von Hansi Mikl
(Die nächsten zwei Wochen in der geschützten Wauberg-Werkstätte)
Vorsatz:
„Archäologie ist die Suche nach Fakten. Nicht nach der Wahrheit. Wenn sie an der Wahrheit interessiert sind – Dr. Tyries Philosophiekurs ist am Ende des Ganges”.
(Indiana Jones, „Der letzte Kreuzzug”))
Die Wahrheit ist, dass es viele Wahrheiten gibt und jede einzelne davon ist je nach Perspektive unverschämt dehnbar und individuell verschieden. Deshalb ist es auch nicht immer ganz klar, ob man in der Wirklichkeit unterwegs ist, oder nur in einem Film, dessen Drehbuch man nicht geschrieben hat. Es gibt jedenfalls kein funktionierendes Patentrezept gegen die ständigen Unwägbarkeiten des eigenen Lebenslaufes, in dem man selbst mit gutem Profil jederzeit ausrutschen kann und darüber hinaus nie vor Grenzerfahrungen sicher ist, die man so gar nicht machen wollte. Aber wenn man die einzelnen Lektionen mit Humor, Leidensfähigkeit und einer Menge Sarkasmus zu wertvollen Erinnerungen weiterverarbeitet, lernt man mitunter tatsächlich dazu und trifft manchmal sogar den Punkt, an dem man die eigene kleine Welt ein wenig aus ihren knarrenden Angeln heben kann. Was sind denn schon kleine persönliche Siege und Niederlagen im Angesicht einer über 6000jährigen Geschichte ?
Repräsentativ für die unkalkulierbare Eigendynamik der Ereignisse möchte ich nur die Spitze des massiven Eisberges kurz erwähnen:
Du bist mein Schatz!
Die Archäologische Fundstätte am Wauberg in Kärnten wurde mit 27,55 % der Stimmen zum Lieblingsdenkmal der Österreicher/innen gewählt.Auf tv.ORF.at konnten die Zuseher/innen bis Donnerstag, den 24. September, entscheiden, welcher der neun gezeigten „Schätze”, das Lieblingsdenkmal der Österreicher/innen wird. Am Freitag hat Barbara Neubauer, Präsidentin des Bundesdenkmalamts, in „Kultur Heute”, die Archäologische Fundstätte am Wauberg in Kärnten als Sieger bekanntgegeben.
VI. Wauberg, Archäologische Fundstätte Kärnten
Indiana Jones am Faaker See.
Eigentlich wäre die östliche Erhebung oberhalb des Faaker Sees, der Wauberg, relativ überschaubar – wäre da nicht die Legende von einer mittelalterlichen Burganlage, mittlerweile vollständig unter der Erde begrabenAnlass genug für Biobauer Hansi Mikl, der Sache auf den Grund zu gehen: 2015 wurde von der Stadt Villach beschlossen, eine archäologische Grabung in die Tiefen des Waubergs zu unternehmen. Was dabei allerdings zutage getreten ist, hat eine viel weitreichendere Geschichte bis in die Kupferzeit.
http://tv.orf.at/orf3/stories/2730972/
Diese Episode ist klarerweise nicht ganz spurlos am Wauberg vorübergegangen und war publicitymäßig ein willkommener Steigbügelhalter für eine weitere Grabung. Nur waren die Folgen längst nicht durchwegs positiv.
Zwischen zwei Grabungskampagnen also eine konstante, langanhaltende Aneinanderreihung von Allianzen und Mesalliancen mit durchwegs erstaunlichen Begebenheiten, auf deren weiteren und genauen Verlauf ich aus einer Vielzahl von sehr guten Gründen nicht näher eingehen sollte. Unter meinem Teppich ist jede Menge Platz.
Nur so viel:
Ehe das Wauberg-Projekt an den Start ging, nahm mich meine Frau (übrigens eine sehr pfiffige Frau) ernsthaft zur Seite und warnte mich sehr eindringlich vor den Geistern, die ich damit wecken könnte. Die nämlich, die man nicht mehr los wird, wenn man sie erst gerufen hat. Ich schlug ihre Warnungen zwar nicht gleich in den Wind, war aber relativ überzeugt, jedwede Geister mit altbewährten Übersteigern, Körpertäuschungen oder wenigstens mit überzeugenden Argumenten irgendwie in den Griff kriegen zu können. Mit fast 50 ein reichlich optimistischer Ansatz, denn rückblickend handelte es sich nicht um ein paar vereinzelte Geister, sondern eher um eine durchgehend vollbesetzte Geisterbahn, die sich weder an Grundregeln und Ruhezeiten, noch an Geschwindigkeitsbeschränkungen hielt. Das dringende Bedürfnis, diese Geisterbahn einfach entgleisen zu lassen überkam mich regelmäßig. Manchmal saß ich in unerwartet auftauchenden Parallelwelten der unvorhersehbaren Winkelzüge, des Tarnens, Taktierens, Täuschens und Verschleierns tatsächlich kurzzeitig am Lenkrad, aber im Normalfall war ich nur staunender Passagier. Unterwegs auf dem langen Weg zur Berthahütte traf ich also, ob ich wollte-sollte oder nicht, viele fanatische und fantastische Figuren:
Aufstrebende, smarte Filmemacher, leidenschaftliche Archäologen, Leiden schaffende Archäologen, sattelfeste Paragraphenreiter, strenge Hüter der politischen Korrektheit, gemütliche Fremdenverkehrsteilnehmer, gnadenlose Jäger neuer Geschichten, dunkle Nachtschattengewächse aus der Raubgräber-Community, abenteuerliche Geologen, die Phosphorbomben abwarfen und Gletscher schliffen, unverbindliche Individualisten, rationale Nonkonformisten, in allen Gassen hansdampfende Energetiker…. und last but not least spannende Frauen aus der Unvergesslich-Schublade und als Gegenpol völlig unzuverlässige Damen aus der Ganz-ganz-schnell-vergessen-Rubrik. Unfassbar. Am Ende der Wartezeit und am Anfang der zweiten Grabungskampagne kann ich jetzt zumindest mit der Erkenntnis punkten, dass die Zukunft bei andauernden Ausnahmezuständen nur bedingt planbar ist, besonders dann, wenn man in der Tiefe der Zeit mit so vielen verschiedenen Vergangenheiten konfrontiert wird.
Damit wäre mir, so ganz nebenbei, eine extrem kalorienreduzierte, fast zuckerfreie Einleitung gelungen, von der Zeitersparnis und Nervenschonung ganz abgesehen.
Im vergangenen Jahr machten wir uns eher leichtfüßig und unbedarft auf den Weg, um etwas noch Unbestimmtes zu suchen und hätten bestimmt nicht damit gerechnet, dass die Folgen des Findens unser Leben verändern könnten. Ob die breiter gewordene Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit während der zweiten Kampagne ein wenig schmaler wird, darf getrost bezweifelt werden. Der Interpretationsspielraum zwischen Annahme und Vermutung ist vor Beginn der Grabung unverschämt breit und lässt viel Platz für gewagte Theorien und fromme Wünsche. Sicher ist nur, das nichts sicher ist.
Sicher ist wenigstens, dass wir in der öffentlichen Wahrnehmung den beachtlichen Sprung von gerade noch zeit- und steuergeldverschwendenden Spinnern zu jetzt plötzlich seriösen (Er)Forschern geschafft haben, damit über etwas breitere Akzeptanz verfügen und sogar in der Fachwelt Begehrlichkeiten wecken konnten. Was ist denn schon Know-How ohne Know-Why ? Die Genugtuung tut genug für uns.
Doch nicht genug.
