… im Oktober 2012 in den julischen Alpen
von Dr. Diebels
Die Routenplanung für diesen Tag versprach Beschaulichkeit, Zeit zum Innehalten, z. B. für
Gesprächstiefen abseits des main streams, und als Höhepunkt
ein kleines Bad im Abgrund
des schonungslos offenbarten humanen Destroismus.
Oder anders. Wir wollten gemütlich um den Monte Rei laufen und uns die Überreste von
Cave del Predil, einer ausgebluteten italienischen Blei- und Zinkabbaustätte anschauen.
Eine Ortschaft, die uns schon bei früheren Durchreisen, oder besser gesagt Durchflüchten,
in ihren schambesetzten Bann gezogen hatte. Damals perlte gerade Udo Lindenberg aus
den Autoboxen, der mit seiner Vorstellung, dass es hinterm Horizont weiter geht, zumindest
wenn man über den gleichnamigen Pass nach Cave del Predil kommt, nicht wirklich Recht
hat. Da passt dann schon besser, „nimm Dir das Leben…” und genau das taten wir zwar
nicht, stellten unser Schicksal aber dennoch auf eine harte Zerreissprobe. Aber der Reihe
nach.
Schon die Ankunft am Ausgangsort dieser Tour, Riofreddo, hatte etwas Lebensfernes.
Unvorstellbar, dass die Sonne, wenn sie dann mal dort hinscheint, keine getönte Brille
aufsetzt. Da wo das Grauen sich fürchtet, findet man diesen Weiler. Dass am Ende der
„Dorfstraße” – welch Kompliment – ein Kirchlein wartet, verwundert wirklich auch den letzten
Atheisten nicht mehr. Ja, vielleicht würde er es sich sogar noch einmal überlegen, sich
umschauen, rasch hineinschlüpfen und ein Stoßgebet gen Himmel schicken, doch bitte
niemals dort leben zu müssen. Vor allem nachdem er wenige Meter zuvor auf der
Landstraße noch an einem zu verkaufenden Häuschen vorbeigefahren war und sich gefragt
hat, ob dort ernsthaft tatsächlich jemals jemand gewohnt hat und wieviele
Cannabisplantagen gerodet werden mussten, um es dort auszuhalten.
Aber wir wollen nicht ungerecht sein, und lieber berichten von dem bezaubernden Seitental,
an dessen lieblich-anmutigem Flusslauf wir uns dann aufmachten, um nach Leben zu
suchen. Hierfür brauchten wir nicht lange zu laufen. Jäh wurden wir nach kaum einer Stunde
aus einem philosophischen realtragödischen Gedankenaustausch herausgerissen, als wir
den Folgen einiger sommerlicher Tiefausläufer aus dem freundlichen Süden begegneten.
Herzlos und brutal hatte der Wind den Regen von der Adria bis hierhin vor sich hergetrieben
und erbarmungslos alles in´s Tal geschwemmt, was nicht quasi einbetoniert war. Hier trafen
wir dann für lange Zeit auf die letzten Menschen, die damit beschäftigt waren, die Natur
versuchsweise wieder in ihre Schranken zu verweisen. Welch Kontrast hierzu der Pin up
Kalender, der im Bauwagen gegenüber hing. Ein kurzer, schnellerer Herzschlag, dann
versank dieser Eindruck auch schon wieder in seiner ortsbedingten Irrealität. Eine kleine
Pause im Antlitz des hochragenden Bergmassivs des Jof Fuart kitzelte an unserer Neugier,
vom Wege abzuweichen, vorerst jedoch sollte noch die Vernunft siegen. So folgten wir dem
geplanten weiteren Weg, bzw. glaubten es zumindest. Bald nämlich entzweiten sich
Landschaft und Kartenwerk, was uns wider besseren Wissen dazu brachte, einem nicht
näher zu definierenden Instinkt und einer wenigsten aber halbwegs zutreffenden
Himmelsrichtung zu folgen. Übrigens, nachdem wir ja nun nachweislich diesen Trip überlebt
haben, werden wir bei passender Gelegenheit an diese Stelle zurückkehren und versuchen,
herauszufinden, warum wir im Nirvana landeten. So nämlich stellte sich im weiteren
mittelsteilen Aufstieg die zunehmend weniger an einen Pfad erinnernde Umgebung für uns
dar. Einen kleinen Bachlauf und dessen Mitbringsel durchkletternd, kamen wir an die
Schwelle der Rationalität, die wir nach kurzer Beratung in fröhlich unbewusster
Fehleinschätzung der kommenden 60 Minuten überschritten.
