von Hans Mikl
DER WEG IST DAS ZIEL, ABER ….??!!?
DIE IDEE. Eine Tour mit fünf Gipfeln (Mallestiger Mittagskogel (1801m), Schwarzkogel (1836m), Kleiner Mittagskogel (1815m), Mittagskogel (2143m) und Ferlacher Spitze/Türkenkopf (1739m), mittendrin eine Übernachtung im Mumienschlafsack auf 1600 Meter, unterm Strich 24 Stunden in einer alpinen Wunderwelt. Klingt, so finde ich gar nicht schlecht. Aber manchmal ist die Theorie schöner als die Praxis. Oder umgekehrt. Beurteilen lässt sich die Idee dieser Tour jedoch erst, nachdem man sie praktisch getestet hat.
DER TEST. 30.Mai 2003, ein hochsommerlicher Freitag. Es ist schwül und heiß, die Gewittergefahr sollte aber noch gering bleiben. Ich habe die dringendsten Arbeiten noch schnell über die Bühne gebracht und packe konzentriert meinen Rucksack. 1 kompliziertes Handy, 1 schockresistenter Walkman, 2 ausgewählte CDs, 1 Kamera, 1 Rolle Multivitamintabletten, 300 Gramm Schokolade (ganze Mandeln!), 4 Landjäger, 1 kleines Weissbrot, 1 Dose Zuckermais, 1 ErsatzT-Shirt, 1 Sweatshirt, 1 leichte Jacke, 2 1,5Liter Pet-Flaschen, 1 Kienspan, 1 Packung Streichhölzer, Metallwerkzeug fürs Feuerholz, 1 Überlebensmesser, 4 kleine Teelichter, 1 blauer Mumienschlafsack. Ich habe lange über mein Gepäck nachgedacht, denn es wird mir einerseits das Leben erleichtern, wenn ich hungrig, durstig oder müde bin, andererseits wird es mich auf jedem Höhenmeter gnadenlos quälen. Die nächsten Stunden werden auch für mich eine neue Erfahrung sein. Immerhin werde ich von zwei weiteren Versuchskaninchen begleitet. Thorsten Bruns kommt aus Hamburg, aber er ist trotz seiner blonden Haare eher ein italienischer Norddeutscher. Temperamentvoll, optimistisch, immer gut gelaunt. Ich kenne ihn schon einige Zeit und schätze seine Qualitäten als Entertainer. Seine Sprüche werden unsere Muskulatur bestimmt auflockern. Norbert Wix urlaubt zum ersten Mal bei uns, ihn kann ich deshalb noch nicht näher beschreiben. Auf alle Fälle besitzt er ebenfalls Humor, sonst würde er nicht mit im Auto sitzen und in den nächsten 24 Stunden werden wir uns garantiert kennenlernen. Kurz nach 16 Uhr starten wir, Ines pilotiert uns bis zur Baumgartnerhöhe auf knapp 900 Höhenmeter. Wir schultern unser Gepäck (wie gut, dass ich auf eine dritte Petflasche verzichtet habe..), schon der erste Anstieg ist eine steile Gerade. Spätestens auf den engen Serpentinen weiter oben im Wald ist das Anfangslächeln aus den Gesichtern meiner Begleiter verschwunden. Unverändert steil geht es parallel zum Rotschitzabach bergauf, erst oben bei den Wasserfällen legen wir eine erste Pause ein. Jetzt liegen wir gut in der Zeit, die milde Abendsonne trocknet den ersten Schweiß und ich erspare Ihnen und mir an dieser Stelle Thorstens Kommentar dazu. Die folgenden Passagen absolvieren wir in gedämpftem Tempo, bei der Panierquelle sind wir schon auf gut 1400 Meter. Hier befindet sich die letzte „Tankstelle” und wir befüllen unsere leerer gewordenen Wasserflaschen. Jetzt müssen drei Liter Flüssigkeit für die kommenden Strapazen reichen. Die verbleibenden 200 Höhenmeter bis zur Mitzl-Moitzl-Hütte sind nicht mehr so anspruchsvoll, es geht mit unterschenkelschonender Steigung durch freundliche, helle Lärchenwälder und es bleibt genügend Luft für heitere Gespräche. Nach zweistündigem Marsch sind wir an der Hütte angelangt, im Westen stehen bedrohlich dunkle Gewitterwolken und der Himmel im Norden macht mich ebenfalls nachdenklich. Über eine massive Holzleiter erreichen wir einen halboffenen Raum direkt unter dem Dach. Die „Honeymoonsuite” der Hütte, hier packen wir nach kurzer Inspektion aus und bereiten unsere Schlafsäcke für die