Ein paar Tage vor dem Start irrt sich Frau Holle gewaltig in der Jahreszeit und schüttelt als verspätetes Weihnachtsgeschenk spät im April eine 40 Zentimeter dicke Schneeschicht über die blühende Vegetation. Bäume stürzen, Äste brechen, Geduldsfäden reißen, Bandscheiben knirschen, Stimmungsbarometer sinken …..aber aufgegeben werden höchstens Briefe. Es gibt Motorsägen, aber keine Verschiebungen, der 2. Mai ist wie geplant der 1. Grabungstag.
Tag 1, 2. Mai 2016
Zeit, die (un)geregelten Ordnungsstrukturen des Alltags zu verlassen und neue Wirklichkeiten aus alter Zeit zu ergraben. Theoretisch jedenfalls. Praktisch fällt der Plan mit intensiven Regenfällen vorerst gehörig ins Wasser. Das Wetter hält sich nicht an individuelle Wünsche, sondern exakt an die Prognose, diverse Stoßgebete verpuffen ungehört in den tiefhängenden Wolken. Der Kachelofen im Frühstücksraum spendet Wärme und Trost, das neue Teambuilding beginnt bereits zeitig mit klingelnden Termin-Telefonen und Krisenmanagement-Smartphones. Claus ist mit Operationsnachwehen zwar noch ein wenig schaumgebremst (dafür ist seine Frau Andrea als Teilzeit-Krankenschwester und Ganzzeit-Seelentrösterin vor Ort), aber grundsätzlich guter Dinge. Sein Kompagnon Günther wird uns ein paar Tage lang mit Rat und Tat zur Seite stehen, er sorgt schon jetzt mit sparsamer, aber treffsicher gezielter Wortwahl in angespannter Lage und im aufs Notwendige reduzierten fränkischen Dialekt für durchaus willkommene Stimmungsaufhellungen. Erstmals mit in der Grabungsmannschaft ist auch Andreas, ein langjähriger Weggefährte aus Baden-Württemberg und aus vielen Sommern, 100% Zuverlässigkeit auf zwei Beinen. Vor Pfingsten mischen sich munter die Mundarten: Bayern, Schwaben, Franken, Steirer, Kärntner. Im Laufe des Vormittags ist das Montags-Line-Up fast komplett: Mit Lilly schneit eine alte Bekannte von der Vorjahresgrabung herein, neu hingegen ist der zweite Grabungsleiter….Martin wird für die Frühgeschichte verantwortlich sein. Die aktuelle Wetterlage kommentiert er wortlos mit einer selbstgedrehten Zigarette, im entstehenden Rauch wird die leicht vernebelte Weltsicht möglicherweise erträglicher. Soll so sein. Kurze Aufhellungen bringen zwar etwas Hoffnung, aber noch keine Wetterbesserung. Das mühevolle Totschlagen der Wartezeit wird bald sinnvoller: Claus präsentiert gewohnt lebendig und eloquent eine flotte Zusammenfassung der 2015er-Kampagne, kurzweilig werden die Funde präsentiert und besprochen, Martin übernimmt gleich die Retrospektive der Bronze- und Kupferzeitscherben. Erstmals wird die Spannung spürbar, denn wir werden ziemlich sicher Erfahrungen machen und Ergebnisse erzielen, die nicht immer dem persönlichen Geschmack entsprechen könnten.
Der Regen trägt der allgemeinen Aufbruchsstimmung schließlich Rechnung und lässt tatsächlich nach, das Vetterlingomobil hat seinen ersten Einsatz. Durch feinen Sprühregen, tiefe Pfützen und den letzten Schnee von gestern geht es zu einem ausführlichen Lokalaugenschein auf den Wauberg. Der seifige Zehendner-Steig testet ohne Vorlaufzeit die Trittsicherheit und das Lungenvolumen der Debütanten. Der Übermut hält sich in Grenzen. Die Begehung gestaltet sich ziemlich ausführlich, die ersten beiden Schnitte werden nach genauem Geländestudium erwartungsgemäß und brüderlich zwischen Mittelalter (Claus) und Vorgeschichte (Martin) geteilt. Ein großer Schnitt (3×3 Meter) wird relativ zentral im „Kraftfeld” erfolgen und soll Fakten zur Frühgeschichte (Kultplatz oder Siedlung oder Kultplatz und Siedlung oder weder noch ?) ans Tageslicht bringen. Der zweite Versuch wird etwas weiter nördlich, bereits im Wald und wohl schon im einstigen Burgbereich gestartet. Genau dort nämlich vermutet Claus den Zugang zur Anlage.
Auf Marianos Initiative hin wird auf dem Kraftfeld ein kleines „Schnittlauch-Experiment” gestartet. Ein Exemplar wird in den Vorjahresschnitt gepflanzt, das andere Versuchskaninchen wird in einem Topf unmittelbar daneben ums Überleben kämpfen.
Feuchtkalter Rückzug hinunter ins Basislager.
Bei angenehmen Kachelofen-Temperaturen, Kaffee und Keksen entwickelt sich nicht ganz unvermutet eine hitzige Raubgräber-Diskussion, die sich später nach dem Abendessen zunehmend entspannt und langen, zielgerichteten Gesprächen Platz macht. Zu weit fortgeschrittener Stunde startet eine kleine Wahrsager-Challenge auf Kaffeesud-Niveau: Jeder bringt seine Erwartungen zu Papier, die Entwürfe landen bei Claus und werden am Ende der Grabung veröffentlicht. Der Wettbewerb ist zwar nicht hochdotiert, aber immerhin: Der Sieger erhält ein paar Flaschen „Hirter 1270″. Also sitze ich um Mitternacht noch am Schreibtisch und formuliere im Halbschlaf leicht melancholisch an Dingen herum, die vielleicht passieren werden oder auch nicht. Und doch ist jeder Satz echter Leidenschaft und noch echterer Neugier geschuldet. Die Gedanken beim Einschlafen drehen sich munter im Kreis, obwohl ich die Initiationsrituale längst hinter mir habe. Der Wauberg raubt mir jetzt schon die Energie…aber er gibt sie mir hoffentlich irgendwann wieder doppelt zurück. In fünfeinhalb Stunden klingelt der Wecker.
Tag 2, 3. Mai 2016
Als der Wecker dann klingelt frage ich mich schon, was mich eigentlich glücklich macht. Das unausgeschlafene Einheizen der Öfen ist es jedenfalls nicht. Der allmorgendliche Alltagsparcours umfasst außerdem den Koppelgang der Pferde, diverse Stallarbeiten, Grabungs-Vorbereitungen, einen kurzen Flug über die Tageszeitung und andere Notwendigkeiten. Erst dann kann endlich der Traktor in Stellung gebracht werden. Der Dienstag verspricht zum Montags-Gegenentwurf zu werden…es ist zwar eher kühl, aber hinter den Wolken blinzelt schon vergnügt die Sonne durch. Das Vetterlingomobil stößt an seine Kapazitätsgrenzen: Neben Unmengen an Werkzeug und Proviant quetschen sich zu Grabungsstart in Ölsardinenmanier Claus, Günther, Andreas, Mirko, Lilly und Martin auf vier Heuballen in den Anhänger. Die Zufahrtswege sind tief und matschig, der Zehendner erneut eher selektiv. Nach kurzer und gemeinsamer Verschnaufpause mit schönen Aussichten nach Osten in den Kärntner Zentralraum verteilt sich die Crew schon bald auf die geplanten zwei Bereiche. Unterm Blätterdach der Buchen macht man sich auf die Suche nach dem Mittelalter, etwas tiefer unten, mitten auf der kleinen Lichtung des „Kraftfelds” geht es etwas umfangreicher in noch weiter entfernte Zeitalter. Claus und Günther bearbeiten natürlich das (im wahrsten Sinne des Wortes, weil sehr schattig) dunkle Mittelalter und Martin überwacht ebenso natürlich die Arbeiten im Urgeschichtsbereich, der Rest ist flexibel und darf es auch sein. Die beiden Grabungsleiter dirigieren ihr Personal überaus moderat und am langen Zügel. Praktischer Geschichtsunterricht und aufregende Spurensuche in einer improvisierten archäologischen Montessori-Schule, wenn man so will. Ich begebe mich gerne und ununterbrochen auf Zeitreisen und mache mich abwechselnd auf beiden Baustellen nützlich. Die ersten Funde lassen nicht allzu lange auf sich warten. Die Burg liefert Teile einer Bodenplatte aus Terracotta, einige Dachziegelstücke und immer wieder ein paar Scherben. Leider taucht im oberen, nördlichen Bereich schon bald der gewachsene Fels auf, während das Gelände etwas südlicher steil abfällt, keinerlei Indizien für den gesuchten Weg.
