breites Lächeln legte sich über mein Gesicht. Ich spürte wie die Umgebung an uns vorbei schoss und der Wind mir entgegen kam. Schön!

Es fühlte sich fast so an… ja – als ob wir fliegen würden… Ich sah nach unten. Uuups! Wir befanden uns wirklich ca. 1 m über der Erde! „Bingo, tust du fliegst?” Ein bejahendes Schnauben kam zurück. Das konnte doch nicht wahr sein! Kein Pferd kann fliegen! Ich sah nach unten – und glaubte meinen Augen nicht! Das war doch nicht die Wirklichkeit! Unter den Steigbügeln hervor kamen zwei Flügel aus Federn!! Sie hatten die gleiche Farbe wie Bingos Fell und bewegten sich auf und ab! Wir nahmen an Höhe zu! „Bingo, was machst du da?” „Fliegen!”, schoss es mir durch den Kopf. „Hast du auch noch telepathische Fähigkeiten?!” „Jip!” Oha! Wir flogen immer höher und höher, bis der Wald tief unter uns lag. Die Aussicht von hier oben war einfach atemberaubend! Ich breitete die Arme weit auseinander und atmete die Luft tief ein. Aber ein bisschen ängstlich war ich schon… es war ziemlich hoch. „Bingo, ich möchte lieber wieder auf den Weg zurück!” „Na gut.” Es gab noch einen kleinen Schlenker und wir kamen wieder sanft auf dem Waldboden an. Hansi und Ines warteten schon auf uns. „Na? Wie war’s?” „Super!” „Ist Bingo wieder abgehoben?!” „Ja. Aber es war super toll!” „Das stimmt, die Aussicht ist immer ganz prima. Nur wenn man Höhenangst hat, vielleicht nicht so.”

Auf dem restlichen Weg sind wir noch zweimal galoppiert, bzw. geflogen.

Doch auch der schönste Ausritt muss einmal ein Ende haben und wir kamen wieder auf dem Hof an, saßen ab und führten die Pferde in die Boxen. Beim Abtrensen musste ich die Frage, die mir schon die ganze Zeit im Kopf herumspukte, einfach stellen. „Wieso kann Bingo eigentlich fliegen?” „Also seine Mutter konnte das nicht. Aber es gibt Gerüchte, dass sein Vater ein Pegasus-Pferd sein soll. Naja, und von dem hat er dann halt das Fliegen geerbt.” „Und wo hat er die Flügel jetzt im Moment?” „Eingepackt unter dem dicken Winterfell am Bauch.”

Fazit des Rittes: Nur Reiten, äh… Fliegen ist besser!

Die „kleine” Querfeldein-1,2,3,4,5-Gipfel-Tour

von Bettina N.

An einem Mittwoch, Mitte August startete Hansi mit 4 Männer, 2 Frauen, 3 Jugendlichen und einem Kind um 9.30 Uhr zu einer Querfeldein-Wanderung, die von verschiedenen Gästen gewünscht wurde.

Angestrebt wurden die 5 Gipfel

Tabor (724 m)

Wauberg (689 m)

Rudnik (717 m)

Erzberg

Bleiberg (772 m )

immer mit der Möglichkeit nach jedem Berg auszusteigen (Aussage laut Hansi).

Los ging es bei hervorragenden Wetterbedingungen…

… abseits der normalen Wanderwege, teilweise auf allen Vieren,  in schnellem Tempo einmal um den Tabor rum bis zum Gipfel und auf der anderen Seite wieder runter. Vorbei ging es auf Pfaden unter den Felsen, an „wahrscheinlich” vorzeitliche Übernachtungsstätten (kleine Höhlen) oder privaten Klettermöglichkeiten.

Die Sonnenstrahlen scheinen durch die Blätter, es ist angenehm kühl.

Nach ca. 1,5 h waren wir wieder im Tal und weiter ging es zum nächsten Ziel, dem Wauberg. Im Gegensatz zum Tabor war das fast ein Spaziergang.

Oben auf dem Gipfelareal erfuhren wir einiges über die vorgeschichtliche Funde und noch erkennbare Gebäudereste einer Burg. Auch eine ehemalige Zisterne wurde ausgegraben. Beim Querfeldein-Runterlaufen lernten wir, dass es besser ist zu rennen als langsam runter zu steigen. Somit erhöhte sich das Tempo enorm. Zumindest bei einigen.

Wir fliegen den Berg hinunter und der Boden ist herrlich weich.

Nun waren wir richtig warmgelaufen, also machten wir uns gleich weiter zum Rudnik.

Wir laufen in den Spuren des Vordermannes und sinken in zentimeterdicke Blattschichten ein. Wahnsinn, wie langsam die Verwesung/Zersetzung im Wald von statten geht.

Dieses mal war es etwas steiler, das hohe Tempo blieb aber. Unsere jüngste Teilnehmerin (Finja, 7 Jahre) hatte spätestens jetzt ihren Spitznamen „Bergziege” erhalten. Sie machte vorne immer wieder Tempo und rannte förmlich die Berge rauf und runter. Martin machte das Schlusslicht und sammelte alle wieder ein, bis auf einmal. Da hat sich eine kleine Gruppe kurz vor dem Gipfel abgesetzt und den Rest verloren. Das war nicht so gut, Hansi war vorne viel zu schnell (schimpf L). Nach einigem Suchen und Schreien waren aber alle wieder vereint. Auf diesen Schrecken gab es oben eine kleine Rast und einen schönen Ausblick auf die Polana.

Eben bei dieser kamen wir unten dann auch an. Um unsere Wasserflaschen zu füllen, haben wir dort am Brunnen kurz Halt gemacht und die Mikl-Pferde bewundert. Jetzt wäre eine Möglichkeit gewesen, auszusteigen und Heim zu laufen. Wir waren aber alle so in der Bewegung drin, dass die ganze Gruppe weiterlief.

Den Erzberg ging es rauf. Es wurde wärmer und wir waren froh, dass wir im schattigen Wald unterwegs waren.

Wenn es mal ruhig war konnte man die Regentropfen vom abendlichen Gewitter von Blatt zu Blatt fallen hören.

Aber meistens gab es interessante Gespräche und die Präsenz der Natur verschwand im Hintergrund. So waren wir auf einmal wieder oben. Dazwischen blieb uns immer wieder Zeit für eine Trinkpause, für Sagen, Legenden und einen wunderschönen Blick auf die Karawanken und die Drau. Vorbei kamen wir auch an einem Belüftungsschacht einer Erzmine. Und so langsam machte sich die körperliche Anstrengung bemerkbar.

Unten wieder angekommen überquerten wir einen kleinen Bach, kurzes durchatmen vor dem letzten Aufstieg zum Bleiberg.

Ein plötzliches Naturschauspiel haben wir gleich danach erlebt, weil wir ein Wespen- oder Bienennest im Boden durchwandert haben. Urplötzlich rannten einige wie „gestochen” in sämtliche Richtungen. Panik, bis geklärt war, was eigentlich los war. Es gab dann mehrere Stiche und so mach geschwollenes Gelenk.

Jetzt wollten wir ganz schnell nach Hause. Mit den letzten Kraftreserven ging es über den Gipfel und ab nach Petschnitzen.

Einige Aussagen der Teilnehmer:

– In Deutschland müsste man für solchen einen „Workout” (Kraft, Ausdauer) schon für 1,5 Stunden 150,– Euro bezahlen.

– cool, so ohne Norm

– Es ist immer wieder erstaunlich, dass man auch nach 8 Jahren noch neue Wege kennengelernt hat.

– Die Tour war unkonventionell, informativ, ambitioniert, abseits aller Wege.

– Der Tabor war am besten, weil es fast wie klettern war.

– Die Tour ist wirklich eine Alternative zu den großen Gipfeln.

– Man muss auch mal an seine Grenzen kommen.

– Am Anfang liefen wir noch alle schön hintereinander, zum Schluss liefen wir unkoordiniert und entkräftet hoch und runter

Fazit dieser tollen Tour: Alle sind nach 12 Kilometer und insgesamt 661 Höhenmeter körperlich angestrengt, geerdet, mit teilweisen Blessuren, sehr dreckig aber glücklich nach 5 Stunden angekommen. Nur das Adjektiv bei der Ankündigung (siehe Überschrift) müsste geändert werden. Es war nicht die „kleine” sondern die „schnellste” Querfeldein-1,2,3,4,5- Gipfel-Tour.

Die Dopamin (Glückshormon)-Ausschüttung war enorm – wir haben wieder mal erleben dürfen, welche tiefe Faszination und welche Ehrfurcht die Natur – und hier speziell der Wald – in uns auslösen kann.

Bergtour 2016

von Paulina Bösch

Wir fuhren los, noch ca. 1130km, das war es was ich mir immer dachte. Und da war noch etwas, ein Hintergedanke daran, dass wir dieses Jahr hoffentlich eine Bergtour machen, damit auch ich das einmal miterleben darf. Die Schlafsäcke waren gut verstaut im Dachkoffer.

Eineinhalb Wochen schöner Urlaub mit der Frage, klappt die Bergtour?

Denn bis dahin war das Wetter noch nicht so geeignet dafür. Doch dann erzählte Hansi, dass wir die Bergtour nun doch noch kurz vor Abreise machen können, und zwar auf den Mallestiger Mittagskogel. Ich schaute mir oft diesen Berg an und fragte mich, wo man dort oben bitte schlafen sollte. Denn das sah alles ziemlich kantig aus. Am Mittwoch, den 3.8.16 fuhren wir dann um 16:30 los bis zum Baumgartnerhof, wo unsere Tour starten sollte. Aus einer erwarteten großen Gruppe, blieben dann am Ende doch nur Hansi, Luca, mein Papa(Volker), meine Mama(Sonja), meine Schwester(”Die große Sophie”) und natürlich ich(Paule) übrig.

Wir zogen unsere Schuhe an, schnürten unsere Rucksäcke fest und waren bereit. Ich spürte schon jetzt die Hitze in mir aufsteigen, als wenn in mir ein Feuer der Motivation ausgebrochen wäre. Doch mit den ersten paar Schritten schwand dieser Gedanke auch schnell. Denn nun spürte ich meine Gelenke, wie der Schmerz schon bei der ersten Steigung voller Geröll langsam meinen Körper eroberte. Die Augen zugekniffen, wegen der prallen Sonne, wanderten wir also im Entengang den Weg entlang. Der nächste Anstieg bestand aus einem schmalen Slalomweg aus Treppen von Wurzeln, die anderen schon weit vor mir. Ich sah sie mit Leichtigkeit diesen Weg meistern und fragte mich immer wieder, warum ich eigentlich die Einzige war die so langsam voran kam. Mal rechts, mal links. Abgrund aus Bäumen und Laub. Zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht klar, dass der Begriff ”Abgrund” für mich heute noch eine ganz andere Bedeutung bekommen würde. Ab da waren wir die meiste Zeit unter Bäumen, weshalb die Sonne uns auch keine Probleme mehr machte. Wir machten eine kurze Pause, wo ich nun merkte, wie mir der Schweiß schon jetzt die Stirn und den Rücken hinab floss. Doch weil ich so langsam war, ging es auch eigentlich direkt schon weiter, als ich zu den anderen aufschloss. Weiter ging es auf dem nächsten Slalomweg, der nun aber meist von Gestrüpp gesäumt war. Hier und da ein Schmetterling, eine Hummel, Ameisen so weit das Auge reichte und auch eine Schlange war dabei. Ab und zu schlich sich die Sonne einen Weg durch die Bäume und strahlte die Blumen noch einmal wunderschön an. Genau diese Dinge waren es die mich irgendwie anspornten, um motiviert weiter zu machen. Ohne zu denken, dass ich ja das langsame Schlusslicht war. Außer die Ameisen, die haben definitiv das Gegenteil erzeugt, denn diese Tiere sind ekliger als manch eine Schnecke. Klein und eklig krabbeln sie überall rein, ohne das du es merkst und erschrecken dich zu Tode, wenn sie plötzlich auf deinem T-Shirt krabbeln. Ich spürte nun auch meine Schultern und meinen Rücken, wie es auch dort anfing zu ziehen durch das Gewicht des Rucksacks. Dann kam meine Mama auf eine super Idee. Wir fragten Luca, ob er mir nicht etwas abnehmen könnte. Was er natürlich zu meiner Erleichterung sofort tat. Er war sowieso derjenige bei dem wir uns alle fragten, wo er bitte all seine Sachen verstaut hatte oder ob er nicht irgendwas vergessen hatte. Denn im Gegensatz zu unseren Rucksäcken, war seiner winzig und vor allem nicht randvoll, wenn da dann sogar noch mein Schlafsack mit hinein gepasst hat. Es ging also weiter mit weniger Gewicht auf dem Rücken. Was ich allerdings nicht wirklich gespürt habe. Eine Wasserquelle, um die Flaschen aufzufüllen und sich einmal das kalte Wasser über Gesicht und Arme laufen zu lassen, um diese ein wenig abzukühlen, kam gerade rechtzeitig. Das Wasser erzeugte ein wunderschönes Geräusch und wenn man die Augen schloss hat man für einen kurzen Moment alles andere um sich herum vergessen. Nach ca. eineinhalb Stunden hatten wir die Mitzl-Moitzl-Hütte erreicht und konnten uns endlich mal ein wenig ausruhen und etwas essen. Ein paar Bilder hier, ein paar Bilder da, die Aussicht auf den Faaker See genießen –  und weiter.

Als uns plötzlich ein paar Biker von oben entgegen kamen waren wir alle sehr überrascht. Denn der Weg war alles andere als geeignet, um da mit dem Fahrrad hinunter zu preschen. Doch diese beiden hatten anscheinend genug Mumm ein starkes Gefälle voller Geröll hinunter zu rasen. Der Aufstieg war hart. Andauernd rutschten einem die Steine unter den Füßen weg und ich hielt mich mit den Händen am Boden fest. Dann sah ich den Abgrund, rechts hinunter und ich wäre in Null Komma Nichts wieder unten. Dort gingen wir noch ein wenig auf und ab am Grad entlang, Links Slowenien, Bäume und man hörte die eine oder andere Kuhglocke läuten. Rechts Österreich, der Abgrund und der perfekte Blick auf den See und auf Villach. Nun waren wir oben, nach gerade mal zwei Stunden und fünfzehn Minuten. Wir suchten uns einen Platz zum Schlafen und richteten uns ein. Alle schon fertig, war ich natürlich diejenige, die immer noch auf der Suche nach dem perfekten Schlafplatz war. Was allerdings auch nicht so lange dauerte, denn ich stellte fest, dass es halt überall verdammt ungemütlich war. Ich entschied mich letztendlich doch für einen Platz neben Sophie. Mama und Papa hatten sich ebenfalls zusammen eingerichtet und Hansi und Luca hatten sich auch einen schönen Platz ausgesucht. Im Nachhinein denke ich mir, dass Hansi eindeutig am Gemütlichsten geschlafen hat, denn er hatte so einen schönen Muldenplatz. Wir machten noch einen kurzen Ausflug zum Gipfelkreuz, auf welches Hansi natürlich direkt nochmal hinauf klettern musste, da ihm anscheinend der Gipfel selbst noch nicht hoch genug war. Es entstanden noch einmal ein paar schöne Bilder von Villach und dem See.

Dort oben war es kalt und windig, was mich ein wenig an Norddeutschland erinnerte. Wir gingen schnell zurück, um den Sonnenuntergang zu beobachten. Man ließ noch einmal alles Revue passieren und die letzten Sonnenstrahlen auf der Haut wirken. Dann wurde es auch schlagartig noch kälter und wir entschieden uns einfach ein Lagerfeuer zu machen. Es brannte wunderschön. Wir setzten uns alle rundherum und man spürte sofort, wie einem wärmer wurde. Den ganzen Tag auf Kälte gehofft und dann ein Feuer machen weil man fror. Wir Mädels ließen unsere verschwitzen T-Shirts am Feuer trocknen und schlugen um uns, um fliegende Funken zu löschen. Man hörte die Flugzeuge hier oben viel lauter und man könnte fast sagen, dass sie die Idylle störten. Trotz des Feuers konnte man die Sterne gut erkennen und vor allem die Milchstraße war sehr deutlich zu sehen. Um ca. elf Uhr legten wir uns zum Schlafen, nachdem wir noch einmal ein paar Bilder von Villach bei Nacht gemacht hatten und wir Lichtzeichen mit Mattis und Nathan austauschten, die beide auf dem Hof geblieben waren.

Bis ich einschlief dauerte lange. Das Feuer glühte nur noch ganz leicht als ich das letzte mal hinüber schaute. Mir war kalt, trotz fettem Pullover und Mütze. Ich sah zum ersten Mal in meinem Leben eine Sternschnuppe und nicht nur eine, sondern sehr viele. Irgendwann hörte ich auf zu zählen ich wachte sehr oft auf und wollte mich umdrehen, doch der Schlafsack war total nass, der Boden hart und ich bekam Platzangst in dem Teil. Ab vier Uhr dreißig schlief ich gar nicht mehr und setzte mich auf. Ich sah wie alle noch friedlich schliefen, dick eingepackt, außer Luca, der hatte nur eine kurze Hose an und einen Schlafsack, der nur aus ein bisschen Stoff bestand. Ich fragte mich wie er das bitte aushielt. Ich starb fast und er schien friedlich zu schlafen. Ich beobachtete wie sich der Himmel hinter den Bergen langsam orange-rot färbte. Gegen kurz nach fünf wachten dann auch die Anderen auf. Dann ging alles ganz schnell. Wir machten uns fertig und packten die Sachen zusammen um den Sonnenaufgang zu beobachten. Auf einem kleinen Hügel, ein Stück weiter vorn, konnte man alles perfekt verfolgen. Es war herrlich und es hatte sich wirklich gelohnt. Von hier oben hatte man nochmal eine ganz andere Einstellung zu diesem Berg. Denn wenn man so in den Abgrund hinab schaute wirkte alles noch viel respekteinflößender als von unten.

Der Abstieg ging schnell. Die meiste Zeit waren Luca und Hansi nur zwei Punkte weit unten, denn sie haben es vorgezogen, auf dem Geröll hinunter zu sprinten. Alles zog, meine Gelenke streikten und ich war komplett k.o.. Die Steine unter den Füßen rutschten beim Abstieg noch schneller als beim Hochgehen und ich rechnete damit, dass ich jeden Moment hin fliegen würde. Ich blieb mit Papa weiter hinten, um entspannter hinunter zu gehen, was bei diesem Abstieg aber recht schlecht ging. Denn die Erdanziehung ,beschleunigt mein Tempo automatisch. Die Bäume vor mir waren jedes Mal eine Rettung, wenn ich mich gegen sie fallen ließ, um nicht zu stürzen. Auf dem gesamten Weg kamen uns nur vier Wanderer entgegen. Mama und Sophie verpassten irgendwann mal eine Abzweigung aber stießen auch schon kurze Zeit später wieder zu uns. Jetzt war es nicht mehr weit, der Wegweiser zeigte 40 min., doch wir machten kurzer Hand 15 daraus. Nach ca. einer Stunde zwanzig waren wir am Ziel. Nur Mama riss es auf den letzten Metern dann doch noch zu Boden. Ich zog meinen Rucksack runter und meine Schuhe aus, ich brauchte Luft. Nach 14 Stunden war unsere Bergtour also zu Ende.

