von Sabine Kreilhuber
Wir schreiben das Jahr 2006, genaugenommen den 23. August des besagten Jahres. Die Sonne macht Urlaub hinter einer dicken Wolkenschicht, die mehr oder weniger Regen verspricht. Eine Gruppe bunt zusammengewürfelter Idealisten jeden Alters und Geschlechts sowie verschiedenster Nationalitäten trifft sich gegen 9 Uhr am Mikl-Hof, um sich über Hansis neueste Freizeitgestaltung während eines Urlaubs am Mikl-Hof heranzuwagen.
Bis auf die Kinder, die Hansi ohnehin blind vertrauen, blicken alle fragend umher, denn niemand weiß genau, was uns in den nächsten Stunden erwarten wird. „Cross Country” steht auf der schwarzen Tafel, die das jeweilige Tages-Highlight ankündigt. Was ist „Cross Country”? Das Kleingedruckte dahinter haben die wenigsten bisher beachtet. „Wanderung auf 5 Berge” steht da noch in einer Schriftgröße, die man bisher nur von Versicherungsverträgen kennt. Also auf 5 Berge wollen wir gehen, Tabor – Wauberg – Rudnik – Erzberg – Bleiberg, diese Berge sind das Tagesziel. Hört sich erst mal nicht so schlimm an, ich denke da eher an einen Spaziergang im Teletubby-Land („Über die Hügel”). Aber jeder, der mit Hansi schon einmal in den Bergen unterwegs war, fragt sich sofort, wo der Haken an der ganzen Sache ist. Tja, der Haken ist im „Cross Country”! Gegangen wird dort, wo sich nicht einmal ein paar Schwammerlsucher hinverirren – weit abseits der beschilderten Wanderwege – einfach mal „Cross Country”. Es ist ein Pilot-Projekt und wir sind die Versuchskaninchen. Hansis Aussage, dass man theoretisch nach jedem Berg wieder in die Zivilisaton einsteigen könnte, lässt noch die letzten skeptischen Gesichtszüge aus so manchen Teilnehmer verschwinden.
Also los geht’s, 6 Kinder und 8 Erwachsene wagen den Erstversuch.
In all den Jahren, wo wir schon hierher kommen, wurde immer mindestens einmal der Tabor besucht: mit dem Fahrrad, im Laufschritt, beim Pilze suchen, von Süden, von Norden, von Osten, bei Tag und bei Nacht; ich dachte bisher immer, den kenn ich blind – doch schon nach wenigen Metern werde ich eines Besseren belehrt. Diese Route ist mir völlig neu, führt über Stock und Stein, über Gräben und Fuchsbauten – einfach halt „Cross Country” ! Der weiche Waldboden gleicht einer orthopädischen Kur und führt direkt hoch zum Aussichtspunkt. Ein Blickpunkt auf den Faaker See, der ganz egal wie oft schon gesehen, immer wieder begeistert.
Nach kurzer Rast und Nachfrage, ob jemand aussteigen will, wird Ziel Nummer zwei angepeilt. Erst kurz entlang der Straße, wo wir zum letzten mal während der ganzen Wanderung Kontakt zu anderen Homo sapiens haben. Entlang eines steile, relativ ausgesetzten Steiges, der zu meiner Freude teilweise durch ein Seil gesichert ist, vorbei an alten, besser gesagt uralten Befestigungen bis zum Gipfel des Waubergs. Der Anblick der rundherum sehr steil abfallenden Hänge lässt den Handgrifft der Erwachsenen und deren Kinder nur noch fester werden. Die Aussicht in Richtung Drautal geniessen alle.
Der erste sehr steile Abstieg steht bevor, in manchen Gesichter erscheint wieder der skeptische Blick von heute morgen. Auf allen Vieren im Rückwärtsgang, auf dem Hinterteil rutschend, Ast um Ast erklammernd, …….also eine Vielzahl von Abstiegsmöglichkeiten wird da geboten – aber einfach halt „Cross Country”.
Mein von Haus aus schlechter oder besser gesagt kaum vorhandener Orientierungssinn verlässt mich an dieser Stelle endgültig und ich latsche nur noch blind vertrauend den Rest der Gruppe und vor allem am vorne her laufenden Hansi nach. Endlich wieder bergauf zum Gipfel des Rudnik erwies sich der „Cross Country-Weg” als etwas längerer Anstieg, der jedoch mit einer Rast mit Blick auf die Polana-Wiese hervorragend unterbrochen wurde. „Aha”, ein kurzes Aufflackern meines Orientierungssinns, welcher jedoch wieder nach wenigen Schritten bereits im Keime erstickt wird. Der weitere Anstieg ist zwar nicht von einer extremen Steilheit geprägt, wird jedoch vom leicht feuchten Buchenlaub erschwert. Zwei Schritte vorsteigen – einen Schritt zurückrutschen – zwei Schritte vorsteigen – einen Schritt zurückrutschen …….. eigentlich legen wir um ein drittel mehr Höhendifferenz zurück – weit weg vom „Teletubby-Land”….. „Cross Country” eben. Während einer kurzen, besser gesagten sehr kurzen bis nicht existenten Verweildauer am höchsten Punkt des Rudniks dringen die ersten sanften Sonnenstrahlen durch den Mischwald und lässt alles in einem eher mystischen Licht erscheinen. Das sind diese Momente, die man weder beschreiben noch fotografieren kann, man muss sie einfach erleben und genießen.