bevorstehende Nacht vor. Thorstens Meinung zur Wellnessmatratze (stabiler Holzfußboden) werde ich in diesem Bericht ebenfalls nicht veröffentlichen. Mein Werkzeug habe ich sinnlos mitgeschleppt, vor der Hütte lagert ausreichend Feuerholz. Meine Vitamintablette werfe ich frustriert in die falsche Flasche, es folgt eine Kettenreaktion aus Brause, Kohlensäure und großem Gelächter. Dafür sind die Gewittertürme im Westen stehengeblieben und wir entscheiden uns für den Sonnenuntergang auf dem Mallestiger Mittagskogel. Durch einen dekorativen Einschnitt sind wir bald im Grenzbereich und klettern abwechselnd slowenisch-österreichisch bis zum Gipfelkreuz (1801). Dort empfängt uns wieder der stürmische Südwind, der sofort für Gänsehaut sorgt, uns aber dafür das Gewitter vom Leib hält. Das Abendlicht taucht die Berge in verschiedenste Blautöne, tief unter uns glänzt bleiern der Faaker See und rechts färben die letzten Sonnenstrahlen den Mittagskogel dezent rosa. Lange können wir nicht bleiben, ich verzichte verärgert auf die Akkustikversion von „Wanted dead or alive”, weil über der Villacher Alpe Blitze zucken und der Donner schon bedrohlich nahe klingt. Aus der Dämmerung das Geschrei eines Rehbocks, wir sind nicht unglücklich nach schnellem Abstieg wieder an der Hütte angelangt zu sein. Mit vereinten Kräften (der Südwind…) entfachen wir ein kleines Lagerfeuer und genießen zwischen einzelnen Böen die aufsteigende Wärme. Der Mann von der Küste zweckentfremdet seinen Schlafsack zu einem grünen Umhang, Norbert trägt die Witterung wie ein Westfale. Wird der Wind zu erfrischend, wechseln wir kurz in unsere Suite, zwei Teelichter erleuchten sanft den Raum. Wir essen, wir trinken, wir reden, wir lachen. Überall blitzt und donnert es, aber wir bleiben trocken. In der Nacht gestaltet sich der Blick ins Land atemberaubend – überall Lichter, tausende Lichter tief unter uns im Tal. Jetzt macht sich mein Walkman bezahlt. Es gibt im Leben unvergleichliche Augenblicke, Momente, die so zeitlos und intensiv sind, dass es nicht möglich ist, die passenden Worte zu finden. Leider findet man sich kurz darauf auf einem beinharten Holzfußboden wieder und der soeben erlebte Zauber weicht einem realen Schmerzempfinden im Rücken. Thorsten schimpft lachend vor sich hin, Norbert zieht den Reissverschluß zu, dreht sich kurz und schläft hörbar und sofort ein. Ich suche lange und ehrlich nach einer geeigneten Schlafposition. Draußen peitscht der Wind gnadenlos die Baumkronen, er rüttelt am Hüttendach, manchmal gleitet er über die Holzstiege in den Raum und zwängt sich kühl wie eine frischgeduschte Frau in meinen Schlafsack. Meine nächste Erinnerung ist ein ernstgemeinter Weckversuch von Thorsten. Ein Blick auf die Uhr im Halbschlaf. 5:30:41. Schließlich stehen wir um 6:30 auf. Der Morgentau glänzt in der morgendlichen Kühle und meine Gänsehaut weicht erst nach einiger Zeit. Der Hamburger hingegen klettert theatralisch Rückenschmerzen vortäuschend, aber fast unbekleidet aus seinem Notbett, auch Norberts Fassungslosigkeit ist tiefempfunden. Karges Frühstück in der wärmenden Morgensonne, nach einer Stunde brechen wir auf. Bald sind wir wieder im Grenzbereich, biegen links ab und kämpfen uns über anstrengende Almböden den Schwarzkogel hinauf. Unter uns sehen wir ein letztes Mal unsere Hütte, im Süden begleiten uns die fotogenen Gipfel der Julischen Alpen. Bei 1836 Metern geht es nicht mehr höher, wir stehen beim Gipfelkreuz des Schwarzkogel und dezimieren unsere Wasservorräte. Der zweite Gipfel der Tour ist erreicht, doch ab sofort bewegen wir uns in unbekannten Gegenden. Auch ich war noch nie zwischen Schwarzkogel und