Es war eine einmalige Sache, da bin ich mir irgendwie sicher. Aber egal wie anstrengend es auch gewesen ist, es war wunderschön neue Erfahrungen zu sammeln und an seine Grenzen zu kommen. Der Ausblick hat alles entschädigt. Ich bin stolz auf uns und vor allem auf mich, dass ich es trotz meiner Schmerzen durchgezogen habe. Ich möchte Euch danken, dass Ihr an mich geglaubt habt, vor allem Hansi, denn ohne ihn hätte ich das niemals erlebt.

DANKE Und an Alle die überlegen an so einer Tour teilzunehmen: Schnappt Euren Schlafsack, packt warme Sachen ein und zieht das Ding durch. Es ist anstrengend, aber niemand von Euch wird es je bereuen.

 

DER LANGE WEG ZUR BERTHAHÜTTE

von Hansi Mikl

(Die nächsten zwei Wochen in der geschützten Wauberg-Werkstätte)

Vorsatz:

„Archäologie ist die Suche nach Fakten. Nicht nach der Wahrheit. Wenn sie an der Wahrheit interessiert sind – Dr. Tyries Philosophiekurs ist am Ende des Ganges”.

(Indiana Jones, „Der letzte Kreuzzug”))

Die Wahrheit ist, dass es viele Wahrheiten gibt und jede einzelne davon ist je nach Perspektive unverschämt dehnbar und individuell verschieden. Deshalb ist es auch nicht immer ganz klar, ob man in der Wirklichkeit unterwegs ist, oder nur in einem Film, dessen Drehbuch man nicht geschrieben hat. Es gibt jedenfalls kein funktionierendes Patentrezept gegen die ständigen Unwägbarkeiten des eigenen Lebenslaufes, in dem man selbst mit gutem Profil jederzeit ausrutschen kann und darüber hinaus nie vor Grenzerfahrungen sicher ist, die man so gar nicht machen wollte. Aber wenn man die einzelnen Lektionen mit Humor, Leidensfähigkeit und einer Menge Sarkasmus zu wertvollen Erinnerungen weiterverarbeitet, lernt man mitunter tatsächlich dazu und trifft manchmal sogar den Punkt, an dem man die eigene kleine Welt ein wenig aus ihren knarrenden Angeln heben kann. Was sind denn schon kleine persönliche Siege und Niederlagen im Angesicht einer über 6000jährigen Geschichte ?

Repräsentativ für die unkalkulierbare Eigendynamik der Ereignisse möchte ich nur die Spitze des massiven Eisberges kurz erwähnen:

Du bist mein Schatz!

Die Archäologische Fundstätte am Wauberg in Kärnten wurde mit 27,55 % der Stimmen zum Lieblingsdenkmal der Österreicher/innen gewählt.Auf tv.ORF.at konnten die Zuseher/innen bis Donnerstag, den 24. September, entscheiden, welcher der neun gezeigten „Schätze”, das Lieblingsdenkmal der Österreicher/innen wird. Am Freitag hat Barbara Neubauer, Präsidentin des Bundesdenkmalamts, in „Kultur Heute”, die Archäologische Fundstätte am Wauberg in Kärnten als Sieger bekanntgegeben.

VI. Wauberg, Archäologische Fundstätte Kärnten

Indiana Jones am Faaker See.
Eigentlich wäre die östliche Erhebung oberhalb des Faaker Sees, der Wauberg, relativ überschaubar – wäre da nicht die Legende von einer mittelalterlichen Burganlage, mittlerweile vollständig unter der Erde begrabenAnlass genug für Biobauer Hansi Mikl, der Sache auf den Grund zu gehen: 2015 wurde von der Stadt Villach beschlossen, eine archäologische Grabung in die Tiefen des Waubergs zu unternehmen. Was dabei allerdings zutage getreten ist, hat eine viel weitreichendere Geschichte bis in die Kupferzeit.

http://tv.orf.at/orf3/stories/2730972/

Diese Episode ist klarerweise nicht ganz spurlos am Wauberg vorübergegangen und war publicitymäßig ein willkommener Steigbügelhalter für eine weitere Grabung. Nur waren die Folgen längst nicht durchwegs positiv.

Zwischen zwei Grabungskampagnen also eine konstante, langanhaltende Aneinanderreihung von Allianzen und Mesalliancen mit durchwegs erstaunlichen Begebenheiten, auf deren weiteren und genauen Verlauf ich aus einer Vielzahl von sehr guten Gründen nicht näher eingehen sollte. Unter meinem Teppich ist jede Menge Platz.

Nur so viel:

Ehe das Wauberg-Projekt an den Start ging, nahm mich meine Frau (übrigens eine sehr pfiffige Frau) ernsthaft zur Seite und warnte mich sehr eindringlich vor den Geistern, die ich damit wecken könnte. Die nämlich, die man nicht mehr los wird, wenn man sie erst gerufen hat. Ich schlug ihre Warnungen zwar nicht gleich in den Wind, war aber relativ überzeugt, jedwede Geister mit altbewährten Übersteigern, Körpertäuschungen oder wenigstens mit überzeugenden Argumenten irgendwie in den Griff kriegen zu können. Mit fast 50 ein reichlich optimistischer Ansatz, denn rückblickend handelte es sich nicht um ein paar vereinzelte Geister, sondern eher um eine durchgehend vollbesetzte Geisterbahn, die sich weder an Grundregeln und Ruhezeiten, noch an Geschwindigkeitsbeschränkungen hielt. Das dringende Bedürfnis, diese Geisterbahn einfach entgleisen zu lassen überkam mich regelmäßig. Manchmal saß ich in unerwartet auftauchenden Parallelwelten der unvorhersehbaren Winkelzüge, des Tarnens, Taktierens, Täuschens und Verschleierns tatsächlich kurzzeitig am Lenkrad, aber im Normalfall war ich nur staunender Passagier. Unterwegs auf dem langen Weg zur Berthahütte traf ich also, ob ich wollte-sollte oder nicht, viele fanatische und fantastische Figuren:

Aufstrebende, smarte Filmemacher, leidenschaftliche Archäologen, Leiden schaffende Archäologen, sattelfeste Paragraphenreiter, strenge Hüter der politischen Korrektheit, gemütliche Fremdenverkehrsteilnehmer, gnadenlose Jäger neuer Geschichten, dunkle Nachtschattengewächse aus der Raubgräber-Community, abenteuerliche Geologen, die Phosphorbomben abwarfen und Gletscher schliffen, unverbindliche Individualisten, rationale Nonkonformisten, in allen Gassen hansdampfende Energetiker…. und last but not least spannende Frauen aus der Unvergesslich-Schublade und als Gegenpol völlig unzuverlässige Damen aus der Ganz-ganz-schnell-vergessen-Rubrik. Unfassbar. Am Ende der Wartezeit und am Anfang der zweiten Grabungskampagne kann ich jetzt zumindest mit der Erkenntnis punkten, dass die Zukunft bei andauernden Ausnahmezuständen nur bedingt planbar ist, besonders dann, wenn man in der Tiefe der Zeit mit so vielen verschiedenen Vergangenheiten konfrontiert wird.

Damit wäre mir, so ganz nebenbei, eine extrem kalorienreduzierte, fast zuckerfreie Einleitung gelungen, von der Zeitersparnis und Nervenschonung ganz abgesehen.

Im vergangenen Jahr machten wir uns eher leichtfüßig und unbedarft auf den Weg, um etwas noch Unbestimmtes zu suchen und hätten bestimmt nicht damit gerechnet, dass die Folgen des Findens unser Leben verändern könnten. Ob die breiter gewordene Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit während der zweiten Kampagne ein wenig schmaler wird, darf getrost bezweifelt werden. Der Interpretationsspielraum zwischen Annahme und Vermutung ist vor Beginn der Grabung unverschämt breit und lässt viel Platz für gewagte Theorien und fromme Wünsche. Sicher ist nur, das nichts sicher ist.

Sicher ist wenigstens, dass wir in der öffentlichen Wahrnehmung den beachtlichen Sprung von gerade noch zeit- und steuergeldverschwendenden Spinnern zu jetzt plötzlich seriösen (Er)Forschern geschafft haben, damit über etwas breitere Akzeptanz verfügen und sogar in der Fachwelt Begehrlichkeiten wecken konnten. Was ist denn schon Know-How ohne Know-Why ? Die Genugtuung tut genug für uns.

Doch nicht genug.

Ein paar Tage vor dem Start irrt sich Frau Holle gewaltig in der Jahreszeit und schüttelt als verspätetes Weihnachtsgeschenk spät im April eine 40 Zentimeter dicke Schneeschicht über die blühende Vegetation. Bäume stürzen, Äste brechen, Geduldsfäden reißen, Bandscheiben knirschen, Stimmungsbarometer sinken …..aber aufgegeben werden höchstens Briefe. Es gibt Motorsägen, aber keine Verschiebungen, der 2. Mai ist wie geplant der 1. Grabungstag.

Tag 1, 2. Mai 2016

Zeit, die (un)geregelten Ordnungsstrukturen des Alltags zu verlassen und neue Wirklichkeiten aus alter Zeit zu ergraben. Theoretisch jedenfalls. Praktisch fällt der Plan mit intensiven Regenfällen vorerst gehörig ins Wasser. Das Wetter hält sich nicht an individuelle Wünsche, sondern exakt an die Prognose, diverse Stoßgebete verpuffen ungehört in den tiefhängenden Wolken. Der Kachelofen im Frühstücksraum spendet Wärme und Trost, das neue Teambuilding beginnt bereits zeitig mit klingelnden Termin-Telefonen und Krisenmanagement-Smartphones. Claus ist mit Operationsnachwehen zwar noch ein wenig schaumgebremst (dafür ist seine Frau Andrea als Teilzeit-Krankenschwester und Ganzzeit-Seelentrösterin vor Ort), aber grundsätzlich guter Dinge. Sein Kompagnon Günther wird uns ein paar Tage lang mit Rat und Tat zur Seite stehen, er sorgt schon jetzt mit sparsamer, aber treffsicher gezielter Wortwahl in angespannter Lage und im aufs Notwendige reduzierten fränkischen Dialekt für durchaus willkommene Stimmungsaufhellungen. Erstmals mit in der Grabungsmannschaft ist auch Andreas, ein langjähriger Weggefährte aus Baden-Württemberg und aus vielen Sommern, 100% Zuverlässigkeit auf zwei Beinen. Vor Pfingsten mischen sich munter die Mundarten: Bayern, Schwaben, Franken, Steirer, Kärntner. Im Laufe des Vormittags ist das Montags-Line-Up fast komplett: Mit Lilly schneit eine alte Bekannte von der Vorjahresgrabung herein, neu hingegen ist der zweite Grabungsleiter….Martin wird für die Frühgeschichte verantwortlich sein. Die aktuelle Wetterlage kommentiert er wortlos mit einer selbstgedrehten Zigarette, im entstehenden Rauch wird die leicht vernebelte Weltsicht möglicherweise erträglicher. Soll so sein. Kurze Aufhellungen bringen zwar etwas Hoffnung, aber noch keine Wetterbesserung. Das mühevolle Totschlagen der Wartezeit wird bald sinnvoller: Claus präsentiert gewohnt lebendig und eloquent eine flotte Zusammenfassung der 2015er-Kampagne, kurzweilig werden die Funde präsentiert und besprochen, Martin übernimmt gleich die Retrospektive der Bronze- und Kupferzeitscherben. Erstmals wird die Spannung spürbar, denn wir werden ziemlich sicher Erfahrungen machen und Ergebnisse erzielen, die nicht immer dem persönlichen Geschmack entsprechen könnten.

Der Regen trägt der allgemeinen Aufbruchsstimmung schließlich Rechnung und lässt tatsächlich nach, das Vetterlingomobil hat seinen ersten Einsatz. Durch feinen Sprühregen, tiefe Pfützen und den letzten Schnee von gestern geht es zu einem ausführlichen Lokalaugenschein auf den Wauberg. Der seifige Zehendner-Steig testet ohne Vorlaufzeit die Trittsicherheit und das Lungenvolumen der Debütanten. Der Übermut hält sich in Grenzen. Die Begehung gestaltet sich ziemlich ausführlich, die ersten beiden Schnitte werden nach genauem Geländestudium erwartungsgemäß und brüderlich zwischen Mittelalter (Claus) und Vorgeschichte (Martin) geteilt. Ein großer Schnitt (3×3 Meter) wird relativ zentral im „Kraftfeld” erfolgen und soll Fakten zur Frühgeschichte (Kultplatz oder Siedlung oder Kultplatz und Siedlung oder weder noch ?) ans Tageslicht bringen. Der zweite Versuch wird etwas weiter nördlich, bereits im Wald und wohl schon im einstigen Burgbereich gestartet. Genau dort nämlich vermutet Claus den Zugang zur Anlage.

Auf Marianos Initiative hin wird auf dem Kraftfeld ein kleines „Schnittlauch-Experiment” gestartet. Ein Exemplar wird in den Vorjahresschnitt gepflanzt, das andere Versuchskaninchen wird in einem Topf unmittelbar daneben ums Überleben kämpfen.

Feuchtkalter Rückzug hinunter ins Basislager.

Bei angenehmen Kachelofen-Temperaturen, Kaffee und Keksen entwickelt sich nicht ganz unvermutet eine hitzige Raubgräber-Diskussion, die sich später nach dem Abendessen zunehmend entspannt und langen, zielgerichteten Gesprächen Platz macht. Zu weit fortgeschrittener Stunde startet eine kleine Wahrsager-Challenge auf Kaffeesud-Niveau: Jeder bringt seine Erwartungen zu Papier, die Entwürfe landen bei Claus und werden am Ende der Grabung veröffentlicht. Der Wettbewerb ist zwar nicht hochdotiert, aber immerhin: Der Sieger erhält ein paar Flaschen „Hirter 1270″. Also sitze ich um Mitternacht noch am Schreibtisch und formuliere im Halbschlaf leicht melancholisch an Dingen herum, die vielleicht passieren werden oder auch nicht. Und doch ist jeder Satz echter Leidenschaft und noch echterer Neugier geschuldet. Die Gedanken beim Einschlafen drehen sich munter im Kreis, obwohl ich die Initiationsrituale längst hinter mir habe. Der Wauberg raubt mir jetzt schon die Energie…aber er gibt sie mir hoffentlich irgendwann wieder doppelt zurück. In fünfeinhalb Stunden klingelt der Wecker.

Tag 2, 3. Mai 2016

Als der Wecker dann klingelt frage ich mich schon, was mich eigentlich glücklich macht. Das unausgeschlafene Einheizen der Öfen ist es jedenfalls nicht. Der allmorgendliche Alltagsparcours umfasst außerdem den Koppelgang der Pferde, diverse Stallarbeiten, Grabungs-Vorbereitungen, einen kurzen Flug über die Tageszeitung  und andere Notwendigkeiten. Erst dann kann endlich der Traktor in Stellung gebracht werden. Der Dienstag verspricht zum Montags-Gegenentwurf zu werden…es ist zwar eher kühl, aber hinter den Wolken blinzelt schon vergnügt die Sonne durch. Das Vetterlingomobil stößt an seine Kapazitätsgrenzen: Neben Unmengen an Werkzeug und Proviant  quetschen sich zu Grabungsstart in Ölsardinenmanier Claus, Günther, Andreas, Mirko, Lilly und Martin auf vier Heuballen in den Anhänger. Die Zufahrtswege sind tief und matschig, der Zehendner erneut eher selektiv. Nach kurzer und gemeinsamer Verschnaufpause mit schönen Aussichten nach Osten in den Kärntner Zentralraum verteilt sich die Crew schon bald auf die geplanten zwei Bereiche. Unterm Blätterdach der Buchen macht man sich auf die Suche nach dem Mittelalter, etwas tiefer unten, mitten auf der kleinen Lichtung des „Kraftfelds” geht es etwas umfangreicher in noch weiter entfernte Zeitalter. Claus und Günther bearbeiten natürlich das (im wahrsten Sinne des Wortes, weil sehr schattig) dunkle Mittelalter und Martin überwacht ebenso natürlich die Arbeiten im Urgeschichtsbereich, der Rest ist flexibel und darf es auch sein. Die beiden Grabungsleiter dirigieren ihr Personal überaus moderat und am langen Zügel. Praktischer Geschichtsunterricht und aufregende Spurensuche in einer improvisierten archäologischen Montessori-Schule, wenn man so will. Ich begebe mich gerne und ununterbrochen auf Zeitreisen und mache mich abwechselnd auf beiden Baustellen nützlich. Die ersten Funde lassen nicht allzu lange auf sich warten. Die Burg liefert Teile einer Bodenplatte aus Terracotta, einige Dachziegelstücke und immer wieder ein paar Scherben. Leider taucht im oberen, nördlichen Bereich schon bald der gewachsene Fels auf, während das Gelände etwas südlicher steil abfällt, keinerlei Indizien für den gesuchten Weg.

Im großen „Kraftfeld-Schnitt” schaufeln wir uns zunächst durch eine dicke Wachstumsschicht aus schwarzer Erde und Steinen, darin findet sich vorerst noch Mittelalter-Keramik, aber tiefer kommend wechseln langsam die Zeitalter. Knochenfunde, Scherben und immer wieder Hüttenlehm untermauern massiv einen (mindestens) bronzezeitlichen Siedlungsbereich, den ich spontan und Martin zu Ehren „Berthahütte” nenne. Der kleine Scherz bürgert sich ernsthaft ein und wird in den offiziellen Sprachgebrauch übernommen. Nachmittags besuchen uns Ines und Andrea mit guter Laune und einer Überdosis Kaffee, dazu wird frischer Reindling aus „Gertis Mehlspeisenmanufaktur” kredenzt. Mit Andi verstärkt ein weiterer Archäologie-Lehrling von 2015 das Team. Nichtsdestotrotz kommen feiner Sand und grobe Steine ins Getriebe: Erstens muss die Grabung noch wesentlich genauer als im Vorjahr dokumentiert werden, was zweitens einen erheblichen Zeitaufwand für Vermessungs- und Fotoarbeiten darstellt und dadurch drittens für zeitweise und unfreiwillige Arbeitslosigkeit bzw. Untätigkeit unter den Schatzsuchern sorgt. Viertens fehlt leider ein wichtiger Bestandteil der Vermessungs-Software. Das fehlende Teil lagert unterdessen weit entfernt in Bamberg (die zuständige Dame wird, ohne es zu wissen…tagelang in akuter Lebensgefahr schweben), soll aber nach einem reinigenden Gewitter bereits postalisch auf dem Weg zum Wauberg sein. So weit, so schlecht.