Kurzer Genuss – der Abstieg droht. Beim Abstieg vom Rudnik wird das feuchte Buchenlaub in Verbindung mit der extremen Abstiegssteilheit einem der Kinder beinahe zum Verhängnis – eine gehechtete Vorwärtsrolle endete im weichen Buchenlaub (die Haltungsnoten wurden zwischen 7,5 und 8,5 bewertet, lediglich der entsetzte Gesichtsausdruck war punktemindernd) – aber auch das ist eben „Cross Country”.
Glücklich, endlich wieder ganz unten zu sein, befinden wir uns auf einem Weg, den jeder als den bekannten Reitweg kennt – wäre also ganz einfach zu erreichen gewesen – aber wir sind eben auf „Cross Country”.
Es folgt – eigentlich keine Überraschung mehr – ein Abstecher in die aufgelassen Bleimiene. Also, mir wurde ja schon einiges darüber erzählt, aber DAS kann keiner Schilderung entsprechen, DAS muss man einfach mal erleben. Einfach ein Loch im Boden, durch das einer nach dem anderen kriecht, naja eigentlich rutscht, denn es geht erst mal ganz schön in die Tiefe ins Ungewisse. Und dann die ultimative Dunkelheit! Ich klammere mich mit jedem Schritt fester an die Hand meines Mannes, der mich vor mir gehend immer tiefer in das Innere des Stollens zieht (oder hinterherschleift). Ich weiß nicht, ob er irgendetwas optisch wahrnehmen kann, ich vermeide jedoch jede Frage diesbezüglich. Erst als wir über eine Stufe hochsteigen, nehme ich dann und wann einen kurzen Schein von Hansis Taschenlampe war – übrigens die einzige, die wir mithaben – hinein in einen sehr niedrigen Stollen, der von extremer Luftfeuchtigkeit gesättigt ist. Ich versuche mich selbst mit positiven Argumenten zu motivieren, aber außer dass mir meine Körpergröße von 1,62 m hier zugute kommt, um mir den Kopf nicht zu stoßen, fällt mir nichts ein. Ich bewege mich nur noch tastend durch die Dunkelheit. Kurts Frage, welche Tiere in diesem Stollen leben, oder besser gesagt, Hansis kurze Antwort „Irgend eine seltsame Heuschreckenart” lassen mich in extremer Schnelligkeit meine Hände von den Stollenwänden nehmen.
Ich weiß nicht mehr wie, aber irgendwie schaffe ich es zurück zum Einstieg und vergesse in diesem Moment wieder alle Schimpfwörter, die ich gedanklich schon aus der untersten Schublade meiner guten Kinderstube hervorgeholt hatte. Das gehört scheinbar auch dazu zu „Cross Country”.
Mittlerweilen bannt sich die Sonne immer mehr durch die anfängliche Wolkendecke und ich bin in Anbetracht der weiteren Wegführung froh inmitten eines Waldes und nicht am kahlen Felsen zu sein. Der Anstieg auf den Erzberg ist anfangs geprägt von alten Tagbaustellen, nicht gesicherten Stolleneingängen und Einrichtungen, um unliebsame Mitmenschen irgendwie verschwinden zu lassen. Was dann folgt, reicht auch, um letzteres umsetzen zu können. Ein Anstieg, der es kaum jemanden erlaubt, seine Hände nicht als Aufstiegshilfe zu benutzen. Das noch immer feuchte Laub erweist sich in dieser Steilheit als schier unüberbrückbares Hindernis. Ich freue mich über jeden Zentimeter, der ich den Gipfel des Erzbergs näher komme und wundere mich gleichzeitig über meinen äußerst niedrigen Zufriedenheitsgrad – ausgelöst durch „Cross Country”.
Nicht minder steil geht es nach kurzer Stärkung und Verschnaufpause wieder zum Fuße unseres letzten Hindernis – der Bleiberg. Meine Kraft steht auf „Reserve”, hilft nix, das muss ich noch durch. Durch eine Schlucht stapfend erfreue ich mich am Anblick des kleinen Baches, den wir ständig überspringen. Auch das ist „Cross Country”.
Ich weiß nicht warum, aber der letzte Anstieg auf den Bleiberg überrascht mich nicht mehr – wenn es weniger steil gewesen wäre, wäre ich sicherlich enttäuscht gewesen. Die Strecke erweist sich als regelrechter „Wadlbeisser” und die Anstrengung der gesamten Tour steht nicht nur mir ins Gesicht geschrieben. Aufgrund der allgemeinen hohen Atemfrequenz wird kaum mehr miteinander geredet, und alle sind sichtlich erleichtert, als wir auf einen wunderbaren Aussichtsplatz am Gipfel des Bleibergs ankommen. Da ich ohnehin schon mit den Gedanken schon im Faaker See schwimme, kommt mir die kurze Verweildauer am Bleiberg nicht ungelegen.
Der letzte Abstieg ist schon wahrste Routine und irgendwie sind wir nach 5 Stunden „Cross Country” wieder der Zivilisation nahe.
Eines muss zum Schluss noch gesagt werden: das was ich mir von „Cross Country” erwartet habe, wurde um ein Vielfaches übertroffen. Die Tatsache, dass man „ab Hof” ganze 5 Stunden weit ab von anderen Menschen kreuz und quer durch die Botanik wandern kann, zu Gräben, Plätze und Vegetation, die von Ursprünglichkeit geprägt sind, hinterließ bei mir tiefe Eindrücke. Für alle, die weit weg von der Alltagshektik innerlich zur Ruhe kommen und dabei nicht im Strom der normalen Touristen mitschwimmen wollen unumgänglich. Wandern einfach anders – eben einmal „Cross Country”!