Im großen „Kraftfeld-Schnitt” schaufeln wir uns zunächst durch eine dicke Wachstumsschicht aus schwarzer Erde und Steinen, darin findet sich vorerst noch Mittelalter-Keramik, aber tiefer kommend wechseln langsam die Zeitalter. Knochenfunde, Scherben und immer wieder Hüttenlehm untermauern massiv einen (mindestens) bronzezeitlichen Siedlungsbereich, den ich spontan und Martin zu Ehren „Berthahütte” nenne. Der kleine Scherz bürgert sich ernsthaft ein und wird in den offiziellen Sprachgebrauch übernommen. Nachmittags besuchen uns Ines und Andrea mit guter Laune und einer Überdosis Kaffee, dazu wird frischer Reindling aus „Gertis Mehlspeisenmanufaktur” kredenzt. Mit Andi verstärkt ein weiterer Archäologie-Lehrling von 2015 das Team. Nichtsdestotrotz kommen feiner Sand und grobe Steine ins Getriebe: Erstens muss die Grabung noch wesentlich genauer als im Vorjahr dokumentiert werden, was zweitens einen erheblichen Zeitaufwand für Vermessungs- und Fotoarbeiten darstellt und dadurch drittens für zeitweise und unfreiwillige Arbeitslosigkeit bzw. Untätigkeit unter den Schatzsuchern sorgt. Viertens fehlt leider ein wichtiger Bestandteil der Vermessungs-Software. Das fehlende Teil lagert unterdessen weit entfernt in Bamberg (die zuständige Dame wird, ohne es zu wissen…tagelang in akuter Lebensgefahr schweben), soll aber nach einem reinigenden Gewitter bereits postalisch auf dem Weg zum Wauberg sein. So weit, so schlecht.
Kurzerhand und notgedrungen wird eine dritte Baustelle als Beschäftigungstherapie eröffnet. Der Standort scheint gut gewählt, er befindet sich ca. 10-15 Meter westlich der Berthahütte, etwas außerhalb des „Kraftfelds” im Bereich einer wallartigen Geländeformation oberhalb des Wanderwegs. Die Euphorie ist dementsprechend groß. Unerwartet stellt sich jedoch schon bald tiefe Ernüchterung ein, unter einer eher dünnen Schicht aus Humus und Wurzeln stoßen wir sofort auf den Trias-Dolomit. Definitives Ende im Gelände ohne einen einzigen Fund !!!!
Der Feierabend wird seinem Namen trotzdem gerecht, denn es geht in entspannter Runde kohlenhydrat- und glückshormonetankend in die „Nudelfabrik”. Die Dreierkombination aus Zitronenpesto, Schinken-Käsesauce und Pasta Siciliana bleibt allerdings nicht der einzige Höhepunkt. In München gewinnen die Bayern gegen Atletico Madrid zwar mit 2:1, verlieren aber trotzdem. Der lange Dienstag endet nicht vor Mitternacht.
Tag 3, 4. Mai 2016
Fast perfektes Grabungswetter mit einem freundlichen Mix aus Sonne und Wolken bei passablen Temperaturen, aber ganz im Gegensatz zum Wetter folgt der Mittwoch keinem bestimmten Schema und hat allerlei Turbulenzen im Repertoire. In der morgendlichen Mannschaftsaufstellung fehlt leider erstmals und hoffentlich letztmals Claus, der bis Mittag via Telefon und Internet die dringende Vermessungs-Software auftreiben will. Mit Günther, Martin, Andreas, Mirko und Lilly ist die Besetzung trotzdem ziemlich schlagkräftig und verteilt sich pünktlich auf die drei Schnitte. Gründliche Nacharbeiten im Mittelalter mit interessanten Befunden, aber ohne besondere Funde. In der Berthahütte wird munter weitergespachtelt und dokumentiert, im vermaledeiten „Leider-nein-Schnitt” ist außer Felsen genau gar nix gewesen. Bei so vielen Leuten läuft die Arbeit Gefahr….. knapp zu werden, Andreas wechselt mit mir die Fronten. Unten im Dorf, gefühlte Lichtjahre entfernt, bearbeiten wir mit Rasenmähern und Motorsense erschöpfend das Gelände.
Claus´ stundenlange Software-Bemühungen waren vergebens, noch nie habe ich ihn so niedergeschlagen und genervt erlebt. Gemeinsam geht es am frühen Nachmittag zurück in die geschützte Wauberg-Werkstätte, Angriff ist die beste Verteidigung. Eine kleine, aber notwendige Krisensitzung verläuft in einer konstruktiven „Was-man-nicht-ändern-kann-muss-man-aushalten-Atmosphäre” ausgesprochen entspannt und hat ausgesprochen spannende Folgen: Günther regt mit guten Argumenten eine Verlängerung der Mittelalter-Suche nach Süden an und ich bekomme wunschgemäß einen weiteren Anlauf im Kraftfeld, unmittelbar unter der Berthahütte und direkt neben dem Premium-Schnitt der Vorjahres-Kampagne. Alles Schlechte hat also auch sein Gutes.
Die neuen Aufgaben werden mit großem Elan in Angriff genommen und erste Früchte können bald geerntet werden. Im neueröffneten Mittelalter-Shop landet interessante Keramik auf dem Tresen, die nicht unbedingt besonders mittelalterlich aussieht, aber auch nicht gerade urgeschichtlich. Spätantike vielleicht ? Claus und Günther sind unschlüssig. In der kleinen Berthahütte finden wir in der obersten Schicht noch etwas Mittelalter-Keramik, danach schon erste Scherben aus der Bronze- oder Kupferzeit. Das konzentrierte Arbeiten in absoluter Ruhe oben auf dem Berg ist ein deutlicher Gegensatz zur Hektik der „ganz normalen Arbeitswelt”, die man dann in der Abgeschiedenheit der Grabung gar nicht mehr als ganz normal empfindet. Man sucht und findet möglicherweise Dinge, die menschlicher und beseelter sind als die latente kollektive Vereinsamung am Smartphone. Dieses behutsame Distanzlegen zum Alltag geschieht übrigens vollautomatisch und so kann es durchaus passieren, dass sich beim Finden plötzlich eine Verbindung zum Vorbesitzer aufbaut, der hier vor Jahrtausenden unterwegs war. Das sind keine seichten Erfahrungen aus dem leichten Fach der selfiedominierten Jetztzeit, da wird glatt ein Hauch von Spiritualität spürbar. Wer solche Sachen erlebt, fährt nicht völlig unverändert nach Hause.