Kurzerhand und notgedrungen wird eine dritte Baustelle als Beschäftigungstherapie eröffnet. Der Standort scheint gut gewählt, er befindet sich ca. 10-15 Meter westlich der Berthahütte, etwas außerhalb des „Kraftfelds” im Bereich einer wallartigen Geländeformation oberhalb des Wanderwegs. Die Euphorie ist dementsprechend groß. Unerwartet stellt sich jedoch schon bald tiefe Ernüchterung ein, unter einer eher dünnen Schicht aus Humus und Wurzeln stoßen wir sofort auf den Trias-Dolomit. Definitives Ende im Gelände ohne einen einzigen Fund !!!!

Der Feierabend wird seinem Namen trotzdem gerecht, denn es geht in entspannter Runde kohlenhydrat- und glückshormonetankend in die „Nudelfabrik”. Die Dreierkombination aus Zitronenpesto, Schinken-Käsesauce und Pasta Siciliana bleibt allerdings nicht der einzige Höhepunkt. In München gewinnen die Bayern gegen Atletico Madrid zwar mit 2:1, verlieren aber trotzdem. Der lange Dienstag endet nicht vor Mitternacht.

Tag 3, 4. Mai 2016

Fast perfektes Grabungswetter mit einem freundlichen Mix aus Sonne und Wolken bei passablen Temperaturen, aber ganz im Gegensatz zum Wetter folgt der Mittwoch keinem bestimmten Schema und hat allerlei Turbulenzen im Repertoire. In der morgendlichen Mannschaftsaufstellung fehlt leider erstmals und hoffentlich letztmals Claus, der bis Mittag via Telefon und Internet die dringende Vermessungs-Software auftreiben will. Mit Günther, Martin, Andreas, Mirko und Lilly ist die Besetzung trotzdem ziemlich schlagkräftig und verteilt sich pünktlich auf die drei Schnitte. Gründliche Nacharbeiten im Mittelalter mit interessanten Befunden, aber ohne besondere Funde. In der Berthahütte wird munter weitergespachtelt und dokumentiert, im vermaledeiten „Leider-nein-Schnitt” ist außer Felsen genau gar nix gewesen. Bei so vielen Leuten läuft die Arbeit Gefahr….. knapp zu werden, Andreas wechselt mit mir die Fronten. Unten im Dorf, gefühlte Lichtjahre entfernt, bearbeiten wir mit Rasenmähern und Motorsense erschöpfend das Gelände.

Claus´ stundenlange Software-Bemühungen waren vergebens, noch nie habe ich ihn so niedergeschlagen und genervt erlebt. Gemeinsam geht es am frühen Nachmittag zurück in die geschützte Wauberg-Werkstätte, Angriff ist die beste Verteidigung. Eine kleine, aber notwendige Krisensitzung verläuft in einer konstruktiven „Was-man-nicht-ändern-kann-muss-man-aushalten-Atmosphäre” ausgesprochen entspannt und hat ausgesprochen spannende Folgen: Günther regt mit guten Argumenten eine Verlängerung der Mittelalter-Suche nach Süden an und ich bekomme wunschgemäß einen weiteren Anlauf im Kraftfeld, unmittelbar unter der Berthahütte und direkt neben dem Premium-Schnitt der Vorjahres-Kampagne. Alles Schlechte hat also auch sein Gutes.

Die neuen Aufgaben werden mit großem Elan in Angriff genommen und erste Früchte können bald geerntet werden. Im neueröffneten Mittelalter-Shop landet interessante Keramik auf dem Tresen, die nicht unbedingt besonders mittelalterlich aussieht, aber auch nicht gerade urgeschichtlich. Spätantike vielleicht ? Claus und Günther sind unschlüssig. In der kleinen Berthahütte finden wir in der obersten Schicht noch etwas Mittelalter-Keramik, danach schon erste Scherben aus der Bronze- oder Kupferzeit. Das konzentrierte Arbeiten in absoluter Ruhe oben auf dem Berg ist ein deutlicher Gegensatz zur Hektik der „ganz normalen Arbeitswelt”, die man dann in der Abgeschiedenheit der Grabung gar nicht mehr als ganz normal empfindet. Man sucht und findet möglicherweise Dinge, die menschlicher und beseelter sind als die latente kollektive Vereinsamung am Smartphone. Dieses behutsame Distanzlegen zum Alltag geschieht übrigens vollautomatisch und so kann es durchaus passieren, dass sich beim Finden plötzlich eine Verbindung zum Vorbesitzer aufbaut, der hier vor Jahrtausenden unterwegs war. Das sind keine seichten Erfahrungen aus dem leichten Fach der selfiedominierten Jetztzeit, da wird glatt ein Hauch von Spiritualität spürbar. Wer solche Sachen erlebt, fährt nicht völlig unverändert nach Hause.

Dort warten mit etwas Verspätung die gewohnten Haus&Hof-Standard-Jobs. Halbwegs pünktlich werfe ich den Grill an, das Abendessen ist diesmal gleichzeitig eine mit Zehendner-Bier und speziellen Bratwürsten unerhört fränkisch angehauchte Abschiedsfeier für Andrea und Günther, die uns morgen verlassen werden. Zu den üblichen Verdächtigen gesellen sich im Laufe des Abends und der Nacht ……besondere Gäste und spezielle Ereignisse ans Lagerfeuer. Kurt bringt, bestens gelaunt, gute Nachrichten und eine Einladung zur Eröffnung einer „Welt der Römer”-Ausstellung im Villacher Stadtmuseum. Nach Mariano greift zu fortgeschrittener Stunde unaufgefordert und gekonnt auch Martin zur Westerngitarre und sorgt mit beachtlicher Fingerfertigkeit und eleganten  Blues-Interpretationen für allseits weit heruntergeklappte Kinnladen. Leider geht die Mitternachts-Einlage völlig in die Hose, der Versuch einer Annäherung oder gar einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen den Archäologen und einem Sondengänger endet mit heftig-deftigen Streitgesprächen lautstark in einer Sackgasse. Als Mediator fühle ich mich trotz ehrlicher Bemühungen in jeder Hinsicht gescheitert, am Ende der Geisterstunde werden keine Friedenspfeifen geraucht, sondern die letzten Handtücher geworfen. So entstehen Legenden. Wie passend.

Tag 4, 5.Mai 2016

Erwartungsgemäß beginnt der Feiertag, der keiner ist, viel zu früh und außerdem mit ein paar Regentropfen. Wenigstens trocknen die Tränen schnell, der Rest von Christi Himmelfahrt bleibt trocken und wechselnd bewölkt. Der morgendliche Terminkalender ist mit Standardarbeiten und Überraschungsanrufen brechend voll, über der Holzbanklehne auf der „Präsidenten-Lounge” hängt eine Stofftasche mit einer vielversprechenden Botschaft: „Vermehrt Schönes”. Na dann. Ab 9 brechen wir weiterhin ohne Vermessungs-Software, aber mit viel Personal in Richtung Wauberg auf. Zu Mirko, Lilly, Claus, Günther und Andreas gesellt sich der schulfreie Mariano. Und der sondiert gleich recht erfolgreich im Steilhang und in den Wurzelballen vom Schnee gefällter Bäume: Ein großes Messer und schöne Keramikfragmente belohnen die Strapazen !

Ansonsten das gewohnte Switchen zwischen den Schnitten und Zeitaltern, unterbrochen von umfangreicher Dokumentation mit improvisierter Vermessung, Fotografie und Beschreibung. Die dadurch entstehenden kreativen Pausen werden individuell unterschiedlich genützt: Mirko und Andreas liegen gemütlich in der Sonne, Lilly zieht den Schatten vor und ich klettere mit meiner Kamera so hoch wie möglich in die nächstbeste Buche, um „Luftaufnahmen” von den Arbeitsplätzen und deren Bearbeitern zu ergattern. Gegen Mittag kommen noch Ines, Andrea und Andi. Beim heiter-besinnlichen Schießen von Erinnerungsfotos im Gruppenmodus wird die Gegenwart bereits zur Antiquität, Andrea und Günther verlassen uns am Nachmittag in Richtung Bamberg. Jammerschade.  In der kleinen Berthahütte findet sich als Trostpflaster und Sehenswürdigkeit eine attraktive Scherbe: Vucedol ? Lasinja ? Langobardisch ? Es gibt Meinungsschwankungen.

Der felsige „Leider-nein-und-außer-Spesen-nichts-gewesen-Schnitt” wird fein säuberlich geputzt und abschließend nochmals vermessen und abgelichtet. „Auch ein negativer Befund ist ein Befund”….Martin kommentiert die Pleite gewohnt trocken und eine diesbezügliche Wette mit Claus endet versöhnlich und mit einem leistungsgerechten Unentschieden. Das übliche Zusammenstellen der Werkzeuge unter einer Baumgruppe beschließt den Grabungsdonnerstagtag, später Rückzug gegen 17Uhr45.

Ein paar Stockwerke tiefer warten schon hungrige Tiere und durstige Pflanzen, die Rest-Energie verpufft am Hof. Gemeinsames Abendessen und lange Gespräche, Meinungsverschiedenheiten, Meinungsübereinstimmungen und Diskussionen im Frühstücksraum, das Heute endet wieder und wie üblich erst im Morgen. Nach Mitternacht wälze ich mich über einen großen Gedanken-Stapel unruhig in den Schlaf.

Tag 5, 6. Mai 2016

Gott, wie ich diesen Wecker hasse !!! Ein Königreich für einen Vorschlaghammer !!! Mit kleinen, unausgeschlafenen Augen lasse ich den Blick über die Morgenarbeiten und das sonnige Panorama schweifen. Der allgemeine Optimismus hängt am seidenen Faden des langersehnten Eintreffens der Vermessungs-Software, die nun schon seit Tagen per „Eilpost” unterwegs ist, ohne je angekommen zu sein. Logistik hat nicht viel mit Logik zu tun, weiterhin keine Spur von der DHL. Das lokale Krisenmanagement trifft sinnvolle Entscheidungen: Ab 9 transportiere ich Martin, Mirko, Lilly und Clemens zum Wauberg, dann mache ich mich mit Motorsägen, Spaltäxten, Andreas und Mariano über zähe Korkenzieherweiden und andere Opfer des frühlingshaften Wintereinbruchs her. Claus wartet nicht gerade gutgelaunt am Laptop auf den großen, weißen DHL-Transporter. Bis 12Uhr30 fliegen die Fetzen, zwei Holzstiele brechen, dann breche ich mit Claus und Andreas erneut zur Ausgrabung auf. Gute Geister aus Bogenfeld haben ein unverhofftes Gulasch- Kaffee & Kuchen-Mittagessen heraufgeschafft. Weil Liebe bekanntlich durch den Magen geht und Geduld eine Tugend ist…..ist die Mannschaft trotzdem guter Dinge. Als die Töpfe und Kannen leer sind…trifft Eilpost-Bote Mariano endlich mit der Software ein – der Jubel ist groß, die Erleichterung spürbar, Claus fällt bestimmt eine Steinlawine vom Herzen und die unbekannte Dame mit dem Schwarzen Peter ist vorläufig aus dem Schneider. Im solchermaßen tiefenentspannten weiteren Verlauf des Nachmittags werden in beiden Berthahütten passable Fundstücke geborgen. Das Timing ist mitunter erstaunlich: Gerade, als der Berthahüttenwirt himself überaus behutsam, ja fast zärtlich… eine richtig hübsche Scherbe (Standardzitat bei richtig hässlichen Scherben: „Schönheit ist kein Kriterium !!!”)!) aus der mittleren bis frühen Kupferzeit aus dem Erdreich herausoperiert, trifft Dauer-Wauberg-Guide Mariano mit Martins Mutter im Schlepptau auf dem Kraftfeld ein. Die Zeit spült noch weitere Zaungäste auf die Baustellen, Claus und Mirko betätigen sich bereitwillig als mobile Informationssäulen. Wegen des Vermessungsrückstandes wird das Arbeitsende erneut weit hinausgezögert. Spät erst rollt das Vetterlingomobil in einen ruhigen Abend. Martin verabschiedet sich bis zumindest morgen in Richtung Klagenfurt, die Ritter der Tafelrunde verbrauchen den Rest des Tages ob der nicht gerade lauen Temperaturen gut geheizt im Frühstücksraum, wo man sich die Nächte mit dem Erzählen von Anekdoten und dem Analysieren von Ereignissen so lange verkürzt…bis die Nacht wieder nur sechs Stunden lang sein wird. Das nennt sich dann Tradition.

Tag 5,5….7. Mai 2016

Die Woche findet kein Ende. Weil das Wetter gut ist und wir längst nicht im Plansoll liegen, beschließen wir, mindestens den halben Samstag in die Weiterarbeit zu investieren. Der Plan ist, um 8 Uhr zu starten und der Plan funktioniert. In der ambitionierten Wochenendpauschale finden sich Claus, Mariano, Andreas, Mirko und Lilly ein. Die Motivation hat sich nicht abgenützt, der lange Vormittag verläuft in geordneten Bahnen durchaus erfolgreich. Die aktuelle Schicht der großen Berthahütte wird akribisch durchgeputzt. Dabei fallen uns nicht nur viele Scherben in die Hände, am Nordrand unterwandert die ungeschminkte Wahrheit langsam unsere kühnsten Träume: Dort stehen unzählige Scherben senkrecht…es sieht ganz so aus, als wären wir in einer uralten Abfallgrube gelandet !!!! Ein absoluter Glücksfall, leider wird die Selbstbeherrschung auf eine harte Probe gestellt – wir müssen auf den Montag und Martin warten. Mit Mirko und Mariano reagiere ich mich im „Leider-nein-Schnitt” ab, er verschwindet im Handumdrehen und auf Nimmerwiedersehen unter der Erde. Unterdessen sind Claus und Lilly im Mittelalter fündig geworden….möglicherweise ein Ofenboden oder aber der Teil einer zeitgenössischen Warmluftheizung. Claus hat sein breitestes Grinsen aufgesetzt und auch der Rest scheint mit der Gesamtsituation ziemlich zufrieden. Die Welt der kleinen Ausgrabungs-Kommune scheint im Plus. Der Idealismus der Teilzeit-Alltagsflüchtlinge findet am frühen Nachmittag trotzdem ein jähes Ende: Der Weg zum Strand muss dringend freigeschnitten werden, Ines und Andreas kämpfen sich mit mir durch geknickte Äste und Bäume und durch den Lärm der Motorsägen und der GTI´s, die an der nahen Hauptstraße ihr Unwesen treiben…bis ans Wasser vor. Der kleine Kurzurlaub unter blauem Himmel und weißen Wolken ist nicht von langer Dauer.

Claus hat nämlich so etwas wie eine „Archäologische Tagung” organisiert, zu der sich nicht nur Martin und Lilly, sondern auch vier ausgesprochen muntere Archäologinnen aus allen möglichen Teilen Österreichs einfinden. Der erste Programmpunkt des kurzweiligen, aber straffen samstäglichen Veranstaltungskalenders besteht logischerweise aus einer Exkursion zu den Originalschauplätzen der Wauberg-Grabung. Der Authentizität und Einfachheit halber übernehme ich am Rande eines umherziehenden Gewitters den rustikalen Heuballen-Transport. Der Wauberg mit dunklen Wolken, Donnergrollen und starken Windböen wird bei allen Beteiligten gewiss bleibende Eindrücke hinterlassen haben. Mir persönlich beschert die kleine Bergtour der Fachleute- und-innen immerhin eine verlorene Wette, denn der steirische Meister der Selbstdisziplin widersteht den Verlockungen des Abfallgruben-Scherbenmeeres. Bravo, Martin.

Während im Frühstücksraum breit und lang Fundstücke untersucht und bewertet werden bin ich schon mit dem nächsten Tagesordnungspunkt beschäftigt und setze mit Buchenästen ein Grillfeuer in Gang. Leichter Nieselregen verlegt das Abendessen leider hinter den Kachelofen. Mit Johanna kann man sich zwar fließend unterhalten, alles hat Hand und Fuß, Sinn und Zweck, aber oft ist ihr Redefluss zu schnell für mich. Möglicherweise bin ich aber auch einfach nur zu langsam für sie, zwischendurch treffen wir uns kurz in der Mitte. Astrid fachsimpelt vorwiegend mit Claus, Satzfragmente vergangener Ausgrabungen wehen über den Tisch. Wenn Kathrin in lebendigem Salzburger Dialekt von Sondengängern und Raubgräbern erzählt, klingt das überaus erfrischend. Zwischendurch stelle ich fest, dass die Anzahl der Normalsterblichen eigentlich ziemlich überschaubar ist: Andreas, Clemens und ich.

Kaum ist die Stimmung lyrisch genug, beginnt eine Bierprobe mit beachtlicher Frauenquote, die erst Stunden später und für Martin erfolgreich endet – sein „Schladminger Bio-Zwickl” schießt (warum auch immer) den Vogel ab und gewinnt hauchdünn. Die Damen flüchten irgendwann ins Land der Träume. Claus, Martin und ich haben den längsten Atem und stellen uns um 2 Uhr die entscheidende letzte Frage: „Gehen wir ins Bett ?”

Tag 6, 9. Mai 2016

Wohl aus Gründen der Wiedergutmachung beginnt die zweite Grabungswoche mit solidem Schönwetter und einem abwechslungsreichen Montag. Die Arbeitsabläufe haben sich längst verselbstständigt, jeder kennt die Aufgabenbereiche und jeder bringt sich nach Kräften ein. Diesmal helfe ich Claus bei den Vermessungen, obwohl diese eine eher einschläfernde Wirkung auf mich ausüben. Das Prisma hat kein Charisma. Martin, Andreas, Lilly und Mirko werkeln hingegen in der großen Berthahütte konzentriert vor sich hin. Bei Mirko löst der Fund einer besonderen Scherbe mit Fischgrätmuster einen merklichen Wandel aus. Waren seine Motive bisher vordergründig vom ständigen Suchen nach brauchbarem Material für sein Buch überlagert, so bekommt man nun zunehmend den Eindruck, er würde langsam begreifen, dass es hier im Hintergrund um wesentlich mehr geht. Demut ist angesagt – wir ziehen immerhin gerade in eine Hütte aus der Bronze- oder gar Kupferzeit ein. Hier haben vor verdammt langer Zeit Menschen gelebt und wir sind ihrem Leben hautnah auf der Spur. Berührend, beängstigend, faszinierend. Auch Andreas schafft Schritt für Schritt den Qualitätssprung vom Sucher zum Finder. Der helle Montagvormittag bringt noch viele schöne Scherbenfunde. Claus spachtelt, pinselt und dokumentiert derweil einsam in seinem Mittelalter vor sich hin, ich schaffe vom Wipfel meiner Buche aus die nächsten bleibenden Erinnerungen aus der Vogelperspektive. Selten waren die Mittagspause und die Mittagsjause entspannter.