Jepcasattel unterwegs und bin ziemlich neugierig. Der wildromantische Weg schlängelt sich wie eine felsige Achterbahn über die Grate. Permanent kurze An-und- Abstiege, die Vegetation abwechslungsreich. Es geht durch Latschenflächen, dann wird es in lichten Hochwäldern schattiger. Wir klettern über kleine, namenlose Gipfel, deren Namenlosigkeit sich aber schnell ändern kann. Thorstens bange Frage (….waaaas……..und daaa sollen wir hoch ?”) vor einem schwindelerregenden Dreieck hat verbale Folgen für das Dreieck. Wir nennen es „Brunsbüttel”, der dritte Gipfelsieg. Als nächstes Highlight erscheint bald ein stark verwitterter, sehr attraktiver Felsen, der förmlich beklettert werden muß. Wir pausieren und fotografieren…und klettern. Das felsige Naturdenkmal trägt die Nummer 26 – eingraviert an der Nordseite- , wir taufen es spontan „Stronzos Zahn”. Bis zu einem tiefen Einschnitt träumen wir uns durch ein alpines Märchenland. Unvorbereitet beginnt wieder der Ernst des Lebens. Norbert erzählt von einer Tour im Grand Canyon, Thorsten klagt über erste Blasen an den Füßen und wir müssen einen langweiligen, endlosen, steilen Hang hinauf. Dieses Stück quält unsere Muskulatur derart, wir landen auf einer kleinen Wiese am höchsten Punkt des Monsters und lassen uns synchron ins Gras sinken. Nachträglich erhält der Alptraum einen Namen . …”Wattndatta”. Unsere Wasserflaschen werden leichter und leichter. Immerhin sind wir bald darauf am Jepcasattel, dort treffen wir erstmals wieder auf Menschen und ich weiß, was uns erwartet. Wir sind jetzt auf dem Weg zum Mittagskogel, Thorsten schüttelt ununterbrochen den Kopf. Nebenbei nehmen wir den Gipfel des Kleinen Mittagskogels mit (1815), die Julischen Alpen sind zur Gänze in dichten Wolken verschwunden und es gibt bald keine Himmelsrichtung mehr, die erfreulich aussieht. In der Westseite des Mittagskogels fallen mir unzählige Leute und Anekdoten ein, die mich regelmäßig auf diesem Stück begleiten. Norbert bleibt stets im Rahmen, aber Thorstens Mimik ist ein offenes Buch. Ich könnte einige Stellen zitieren, aber ich werde es nicht tun. Exakt zur Mittagszeit erreichen wir den höchsten Punkt unserer Tour und campieren kurz beim Gipfelkreuz des Mittagskogels (2143). Dort verschwinden unsere letzten Vorräte und ich hoffe auf eventuelle Glückshormone der Schokolade für den langen Abstieg. 1400 trockene Höhenmeter bis Kopein hinunter. Die Wetterlage und Thorstens Blasen haben den Türkenkopf kurzfristig aus dem Programm genommen, wir arbeiten uns konzentriert die Touristenstrecke hinunter und halten nur für Erinnerungsfotos in Schneefeldern. Als wir an der Bertahütte ankommen, fallen erste Tropfen . Wir gönnen uns nur eine kurze Pause an der überfüllten Hütte und entschließen uns (Norbert: „Sekt oder Selters”) zum Weitermarsch ins Tal. Diese Strecke wird von Jahr zu Jahr trostloser, weil breite, unsensibel angelegte Forststraßen die früher so ursprünglichen Wälder zerschneiden. Mehrmals erkenne ich die Landschaften nicht mehr, obwohl ich hier im vergangenen Sommer noch unterwegs war. So endet diese Reise ein wenig sentimental und nachdenklich in der Erkenntnis, dass es selten positive Veränderungen gibt. Nach 23 Stunden saßen wir wieder bei Ines im Auto, die Lüftung auf höchster Stufe. Eine Stunde und eine Dusche später stand ich mit Heugabel und Rechen wieder auf einer Wiese im Alltag und ich werde Ihnen auf keinen Fall verraten, was ich dachte.
NACHSATZ. Meine Uhr (ich trug sie um den Hals) überlebte die tropischen Temperaturen und die hohe Luftfeuchtigkeit unter meinem T-Shirt nicht. Die Socken aller Teilnehmer landeten ohne Umwege direkt in der Mülltonne.