Dort warten mit etwas Verspätung die gewohnten Haus&Hof-Standard-Jobs. Halbwegs pünktlich werfe ich den Grill an, das Abendessen ist diesmal gleichzeitig eine mit Zehendner-Bier und speziellen Bratwürsten unerhört fränkisch angehauchte Abschiedsfeier für Andrea und Günther, die uns morgen verlassen werden. Zu den üblichen Verdächtigen gesellen sich im Laufe des Abends und der Nacht ……besondere Gäste und spezielle Ereignisse ans Lagerfeuer. Kurt bringt, bestens gelaunt, gute Nachrichten und eine Einladung zur Eröffnung einer „Welt der Römer”-Ausstellung im Villacher Stadtmuseum. Nach Mariano greift zu fortgeschrittener Stunde unaufgefordert und gekonnt auch Martin zur Westerngitarre und sorgt mit beachtlicher Fingerfertigkeit und eleganten Blues-Interpretationen für allseits weit heruntergeklappte Kinnladen. Leider geht die Mitternachts-Einlage völlig in die Hose, der Versuch einer Annäherung oder gar einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen den Archäologen und einem Sondengänger endet mit heftig-deftigen Streitgesprächen lautstark in einer Sackgasse. Als Mediator fühle ich mich trotz ehrlicher Bemühungen in jeder Hinsicht gescheitert, am Ende der Geisterstunde werden keine Friedenspfeifen geraucht, sondern die letzten Handtücher geworfen. So entstehen Legenden. Wie passend.
Tag 4, 5.Mai 2016
Erwartungsgemäß beginnt der Feiertag, der keiner ist, viel zu früh und außerdem mit ein paar Regentropfen. Wenigstens trocknen die Tränen schnell, der Rest von Christi Himmelfahrt bleibt trocken und wechselnd bewölkt. Der morgendliche Terminkalender ist mit Standardarbeiten und Überraschungsanrufen brechend voll, über der Holzbanklehne auf der „Präsidenten-Lounge” hängt eine Stofftasche mit einer vielversprechenden Botschaft: „Vermehrt Schönes”. Na dann. Ab 9 brechen wir weiterhin ohne Vermessungs-Software, aber mit viel Personal in Richtung Wauberg auf. Zu Mirko, Lilly, Claus, Günther und Andreas gesellt sich der schulfreie Mariano. Und der sondiert gleich recht erfolgreich im Steilhang und in den Wurzelballen vom Schnee gefällter Bäume: Ein großes Messer und schöne Keramikfragmente belohnen die Strapazen !
Ansonsten das gewohnte Switchen zwischen den Schnitten und Zeitaltern, unterbrochen von umfangreicher Dokumentation mit improvisierter Vermessung, Fotografie und Beschreibung. Die dadurch entstehenden kreativen Pausen werden individuell unterschiedlich genützt: Mirko und Andreas liegen gemütlich in der Sonne, Lilly zieht den Schatten vor und ich klettere mit meiner Kamera so hoch wie möglich in die nächstbeste Buche, um „Luftaufnahmen” von den Arbeitsplätzen und deren Bearbeitern zu ergattern. Gegen Mittag kommen noch Ines, Andrea und Andi. Beim heiter-besinnlichen Schießen von Erinnerungsfotos im Gruppenmodus wird die Gegenwart bereits zur Antiquität, Andrea und Günther verlassen uns am Nachmittag in Richtung Bamberg. Jammerschade. In der kleinen Berthahütte findet sich als Trostpflaster und Sehenswürdigkeit eine attraktive Scherbe: Vucedol ? Lasinja ? Langobardisch ? Es gibt Meinungsschwankungen.
Der felsige „Leider-nein-und-außer-Spesen-nichts-gewesen-Schnitt” wird fein säuberlich geputzt und abschließend nochmals vermessen und abgelichtet. „Auch ein negativer Befund ist ein Befund”….Martin kommentiert die Pleite gewohnt trocken und eine diesbezügliche Wette mit Claus endet versöhnlich und mit einem leistungsgerechten Unentschieden. Das übliche Zusammenstellen der Werkzeuge unter einer Baumgruppe beschließt den Grabungsdonnerstagtag, später Rückzug gegen 17Uhr45.
Ein paar Stockwerke tiefer warten schon hungrige Tiere und durstige Pflanzen, die Rest-Energie verpufft am Hof. Gemeinsames Abendessen und lange Gespräche, Meinungsverschiedenheiten, Meinungsübereinstimmungen und Diskussionen im Frühstücksraum, das Heute endet wieder und wie üblich erst im Morgen. Nach Mitternacht wälze ich mich über einen großen Gedanken-Stapel unruhig in den Schlaf.
Tag 5, 6. Mai 2016
Gott, wie ich diesen Wecker hasse !!! Ein Königreich für einen Vorschlaghammer !!! Mit kleinen, unausgeschlafenen Augen lasse ich den Blick über die Morgenarbeiten und das sonnige Panorama schweifen. Der allgemeine Optimismus hängt am seidenen Faden des langersehnten Eintreffens der Vermessungs-Software, die nun schon seit Tagen per „Eilpost” unterwegs ist, ohne je angekommen zu sein. Logistik hat nicht viel mit Logik zu tun, weiterhin keine Spur von der DHL. Das lokale Krisenmanagement trifft sinnvolle Entscheidungen: Ab 9 transportiere ich Martin, Mirko, Lilly und Clemens zum Wauberg, dann mache ich mich mit Motorsägen, Spaltäxten, Andreas und Mariano über zähe Korkenzieherweiden und andere Opfer des frühlingshaften Wintereinbruchs her. Claus wartet nicht gerade gutgelaunt am Laptop auf den großen, weißen DHL-Transporter. Bis 12Uhr30 fliegen die Fetzen, zwei Holzstiele brechen, dann breche ich mit Claus und Andreas erneut zur Ausgrabung auf. Gute Geister aus Bogenfeld haben ein unverhofftes Gulasch- Kaffee & Kuchen-Mittagessen heraufgeschafft. Weil Liebe bekanntlich durch den Magen geht und Geduld eine Tugend ist…..ist die Mannschaft trotzdem guter Dinge. Als die Töpfe und Kannen leer sind…trifft Eilpost-Bote Mariano endlich mit der Software ein – der Jubel ist groß, die Erleichterung spürbar, Claus fällt bestimmt eine Steinlawine vom Herzen und die unbekannte Dame mit dem Schwarzen Peter ist vorläufig aus dem Schneider. Im solchermaßen tiefenentspannten weiteren Verlauf des Nachmittags werden in beiden Berthahütten passable Fundstücke geborgen. Das Timing ist mitunter erstaunlich: Gerade, als der Berthahüttenwirt himself überaus behutsam, ja fast zärtlich… eine richtig hübsche Scherbe (Standardzitat bei richtig hässlichen Scherben: „Schönheit ist kein Kriterium !!!”)!) aus der mittleren bis frühen Kupferzeit aus dem Erdreich herausoperiert, trifft Dauer-Wauberg-Guide Mariano mit Martins Mutter im Schlepptau auf dem Kraftfeld ein. Die Zeit spült noch weitere Zaungäste auf die Baustellen, Claus und Mirko betätigen sich bereitwillig als mobile Informationssäulen. Wegen des Vermessungsrückstandes wird das Arbeitsende erneut weit hinausgezögert. Spät erst rollt das Vetterlingomobil in einen ruhigen Abend. Martin verabschiedet sich bis zumindest morgen in Richtung Klagenfurt, die Ritter der Tafelrunde verbrauchen den Rest des Tages ob der nicht gerade lauen Temperaturen gut geheizt im Frühstücksraum, wo man sich die Nächte mit dem Erzählen von Anekdoten und dem Analysieren von Ereignissen so lange verkürzt…bis die Nacht wieder nur sechs Stunden lang sein wird. Das nennt sich dann Tradition.