Nachmittags gesellt sich auch Andi wieder zu uns. Der erste Schnitt im Bereich der Burg wird wieder zugeschaufelt, die Baustellen reduzieren sich damit auf 3. In der kleinen Berthahütte haben wir uns im unteren Drittel bereits bis auf den Felsen hinuntergeschürft. Bei einer der häufigen Stippvisiten in der großen Berthahütte stoße ich in der Nähe der „Fundgrube” auf einen merkwürdigen Stein, der auf den ersten Blick (selbst Martin trägt diesem Umstand mit einem für seine Verhältnisse sehr markigen „wtf” Rechnung – beinahe Poesie !!!) wie vollständig erhaltene Keramik aussieht, nach dem „Klopftest” mit der Kelle aber als – eben – Stein identifiziert wird. Auf den zweiten Blick eine kleine Enttäuschung, allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass es sich bei diesem Exemplar um keinen ganz gewöhnlichen Stein handelt. Leider darf ich ihn noch nicht bergen, ringsum wimmelt es von Scherben, Martins Blick beim zweiten Versuch beseitigt die große Lust und jegliche Zweifel. Etwas später ist meine Welt wieder vollständig im Lot: Ich erbeute mitten in der Hütte eine mutmaßlich bronzezeitliche Tonspule in hervorragendem Erhaltungszustand. Der aufmerksame Grabungs-Paparazzi ist sofort zur Stelle, meine linke Hand und die Tonspule laufen Gefahr, in Mirkos neuem Buch zu landen. Spezielle Funde wie dieser erzeugen nicht nur ein kurzfristiges Glücksgefühl, sie bringen vor allem den Draht in die Vergangenheit nachhaltig zum Glühen: Mein Gott, wer die wohl zuletzt in Händen hielt ? Wie, wann und unter welchen Umständen ?

Der Grabungsleiter hat für Fragen dieser Art zwar durchaus Verständnis, drängt aber pünktlich um 16 Uhr mit dem Hinweis auf die Uhrzeit zum sofortigen Aufbruch, Proteste eines aufgebrachten Tonspulenfinders schmettert er mit einer fast brachialen Kompetenzaußerzweifelstellung („Ich bin der Chef !!!”) ab. Claus macht natürlich nicht grundlos Stress: Das Wauberg-Grabungsteam soll vollzählig einen offiziellen Termin absolvieren – ab 18 Uhr wird im Villacher Stadtmuseum die Ausstellung „Welt der Römer – Antikes Erbe in Villach und der Region” eröffnet. Kurt, der Museumsdirektor ist ein wohlwollender Mentor des Waubergs und die Stadt Villach finanziert nach der ersten auch die zweite Grabungskampagne. Da kann man dann schon von einer Pflichtveranstaltung sprechen. Dementsprechend sind wir frischgeduscht, etwas adretter als sonst gekleidet und vor allem sehr pünktlich vor Ort und mischen uns unter die Menschenmenge, ohne dabei unerkannt zu bleiben: Der Bürgermeister baut uns spontan und freundlich in seine Eröffnungsrede ein. Mirko erklärt mir, wenn er nicht gerade die Werbetrommel für sein Buch rührt, ausführlich die Villacher A+B-Prominenz, Claus erneuert munter und in üblicher Eloquenz alte Kontakte, CHS-Schülerinnen posieren in römischen Kostümen und zeitgenössischem Schuhwerk, Martin hält sich an einer Flasche Lontium fest, Ines erwischt leider mit einem Glas Essigwasser nach antiker Rezeptur die alkoholfreie und alles andere als geschmacksneutrale Alternative. Netter Abend eigentlich. Lediglich der musikalische Rahmen fällt mir krachend auf den Kopf und ruft mit einschläfernden Klängen eine kurzzeitige Sterbensmüdigkeit hervor. Eine heitere Version von Falcos „Junge Römer” hätte meiner bescheidenen Meinung nach etwas mehr Schwung in den lauen Abend und deutlich mehr Bewegung in die frühsommerlichen Dekolletes der anwesenden Damen gebracht: „Junge Römer – kennt ihr die Sonne noch ? Sie kennt die Sorgen. Junge Römer – die Nacht ist jung wie ihr, vergesst das Morgen”. Hätte aber wahrscheinlich keiner verstanden.

Egal. Die jungen Römer sind jedenfalls ganz schön alt geworden und haben es bis in Kurts Museum geschafft. Und Kurt führt versiert und routiniert durch eine gelungene Ausstellung: Goldmünzen, Rüstungen, Waffen, Keramik, Mosaiken, Werkzeuge, Skulpturen. Für die schaurigen Schlussakkorde sorgt ein sprechender Grabstein.

Aktive und ausführliche Erholung am kalten Buffet, gestaltet nach original römischen Rezepten. Manche Dinge ändern sich auch nach 2000 Jahren nicht: Was gesund ist…schmeckt nicht…und was schmeckt…ist nicht gesund. Weil man höchstwahrscheinlich nur einmal lebt und hinter mir die Sintfluten des Klimawandels und des gesellschaftlichen Niedergangs kommen, plündere ich ohne schlechte Gewissenserforschung die altrömische Dessertabteilung und halte mich im Dutzend an wunderbaren Pflaumen in Speckmänteln schadlos. Die CHS-Römerin in weißen Turnschuhen ist aufmerksam geworden und empfiehlt „Römische Weinbrötchen”. Die Welt mag zwar ein Jammertal sein, aber ich weine trotzdem selten und außerdem ist das Leben zu kurz für „Römische Weinbrötchen”….denke ich mir, sage es aber nicht. Stattdessen bedanke ich mich für den guten Tipp. Bei aller Liebe, trockene Weinbrötchen, ob jetzt römisch, keltisch oder griechisch, sind in Friedenszeiten nur schwer vermittelbar. Andreas ist das herzlich egal, er probiert alles.

Alle Wege mögen nach Rom führen, der letzte Weg des Tages bringt uns aus dem Ausstellungs-Trubel zurück in die geschützte Wauberg-Werkstätte. Was vom Montag noch bleibt, vergeht mit konkreten Nachbetrachtungen und vagen Vorahnungen.

Tag 7, 10. Mai 2016

Der Dienstag beginnt mit starker Bewölkung in unterschiedlichen Grautönen. Nach der Plünderung der römischen Desserts ist strenge Diät angesagt. Also gefalle ich mir in der Opferrolle des gedämpften Büßers und helfe Claus bei unerhört unerquicklichen Vermessungstätigkeiten, während sich Martin, Lilly, Andreas und Mirko in der Berthahütte tummeln dürfen , um sich durch die nächste Schicht zu wühlen und die Scherben der „Fundgrube” zu ernten. Im Laufe des Vormittags werden die Grautöne immer dunkler und just als mit Uli ein neuer Grabungshelfer anheuert, öffnet der Himmel langsam seine Schleusen. Das hilflose Spannen einer Kunststoffplane ohne Unterbau erweist sich ziemlich rasch als völlig sinnlos. Uli erinnert sich eines transportablen Partyzeltes und macht sich wieder auf den Heimweg, um es zu holen.

Claus bastelt unterdessen aus seinem Allwetterschirm und einem Stativ ein zwar wasserdichtes Provisorium, aber die Ausgräber an den Randzonen kommen dadurch praktisch vom Regen in die Traufe und überdies ist es unterm Schirm so düster, dass man kaum mehr erkennen kann, wonach man gräbt. Als die Suche nach Lösungen fast kabarettreifes Niveau erreicht und Mirko sich verzweifelt weitergrabend in die grüne Plane einhüllt, ziehen wir endgültig die Reißleine und beschließen eine Vorverlegung der Kaffeepause, die einigermaßen geschützt unter dem Blätterdach des Waldes stattfindet. Nach einer knappen Stunde lässt der Regen tatsächlich nach und als Uli transportabel mit seinem Partyzelt auftaucht, ist es auch schon wieder trocken.

Die mittelalterliche Zisterne der Vorjahreskampagne muss dringend ausgewintert werden. Weil sich die Begeisterung in Grenzen hält und sich kein Freiwilliger meldet, beiße ich mit Uli in den sauren Apfel. Die alten Mauern wurden im vergangenen November in Heu und Plastikfolien eingepackt, um sie vor Schnee und Kälte zu schützen. In der Zwischenzeit darf das Zisternenerhaltungsprojekt mit dem Tourismusverband leider als gescheitert betrachtet werden, die veranschlagten Kosten waren mit über 40 000 eine zu hohe Hürde. Schade zwar, aber nicht zu ändern. Jetzt tritt Plan A in Kraft: Die gemauerte Rundung wird vom dicken Wintermantel befreit, in den nächsten Tagen sorgfältig mit einem Vlies überzogen, um schließlich im letzten Arbeitsschritt unter Abraum und Erde erneut oder endgültig dem Vergessen anheim zu fallen. Ein wenig Wehmut ist dann doch dabei, ich hatte bereits vergessen, wie schön sie ist. Nun erwartet sie ein Begräbnis zweiter Klasse.

Nach der Mittagspause erreicht der Wauberg-Personalstand mit Andi und Ines rekordverdächtige Höhen …… 9 Leute teilen sich drei Schnitte. Überdurchschnittlich beliebt ist natürlich die große Berthahütte, denn dort wird nicht mühevoll gesucht, sondern nur mühelos gefunden. Fast jedem wird das Vergnügen zuteil, nur Claus wärmt sich meist einsam, aber unverzagt an seinem Mittelalter-Ofen. In der darunterliegenden kleinen Berthahütte ist es vergleichsweise unspektakulär, aber ehe wir auf den gewachsenen Felsen stoßen, findet Andi ein noch immer messerscharfes kleines Silex-Teil, die eine oder andere Scherbe taucht auf und eine kupferzeitliche Pfostenstellung untermauert einmal mehr den Siedlungsbereich, in dem wir uns befinden. Am sinnvollsten wirkt die Zeit jedoch, wenn man sich Wünsche erfüllen darf: Mein Tages-Highlight stellt die glückliche Bergung des markanten Steins neben der „Fundgrube” dar. Die neue Bewegungsfreiheit und das Sonnenlicht des späten Nachmittags machen ihm aber schwer zu schaffen, der glatte Unterteil platzt sofort ab und beim genauen Hinsehen erkennt man erste Risse in seiner Struktur. Gereinigt wird er zukünftig Platz vor unserem Küchenfenster finden.

Spät wie nie und erfolgreich wie selten (zwei Fundeimer sind voll !!!!) rollt das Vetterlingomobil in Petschnitzen ein. Nach dem Abendessen wird in bewährter Manier die Vergangenheit analysiert, die Gegenwart besprochen und die Zukunft gedeutet. Die Müdigkeit kippt uns erstmals vor Mitternacht aus den Schuhen, die Aussichten auf 7 Stunden Schlaf sind verlockend.

Tag 8, 11. Mai 2016

Die Wetterprognosen sind eher trist, aber das Wetter hält sich nicht immer an die Prognosen der Meteorologen und ermöglicht sehr stark bewölkt einen durchwegs trockenen Grabungstag, erst bei der abendlichen Heimfahrt setzt  Regen ein. Pünktlich um 8 startet die Standardbesetzung guter Hoffnung, im Laufe des Tages tröpfeln auch Uli, Ines und Andi herein. Umfangreiche Vermessungs- und Dokumentationsarbeiten am Vormittag, dadurch ergeben sich wieder einige Stehzeiten. Zwischendurch darf die nächste Schicht heruntergekratzt werden, die Stunden ziehen sich wie Kaugummi und sind oft nicht so ausgefüllt, wie man sie gerne hätte. Gegen Mittag besucht eine kleine Tourismusdelegation die Ausgrabungen. Die Interessierten scharren sich um die einzelnen Schauplätze, wo sie von den Grabungsleitern jeweils mehr (Claus) oder weniger (Martin) auf den neuesten Stand der Dinge gebracht werden. Allerdings ist der neueste Stand der Dinge oft nur eine Momentaufnahme mit den Indizien einer vermutlichen Idee, schon morgen kann sich die Diagnose mit neuen Funden und konträren Meinungen verschieben. Gleichzeitiger Antritts- und Abschiedsbesuch bei der Zisterne, dann räumen die Fremdenverkehrsteilnehmer das Feld.

Nach der verspäteten Mittagspause endet das Haltbarkeitsdatum der kleinen Berthahütte, sie verschwindet wieder unter der Erde. In der großen Berthahütte haben die Schichten unterdessen ihr Kolorit markant geändert, im unteren Bereich zeigt sich unmittelbar über dem Felsen eine aschfahle, knochenfarbige Lehmschicht mit Ton- und Holzascheneinschlüssen. Sie erinnert stark an Knetmasse und weist ähnliche Eigenschaften auf, sie löst Irritationen und Diskussionen aus. In den umstehenden Gesichtern kann man Fragezeichen erkennen und auf Martins Stirn kleine Schweißtropfen. Möglicherweise ein kupfer- oder bronzezeitlicher Lehmestrich ??? Lilly bleibt entspannt und kreativ und modelliert spontan eine kleine Henne oder einen Phönix aus der Asche. Kommt Zeit, kommt Rat…. oder aber auch nicht. Vorsichtig müssen wir uns eingestehen, dass wir dieses und andere Rätsel in dieser Kampagne nicht mehr lösen werden können, das Rest-Inventar der „Berthahütte” ist wohl zu umfangreich für die davongaloppierende Zeit. Wer je von der besonderen Atmosphäre uralter, exponierter Siedlungsplätze berührt wurde, der blickt dem nahenden Ende einer Kampagne mit Wehmut entgegen. Die Hinweise, in die Zielgerade einzubiegen verdichten sich nicht nur durch den eher ernüchternden Wetterbericht, sondern zusätzlich mit dem späten Besuch von Jörg, dem für den Wauberg zuständigen Mann vom Bundesdenkmalamt, der sich in zwei Etappen einen Überblick über die Ausgrabungsergebnisse verschaffen möchte. Vor Ort informieren Claus und Martin über die erfolgten Schnitte, später und im Trockenen werden die zahlreichen Funde präsentiert.

Nach dem Essen wird der Abend traditionell mit dem Erzählen von Geschichten und dem Darlegen von vermeintlichen Sachverhalten verlängert, wodurch sich naturgemäß natürlich die Nacht verkürzt. Aufmerksamkeitsdefizite verringern sich, dafür erhöhen sich Schlafdefizite. Ein unterhaltsamer Teufelskreis.

Tag 9, 12. Mai 2016

Der Regen, der diesmal in langen Fäden fällt, ist zwar nicht gewittrig, verhindert aber jeden Gedanken an Arbeit schon im Ansatz. Am Telefon und am Frühstückstisch ist man bemüht, den Vormittag in zielführende Weichen zu stellen. Der einstimmige Beschluss der wenig dramatischen Krisensitzung kulminiert in einem Wort: Villach. Die Zisterne, Claus´ Ofen/Heizung und die große Berthahütte müssen vorm baldigen Zuschütten mit einem Vlies geschützt werden, dieses besorgen wir blütenweiß und von einer riesigen Rolle im Baumarkt unseres Vertrauens. Nebenbei benötigt der lebende Mensch ständig Proviant, die persönliche Erhaltung kann mitunter aufwändig sein. Der günstige Erwerb einer Robert Johnson- Doppel-CD fällt vielleicht nicht unter akute Lebensnotwendigkeiten, sondern ist eher der einen oder anderen fragmentarischen Lagerfeuer-Interpretation von Martin geschuldet, der meinen Kauf eher abschätzig-unbeeindruckt als „Grundausstattung” verbucht. Jammern auf hohem Niveau. Cash & carry bis gegen Mittag, dann lässt,  allen Vorhersagen zum Trotz …der Regen deutlich nach, um bald völlig aufzuhören. In Windeseile wird ein schnelles Not-Nachmittagsessen aus Kaffee und Reindling hinuntergewürgt, ab 14 Uhr sitze ich hinterm Traktorlenkrad, vom Anhänger aus dürfen sich Martin, Claus, Mirko, Lilly und Andreas in Gesellschaft eines verzinkten Schubkarrens die frischgeduschte Landschaft ansehen.

Letzte Fotos in und mit der mittelalterlichen Zisterne, dann beginnen die Begräbnisfeierlichkeiten mit dem Auftragen des Leichentuches. Mit Claus, Martin und Lilly verabschieden sich die sensibelsten Trauergäste in Richtung Kraftfeld. Vermessung, Dokumentation, archeological business as usual. Der harte Kern erweist der großen Liebe des Vorjahres die letzte Ehre. Der Aushub, zu Beginn der ersten Grabung mühsam mit Eimern aus dem Bauloch geschafft und in umliegende Mulden verteilt, wird kurzerhand  exhumiert und landet wieder an seinem Ursprungsort. Während die Zisterne langsam von der Bildfläche verschwindet, fallen erste Tränen aus dichter und dunkler werdenden Wolken.

Der über den Zehendner herbeigeeilte Uli festigt leicht verspätet seinen schlechten Ruf als Regenmacher, kaum betritt er die Bühne, steigert sich das zuvor leichte Tröpfeln zu einem schweren Guss und wir sind mittendrin statt nur dabei. Ein feuchtes Deja-vu. Während ringsum die Welt untergeht, setzt Claus unter seinem Allwetterschirm in aller Seelenruhe die Vermessungsarbeiten fort und bringt sie knochentrocken zu Ende. Ist man erst klitschnass, gibt man Fluchtversuche besser auf will jetzt erst recht die Kälte des Augenblicks mit Schaufeln und Eisenrechen bekämpfen. Die Schauerwolken ziehen freundlicherweise weiter und die begossenen Pudel scharren mit vereinten Kräften die Zisterne zu.

Verdiente Regeneration bei einer kleinen, aber fröhlichen Bier- und Chipsprobe, der späte Donnerstag endet erst am frühen Freitag.

Tag 10, 13. Mai 2016

Der letzte Tag der Grabung stellt eine Gratwanderung zwischen Aufbruch und Abbruch dar, man fühlt sich definitiv zwiegespalten. Das Freitagswetter ist ähnlich unschlüssig. Es verspricht erneut Regen, um dann sogar mit kurzen sonnigen Phasen ganztägig trocken zu bleiben und uns damit das Erreichen der letzten Ziele zu ermöglichen.