Ich habe mich nun schon mehrfach gefragt, was 2 ausgewachsene Familienväter, die sich
nun wirklich überhaupt nichts gegenseitig beweisen müssen, bewogen hat, ihr Leben aufs
Spiel zu setzen. Wir waren uns einfach einig und vermutlich fatalerweise davon überzeugt,
dass es schon gut gehen würde. Tatsache indes war, dass der nun vor uns liegende Hang
bald immer steiler und vor allem rutschiger wurde. Mein alter ego stellte, als klar war, dass
es nun auch kein zurück mehr gab, da einfach zu gefährlich, lakonisch fest, dass hier vor uns
wahrscheinlich noch kein Mensch gewesen war. Eine nicht wirklich beruhigende Einsicht.
Während Hansi sich im weiteren einem Drahtseilakt über nasses Laub und matschigen
Grund widmete, zog ich es vor über einen baumbewachsenen Felsgrad nach oben zu
klettern, quasi von Wurzel zu Wurzel, und hierbei vielleicht zu der ein oder anderen eigenen.
Komischerweise hatte ich trotz allem keine wirkliche Angst. Zufällig hatte ich an diesem Tag
meine Laborausrüstung nicht dabei und konnte deshalb leider meinen Adrenalinspiegel auch
nicht messen. Pulsrate und sonstige Befindlichkeit sprachen aber ohnehin eine deutliche
Sprache. Die Verschnaufpausen wurden immer länger, um den verbleibenden Rest an
notwendiger Kraft und Trittsicherheit nicht unnötig aufs Spiel zu setzen. Letztlich
überwanden wir, jeder auf seine Weise glücklich und unbeschadet mehrere hundert
Höhenmeter, Hansi korrigiere mich, nichts liegt mir ferner, als hier zu übertreiben. Nur der
anvisierte Gipfel oder wenigstens Berggrad nebst Weg tauchte einfach nicht auf. Wieder
verliessen wir uns auf unseren „untrügbaren” Orientierungssinn und traversierten den nun
nicht mehr ganz so steilen Hang bis wir auf eine Wildspur trafen. Auch wieder so eine
interessante Erfahrung. Wer Lust hat, möge es einmal ausprobieren, sich wie ein Reh oder
eine Bergziege quer durch den Salat zu schälen. Meine Theorie, dass die Tiere wohl gerne
den für sie kürzesten Weg nehmen, wurde dann aber wenigstens belohnt und ein Pfad tat
sich vor uns auf. Ich glaube, dass wir bis dahin allen Grund gehabt hätten, nervös zu
werden, wenn es nicht erst gerade Mittag gewesen wäre. Besonders Hansi hatte sich bis
dahin schon wiederholt in diese Richtung geäussert, um nun aber festzustellen, dass uns die
ganze Aktion höchstens 90 Minuten zusätzlich gekostet hätte. 90 Minuten, die man aus
tausenderlei Winkeln betrachten kann, wobei aber eines sicher ist, an meinen Job habe ich
in diesen Minuten keine Sekunde lang gedacht. Auch eine Art von Entspannung……
Der weitere Weg war nun geradezu geschmeidig und führte uns hinab zu den Resten einer
vergangenen Zeit. Ja, es gibt Umstände, unter denen man sich richtig auf Cave del Predil
freuen kann. Unglaublich, aber wahr.
1991, mit dem Aus für den Bergbau, starb quasi auch dieser Ort. Geht man durch die
verlassenen Straßen und leeren Häuserzeilen, kommt man sich vor, als wenn alles im
Dornröschenschlaf läge. Allein die Hoffnung auf die wunderschöne Prinzessin, wartend auf
den erlösenden Kuss, erfüllte sich leider nicht. Die freundliche Dame im Museum war zwar
annähernd scheinttot, passte aber ansonsten nicht wirklich in´s Beuteschema. Schade, dass
soviel Wagemut letztlich nicht belohnt, sondern einfach wieder zurück in die grausame
Realität führte. Vielleicht lag im Wissen um diesen Umstand der Grund für unsere latente
Suizidalität bei der Bewältigung des Berges zuvor? Schließlich begleitete wieder Udo L.
unsere Gedanken mit seiner Songpassage, ….die schönste Straße dieser Stadt, die führt
aus ihr hinaus. So folgten wir der Abraumhalde entlang des Flussbettes und wurden noch
einmal gefordert, als es galt, sich einen Weg über den Rio del Lago zu suchen. Trockenen
Fußes erreichten wir den Ausgangspunkt unseres Selbstfindungstrips, bereichert durch eine
Vielzahl gemeinsamer äußerer, aber eben auch innerer Eindrücke.
Nun, 4 Wochen später, heißt es er von dieser Erinnerung zu zehren, bis es uns wieder
hinaustreibt, die Suche nach dem fortzusetzen, was zumeist verborgen bleibt.
Ich freue mich jetzt schon!