Tag 5,5….7. Mai 2016
Die Woche findet kein Ende. Weil das Wetter gut ist und wir längst nicht im Plansoll liegen, beschließen wir, mindestens den halben Samstag in die Weiterarbeit zu investieren. Der Plan ist, um 8 Uhr zu starten und der Plan funktioniert. In der ambitionierten Wochenendpauschale finden sich Claus, Mariano, Andreas, Mirko und Lilly ein. Die Motivation hat sich nicht abgenützt, der lange Vormittag verläuft in geordneten Bahnen durchaus erfolgreich. Die aktuelle Schicht der großen Berthahütte wird akribisch durchgeputzt. Dabei fallen uns nicht nur viele Scherben in die Hände, am Nordrand unterwandert die ungeschminkte Wahrheit langsam unsere kühnsten Träume: Dort stehen unzählige Scherben senkrecht…es sieht ganz so aus, als wären wir in einer uralten Abfallgrube gelandet !!!! Ein absoluter Glücksfall, leider wird die Selbstbeherrschung auf eine harte Probe gestellt – wir müssen auf den Montag und Martin warten. Mit Mirko und Mariano reagiere ich mich im „Leider-nein-Schnitt” ab, er verschwindet im Handumdrehen und auf Nimmerwiedersehen unter der Erde. Unterdessen sind Claus und Lilly im Mittelalter fündig geworden….möglicherweise ein Ofenboden oder aber der Teil einer zeitgenössischen Warmluftheizung. Claus hat sein breitestes Grinsen aufgesetzt und auch der Rest scheint mit der Gesamtsituation ziemlich zufrieden. Die Welt der kleinen Ausgrabungs-Kommune scheint im Plus. Der Idealismus der Teilzeit-Alltagsflüchtlinge findet am frühen Nachmittag trotzdem ein jähes Ende: Der Weg zum Strand muss dringend freigeschnitten werden, Ines und Andreas kämpfen sich mit mir durch geknickte Äste und Bäume und durch den Lärm der Motorsägen und der GTI´s, die an der nahen Hauptstraße ihr Unwesen treiben…bis ans Wasser vor. Der kleine Kurzurlaub unter blauem Himmel und weißen Wolken ist nicht von langer Dauer.
Claus hat nämlich so etwas wie eine „Archäologische Tagung” organisiert, zu der sich nicht nur Martin und Lilly, sondern auch vier ausgesprochen muntere Archäologinnen aus allen möglichen Teilen Österreichs einfinden. Der erste Programmpunkt des kurzweiligen, aber straffen samstäglichen Veranstaltungskalenders besteht logischerweise aus einer Exkursion zu den Originalschauplätzen der Wauberg-Grabung. Der Authentizität und Einfachheit halber übernehme ich am Rande eines umherziehenden Gewitters den rustikalen Heuballen-Transport. Der Wauberg mit dunklen Wolken, Donnergrollen und starken Windböen wird bei allen Beteiligten gewiss bleibende Eindrücke hinterlassen haben. Mir persönlich beschert die kleine Bergtour der Fachleute- und-innen immerhin eine verlorene Wette, denn der steirische Meister der Selbstdisziplin widersteht den Verlockungen des Abfallgruben-Scherbenmeeres. Bravo, Martin.
Während im Frühstücksraum breit und lang Fundstücke untersucht und bewertet werden bin ich schon mit dem nächsten Tagesordnungspunkt beschäftigt und setze mit Buchenästen ein Grillfeuer in Gang. Leichter Nieselregen verlegt das Abendessen leider hinter den Kachelofen. Mit Johanna kann man sich zwar fließend unterhalten, alles hat Hand und Fuß, Sinn und Zweck, aber oft ist ihr Redefluss zu schnell für mich. Möglicherweise bin ich aber auch einfach nur zu langsam für sie, zwischendurch treffen wir uns kurz in der Mitte. Astrid fachsimpelt vorwiegend mit Claus, Satzfragmente vergangener Ausgrabungen wehen über den Tisch. Wenn Kathrin in lebendigem Salzburger Dialekt von Sondengängern und Raubgräbern erzählt, klingt das überaus erfrischend. Zwischendurch stelle ich fest, dass die Anzahl der Normalsterblichen eigentlich ziemlich überschaubar ist: Andreas, Clemens und ich.
Kaum ist die Stimmung lyrisch genug, beginnt eine Bierprobe mit beachtlicher Frauenquote, die erst Stunden später und für Martin erfolgreich endet – sein „Schladminger Bio-Zwickl” schießt (warum auch immer) den Vogel ab und gewinnt hauchdünn. Die Damen flüchten irgendwann ins Land der Träume. Claus, Martin und ich haben den längsten Atem und stellen uns um 2 Uhr die entscheidende letzte Frage: „Gehen wir ins Bett ?”
Tag 6, 9. Mai 2016
Wohl aus Gründen der Wiedergutmachung beginnt die zweite Grabungswoche mit solidem Schönwetter und einem abwechslungsreichen Montag. Die Arbeitsabläufe haben sich längst verselbstständigt, jeder kennt die Aufgabenbereiche und jeder bringt sich nach Kräften ein. Diesmal helfe ich Claus bei den Vermessungen, obwohl diese eine eher einschläfernde Wirkung auf mich ausüben. Das Prisma hat kein Charisma. Martin, Andreas, Lilly und Mirko werkeln hingegen in der großen Berthahütte konzentriert vor sich hin. Bei Mirko löst der Fund einer besonderen Scherbe mit Fischgrätmuster einen merklichen Wandel aus. Waren seine Motive bisher vordergründig vom ständigen Suchen nach brauchbarem Material für sein Buch überlagert, so bekommt man nun zunehmend den Eindruck, er würde langsam begreifen, dass es hier im Hintergrund um wesentlich mehr geht. Demut ist angesagt – wir ziehen immerhin gerade in eine Hütte aus der Bronze- oder gar Kupferzeit ein. Hier haben vor verdammt langer Zeit Menschen gelebt und wir sind ihrem Leben hautnah auf der Spur. Berührend, beängstigend, faszinierend. Auch Andreas schafft Schritt für Schritt den Qualitätssprung vom Sucher zum Finder. Der helle Montagvormittag bringt noch viele schöne Scherbenfunde. Claus spachtelt, pinselt und dokumentiert derweil einsam in seinem Mittelalter vor sich hin, ich schaffe vom Wipfel meiner Buche aus die nächsten bleibenden Erinnerungen aus der Vogelperspektive. Selten waren die Mittagspause und die Mittagsjause entspannter.