Auf der letzten Fahrt hänge ich schon meinen Erinnerungen an die vergangenen Tage nach, ein Autopilot navigiert das Vetterlingomobil auf seiner Abschiedsreise zur Höhensiedlung. Die Waldwege liegen unter eine dicken Matschdecke, der Zehendner macht Mühe. Nur kurz wird am höchsten Punkt die Aussicht inhaliert, dann geht es ans Eingemachte. Die archäologische Expertenrunde mit Claus, Martin und Lilly erledigt letzte Dokumentationsarbeiten in der großen Berthahütte, während die gemeinen Grabungshelfer die vermutliche Heizungsanlage in Vlies verpacken, um sie anschließend mit Buchenästen und Aushubmaterial für eine Fortsetzung zwischenzulagern.

Noch einmal schwinge ich mich für finale Gruppenaufnahmen in die luftigen Höhen meiner Foto-Buche. Weil unten am Boden der Tatsachen Martins letzte Amtshandlungen mit dem Prisma stattfinden, darf ich (un)geduldig die Blüte einer benachbarten Föhre aus nächster Nähe bewundern und als mein Blick über die Baumkronen des Waldes gleitet, fallen mir schöne Details langer Arbeitstage mit meinem Vater ein. Wie schade, dass er die munter fortschreitenden Enthüllungen der Wauberg-Historie nicht mehr miterleben durfte. Mit abschließenden Gruppenfotos wird der Schlüssel in der Berthahütte vorerst umgedreht. Auch sie wird behutsam in weißes Vlies gehüllt, der letzte Akt wird mit Stakkato-Schauflern wie Andreas und Uli vermutlich kurz ausfallen. Claus und ich beginnen mit dem Abtransport der Arbeitsgerätschaften und schleppen gemeinsam die schwere Aluminiumkiste hinunter zum Fuß des Berges. Geteiltes Leid ist halbes Leid. An Traktor und Anhänger gelehnt ziehen wir unter vier Augen erste Bilanzen, die trotz so vieler Stolpersteine und Steilstücke, zufrieden und versöhnlich ausfallen: Der Weg zur Berthahütte war lang und anstrengend, aber er hat sich gelohnt. Geteiltes Glück ist doppeltes Glück. Manchmal fühlt es sich ja doch wie eine freundschaftliche Allianz an, in der es längst nicht um Gott und die Welt, sondern nur um die tiefere Erforschung des Waubergs geht. Da stehen wir im Schatten und denken ein wenig gegen zu große Gewinne und mögliche Verluste an und bedauern den Mangel an Geld und Alternativen. Unterm Strich wissen wir zwar nicht, wie es weitergehen wird, und das ist auch gut so, aber wir denken, dass es irgendwie weitergehen muss.

Ein paar Berg- und Talfahrten später sind die Berthahütte verschüttet und die Werkzeuge eingelagert. Noch einmal zur Abschlusszeremonie über den Zehendner.

Auf dem Kraftfeld wird bereits das Abschiedsmenü aufgebaut: Die überzeugten Humanisten aus Bogenfeld haben mit saurer Suppe klassische Kärntner Küche geliefert, als Zugabe im zweiten Gang gibt es Kaffee und Kuchen. Der Suppentopf ist mit einem blauen „Kärnten – Lust am Leben” –Band sorgfältig verschnürt, der bemühten Köchin kann man feindosierte Ironie –wenn auch unbeabsichtigt- kaum absprechen. Aus einem demolierten Stativ und einer Holzplatte wird ein primitiver Stehtisch zusammenimprovisiert, der sofort einen Hauch von Luxus und Bequemlichkeit vermittelt.

Zwischen Suppe und Kaffee stellt sich schneller als erwartet das Gefühl eines überstandenen Abenteuers ein. Aber schon mit dem letzten Schluck aus dem Wegwerfbecher erlebe ich altbekannte Gesetzmäßigkeiten, bin zeitgleich weggehend-wiederkommend glücklich und traurig und vor allem erleichtert, dass Gratwanderungen zu meinen Stärken zählen. Oben am höchsten Punkt, wo einst der Turm der Burg stand, mit der Aussicht über Wälder und Wiesen, Brücken und Fleischfabriken, Bauernhöfe und Einfamilienhäuser, Flüsse und Seen, über Schwünge von Hügellinien mit der Silhouette von Bergenketten im Hintergrund, bin ich mit Martin schon wieder um Sentimentalitätssenkung bemüht und weil ich einfach nicht aus meiner Haut komme, stelle ich mir trotzdem die unausweichlichen Fragen :

Was war denn ?

Was kommt noch ??

Was bleibt am Ende ???

Die Wahrheit ist, dass es viele Wahrheiten gibt und jedes Ende kann ein neuer Anfang sein.

Aber wer weiß das schon so genau ?

Nachsatz:

„Also vergessen Sie diese Geschichten von verborgenen Städten und die Welt umzugraben. Wir folgen keinen alten Karten, entdecken keine vermissten Schätze und noch nie hat ein X irgendwann irgendwo einen bedeutenden Punkt markiert”. (Indiana Jones)

…und da ein Ende auch immer ein neuer Anfang ist…

…haben wir unsere beiden alten Freunde nicht einfach nur ersetzt, sondern 2 kleinen, jungen Katern die Chance gegeben, Ihnen auf unserem Hof als Mäusepolizei nachzufolgen:

Findus und Columbus

Die beiden sind stets bemüht, uns mit ihren jugendlichen Frechheiten auf Trab zu halten und jagen momentan leider noch alles, was auf dem Tisch steht…

…. und wir sind stetig bemüht, den Räubern noch ein wenig Erziehung zukommen zu lassen, aber ganz ehrlich: Kann man den Zweien lange böse sein?

…und was 2015 noch für uns bereit gehalten hat….

…ein ziemlich später Nachruf auf unseren “besten Kater von Welt” Figo und unsere alte, verschmuste Katzen-Diva-Oma Pepsi, die uns beide ziemlich überraschend dieses Jahr verlassen haben. Sie haben einen festen Platz in unserer Tier-Ahnen-Galerie – und in unserer Erinnerung!

Am Himmel ist die Hölle los….

von Sabine K.

…stand auf der Tafel an der Anmeldung. Ein Event, auf das ich  schon seit Monaten hin fieberte. Nur ganz leise Bedenken: Würde diese Tour an die von 2013 auch nur ansatzweise heranreichen? …

Eine lange Nacht auf einem Berggipfel, unbequem in einem Schlafsack, der sich ständig um einen herumdreht, so dass man sich fühlt, wie eine Wurst in der Pelle. Belohnt durch eine fantastische Aussicht auf einen Sternenhimmel, den man sonst nicht zu sehen bekommt durch ständige, allerörtliche Lichtverschmutzung, mit dem Sahnehäubchen schlechthin: Unzählige Sternschnuppen bekommt man von Laurentius in der Nacht 12./13. August beschert.

Das große Aber: Man muss auf diesen Berg erst einmal hinaufkommen….Und das mit einer Kondition, die sich in meinem Fall Richtung Null bewegt, da Sport im vergangenem Jahr ein Fremdwort war. Egal, irgendwie komm ich da schon rauf, und oben hat man dann ja genug Zeit zum Regenerieren. Mein Vorteil: Martin wurde von der 10jährigen Anna begleitet, die ihre erste Bergtour bewältigte und mit ihren kurzen Beinen natürlich Hansis Affenzahn nicht mithalten konnte. Mit der Ausrede, Motivationshelfer zu spielen, half mir das reduzierte Tempo deutlich und erst als das Gipfelkreuz schon beinahe zum Greifen nah war, fiel ich in mein altes Tempo und kam wie eine Dampfwalze keuchend oben an. Blick auf den Faaker See, die Julischen Alpen, Dobratsch, Mittagskogel und Triglav, und man vergisst sämtliche schmerzenden Muskeln!

Plötzlich ein großes Staunen: Jan fand im Gebüsch mehrere Paletten (!) Bierdosen, jeglicher Mangel an Getränken war hiermit ausgeschlossen. Dass er im Ausgleich dafür seine Simkarte in den Brennnesseln verlor, war weniger lustig.

Der nächste Programmpunkt für die 15 Tourteilnehmer: Quartierbeziehen, also einen Schlafplatz finden, der 1. möglichst eben 2. möglichst steinlos und 3. möglichst windgeschützt ist.

Da Hansi seinen Schlafsack bereits ausgebreitet hatte, lag es nahe, diesen Platz näher zu inspizieren, da die Erfahrung einen lehrt: Dieser Mann hat einen Blick für gute Plätze! Also richteten wir uns zu 5 ( Martin, Anna, Ronja, Sabine und Hansi) in einer Mulde ein. Ziemlich schnell stellten wir alle allerdings einen deutlichen Nachteil fest: auf dem glatten Gras fuhr man regelrecht Schlitten und so musste man in der Nacht ständig wieder nach oben krabbeln um wenigstens halbwegs in der Nähe seines Rucksacks bleiben! Basti ging sogar soweit, sich an einer Wurzel mit einem Seil festzubinden!

So langsam wanderte die Sonne hinter die Berge und bot den Fotografen unter uns herrliche Motive.

Kaum war es leicht dunkel, funkelten die ersten Sterne und völlig überraschend rauschte die erste Sternschnuppe den noch gar nicht ganz dunklen Himmel hinab. „1:1″stellte Hansi schmunzelnd fest, und eine Wiederholung des Wettstreits von 2013 bahnte sich an.

Während es immer dunkler wurde, sahen wir immer wieder mehr oder weniger spektakuläre Lichterscheinungen, und noch bevor die Milchstraße sichtbar war, waren wir zweistellig. Auch der Lärmpegel war auf dem Berg beachtlich. Rechnet man mit Totenstille dort oben, befindet man sich eindeutig im Irrtum. Die Flugzeuge dröhnen nachts erstaunlich laut, Kuhglocken bimmelten unentwegt und die Krönung war ein Semino-Rossi-Konzert auf der Burgarena Finkenstein, das wir völlig kostenlos, dafür unfreiwillig genießen durften. Bei Hansi machte sich allerdings die Bierprobe vom Abend zuvor bemerkbar, und so drehte er sich auf die Seite, genoss die Aussicht auf Villach- und nickte weg. Ich zählte noch ein paar Minuten weiter, aber ohne Gegner war der Reiz nur halb so groß und außerdem blieben die richtig sehenswerten  aus!

Da aber an Tiefschlaf sowieso nicht wirklich zu denken war, gab ich den Versuch, zu schlafen recht schnell auf, nur um festzustellen, dass ein ebenbürtiger Gegner einige Meter weiter auf einer Luftmatratze lag und nur ein Ziel hatte: Meinen „Rekord” von vor 2 Jahren zu brechen. Auch Ronja zählte mit, Martin drehte sich auch so oft um, dass man annehmen musste, er kann auch nicht schlafen. So vergingen die Stunden, Jan immer ca 20 Stück voraus, kaum eine Chance, ihn wieder einzuholen.

Nur Hansi schlief den Schlaf des Gerechten, nutzte gelegentliche Wachperioden, in denen er sich über den aktuellen Zwischenstand informierte.

Ronja gab bei 44 auf und so langsam kehrte wirklich Ruhe ein im Biwak. Eine Zeitlang war ich ernsthaft um Schlaf bemüht, bis meine Tochter wieder erwachte und das vorher genossene Radler loswerden musste. Da ich auch seit einiger Zeit meine Blase krampfhaft versuchte zu ignorieren, beschloss ich dem Klischee Genüge zu tun und mit ihr gemeinsam aufs „Klo” zu gehen. Vorsichtig tasteten wir uns Richtung Kieferndickicht vor, immer in dem Bewusstsein, dass es rechts einige hundert Meter runter geht!

Wieder zurück krabbelte ich erleichtert in den Schlafsack zurück, jetzt allerdings durchgefroren mit eiskalten Füßen. Mein Nachbar war inzwischen auch erwacht und ernsthaft bemüht, mein Wohlergehen zu verbessern.  Ich kam mir zwar eingequetscht zwischen ihm und Ronja wie eine Ölsardine vor, aber wenigstens wurde ich wärmer und konnte neu motiviert weiterzählen.

Bis er auch in die Büsche musste und es schaffte, Martin zu überreden, mit ihm zu verschwinden. Allerdings dauerte es bei den beiden erheblich länger,  wieder kamen sie erst nämlich 12 Sternschnuppen später. Begeistert erzählte mir Hansi von ihrem kurzem nächtlichen Trip auf den Gipfel! Welch eine tolle Aussicht, tolle Sternschnuppen und ein warmer Wind. Na toll. Und mir fehlte die Wärmflasche von rechts, und ein kalter Zug kam über die Bergkante.

Allerdings hielt mich die Kälte dann wach und ich schaffte nicht nur mein Ziel 100, sondern mit Hansis Hilfe (er war vom Gegner zum Partner mutiert) 124 Stück! An Schlaf war endgültig nicht mehr zu denken; einer unserer Bergpartner schlief lautstark, was in Björn Mordgedanken erweckte, die er morgens als erstes verkündete.  So langsam krabbelten alle aus dem Schlafsack, und der Sonnenaufgang entschädigte endgültig für alle Qualen.

Über den Abstieg schweige ich mich lieber aus, außer dass wir in 1,5 Stunden unten waren und meine Oberschenkel mich 3 Tage lang an dieses mal wieder unvergessliche Erlebnis erinnerten!

“Die ganze Welt ist voller Wunder”. Ziemlich tiefschürfende archäologische Abenteuer-Grabungen auf dem Wauberg.

Mit der Ruhe auf dem Wauberg ist es nun vorbei, der lange Dornröschenschlaf scheint beendet. Als wir am schwül-warmen Morgen des 8. Juni beginnen, fehlt es dem Wauberg völlig an historischer Tiefenschärfe, vorherrschendes Gefühl (zumindest bei mir) ist eine konkrete und doch schwer fassbare Sehnsucht nach einer noch zu entdeckenden bzw. ergrabenden wilden Vergangenheit dieses Ortes. Irgendwie scheint alles möglich, denn es fehlen seit jeher exakte Angaben. Die kommenden zwei Wochen sollen also bestenfalls ein wenig Licht ins geschichtliche Dunkel bringen, welches den Berg seit Jahrhunderten nebelartig einhüllt. Schon der Weg zum Start der Grabungen war ein ganz spezielles Abenteuer…

– befestigt, eingeebnet und befahrbar gemacht von einer merkwürdigen Mischung aus Zufall, Schicksal und Google. Rückblickend mögen sich daraus zwar logische Schlussfolgerungen formen, aber als ich pünktlich mit Grabungsbeginn meine Schaufeln in den Anhänger werfe, wird mir sehr bewusst, dass ich die Schlüssel- und Mitspieler dieser Veranstaltung nie kennengelernt hätte, wäre nicht vor einiger Zeit mein Wauberg-Text in unsere Homepage montiert worden. Im Abstand der vergangenen Wochen und Monate zeigt sich die Abfolge der einleitenden Ereignisse in zusammenhängender Klarheit und deshalb dämmert mir außerdem, dass die kommenden Tage nicht nur mein Leben, sondern auch jenes der weiteren handelnden Personen bereichern werden.

Tag 1

 

Die abenteuerliche Reise in mutmaßlich weit entfernte Zeitalter erweist sich erwartungsgemäß als eher mühsam. Traktor und Anhänger schütteln Mensch und Material über rustikale Waldwege bis      zum Fuß des Waubergs kräftig durch. Von dort aus geht es über die unverschämt steile Ostseite in der Direttissima und über einen schmalen, noch namenlosen Pfad auf den Gipfel. Logistisch gesehen beginnt spätestens hier das aktive Teambuilding, denn beachtliche Mengen an profanem Werkzeug, Archäologie-Equipment, sinnvollen Alternativ-Gerätschaften und Proviant müssen nach oben geschafft werden. Claus, der leitende Archäologe, beweist gleich auf Anhieb ein Übermaß an Leidensfähigkeit, Humor und bayrischer Hemdsärmeligkeit, indem er ohne nennenswerte Verschnaufpausen eine schwerbeladene Aluminiumkiste aufs Gipfelplateau schleppt, um dann etwas atemlos und selbstkritisch anzumerken, er sei schon besser in Form gewesen. Mirko, der lokale Historiker und unermüdliche Motor der Wauberg-Grabung wirft unterwegs nach kurzer, sachlicher Grundsatzdiskussion und unter ganz sanftem Druck das „Sie” über Bord. Mit dem „Du” wird die Kommunikation im zentralen Mittelfeld gleich zu Beginn auf freundschaftliche Ebenen gelegt, in den folgenden Tagen wird sie trotz oft unterschiedlicher Meinungen bestmögliche Lösungen und Resultate erzielen.

 

Was man als archäologischer Rookie noch nicht einmal ansatzweise ahnen kann: Der Augenblick der Grabungs-Wahrheit wird ständig aktualisiert und nicht jede Theorie erweist sich in der Praxis als Volltreffer. Weil übrigens die Wauberg-Vegetation im langen Lauf der Zeit fast sämtliche Anhaltspunkte bis zur völligen Unkenntlichkeit überwuchert hat, gab es einige Wochen vor Grabungsbeginn einen spannenden Lokalaugenschein mit Franz, einem Energetiker. Er und seine Wünschelruten markierten im Vorfeld aussichtsreiche Grabungsstellen, die im Laufe der Kampagne untersucht werden (sollten-könnten-müssten). Unter anderem ein mutmaßliches „Kraftfeld” am südwestlichen Rand des Plateaus. Tatsächlich ein merkwürdiger Ort, trotz sonniger Lage und ausreichend Licht nur spärlich mit Gras und Farnkraut bewachsen, während ringsum der Wald prächtig gedeiht. Diesen Umstand fand ich schon als Kind mindestens hinterfragenswert und ausgesprochen rätselhaft. Weil wir in einer Welt leben, die ihre Möglichkeiten nur erahnt, statt sie wahrzunehmen, erscheint mir die Erklärung eines „Kraftortes” an dieser Stelle alles andere als abwegig. Claus und Kurt sind schon berufsbedingt ziemlich skeptisch, aber auch dieses Rätsel soll im Zuge der Grabungen wissenschaftlich gelöst werden.

 

Nach kurzer Lagebesprechung startet das Montagvormittags-Team das Unternehmen in einer erfolgsversprechenden Vertiefung, die am tiefsten Punkt noch Spuren von Mauerresten erkennen lässt. Diese Mauerfragmente hat Claus bei einer ersten Begehung im November 2014 wegen des konischen Verlaufs bereits als Gewölberest identifiziert und anhand von Mörtelproben mit ornithologisch angehauchten Fachbegriffen wie „Kalkspatzen”als mittelalterlich eingestuft. Fachliche Unterstützung erhält der Experte in Person der Archäologiestudentin Lilly, der man die Grazerin nicht anhört und die am Wauberg ein unverhofftes, dreitägiges Praktikum absolvieren wird. So wie es aussieht dürfen wir also einen Kellerraum aus dem 12. Jahrhundert ins Tageslicht des 21. Jahrhunderts zurückschaufeln, passend dazu berichtet Herbert als Zeit- und Augenzeuge von etlichen Stufen, die er noch als Kind und an dieser Stelle gesehen haben will. Wir machen uns mit Krampen, Schaufeln, Spachteln und Eimern ans Werk.

 

Erschreckend bald schon –eigentlich sogar sofort- erhält die Euphorie der Möchtegern-Indiana-Jones’ einen ersten Dämpfer: Die Vertiefung ist logischerweise, weil mitten im Wald…mit einem überaus zähen Durcheinander aus Wurzelwerk, Erde, Laub und Steinen gefüllt und kompakt verwachsen. Jeder einzelne Eimer bedeutet, erschwerend von oben nach unten gegraben, harte Arbeit. Der Weg zu den Schwertern, Schätzen und Leichen im Keller wird also kein leichter sein, sondern xaviernaidoomäßig steinig und schwer. Darüber hinaus ist das Material gänzlich fundstücksfrei. Dieser Umstand wirkt, ähnlich wie beim Pilzesammeln…eher motivationsdämpfend. Ohne ausreichende Vorwarnung löst sich die Gewölbe-Theorie tiefer kommend in Luft auf und macht einer Zisterne Platz, denn wir stoßen auf senkrechte Mauern, die fein gearbeitet und offensichtlich aus einem einzigen Sandsteinblock gehauen sind. Ein riesiger Sandsteinblock mitten im Trias-Dolomit ? Kaum denkbar bis unmöglich. Bis zur Mittagspause kann man wenigstens schon eine attraktive Rundung erkennen, von Herberts Stufen allerdings keine Spur. Erste Stichproben auf dem Gipfelplateau mit dem Metalldetektor – spärliche Nagelfunde. Dort jedoch, wo Franz einen „größeren Metallfund” vermutet hat…schweigt sich das Gerät aus.

 

Nachmittags wird die Mannschaft durch Kurt, Andi und Mariano bunt (Museumsdirektor, Hobbyarchäologe, Gymnasiast) verstärkt. Durch die kurzfristige Überbesetzung entscheiden wir uns für eine zweite Baustelle, Mirko und ich sondieren südöstlich der Zisterne. Dort nämlich hat Franz, der Energetiker, Scherbenfunde angesagt. Mit dem Traum vom großen Fund kämpfen wir uns beharrlich durch das dichte Wurzelgeflecht einer Buche. Ziemlich schnell wird mir ziemlich klar, warum hier noch nie jemand graben wollte. Wir sind längst auf dem Boden der Realität angekommen und schrauben die hohen Erwartungshaltungen vorsichtig nach unten. Als erster Trostpreis taucht immerhin der Unterkiefer eines Wildschweins auf, welches mutmaßlich vor 800 oder 900 Jahren und wahrscheinlich unfreiwillig auf der ritterlichen Tafel landete. Direkt darunter graben wir eine Rinder (?)rippe mit deutlichen Messerspuren aus, es darf demnach fast sicher davon ausgegangen werden, dass die Burg nicht von Vegetariern bewohnt wurde. Die zeitliche Zuordnung erfolgt deshalb so wasserdicht, weil sich schon bald Fragmente mittelalterlicher Keramik finden, zum Drüberstreuen gibt es noch den Rest eines Fundaments zu bestaunen, direkt auf den Felsen gemörtelt. In ersten Ansätzen kommt man schleichend zur Erkenntnis, dass man sich eigentlich auf einer Zeitreise befindet, bei der abendlichen Arbeit am Hof fällt die Umstellung auf Gegenwart schwerer als erwartet. Der Tag endet erst spät, mit Claus am nächtlichen Lagerfeuer.

 

Tag 2

 

Die Nacht war etwas zu kurz. Pünktlich um 8 Uhr startet das vollbeladene „Vetterlingomobil” in den nächsten warmen Sommertag einer Schönwetterperiode hinein. In der Lagebesprechung und der Tagesplanung finden sich verschiedene Entwürfe, die offen und munter diskutiert werden. So kann ich mich zB nicht wirklich mit den Vorgaben des Bundesdenkmalamtes anfreunden, wonach die Zisterne zwar mühevoll ausgegraben, aber danach sofort wieder verfüllt werden soll. Claus hält Rücksprache, die Pro und Contras erzielen einen intelligenten Kompromiss: Die Zisterne wird lediglich mit einem halben Schnitt dokumentiert, über ihr weiteres Schicksal zu einem späteren Zeitpunkt entschieden. Franz, der Energetiker untersucht nochmals das Gelände. Gemeinsam mit Claus und Kurt wird eine weitere Sondierungsstelle, einige Meter südwestlich der Zisterne, festgelegt. Mariano, Mirko und Andi  nehmen auf der Suche nach möglichen Grundmauern den neuen Schnitt in Angriff, während ich mich mit Kurt und Lilly in und an der Zisternengrube abmühe. Es ist schon erstaunlich, wie viel und wie lange man Schutt und Wurzeln hacken und schaufeln kann, ohne auch nur irgendwas zu finden. Mit der Zeit wird die Arbeit beinahe meditativ, man denkt nur mehr in vollen Schaufeln und vollen Eimern und versinkt zusehends im Mittelalter. Hinter der Zisterne legen wir den fein behauenen Trias-Dolomit frei, die Rundung wird allmählich weiter. Claus wechselt, ständig gerufen, zwischen beiden Baustellen hin und her und glättet die Wogen nach Tiefschlägen. Denn zunächst gibt es oft falschen Alarm. Eine vermeintliche Fliese entpuppt sich als gelbliche Platte aus Wauberg-Gestein, Felsplättchen werden von den lernenden Amateuren vielfach mit Scherben verwechselt. Aber je tiefer sich die Kollegen im benachbarten Schnitt durch den Schutt der Burg graben, desto zahlreicher tauchen Beweise in Form von Keramikteilchen und Knochen auf.

 

Die Mittagspause ist durchaus willkommen, unterm kühlenden Blätterdach der Buchen wird gegessen, getrunken, gefachsimpelt und spekuliert. Mirko serviert als klassischer Altösterreicher neuerdings Kaffee in reizenden kleinen Kunststoffbechern, dazu gibt es Einweg-Mannerschnitten und Wasser.

 

Die Hardware-Arbeiten im Zisternenbereich sind mittlerweile erledigt, jetzt kümmert sich Software-Spezialist Claus mit Lilly, Kellen, Spachteln und Besen um den Feinschliff….und macht bei der sorgfältigen Nachbearbeitung gleich eine wesentliche Entdeckung: Die Zisterne ist keineswegs monolithisch, sondern nur äußerst exakt gemauert und zudem wasserdicht mit einem Putz aus Ziegelschrot und Kalkmörtel versehen. Na also.

 

Weil der Personalstand am Nachmittag wieder sinkt, grabe ich bei Mariano, Mirko und Andi mit. Die ganz großen Erfolgserlebnisse finden zwar nicht gerade statt, aber man gewöhnt sich an Nägel, Knochen und etwas Keramik. Kurz vor Feierabend ziehe ich ein Messer aus dem Schutt, welches ich wohl kaum als Messer identifiziert hätte. Claus hingegen beschreibt es wort- und gestenreich in allen Einzelheiten und steckt es entschlossen ins 12. oder 13. Jahrhundert. Die Beweislage wird zunehmend erdrückend, die Burg nimmt Formen an.

 

Der Feierabendverkehr bringt uns etwas verspätet nach Hause. Am Ende des Tages gibt es noch Salbeinudeln, Anekdoten und die Hoffnung auf den Mittwoch.

 

Tag 3

 

Weiterhin sonnig und heiß, Gott sei Dank ist der Wauberg bewaldet. Notgedrungen wird die Frequenz am Vormittag kurzfristig heruntergeschraubt, die kleine Besetzung putzt und dokumentiert die Baustellen. Nach der notwendigen Logistik muss ich leider zurück in den Alltag: Die Tiere benötigen frisches Gras, außerdem müssen längst fällige Einkäufe und Termine in der Stadt über die Bühne gebracht werden. Den Abstecher in die Hektik empfindet man nach zwei intensiven Grabungstagen beinahe als Jet-Lag. An der Kasse des Diskonters stehend taucht unversehens der Wunsch nach sinnvoller Geräuschkulisse auf, nach einem Freiraum des Nachgrabens und Nachdenkens, nach frischer Luft, Licht, Wind und Kontemplation. Gedacht-getan, pünktlich zur Mittagspause bin ich wieder Teil der Wauberg-Mannschaft. Nach einem Gruppen-Fototermin mit der Zisterne wird ein neuer Schnitt im Bereich des Nordhangs gezogen. Mirko, Mariano und ich kämpfen uns durch die gewohnte Schicht aus Wurzeln, Erde und Schutt, während Team 2 mit Ines, Lilly und Andi nebenan unter dem Burgabraum eine prähistorische Schicht mit Brandspuren, Knochenresten und Keramik erreicht. Für eine kleine Richtungsänderung des Tagesverlaufs sorgt eine kurzweilige metalldetektorische Abenteuer-Expedition in den unverschämt steilen Nordhang, aber – außer ein paar Nägeln und Spesen…nix gewesen !!!

 

In der Zwischenzeit ist Ines in „meinem” Schnitt auf einen alten Estrich gestoßen und erntet die Lorbeeren des stets gutgelaunten Grabungsleiters. Dieser schießt dann selbst unmittelbar vor Feierabend  den bisherigen Grabungs-Vogel ab, indem er mit dem Glück des Tüchtigen und dem Signal des Metalldetektors ein zerbeultes Bronzesieb aufspürt. Allgemeine Begeisterung, denn kurz zuvor erblickte ein Stück Tonziegel wieder das Licht der Welt…ein Nachweis für die Dachdeckung der Burg. Nach diesen Erfolgserlebnissen sieht die Mannschaft die Arbeitsniederlegung zwar als unliebsamen Störfaktor des geregelten Suchens, aber auf dem Terminkalender des Mittwochabends steht: Grabungsfeier !

 

Über der Holzkohle bruzzeln Mexikaner und schwitzen Grillwürste, Claus spendiert ein 15-Liter-Fässchen besten fränkischen Zehendner-Biers (http://www.moenchsambacher.de/brauerei), am prasselnden Lagerfeuer wird in heiter-besinnlichen Gesprächen noch lange diskutiert, referiert, prognostiziert, spekuliert, minimiert, maximiert, banalisiert und philosophiert. Einziger Wermutstropfen: Lilly verabschiedet sich in Richtung Grazer Universität.

 

Tag 4

 

Unverändert heiß. Pünktlich ab 8 Uhr geht es wieder ans Eingemachte, denn die Grabung in ihrem Lauf…hält weder Zehendner, noch Schlafmangel…auf. Ines´ dunkle Sonnenbrille ist nicht nur der strahlenden Morgensonne, sondern auch der kurzen mönchsambacher Nacht geschuldet. Claus und ich stellen unisono fest, dass der steile Aufstieg schon wesentlich leichter fiel. Spontan erhält die Wauberg-Direttissima einen aussagekräftigen Namen: „Zehendner-Steig”. Der Grabungstag wird superkurz, denn Claus muss wegen eines Termins in Molzbichl bereits gegen 10:15 das Feld räumen. Bis dahin wird beim beschwingten Graben munter bilanziert und die dabei gezogenen Mittelalter-Bilanzen, so positiv sie bereits klingen mögen…trösten mich nicht ganz über die bislang fehlenden Illyrer, Kelten und Römer hinweg. Hier geistert wohl, nachdem die Burg längst datiert und bewiesen ist, meine durchaus berechtigte Hoffnung auf die Antike durch die Gegenwart des profanen Schaufelns in den mittelalterlichen Schichten. Da hilft auch die Aufmunterung des Chef-Archäologen nicht weiter, wonach die bisherigen Funde seine Erwartungen schon jetzt übertroffen hätten. In solchen Augenblicken natürlich findet Ines eine eiserne Schnalle, mit einem kleinen Erfolgserlebnis treten wir den Rückzug ins Tal bzw. ins Alltagsgeschäft an.

 

Tag 5

 

Noch heißer. Die grabungsphilosophischen Ermüdungserscheinungen halten sich eigentlich in Grenzen. Mein schwarzes Freitags-T-Shirt trägt die optimistische Aufschrift „Tagtraum”, in der frühen Morgensonne lösen sich die (selbst)kritischen Nachtgedanken schnell auf und werden sofort vom fast krankhaft gewordenen Grabungs-Erregungszustand abgelöst. Das Freitagvormittagsteam besteht aus den Stammspielern Claus und Mirko, ergänzt von Edel-Joker Andi, der sich gleich um die Feinarbeiten in Schnitt 3 kümmert. Während ich mich mit Mirko im vierten Schnitt bis zur Geländekante weitergrabe, poliert und dokumentiert Claus in der Zisterne. Bis zum späten Vormittag ist der Verlauf der Burgmauer in der 4 geklärt, wir finden das in den Felsen gehauene „Negativ” derselben, mit anderen Worten: Das Gemäuer wurde nicht nur bis auf die Grundmauern, sondern sogar bis auf die Fundamente geplündert und mutmaßlich von der lokalen Bauernschaft andernorts wieder verbaut. Damit sind alle Fragen in dieser Baustelle geklärt. Sogar für das Ende der Burg gibt es schon eine Vermutung: Das starke Erdbeben vom 25. Januar 1348.

 

Ab sofort geht die durchaus sportliche Auseinandersetzung zwischen Archäologie und Energetik (aktueller Zwischenstand 3:0) in die (vorläufig) letzte Runde, das „Kraftort-Rätsel” soll mit Krampen, Schaufel, Spachtel und Besen möglichst wissenschaftlich gelöst werden. Claus vermutet eine massive Felsplatte direkt unter der Grasnarbe. Ich bin jedenfalls ziemlich gespannt und schließe mich völlig neutral in erster Linie der vernünftigen Frage: „Was ist wahrscheinlicher ?” an. Insgeheim tendiere ich zwar an dieser Stelle zur Energetik, aber Versuch und Irrtum sind schließlich wesentliche menschliche Prinzipien, die man natürlich auch auf dem Wauberg (mehr oder weniger) erfolgreich anwenden kann.  Dinge, die man sich nicht ganz erklären kann, stellt man selbstverständlich in Frage und auf der Suche nach Antworten entfernen wir zunächst sorgfältig die Grasziegel der Vegetationsschicht an der Geländekante. Darunter keine widerspenstigen gordischen Wurzelknoten, keine Felsplatten, stattdessen eine dicke Schicht guter, wachstumsfähiger Erde. Wunderbare Stunden kommen manchmal ziemlich beiläufig daher und finden erst später ihre ausreichende Würdigung in Berichten wie diesem. Völlig unverhofft wird die T-Shirt-Prophezeiung wahr: In der mehr als wachstumsfähigen Erdschicht öffnet sich plötzlich die Büchse der Pandora. Zunächst finde ich eine große, massive Scherbe, die ich nach viertägigem Schnellkursus problemlos als nicht mittelalterlich identifizieren kann. Der eilig herbeigerufene Claus bestätigt und spürt außerdem als nächste Überraschung eine frühmittelalterliche Pfeilspitze auf. Die Mittagspause kommt irgendwie ungelegen.

 

Am Nachmittag wechselt die Besetzung. Andi und Mirko müssen planmäßig wegen dringender Termine das Handtuch werfen, werden aber fließend durch Ines, Mariano und Moritz ersetzt. Weil die Sonne die Grabungsstelle zu 100% ins Visier genommen hat, ist ein konzentriertes Weiterarbeiten bald nur mehr mit bzw. unter Claus´Riesenschirm möglich. In dessen Schatten tauchen unzählige Scherben und Keramikfragmente auf, zwischendurch zur Abwechslung ein Hufnagel, Hüttenlehm, Knochen und eine Steinformation. Diese befindet sich genau an der Geländekante, Claus vermutet die Reste einer Wallanlage aus der Zeit der ungarischen Einfälle. Gearbeitet wird ab sofort nur mehr mit ganz viel Gefühl und mit Kellen, Spachteln und Besen und gefunden wird ständig. Fast wie im Zeitraffer ziehen verschiedene Zeitalter vorbei, wenn der Archäologe die Scherben datiert: Von der Jungsteinzeit ist die Rede, von Hallstatt- Urnenfelder- Latene- und Römerzeit. Gebrauchskeramik neben Grabkeramik mit Zahlenangaben, die ob der Tiefe Schwindel erzeugen….2000, 3000, 4000, 6000 Jahre. Mehrere Jahrtausende innerhalb weniger Stunden auf zwei Quadratmetern im scheins unerschöpflichen Reservoir dieses einen Schnittes ! Schwer zu sagen, ob es medizinische Studien zur Testosteronausschüttung gibt, wenn man andauernd uralte Keramikreste aus der Erde spachtelt, aber wenn es so etwas wie ein geschichtliches Wunschkonzert gibt – hier und jetzt wird es gespielt.

 

Die Galavorstellung der keltischen, illyrischen und jungsteinzeitlichen Keramik-Philharmoniker endet leider pünktlich um 17 Uhr. Beim Abstieg über den Zehendner auf Wolke 7 begleitet mich nicht nur die Euphorie, da streift mich auch die Vermutung, dass der Gipfel dieser Tour erreicht ist und die zweite Grabungswoche ein deutliches Gefälle aufweisen könnte. Dazwischen jedenfalls wird ein Wochenende in der Gegenwart liegen, neuerdings ein ungewohntes Gefühl.

 

Tag 6

 

Just another magic Monday. Neue Woche also, dazu neues Wetter. Stark bewölkt und deutlich kühler gehen die Arbeiten am Kraftort mit neuer Energie weiter. In Gleichheit und Brüderlichkeit wird der „Esoterik-Schnitt” mit Mirko, Andi und Franz erweitert, Claus ist wie immer Dauer-Hansdampf in allen Gassen und Gruben, er veranstaltet neben der Arbeit mit unnachahmlicher Eloquenz kurze Führungen für zufällig vorbeiwandernde Touristen oder gezielt landende Hufnagel-Experten wie unseren bayrischen Hufschmied Gerd, der am Nachmittag unmittelbar nach unseren Pferden die Kampagne in Augenschein nimmt. Zahlreiche Funde in der obersten Erdschicht und im darunterliegenden Lehm, wie schon am Freitag ein Mix aus verschiedenen Epochen. An schöne Dinge gewöhnt man sich gerne und schnell. Zusätzlich taucht ein großer, ovaler Stein auf, den Franz gerade an diesem Ort für ganz und gar  nicht zufällig platziert hält. Auch die Archäologie hat einen Verdacht: Ein Brandgrab bzw. der „Deckel” davon ? Das Achselzucken der Grabungshelfer signalisiert….. relative Ahnungslosigkeit. Mit Kellen und Spachteln wird äußerst behutsam um den Stein herumgeschürft.