Nachmittags gesellt sich auch Andi wieder zu uns. Der erste Schnitt im Bereich der Burg wird wieder zugeschaufelt, die Baustellen reduzieren sich damit auf 3. In der kleinen Berthahütte haben wir uns im unteren Drittel bereits bis auf den Felsen hinuntergeschürft. Bei einer der häufigen Stippvisiten in der großen Berthahütte stoße ich in der Nähe der „Fundgrube” auf einen merkwürdigen Stein, der auf den ersten Blick (selbst Martin trägt diesem Umstand mit einem für seine Verhältnisse sehr markigen „wtf” Rechnung – beinahe Poesie !!!) wie vollständig erhaltene Keramik aussieht, nach dem „Klopftest” mit der Kelle aber als – eben – Stein identifiziert wird. Auf den zweiten Blick eine kleine Enttäuschung, allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass es sich bei diesem Exemplar um keinen ganz gewöhnlichen Stein handelt. Leider darf ich ihn noch nicht bergen, ringsum wimmelt es von Scherben, Martins Blick beim zweiten Versuch beseitigt die große Lust und jegliche Zweifel. Etwas später ist meine Welt wieder vollständig im Lot: Ich erbeute mitten in der Hütte eine mutmaßlich bronzezeitliche Tonspule in hervorragendem Erhaltungszustand. Der aufmerksame Grabungs-Paparazzi ist sofort zur Stelle, meine linke Hand und die Tonspule laufen Gefahr, in Mirkos neuem Buch zu landen. Spezielle Funde wie dieser erzeugen nicht nur ein kurzfristiges Glücksgefühl, sie bringen vor allem den Draht in die Vergangenheit nachhaltig zum Glühen: Mein Gott, wer die wohl zuletzt in Händen hielt ? Wie, wann und unter welchen Umständen ?
Der Grabungsleiter hat für Fragen dieser Art zwar durchaus Verständnis, drängt aber pünktlich um 16 Uhr mit dem Hinweis auf die Uhrzeit zum sofortigen Aufbruch, Proteste eines aufgebrachten Tonspulenfinders schmettert er mit einer fast brachialen Kompetenzaußerzweifelstellung („Ich bin der Chef !!!”) ab. Claus macht natürlich nicht grundlos Stress: Das Wauberg-Grabungsteam soll vollzählig einen offiziellen Termin absolvieren – ab 18 Uhr wird im Villacher Stadtmuseum die Ausstellung „Welt der Römer – Antikes Erbe in Villach und der Region” eröffnet. Kurt, der Museumsdirektor ist ein wohlwollender Mentor des Waubergs und die Stadt Villach finanziert nach der ersten auch die zweite Grabungskampagne. Da kann man dann schon von einer Pflichtveranstaltung sprechen. Dementsprechend sind wir frischgeduscht, etwas adretter als sonst gekleidet und vor allem sehr pünktlich vor Ort und mischen uns unter die Menschenmenge, ohne dabei unerkannt zu bleiben: Der Bürgermeister baut uns spontan und freundlich in seine Eröffnungsrede ein. Mirko erklärt mir, wenn er nicht gerade die Werbetrommel für sein Buch rührt, ausführlich die Villacher A+B-Prominenz, Claus erneuert munter und in üblicher Eloquenz alte Kontakte, CHS-Schülerinnen posieren in römischen Kostümen und zeitgenössischem Schuhwerk, Martin hält sich an einer Flasche Lontium fest, Ines erwischt leider mit einem Glas Essigwasser nach antiker Rezeptur die alkoholfreie und alles andere als geschmacksneutrale Alternative. Netter Abend eigentlich. Lediglich der musikalische Rahmen fällt mir krachend auf den Kopf und ruft mit einschläfernden Klängen eine kurzzeitige Sterbensmüdigkeit hervor. Eine heitere Version von Falcos „Junge Römer” hätte meiner bescheidenen Meinung nach etwas mehr Schwung in den lauen Abend und deutlich mehr Bewegung in die frühsommerlichen Dekolletes der anwesenden Damen gebracht: „Junge Römer – kennt ihr die Sonne noch ? Sie kennt die Sorgen. Junge Römer – die Nacht ist jung wie ihr, vergesst das Morgen”. Hätte aber wahrscheinlich keiner verstanden.
Egal. Die jungen Römer sind jedenfalls ganz schön alt geworden und haben es bis in Kurts Museum geschafft. Und Kurt führt versiert und routiniert durch eine gelungene Ausstellung: Goldmünzen, Rüstungen, Waffen, Keramik, Mosaiken, Werkzeuge, Skulpturen. Für die schaurigen Schlussakkorde sorgt ein sprechender Grabstein.
Aktive und ausführliche Erholung am kalten Buffet, gestaltet nach original römischen Rezepten. Manche Dinge ändern sich auch nach 2000 Jahren nicht: Was gesund ist…schmeckt nicht…und was schmeckt…ist nicht gesund. Weil man höchstwahrscheinlich nur einmal lebt und hinter mir die Sintfluten des Klimawandels und des gesellschaftlichen Niedergangs kommen, plündere ich ohne schlechte Gewissenserforschung die altrömische Dessertabteilung und halte mich im Dutzend an wunderbaren Pflaumen in Speckmänteln schadlos. Die CHS-Römerin in weißen Turnschuhen ist aufmerksam geworden und empfiehlt „Römische Weinbrötchen”. Die Welt mag zwar ein Jammertal sein, aber ich weine trotzdem selten und außerdem ist das Leben zu kurz für „Römische Weinbrötchen”….denke ich mir, sage es aber nicht. Stattdessen bedanke ich mich für den guten Tipp. Bei aller Liebe, trockene Weinbrötchen, ob jetzt römisch, keltisch oder griechisch, sind in Friedenszeiten nur schwer vermittelbar. Andreas ist das herzlich egal, er probiert alles.
Alle Wege mögen nach Rom führen, der letzte Weg des Tages bringt uns aus dem Ausstellungs-Trubel zurück in die geschützte Wauberg-Werkstätte. Was vom Montag noch bleibt, vergeht mit konkreten Nachbetrachtungen und vagen Vorahnungen.
Tag 7, 10. Mai 2016
Der Dienstag beginnt mit starker Bewölkung in unterschiedlichen Grautönen. Nach der Plünderung der römischen Desserts ist strenge Diät angesagt. Also gefalle ich mir in der Opferrolle des gedämpften Büßers und helfe Claus bei unerhört unerquicklichen Vermessungstätigkeiten, während sich Martin, Lilly, Andreas und Mirko in der Berthahütte tummeln dürfen , um sich durch die nächste Schicht zu wühlen und die Scherben der „Fundgrube” zu ernten. Im Laufe des Vormittags werden die Grautöne immer dunkler und just als mit Uli ein neuer Grabungshelfer anheuert, öffnet der Himmel langsam seine Schleusen. Das hilflose Spannen einer Kunststoffplane ohne Unterbau erweist sich ziemlich rasch als völlig sinnlos. Uli erinnert sich eines transportablen Partyzeltes und macht sich wieder auf den Heimweg, um es zu holen.
Claus bastelt unterdessen aus seinem Allwetterschirm und einem Stativ ein zwar wasserdichtes Provisorium, aber die Ausgräber an den Randzonen kommen dadurch praktisch vom Regen in die Traufe und überdies ist es unterm Schirm so düster, dass man kaum mehr erkennen kann, wonach man gräbt. Als die Suche nach Lösungen fast kabarettreifes Niveau erreicht und Mirko sich verzweifelt weitergrabend in die grüne Plane einhüllt, ziehen wir endgültig die Reißleine und beschließen eine Vorverlegung der Kaffeepause, die einigermaßen geschützt unter dem Blätterdach des Waldes stattfindet. Nach einer knappen Stunde lässt der Regen tatsächlich nach und als Uli transportabel mit seinem Partyzelt auftaucht, ist es auch schon wieder trocken.
Die mittelalterliche Zisterne der Vorjahreskampagne muss dringend ausgewintert werden. Weil sich die Begeisterung in Grenzen hält und sich kein Freiwilliger meldet, beiße ich mit Uli in den sauren Apfel. Die alten Mauern wurden im vergangenen November in Heu und Plastikfolien eingepackt, um sie vor Schnee und Kälte zu schützen. In der Zwischenzeit darf das Zisternenerhaltungsprojekt mit dem Tourismusverband leider als gescheitert betrachtet werden, die veranschlagten Kosten waren mit über 40 000 eine zu hohe Hürde. Schade zwar, aber nicht zu ändern. Jetzt tritt Plan A in Kraft: Die gemauerte Rundung wird vom dicken Wintermantel befreit, in den nächsten Tagen sorgfältig mit einem Vlies überzogen, um schließlich im letzten Arbeitsschritt unter Abraum und Erde erneut oder endgültig dem Vergessen anheim zu fallen. Ein wenig Wehmut ist dann doch dabei, ich hatte bereits vergessen, wie schön sie ist. Nun erwartet sie ein Begräbnis zweiter Klasse.
Nach der Mittagspause erreicht der Wauberg-Personalstand mit Andi und Ines rekordverdächtige Höhen …… 9 Leute teilen sich drei Schnitte. Überdurchschnittlich beliebt ist natürlich die große Berthahütte, denn dort wird nicht mühevoll gesucht, sondern nur mühelos gefunden. Fast jedem wird das Vergnügen zuteil, nur Claus wärmt sich meist einsam, aber unverzagt an seinem Mittelalter-Ofen. In der darunterliegenden kleinen Berthahütte ist es vergleichsweise unspektakulär, aber ehe wir auf den gewachsenen Felsen stoßen, findet Andi ein noch immer messerscharfes kleines Silex-Teil, die eine oder andere Scherbe taucht auf und eine kupferzeitliche Pfostenstellung untermauert einmal mehr den Siedlungsbereich, in dem wir uns befinden. Am sinnvollsten wirkt die Zeit jedoch, wenn man sich Wünsche erfüllen darf: Mein Tages-Highlight stellt die glückliche Bergung des markanten Steins neben der „Fundgrube” dar. Die neue Bewegungsfreiheit und das Sonnenlicht des späten Nachmittags machen ihm aber schwer zu schaffen, der glatte Unterteil platzt sofort ab und beim genauen Hinsehen erkennt man erste Risse in seiner Struktur. Gereinigt wird er zukünftig Platz vor unserem Küchenfenster finden.
Spät wie nie und erfolgreich wie selten (zwei Fundeimer sind voll !!!!) rollt das Vetterlingomobil in Petschnitzen ein. Nach dem Abendessen wird in bewährter Manier die Vergangenheit analysiert, die Gegenwart besprochen und die Zukunft gedeutet. Die Müdigkeit kippt uns erstmals vor Mitternacht aus den Schuhen, die Aussichten auf 7 Stunden Schlaf sind verlockend.
Tag 8, 11. Mai 2016
Die Wetterprognosen sind eher trist, aber das Wetter hält sich nicht immer an die Prognosen der Meteorologen und ermöglicht sehr stark bewölkt einen durchwegs trockenen Grabungstag, erst bei der abendlichen Heimfahrt setzt Regen ein. Pünktlich um 8 startet die Standardbesetzung guter Hoffnung, im Laufe des Tages tröpfeln auch Uli, Ines und Andi herein. Umfangreiche Vermessungs- und Dokumentationsarbeiten am Vormittag, dadurch ergeben sich wieder einige Stehzeiten. Zwischendurch darf die nächste Schicht heruntergekratzt werden, die Stunden ziehen sich wie Kaugummi und sind oft nicht so ausgefüllt, wie man sie gerne hätte. Gegen Mittag besucht eine kleine Tourismusdelegation die Ausgrabungen. Die Interessierten scharren sich um die einzelnen Schauplätze, wo sie von den Grabungsleitern jeweils mehr (Claus) oder weniger (Martin) auf den neuesten Stand der Dinge gebracht werden. Allerdings ist der neueste Stand der Dinge oft nur eine Momentaufnahme mit den Indizien einer vermutlichen Idee, schon morgen kann sich die Diagnose mit neuen Funden und konträren Meinungen verschieben. Gleichzeitiger Antritts- und Abschiedsbesuch bei der Zisterne, dann räumen die Fremdenverkehrsteilnehmer das Feld.
Nach der verspäteten Mittagspause endet das Haltbarkeitsdatum der kleinen Berthahütte, sie verschwindet wieder unter der Erde. In der großen Berthahütte haben die Schichten unterdessen ihr Kolorit markant geändert, im unteren Bereich zeigt sich unmittelbar über dem Felsen eine aschfahle, knochenfarbige Lehmschicht mit Ton- und Holzascheneinschlüssen. Sie erinnert stark an Knetmasse und weist ähnliche Eigenschaften auf, sie löst Irritationen und Diskussionen aus. In den umstehenden Gesichtern kann man Fragezeichen erkennen und auf Martins Stirn kleine Schweißtropfen. Möglicherweise ein kupfer- oder bronzezeitlicher Lehmestrich ??? Lilly bleibt entspannt und kreativ und modelliert spontan eine kleine Henne oder einen Phönix aus der Asche. Kommt Zeit, kommt Rat…. oder aber auch nicht. Vorsichtig müssen wir uns eingestehen, dass wir dieses und andere Rätsel in dieser Kampagne nicht mehr lösen werden können, das Rest-Inventar der „Berthahütte” ist wohl zu umfangreich für die davongaloppierende Zeit. Wer je von der besonderen Atmosphäre uralter, exponierter Siedlungsplätze berührt wurde, der blickt dem nahenden Ende einer Kampagne mit Wehmut entgegen. Die Hinweise, in die Zielgerade einzubiegen verdichten sich nicht nur durch den eher ernüchternden Wetterbericht, sondern zusätzlich mit dem späten Besuch von Jörg, dem für den Wauberg zuständigen Mann vom Bundesdenkmalamt, der sich in zwei Etappen einen Überblick über die Ausgrabungsergebnisse verschaffen möchte. Vor Ort informieren Claus und Martin über die erfolgten Schnitte, später und im Trockenen werden die zahlreichen Funde präsentiert.
Nach dem Essen wird der Abend traditionell mit dem Erzählen von Geschichten und dem Darlegen von vermeintlichen Sachverhalten verlängert, wodurch sich naturgemäß natürlich die Nacht verkürzt. Aufmerksamkeitsdefizite verringern sich, dafür erhöhen sich Schlafdefizite. Ein unterhaltsamer Teufelskreis.
Tag 9, 12. Mai 2016
Der Regen, der diesmal in langen Fäden fällt, ist zwar nicht gewittrig, verhindert aber jeden Gedanken an Arbeit schon im Ansatz. Am Telefon und am Frühstückstisch ist man bemüht, den Vormittag in zielführende Weichen zu stellen. Der einstimmige Beschluss der wenig dramatischen Krisensitzung kulminiert in einem Wort: Villach. Die Zisterne, Claus´ Ofen/Heizung und die große Berthahütte müssen vorm baldigen Zuschütten mit einem Vlies geschützt werden, dieses besorgen wir blütenweiß und von einer riesigen Rolle im Baumarkt unseres Vertrauens. Nebenbei benötigt der lebende Mensch ständig Proviant, die persönliche Erhaltung kann mitunter aufwändig sein. Der günstige Erwerb einer Robert Johnson- Doppel-CD fällt vielleicht nicht unter akute Lebensnotwendigkeiten, sondern ist eher der einen oder anderen fragmentarischen Lagerfeuer-Interpretation von Martin geschuldet, der meinen Kauf eher abschätzig-unbeeindruckt als „Grundausstattung” verbucht. Jammern auf hohem Niveau. Cash & carry bis gegen Mittag, dann lässt, allen Vorhersagen zum Trotz …der Regen deutlich nach, um bald völlig aufzuhören. In Windeseile wird ein schnelles Not-Nachmittagsessen aus Kaffee und Reindling hinuntergewürgt, ab 14 Uhr sitze ich hinterm Traktorlenkrad, vom Anhänger aus dürfen sich Martin, Claus, Mirko, Lilly und Andreas in Gesellschaft eines verzinkten Schubkarrens die frischgeduschte Landschaft ansehen.