 

In der Mittagspause ist, wie so oft, grabungsphilosophisch zwar immer irgendwo Not am Mann, aber aus den verschiedenen Meinungen entstehen häufig gute Ideen oder wenigstens Ahnungen, die der vermeintlichen Wahrheit nahe kommen. Pünktlich nach Mirkos alltäglicher Kaffeehauskultur öffnet der Himmel seine Schleusen und Claus´ Freitags-Sonnenschirm wird in Windeseile zum willkommenen Montags-Regenschirm umfunktioniert. Wettertechnisch erzwungene Grabungspausen müssen weder trüb, noch trostlos sein. Vier (mehr oder weniger) erwachsene Männer stehen, wie in einer mittelalterlich anmutenden Verschwörungsszene, unter einem schützenden Schirm mitten im Wald und schürfen auch ohne Werkzeug in persönlichen Gesprächen erschreckend tief. Überraschende Details kommen ans Tageslicht, die in diesem Text unmöglich veröffentlicht werden können. Zu früh lässt der Regen wieder nach und erlaubt eine abwechslungsreiche Arbeitsmischung aus Grabung (Andi, ich), Vermessung, Dokumentation (Mirko, Claus), Metalldetektor-Suche (Andi, Mirko, ich) und Fachvortrag (Claus). Mit Gerds Hilfe wird aus einem alten Nagel ein alter Hufnagel, Andi und ich umrunden langsam die Steine. Unbeteiligte könnten uns anhand der kindlichen Freude bei jedem Fund längst als bekennende Grabungs-Junkies identifizieren, im hinteren Bereich des Schnitts erhärten weitere Steine und kleine (menschliche ?) Knochenreste den Brandgräber-Verdacht. Gegen Feierabend kommen nicht nur Heinz und Anne vorbei, aus Nordwesten nähert sich auf noch leisen Sohlen eine massive Gewitterfront. Während die Kollegen in aller Seelenruhe Gedanken und Werkzeuge sortieren, erkenne ich den Ernst der Lage im Ansatz und mahne freundlich, aber entschieden zur Eile. Erstmals und aus gutem Grund fährt das Vetterlingomobil im vierten Gang und mit hoher Drehzahl:

 

Kaum haben wir den Hof erreicht, treffen auch schon Blitz, Donner und schwerer Regen ein. Das nennt man dann wohl „Happy End”.

 

Tag 7

 

Ein „Land-Unter-Tag”, in jeder Hinsicht. Völlig unpassend wirft mich unmittelbar vorm Umdrehen des Zündschlüssels ein Migräneanfall zurück ins Bett, Mirko und Claus machen sich notgedrungen ohne mich auf den Weg. Eine Stunde später sehe ich wieder einigermaßen klar und folge unauffällig. Die beiden sind gerade mit Vermessungsarbeiten beschäftigt. Nachdem mir Claus glaubhaft versichert hat, ich hätte schon besser ausgesehen und nachdem mich Mirko kurz zur Seite genommen und mit eindringlichen, rührend-väterlichen Gesundheitsratschlägen versorgt hat, verziehe ich mich ein wenig bleiern in die Einsamkeit des „Esoterik-Schnitts” und grabe dort als 85jähriger weiter. Ein paar Scherben später dreht Petrus am späten Vormittag erneut und massiv den Wasserhahn auf. Nach kurzer, abwägender Diskussion stellt sich (wohl vom gestrigen Gewitter untermauert) so etwas wie liebevoller Respekt vor meinen Wetterkenntnissen ein, die Arbeiten werden wegen völliger Sinnlosigkeit eingestellt. Bei strömendem Regen schlittern wir fluchtartig und frischgeduscht über den Zehendner talwärts.

 

Der kurze Grabungstag endet bei Kaffee, Tee und Suppe am wärmenden Herdfeuer in der Küche. Alle nachfolgenden Dienstags-Termine fallen ins Wasser und müssen verschoben werden.

 

Tag 8

 

Wetter- und Stimmungsbesserung. Nach nächtlichem Regen ist es zwar häufig trüb, aber zwischendurch zeigt sich freundlicherweise auch die Sonne. Die Nacht war wieder zu kurz, wenigstens macht sich diesmal ein 65jähriger mit Claus und Mirko ans Werk. Die beiden setzen unverdrossen ihre Vermessungsarbeiten fort und konservieren die Schnitte digital mit dem Fotoapparat. Unterdessen arbeite ich mich im „Esoterik-Schnitt” bis auf den gewachsenen Felsen nach unten. Unterwegs löst sich wegen fehlender Asche die Brandgräber-Theorie in Luft auf, in den darunterliegenden Schichten finden sich keine menschlichen Hinterlassenschaften mehr. Zeigt sich der Trias-Dolomit im vorderen, „gebrauchten” Bereich noch spröde und zersplittert, präsentiert er sich weiter hinten unbenützt und glatt wie ein Babyhintern, in den Vertiefungen hat sich ockerfarbener, feiner Sand angesammelt. Ein kurzer Blick in den Schnitt und seine Schichten genügt: Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum hier keine Bäume oder wenigstens Sträucher wachsen.

 

In der Mittagspause kommen mit Ines, Claudia, BB und Tilda nicht nur kurzweilige Archäologie-Touristen, sondern auch vom aggressiven Grabungs-Virus befallene Wauberg-Groupies. Ines und Claudia verschwinden nämlich für längere Zeit im tiefen „Burg-Schnitt”, bearbeiten diesen sorgfältig nach und werden prompt mit weiteren Knochen- und Keramikfunden belohnt. Auch Claus bekommt Besuch von Bekannten. Unter diesen befindet sich praktischerweise eine Biologin, die sich ebenfalls an der Lösung des „Kraftort”-Rätsels versucht und uns mit weiteren Theorien (Wildverbiss ? Trockenzone ?) versorgt. Keine davon erscheint mir jedoch schlüssig genug, um das gänzliche Fehlen von höherer Vegetation an diesem Ort zu erklären. Für mich geht der Punkt weiterhin klar an Franz und die Energetiker.

 

Der Rest-Mittwoch ist zwecks Vermeidung von Terminkollisionen minutiös verplant, mit fortschreitendem Nachmittag wird die Zeit langsam knapp –  ich muss mit Claus und Mirko zu einer kurzfristigen Talabfahrt antreten. Unten am Hof ist nämlich eine kleine, reizend improvisierte Präsentation für den Villacher Bürgermeister anberaumt, mit anschließendem Lokalaugenschein auf dem Wauberg. Ein Kunststofftisch wird mit einem weißen Leintuch eher bescheiden, fast spartanisch, aber in Windeseile zu einem rustikalen archäologischen Buffet umgebaut. Darauf drapiert Claus chronologisch und gekonnt die Filetstücke aus den schwarzen Fundeimern. Pünktlich trifft die kleine Delegation aus Villach ein, den Bürgermeister begleiten lediglich ein Fotograf und ein Pressemann. Im Schatten unserer Ringlotte zieht der Expeditionsleiter alle Register ziehend so etwas wie eine vorläufige Grabungsbilanz, die mit der detaillierten Erläuterung der gefundenen keramischen, metallenen und knöchernen Beweise ausgesprochen positiv ausfällt. „Universum History – Live !” ist erfolgreich und informativ absolviert, Claus muss stante pede weiter nach Maria Saal, um die nächste Baustelle zu besichtigen. Mirko übernimmt im fliegenden Wechsel die Betreuung der Villacher und wird dabei von Andi unterstützt. Ich bin, wie immer, für den Hin- und Rücktransport zuständig. Auf Heuballen im schunkelnden Anhänger geht es zu den Originalschauplätzen. Leider ertappe ich mich dabei, aus der Tugend eine Not zu machen: Ich fahre überwiegend mit Samtpfoten und meistens im zweiten Gang. Wir sind also nicht nur diszipliniert, sondern auch flexibel. Am Zehendner hingegen muss sich jeder ehrlich eingestehen, dass dieser rustikale Steig nicht unbedingt ein heiterer Sonntagsspaziergang ist. Nach überstandener Strapaze steigt schließlich auch das Stadtoberhaupt mit Wauberg-Guide Mirko in die Tiefe der Zisterne und findet dort anerkennende Worte. Was nicht ganz unwichtig ist, denn die Forschungs-Grabung wird von der Stadt Villach finanziert. In der Zwischenzeit versorge ich die Foto- und Pressemänner mit handfesten Fakten und persönlichen Eindrücken. Sämtliche Übungen gelingen. Und doch stelle ich mir zwei Tage vor der Ziellinie drei wichtige Fragen:

Was war denn ?

Was kommt noch ??

Was bleibt am Ende ???

Tag 9

Zehn kleine Ausgräberlein. Claus und ich bilden das klitzekleine Donnerstagvormittagsteam, der Personalstand ist dramatisch gesunken. Große Sprünge sind wegen nachfolgender Termine ohnehin nicht möglich, bereits kurz nach 10 müssen wir wieder den Rückzug antreten. Bis dahin stehen letzte Feinarbeiten im „Esoterik-Schnitt” an, nicht unbedingt meine Lieblingsbeschäftigung. Ich merke es an der fehlenden bedingungslosen Bereitschaft, der Nachwelt ein perfektes Profil zu hinterlassen. Claus holt mich aus der Bredouille, ich darf ihm bei abschließenden Vermessungsarbeiten behilflich sein.

Zu Hause wartet der Alltag, der manchmal auch profan und deprimierend sein kann. Oder beides. Pepsi, unsere mit allen Wassern gewaschene 17jährige Haus-Hof- und Flugkatze, bis zuletzt eine grau-weiße Eminenz, ist leider über den Jordan gegangen. Gestern noch hat sie den roten Kater geohrfeigt und mich angefaucht, heute muss ich ein kleines Grab schaufeln. Außerdem sollte dringend der hohe Rasen gemäht werden. Fast wie im richtigen Leben, schlimm genug.

Mitten am Nachmittag befinde ich mich aber schon wieder mitten in der Eigendynamik einer Grabungskampagne mit ganz eigenen, also anderen… Gesetzmäßigkeiten. Mit Mirko, Claus und einem netten Herrn vom Bundesdenkmalamt geht es zum nächsten offiziellen Wauberg-Besichtigungstermin. Der Zehendner lässt im Schweiße seines Angesichts wirklich niemanden kalt. Ansonsten werden schöne Funde präsentiert, die einzelnen Schnitte analysiert, gewonnene Erkenntnisse weitergereicht, positive Bilanzen gezogen und – es wird eine weitere Grabungen in Aussicht gestellt. Zwecks Bodenhaftung bleibt das weitere Schicksal der Zisterne weiterhin unklar, zum Abschied gibt es die nächste freie Meinungsäußerung zum fehlenden Kraftort-Bewuchs: Eine Windschneise !!! Wieder ein Erklärungsansatz, der bereits im Ansatz scheitert. Die Liste der Theorien wird aber zumindest quantitativ immer länger, eine Lösung des Rätsels ist vorerst nicht in Sicht. Zurück ins Tal.

Lediglich Claus muss später erneut ins Wauberg-Fitnessstudio, zwei Restauratorinnen werden die Zisterne und deren Überlebenschancen bewerten. Es sieht nach einer schweren Wiedergeburt aus.

Allen individuellen- und fachspezifischen Unterschieden zum Trotz gibt es am Abend die (wegen des Wetters vorverlegte) finale Grabungsfeier. Frei nach dem Motto „Ende gut – alles gut” wird es eine weitere, lange und vergnügte Nacht am Lagerfeuer. Auf der Glut landen die üblichen Verdächtigen, Bierologe Claus kredenzt erneut 15 Liter fränkische Glückseligkeit, diesmal jedoch von Penning Zeißler (http://www.bier.by/gastro-guide/penning-zeissler-1599-1.58699). Sen-sa-tio-nell. Selbst wenn sich in manchen Gesichtern mehr oder weniger deutliche Spuren der Grabungsstrapazen offenbaren, abgesehen von Kurt, Andi und Lilly (jeweils beruflich verhindert) haben sich alle eingefunden, die direkt oder indirekt daran beteiligt waren, die alten Fenster auf dem Wauberg aufzureißen und zu lüften:

Mirko, Claus, Franz, Herbert. Ines, Mariano. Dazu Claudia und Nadja. Außerdem Anne und Heinz, unsere oft lebensrettenden Heinzel(m)ännchen.

Jetzt endlich verstehe ich die Tradition der Grabungsfeiern, deren tieferen Sinn und ein Stück weit macht sich im warmen Schummerlicht der lodernden Holzscheite so etwas wie…allgemeine Zufriedenheit breit. Reden werden gehalten, Pläne werden geschmiedet, Aufbruchsstimmungen werden verbreitet. Als Lebenszeichen der eingeborenen Braukultur spendet Mirko im Rahmen einer (für seine Verhältnisse sehr emotionalen) kleinen Ansprache last but not least auch noch ein 5-Liter-Fässchen aus Maria Gail (http://bierseite.at/Turmbraeu.htm). Kaum zu glauben: Trotz diverser Umwege und ansatzweiser Holzwege ist diese mehr zufällig als geplant zusammengewürfelte Patchwork-Truppe irgendwie doch noch im Ziel gelandet. Ein Hauch von Glück, mindestens.

Tag 10

Der Freitag bringt als letzter Tag der Waubergexpedition viele Wolken mit dem einen oder anderen Regenschauer. Es geht auf die Zielgerade. Ein letztes Mal (es werden schließlich mehrere letzte Male) mit Mirko, Claus, Herbert und einem Schubkarren (ein praktischer (Zu)Grabungshelfer) über den Zehendner-Steig. Auch wenn ich das Gefühl habe, dass aus den Arbeits- und Projektpartnerschaften längst Freundschaften geworden sind, die Gespräche und Planungen verlaufen schmerzlindernd und rational. Allerdings ist das Zuschaufeln von vier Schnitten nicht gerade eine intellektuell und handwerklich anspruchsvolle Tätigkeit. Probleme macht nur der Regen, der uns zu einer dreiviertelstündigen Arbeitsunterbrechung zwingt. Mirkos alltägliche Kaffeepause, welch ein Segen….fällt dank Claus´ Multifunktionsschirm (dieser schützt nicht nur vor Nässe und Tristesse, sondern ermöglicht trockene Kommunikation) trotzdem nicht ins Wasser. Als der Regen nachlässt, stürzen wir uns wieder an die Schaufeln und erhalten außerdem willkommene Verstärkung von den archäologischen Urlaubs-Azubis Claudia und Nadja. Beinahe im Handumdrehen sind (bis auf die Zisterne) sämtliche Spuren der Grabungskampagne beseitigt. Im „Esoterik-Schnitt” wird auf Mirkos besonderen Wunsch eine kleine Fichte gepflanzt. Wird sie jemals groß werden ?

Die abschließende Wahrheit lautet jedenfalls : Es ist vorbei !!!! Es gibt tatsächlich emotionale Grenzfälle und deshalb bin ich zeitgleich glücklich und traurig.

Jetzt gilt es nur mehr, Werkzeug, Equipment und Erinnerungsstücke unfallfrei vom Berg zu schaffen. Mein allzu zuversichtlicher Versuch, zwei massive Souvenirs in einer Kunststoffplane und im Schubkarren über den Zehendner nach unten zu befördern… scheitert schon…sehr bald, wie nicht anders zu erwarten… und in folgender Reihenfolge… an logischen Naturgesetzen: Gefälle, Fliehkraft, Erdanziehung. Die Schwerkraft triumphiert natürlich und am Ende ist ja jeder Mensch ein Archäologe: Jeder sucht zwar, aber nicht jeder findet.

So besteht dann doch noch etwas Hoffnung für die Vergangenheit.

Nachsätze:

In der Zwischenzeit bin ich unversehens selber zum unbezahlten Wauberg-Fremdenführer geworden und muss ernsthaft befürchten, von interessierten Gästen noch öfter über den Zehendner in den

frühgeschichtlich-mittelalterlich-energetischen Zeugenstand gebeten zu werden. Meine Frau schenkt mir Grabungsleitfäden. Das Bundesdenkmalamt ruft an. Eine Wauberg-Bruderschaft ist in Planung. Es gibt sogar schon ein „Wauberg-Lied” zum Mitsingen. Der Projektkoordinator für Rad- und Wanderwege hat längst Witterung aufgenommen, der Tourismusverband zeigt Interesse. Die Presse nimmt sich – wenn auch nur sehr oberflächlich – des Themas an. Es gibt erste Indizien für eine Fortsetzung. Meine Güte, Menschenskinder !!!!

Kaum zu fassen, nicht zu glauben.

Letzter Nachsatz:

Mirkos kleine Versuchs-Fichte, am 19. Juni sehr optimistisch und ganz zentral in den „Kraftort” gepflanzt….hat leider nicht einmal den Juli überlebt. Wer Mirko kennt, weiß natürlich, dass der deshalb nicht gleich die Flinte ins Korn werfen wird. Ganz im Gegenteil: Er plant das Experiment – in Martin-Luther-Manier – mit einem Obstbäumchen fortzusetzen.

„Die ganze Welt ist voller Wunder” (Martin Luther, 1483-1546).

Geheimnisumwitterte, sagenumwobene Arbeitsplätze in der Umgebung. Teil III:

Die Polana, Urgroßvaters Gulden-Mühle und die bleiernen Berge

von Hansi Mikl

Ich will (möglichst) ehrlich sein. Es gibt schon einige konkrete Gründe, weshalb ich diese Geschichten schreibe. In erster Linie natürlich, weil sie mit der Zeit in Vergessenheit geraten bzw. irgendwann sogar ganz akut Gefahr laufen, mit ihren Erzählern in deren Gräbern zu verschwinden…..wenn man sie nicht rechtzeitig in schriftlicher Form konserviert. Dabei dachte ich in vorwiegend an meine Kinder, die besser mit etwas Hintergrundwissen durch ihre Landschaften streifen sollten und dieses später an den eigenen Nachwuchs weiterreichen könnten. Weil ich die Vergangenheit unserer besonderen Orte gleichzeitig und ohne zusätzlichen Aufwand auch unseren Gästen zugänglich machen wollte, erschienen diese Geschichten auf unserer Homepage. Soweit, so gut….