Letzte Fotos in und mit der mittelalterlichen Zisterne, dann beginnen die Begräbnisfeierlichkeiten mit dem Auftragen des Leichentuches. Mit Claus, Martin und Lilly verabschieden sich die sensibelsten Trauergäste in Richtung Kraftfeld. Vermessung, Dokumentation, archeological business as usual. Der harte Kern erweist der großen Liebe des Vorjahres die letzte Ehre. Der Aushub, zu Beginn der ersten Grabung mühsam mit Eimern aus dem Bauloch geschafft und in umliegende Mulden verteilt, wird kurzerhand exhumiert und landet wieder an seinem Ursprungsort. Während die Zisterne langsam von der Bildfläche verschwindet, fallen erste Tränen aus dichter und dunkler werdenden Wolken.
Der über den Zehendner herbeigeeilte Uli festigt leicht verspätet seinen schlechten Ruf als Regenmacher, kaum betritt er die Bühne, steigert sich das zuvor leichte Tröpfeln zu einem schweren Guss und wir sind mittendrin statt nur dabei. Ein feuchtes Deja-vu. Während ringsum die Welt untergeht, setzt Claus unter seinem Allwetterschirm in aller Seelenruhe die Vermessungsarbeiten fort und bringt sie knochentrocken zu Ende. Ist man erst klitschnass, gibt man Fluchtversuche besser auf will jetzt erst recht die Kälte des Augenblicks mit Schaufeln und Eisenrechen bekämpfen. Die Schauerwolken ziehen freundlicherweise weiter und die begossenen Pudel scharren mit vereinten Kräften die Zisterne zu.
Verdiente Regeneration bei einer kleinen, aber fröhlichen Bier- und Chipsprobe, der späte Donnerstag endet erst am frühen Freitag.
Tag 10, 13. Mai 2016
Der letzte Tag der Grabung stellt eine Gratwanderung zwischen Aufbruch und Abbruch dar, man fühlt sich definitiv zwiegespalten. Das Freitagswetter ist ähnlich unschlüssig. Es verspricht erneut Regen, um dann sogar mit kurzen sonnigen Phasen ganztägig trocken zu bleiben und uns damit das Erreichen der letzten Ziele zu ermöglichen.
Auf der letzten Fahrt hänge ich schon meinen Erinnerungen an die vergangenen Tage nach, ein Autopilot navigiert das Vetterlingomobil auf seiner Abschiedsreise zur Höhensiedlung. Die Waldwege liegen unter eine dicken Matschdecke, der Zehendner macht Mühe. Nur kurz wird am höchsten Punkt die Aussicht inhaliert, dann geht es ans Eingemachte. Die archäologische Expertenrunde mit Claus, Martin und Lilly erledigt letzte Dokumentationsarbeiten in der großen Berthahütte, während die gemeinen Grabungshelfer die vermutliche Heizungsanlage in Vlies verpacken, um sie anschließend mit Buchenästen und Aushubmaterial für eine Fortsetzung zwischenzulagern.
Noch einmal schwinge ich mich für finale Gruppenaufnahmen in die luftigen Höhen meiner Foto-Buche. Weil unten am Boden der Tatsachen Martins letzte Amtshandlungen mit dem Prisma stattfinden, darf ich (un)geduldig die Blüte einer benachbarten Föhre aus nächster Nähe bewundern und als mein Blick über die Baumkronen des Waldes gleitet, fallen mir schöne Details langer Arbeitstage mit meinem Vater ein. Wie schade, dass er die munter fortschreitenden Enthüllungen der Wauberg-Historie nicht mehr miterleben durfte. Mit abschließenden Gruppenfotos wird der Schlüssel in der Berthahütte vorerst umgedreht. Auch sie wird behutsam in weißes Vlies gehüllt, der letzte Akt wird mit Stakkato-Schauflern wie Andreas und Uli vermutlich kurz ausfallen. Claus und ich beginnen mit dem Abtransport der Arbeitsgerätschaften und schleppen gemeinsam die schwere Aluminiumkiste hinunter zum Fuß des Berges. Geteiltes Leid ist halbes Leid. An Traktor und Anhänger gelehnt ziehen wir unter vier Augen erste Bilanzen, die trotz so vieler Stolpersteine und Steilstücke, zufrieden und versöhnlich ausfallen: Der Weg zur Berthahütte war lang und anstrengend, aber er hat sich gelohnt. Geteiltes Glück ist doppeltes Glück. Manchmal fühlt es sich ja doch wie eine freundschaftliche Allianz an, in der es längst nicht um Gott und die Welt, sondern nur um die tiefere Erforschung des Waubergs geht. Da stehen wir im Schatten und denken ein wenig gegen zu große Gewinne und mögliche Verluste an und bedauern den Mangel an Geld und Alternativen. Unterm Strich wissen wir zwar nicht, wie es weitergehen wird, und das ist auch gut so, aber wir denken, dass es irgendwie weitergehen muss.
Ein paar Berg- und Talfahrten später sind die Berthahütte verschüttet und die Werkzeuge eingelagert. Noch einmal zur Abschlusszeremonie über den Zehendner.
Auf dem Kraftfeld wird bereits das Abschiedsmenü aufgebaut: Die überzeugten Humanisten aus Bogenfeld haben mit saurer Suppe klassische Kärntner Küche geliefert, als Zugabe im zweiten Gang gibt es Kaffee und Kuchen. Der Suppentopf ist mit einem blauen „Kärnten – Lust am Leben” –Band sorgfältig verschnürt, der bemühten Köchin kann man feindosierte Ironie –wenn auch unbeabsichtigt- kaum absprechen. Aus einem demolierten Stativ und einer Holzplatte wird ein primitiver Stehtisch zusammenimprovisiert, der sofort einen Hauch von Luxus und Bequemlichkeit vermittelt.
Zwischen Suppe und Kaffee stellt sich schneller als erwartet das Gefühl eines überstandenen Abenteuers ein. Aber schon mit dem letzten Schluck aus dem Wegwerfbecher erlebe ich altbekannte Gesetzmäßigkeiten, bin zeitgleich weggehend-wiederkommend glücklich und traurig und vor allem erleichtert, dass Gratwanderungen zu meinen Stärken zählen. Oben am höchsten Punkt, wo einst der Turm der Burg stand, mit der Aussicht über Wälder und Wiesen, Brücken und Fleischfabriken, Bauernhöfe und Einfamilienhäuser, Flüsse und Seen, über Schwünge von Hügellinien mit der Silhouette von Bergenketten im Hintergrund, bin ich mit Martin schon wieder um Sentimentalitätssenkung bemüht und weil ich einfach nicht aus meiner Haut komme, stelle ich mir trotzdem die unausweichlichen Fragen :
Was war denn ?
Was kommt noch ??
Was bleibt am Ende ???
Die Wahrheit ist, dass es viele Wahrheiten gibt und jedes Ende kann ein neuer Anfang sein.
Aber wer weiß das schon so genau ?
Nachsatz:
„Also vergessen Sie diese Geschichten von verborgenen Städten und die Welt umzugraben. Wir folgen keinen alten Karten, entdecken keine vermissten Schätze und noch nie hat ein X irgendwann irgendwo einen bedeutenden Punkt markiert”. (Indiana Jones)