…Womit ich nicht so ganz gerechnet hatte…waren die Reaktionen darauf. Über Dinge, die man nicht selbst erlebt oder gesehen hat, kann man natürlich nur vordergründig schreiben oder oft auch nur mutmaßen, die Hintergründe sind meistens – eben – geheimnisumwittert und sagenumwoben. Die alten Geschichten jedenfalls (er)öffneten – Google sei Dank – neue Türen und interessante Möglichkeiten, den Dingen im wahrsten Sinne des Wortes „auf den Grund zu gehen”. Deshalb dachte ich lange darüber nach, ob es unter diesen Umständen Sinn macht, einen dritten Teil zu verfassen, wenn dieser am Ende wieder neue Baustellen schafft. Mittendrin starb mein Vater und so wurde daraus noch ein wenig Familienforschung mit einer großen Portion Melancholie. Dieser Umstand ermöglichte über eine leicht veränderte Sichtweise in klarerem Licht eine erhöhte Wahrnehmung der so schnell vergangenen Jahrzehnte und so fand ich mich dann plötzlich doch nicht ganz zufällig und im Handumdrehen an kindlichen Spielplätzen wieder ….   und suchte dort nach Begebenheiten, über die im Laufe der Zeit längst Gras gewachsen war.

Alte Freunde erzählen mit zunehmendem Alter – ich bin da also längst kein Einzelfall – gerne von durchaus sentimentalen Zeitreisen zurück zu den Wurzeln und damit zu den Schauplätzen der Kindheit. Oft sind die alten Kletterbäume längst dem städtischen Wohnungsbau gewichen, der einstige Trainingsplatz ist unter einem neuen Einkaufszentrum verschwunden und die warme Sandbank des ersten Kusses unten an der Biegung des Flusses ist brachial begradigt worden. Enttäuschungen dieser Art bleiben mir zumeist erspart, denn ich bin noch immer in den dunklen Wäldern, den grünen Wiesen und den besonderen Bergen meiner Kinder- und Jugendjahre unterwegs. Diesmal zwar eher mit Wanderern und Reiterinnen, mit Motorsäge und Spaltaxt, Traktor und Heurechen, aber diese eher berufsbedingte Herangehensweise ermöglicht es mir mit größtmöglicher Behutsamkeit, diese speziellen Orte in ihrer Ursprünglichkeit und Schönheit zu erhalten.

Ganz egal also, ob früher spielend oder jetzt arbeitend: Die Polana als besonderer Spiel- Arbeits- und Therapieplatz für Körper, Geist und Seele ist meine erklärte „Premium-Location” auf diesem Planeten. Dafür gibt es natürlich klare Gründe, die rasch aufgezählt sind:

Nicht weniger als 41254 Quadratmeter Magerwiese mit Wiesenenzianen, wildem Thymian, Glockenblumen, Steinnelken und Margeritten.

Ein kleiner Heustadel mit Unterstand am Eingang in der Nordwestecke, daneben ein rustikaler Round-Pen, den Messi und andere Nachwuchspferde als Trainingsplatz nützen.

Eine munter sprudelnde Quelle in der Nordostecke liefert kristallklares Trinkwasser.

An der Ostseite ein kleiner Auwald mit einem Sumpfgebiet, darin zwei kleine, fast schon verlandete ehemalige Fischteiche.

Ein kleines Bächlein murmelt sich am Waldrand die Südseite entlang.

Umgeben ist die Wiese nicht nur von einem Holzzaun, sondern darüber hinaus von pilzreichen Mischwäldern, die mit Fichten, Föhren, Lärchen, Buchen, Eschen, Erlen, Traubenkirschen, Eichen, Birken und Pappeln so ziemlich alle einheimischen Baumarten beheimaten.

Für die ganz spezielle „Naturarena-Atmosphäre” der Polana sorgen drei (vermeintlich) bleierne Berge, die die Wiese von Norden, Osten und Süden tribünenartig umschließen.

Die Polana ist uraltes Kulturland und befand sich bis in die späten 1920er Jahre in herrschaftlichem Besitz. Zu jenen „Herrschaftszeiten” war der kleine Heustadel gut dreimal so groß und das kleine Bächlein bewässerte von der Südwestecke aus mit einem ausgeklügelten System aus Schleusen und Kanälen die gesamte Wiese. Dieser Umstand dürfte sich relativ ertragsteigernd ausgewirkt haben. Die großen Heumengen jedenfalls wurden an Ort und Stelle im Stadel eingelagert und erst im Winter mit Pferdeschlitten nach Rosegg verbracht. Zusätzlich wurde die Wiese schon damals als Pferdeweide genützt.

Im April 1932 erwarb mein Großvater die Polana im Tauschwege von der Herrschaft Rosegg bzw. Friedrich Prinz Liechtenstein. Seither dient diese besondere Wiese uns und unseren Tieren als Arbeitsplatz, Lebensraum, Erholungsort und Abenteuerspielplatz.

Die Bewirtschaftungsmethoden haben sich in den vergangenen drei Generationen natürlich gravierend geändert. Zu Großvaters Zeiten tummelten sich noch Knechte und Mägde am Hof und ich kenne noch die alten Geschichten von den kollektiven Mühen der händischen Heumahd. Als die unausgeschlafenen Schnitter schon weit vor Sonnenaufgang ab drei Uhr die Sensen schwangen, um der Hitze des Tages und den Pferdebremsen auszuweichen. Auch wenn mir die Nachtarbeit mit der Sense erspart geblieben ist, die großen Pferdebremsen (die man übrigens in solchen Dimensionen heute nicht mehr antrifft) habe ich als Kind noch kennen- und fürchten gelernt, als mein Vater das duftende Polana-Heu noch ohne irgendwelche Motorengeräusche, sondern nur mit Heugabel, Holzrechen, Pferd und Fuhrwerk ins Dorf schaffte. Auch diese Zeiten sind längst vergangen, heute bin ich wahrscheinlich der Letzte weit und breit, der noch loses, trockenes Heu mit dem Ladewagen erntet, statt es angewelkt in riesige Plastikballen pressen zu lassen. Trotzdem ist die Polana-Mahd noch immer eine spannende Sache, besonders für die lokale Fauna. Es lässt sich nämlich kaum vermeiden, dass dann und wann Kröten, Schlangen, Mäuse, Maulwürfe, Eidechsen oder sogar kleine Feldhasen über die Klinge des Mähwerks springen. Zur Erntezeit finden sich deshalb alljährlich und pünktlich 2-3 Greifvögel ein, welche dann geduldig über der Polana kreisen, um bequem und sportlich wertlos die Opfer der Heumahd aus der Wiese zu sammeln. Spektakulär anzusehen, wenn ein Bussard im Sturzflug scheinbar planlos im gemähten Gras aufschlägt, um Sekunden später mit einem zappelnden kleinen Feldhäschen wieder emporzusteigen. Es macht leider wenig Sinn, abmildernd in den Nahrungskreislauf einzugreifen: Einmal erblickte ich vor mir eine Kröte, hielt gerade noch rechtzeitig an, sprang vom Traktor und schaffte sie aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich in die angrenzende gemähte Zone. Als ich weiterfuhr, sah ich im Rückspiegel einen Greifvogel, der die soeben gerettete Kröte im Vorüberfliegen einsammelte.

Nach der Heuernte und einigen traditionellen Sommer-Events (Glühwürmchen-Wanderungen, Nachtausritte, Heu-Übernachtungen, Polana-Lights) kehrt mit den Pferden und Rindern wieder Ruhe ein. Diese bevölkern die Wiese meist bis in den Winter hinein. Seit einigen Jahren hält ein Pferde-Überbrückungskontingent sogar im Winter die Stellung.

Östlich der Polana sammeln sich einige Gerinne, um gemeinsam einen Bach zu bilden. Dort schließlich, wo dieser Bach hinunter in eine romantische Schlucht stürzt, baute mein Urgroßvater im Jahre 1891allen Ernstes und allen Warnungen zum Trotz eine Hausmühle, die familienintern bis heute als sagenhafte Fehlinvestition gilt und mit der er sich nachhaltig den beißenden Spott seiner Zeitgenossen einhandelte. Vielleicht hatte er sich auch nur von der allgemeinen Aufbruchsstimmung des Industriezeitalters in der kurzen friedlichen Dekade nach Königgrätz und vor dem ersten Weltkrieg anstecken lassen. Möglicherweise war er einfach überzeugter Optimist. Sicher ist: Der Bach führte nur bei intensivem Regen oder während der Schneeschmelze im Frühling genügend Wasser, um das Mühlrad ausreichend anzutreiben. Der Bau der Mühle erwies sich deshalb schon bald als kapitaler Irrtum (böse Zungen meinten, an diesem Ort wären zwar kaum Getreidekörner, dafür aber jede Menge Gulden, Kronen und Kreuzer gemahlen worden), sie wurde wegen fehlender Funktionalität aufgegeben und verfiel zusehends, bis sie irgendwann als billiges Baustoffdepot geplündert und im Laufe der Zeit restlos abgetragen wurde. Offensichtlich mied die Familie diesen Ort jahrzehntelang, selbst der exakte Grenzverlauf war unbekannt, Markierungen existierten nicht. Erst eine Neuvermessung vor einigen Jahren brachte endlich Licht ins Dunkel und ermöglichte eine genaue Lokalisierung des einstigen Gebäudestandorts. Schade eigentlich, ein bewohnbares kleines Häuschen an diesem abgelegenen Ort, so ganz ohne Elektrizität, lediglich mit spartanischem Komfort und dazu ein kleines „Kaltwasser-Maibachl”…. das hätte wahrscheinlich enormen Erholungswert mit Romantik-Faktor 100: „Eine Mini-Einsiedelei mit fließendem Wasser in der Feuersalamander-Schlucht”. Und wer weiß denn schon, was die Zukunft bringt ? Was nicht mehr ist, kann ja vielleicht in abgespeckter Holzbau-Variante wieder werden….denn die kleine Parzelle unten am Bach ist noch immer als Bauland ausgewiesen (zumindest 60 Quadratmeter davon). Der Weg von einer Idee bis zu ihrer Ausführung kann natürlich – oft erlebt – ein ziemlich langer sein und unter Umständen in einer Sackgasse enden. Von Zeit zu Zeit folge ich dem Lauf des Baches von der Polana bis zur Schlucht, vorbei an den Stellen, an denen wir als Kinder pfeilschnelle Bachforellen jagten, kleinen Flusskrebsen nachstellten, durch die Uferböschungen kraxelten oder aus herumliegendem Holz primitive Lagerstellen bauten. Trotz der zuerst gluckernden, dann sprudelnden und unten in der Schlucht rauschenden Geräuschkulisse sind es stille Örtchen mit vielen schönen Erinnerungen an erfrischend ineffiziente Tage geblieben. Wir hatten nicht gerade viel zu gewinnen, aber auch wenig zu verlieren, die Schuhe waren meistens nass und die Hosen immer dreckig. Niemals wurden wir beaufsichtigt, maximal bekam man ein „Schön aufpassen !!!” mit auf den Weg, verbunden mit der freundlichen Ermahnung, spätestens zu Einbruch der Dunkelheit und wenn möglich vollzählig wieder zu Hause zu sein. Diese durchaus mutige Gelassenheit ist den zeitgenössischen Erziehungsberechtigten offensichtlich völlig abhanden gekommen. Die freie Natur selbst greift ja nicht immer zu so antiautoritären, dafür aber nachhaltigen Erziehungsmethoden: Fehler, Unkonzentriertheiten, mangelhafte Klettertechnik oder Übermut wurden und werden prompt mit Kratzern, Abschürfungen, Prellungen oder blauen Flecken bestraft. Learning by doing, wenn man so will, eine solide Grundausbildung ohne Schuldzuweisungen. Mit dieser „Freizeitgestaltung” ging eine schleichende Verwurzelung einher, die man vielleicht als „sehr lokales, kleinräumiges Heimatgefühl” bezeichnen könnte. Egal, welche Lebensentwürfe ich jemals ins Auge gefasst hatte – die Schauplätze waren garantiert stationär, Emigration in irgendwelche Karrieren oder Großstädte war niemals und unter gar keinen Umständen vorgesehen. Noch immer strahlen die einstigen Spielplätze mit ihren unzähligen Grün- Braun- Ocker- und Grautönen jene Unbeschwertheit und Geborgenheit aus, wie man sie halt nur in den unbedarften Anfangszeiten erlebt, weil man noch nicht allzuviel von der Welt und  ihren oft merkwürdigen Gesetzmäßigkeiten, den Menschen und ihren oft sonderbaren Verhaltensweisen und den zahlreichen Problemen außerhalb dieses Reservates erahnen oder gar wissen kann.

Selbst wenn die Gegend einen aktuell  eher wilden und unberührten Eindruck macht – so ruhig war es hier nicht immer. Schon die Namensgebung der ortsansässigen Polana-Berge lässt problemlos auf Metall und Bergbau schließen. Den langgestreckten Rücken im Norden (717 m) nennt man Rudnik (= Bergwerk auf Slowenisch), und das, obwohl er weder über Tagbaustellen, noch über Stollen und schon gar nicht über Schächte oder auch nur klitzekleinste Bergbau-Hinweise verfügt. Der Berg im Süden der Polana heißt schwarz auf weiß Bleiberg (mit 770 m die höchste Erhebung des Tabor-Wauberg-Rudnik-Bleiberg-Hügellandes) und auch in diesem Falle ist der Name extrem irreführend, denn Blei sucht man am und im Bleiberg vergebens. In beiden Fällen scheint man im Laufe der Jahrhunderte namensgebungstechnisch bzw. bergezuordnungsmäßig böse Fehler gemacht, ohne sie je korrigiert zu haben. Die Wahrheit liegt, wie so oft… exakt in der Mitte. Dort befindet sich nämlich der dritte der „Polana-Berge”, die Landkarten spucken ihn fast verächtlich als namenlose Kote 642 aus. Ein Friesacher Bergrichter namens Warmuhs bezeichnet ihn 1753 wegen seiner Inhaltsstoffe als „Bleikofel” und diagnostiziert trocken: „An sehr vielen Stellen beißt Erz aus, auch viele alte Schächte und Stollen sind da zu sehen, woraus man erkennen könne, dass hier die Alten sehr viel gebaut haben müssen”. Haben sie ja auch. Der „Berg in der Mitte” ( Bleikofel, Kozjak, Arzach oder Kote 642, einen offiziellen Namen gibt es nicht) ist mit Tagbaustellen übersät und von Stollensystemen durchzogen. Möglicherweise wurde auf und in ihm schon seit 3000 Jahren Blei und Zink bzw. Zinkblende (aus deren Legierung mit Kupfer man Messing gewinnt)abgebaut. In etwas größerem Stile jedenfalls ab 1871, als die Bleiberger-Bergwerks-Union als potenter Investor einstieg und sich mit moderneren Arbeitsmethoden und beachtlichen Investitionen ans Werk machte. Leider war die Blütezeit erschreckend kurz, denn bereits 35 Jahre später, 1906, wurde der Bergbau auch schon wieder eingestellt. Noch 1905 holten 40 Bergleute immerhin 63 Tonnen Bleierz und nicht weniger als 612 Tonnen Zinkerz aus den Gruben, weitere 4 Männer und 8 Frauen mühten sich mit der Erzaufbereitung ab.

Über die genauen Gründe der plötzlichen Stilllegung gehen die Meinungen auseinander. Man hört von Wassereinbrüchen, die es entweder unrentabel oder sogar unmöglich gemacht haben, an tiefer gelegene, umfangreichere Erzlager heranzukommen. Wie auch immer, damals bei ihrem Bau….lag Urgroßvaters Mühle also nicht vor einer ruhigen, gottverlassenen Schlucht, sondern beinahe mitten im florierenden Industriegebiet. Kaum vorstellbar, wenn man den aktuellen Stand der Dinge sieht und erkennt, wie schnell die Natur die menschlichen Spuren verwischt. Schlägt man sich von hier aus auf die bewaldete Vorhöhe des Bleikofels durch, kann man auch heute noch viele erodierte und zunehmend von der Vegetation überzogene Tagbaustellen erkennen. Ein fast senkrechter Schacht führt hinunter ins Berginnere, höchstwahrscheinlich ist es ein Entlüftungsschacht des umfangreichen „Romuald-Spiridion-Feldes”, in welchem die Stollensysteme zusammenlaufen. An dieser Stelle wäre es vernünftiger, die Reißleine zu ziehen und selbsterlebte Details behutsam unter den Teppich zu kehren, obwohl man die Stimmungen, Gerüche und Geräusche im Berginneren bestimmt in einigen Absätzen konservieren könnte. Nicht alle Geschichten müssen zwingend niedergeschrieben werden – meine Frau und meine Mutter waren zwar noch nie da und haben deshalb nicht die leiseste Ahnung, machen sich aber trotzdem und zwar ständig Sorgen und mein Sohn stuft die Gefahr immer als verschwindend gering ein. Von der drohenden Reglementierungswut einzelner Behörden ganz abgesehen.

Wandert man ohne Umwege durch die „Feuersalamander-Schlucht” bis ins Tal hinunter, erreicht man an deren Ende das alte Knappen-Wohnhaus, die letzte bauliche Reminiszenz des alten Bergwerks. Daneben gab es damals eine (ab 1903 dampfbetriebene) Erzaufbereitungsanlage mit 8 Bottichen, einem Pochwerk mit 5 Stempeln und einem Stoßherd, außerdem existierte dort noch ein großer Flammofen zum Schmelzen der Erze und darüber hinaus eine Schmiede. Das Knappenhaus jedenfalls hat den Zeitenwandel größtenteils unbeschadet überstanden und dient nun leicht zweckentfremdet und baulich erweitert…..bunt uniformierten Pfadfindern aus allen Ecken Europas als Unterkunft. Über die Abraumhalden sind längst Gras, Büsche und Bäume gewachsen, das Gelände wird mit dem Pfadfinder-Camp „Techuana” durchaus intelligent nachgenutzt. Kleine Naturbühnen, idyllische Zeltplätze am Bach, rundherum nur Wiesen, Felder und Wälder. Weil ein langer Sandweg mit einer attraktiven S-Kurve im letzten Abschnitt mitten durchs Techuana-Areal führt, bin ich hier öfter in verschiedenen Geschwindigkeiten mit unseren Pferden und diversen Reiterinnen unterwegs. Vielleicht war meine Identität auch deshalb nicht besonders brüchig, weil ich meine Spielplätze nie aus den Augen verloren habe. Kann schon sein. Es sieht ja auch nur so aus, als sei die Zeit stehengeblieben,  eigentlich läuft sie dauernd unverschämt schnell davon.