Von Antonia Bernitt
Jung, dynamisch und top motiviert bringen uns drei Autos zum Parkplatz „Druidenland“. Ebenso jung und sportlich setzen wir, eine 14- köpfige Gruppe, uns in Bewegung, leider- Spoiler- ohne Druiden Begegnung. Kann ich das hier irgendwo reklamieren?
Da ich 2018 bereits den Schwarzkogel bewanderte, der sich mit unserem heutigen Ziel Mallestiger Mittagskogel einen größeren Abschnitt des Weges teilt, kommt mir der zuerst steinige, dann wurzelige Weg noch bekannt vor. Allerdings schien mir vor drei Jahren der Aufstieg deutlich flacher. Der ist doch heimlich gewachsen, dieser Berg! Dass meine Kondition, sowie meine Beinmuskulatur aufgrund der Lockdownpause ein wenig nachgelassen haben könnte, ziehe ich selbstverständlich auch in Betracht, aber es kann ja nicht immer an mir liegen, oder? Wie bereits oben erwähnt, ist die Gruppe deutlich größer als bei meiner letzten Wanderung, weshalb sich unter die hier ebenfalls vertretene Spezies, ich glaube man nennt sie Sportler, zu meinem Glück auch normalere Menschen gemischt haben. Hansi ist also gezwungen, ab und an eine Pause einzulegen. Nicht dass ich die gebraucht hätte…
Sind wir anfangs noch alle ungefähr im gleichen Tempo gelaufen, so teilt sich die Gruppe immer weiter auf, stolz über meine wahnsinnige Leistung sogar im Mittelfeld zu sein, fangen meine Gedanken an, eine andere Richtung einzuschlagen als meine Beine. Während meinen Oberschenkeln so langsam bewusst wird, dass das hier kein Spaziergang durch flache Niederrheinwiesen wird, habe ich keinerlei Ausreden mehr, um den mir im Kopf herumschwirrenden Gedanken und Fragen aus dem Weg zu gehen. Den Alltag zuhause habe ich mir, wie mir jetzt klar wird, recht geschickt vollgepackt, zwischen Schule, Lernen, Führerschein machen und nebenbei ein wenig Arbeiten bleibt kaum Platz für Selbstreflektion, zu laut sind die Stimmen der Mitmenschen, um meine eigene zu hören. Hier im Wald, wo Tierstimmen, ein noch ferner Wasserfall und flüsternde Blätter die Geräuschkulisse prägen, fühle ich mit fast von meiner Selbst überrumpelt. Fragen, die ich mich in der Vergangenheit nicht einmal traute mir zu stellen, serviert mein Unterbewusstsein mir nun ganz frisch, die ein oder andere passende Antwort als kleinen Gruß aus der Küche dazu. Auch fällt ein Druck, der mir vorher nie bewusst war, von mir ab. Hier guckt keiner auf deine Leistung, es ist total egal, wann du da oben ankommst und wie viele Liter körpereigenes Salzwasser zu dabei ausschwitzt. Während ich merke, wie meine Schultern trotz des Rucksacks deutlich leichter werden nehme ich mir also vor, diese neu errungene Leichtigkeit mit in den Schulalltag zu nehmen.
An einer Bank, die uns einen fantastischen Blick auf zwei Wasserfälle bietet, legen wir eine Pause ein und sehen eine Weile dabei zu, wie Massen an klarem Bergwasser eine mittlerweile glatt gewaschene Felswand hinunter donnern. Die Handys werden ausgepackt, das ein oder andere Foto wird gemacht, man genießt die Gelegenheit, die hechelnden Lunge ein wenig zur Ruhe kommen zu lassen.
So geht es nach einer erholsamen Pause mit fantastischem Ausblick in Serpentinen den Berg hinauf. Dieses Stück Weg liegt in der prallen Sonne, was das Wandern nicht unbedingt erleichtert und mein eben noch vor sich hin philosophierender Kopf gibt an meine Beine ab; „Macht ihr das mal, ich hab Pause“. Blöd nur, dass die Beine ebenfalls Urlaub beantragt haben. In Gedanken schon bei der Quelle, die man aus der Ferne plätschern hört und bei der die Trinkflaschen aufgefüllt und die Motivation reanimiert werden kann, schiebe ich mich den Weg entlang und wundere mich über Alex und Elisa, die noch nicht einmal begonnen haben zu schwitzen, obwohl sie mindestens doppelt so schnell unterwegs sind wie ich. Das muss das Alter sein. Na gut, vielleicht auch die Sache mit dem Sport. An der Quelle angekommen bringe ich mit eiskaltem Wasser meinen Kreislauf wieder in Schwung, Asche hat tatsächlich Traubenzucker dabei (fantastisches Zeug) und Hansi guckt mich etwas schief an; „Du hast recht, das ging vor drei Jahren bei dir irgendwie noch besser.“ Jaja ist gut, ich weiß. Diese eigentlich eher ernüchternde Erkenntnis schenkt mir allerdings eine dicke Portion neue Motivation, der nächste Abschnitt ist zwar nicht weniger anstrengend, ich dafür wieder deutlich besser gelaunt. Der Weg ist wieder von schattenspendenden Bäumen gesäumt, die ernüchternden Serpentinen weichen federndem Waldboden, diese Art zu wandern ist deutlich mehr nach meinem Geschmack. Ich lausche dem gratis Konzert der Vögel und lasse meinen Gedanken wieder lange Zügel.
Die nächste Pause bietet einen ersten Ausblick in Richtung Tal, beeindruckt davon, wie weit oben wir doch sind, sitze ich auf einem mit Moos gepolsterten Stein, Hansi versichert uns, dass der nächste Abschnitt bis zur Mitzel Moitzel Hütte deutlich moderater sei. Allgemeine Erleichterung.
Tatsächlich wird der Weg weniger steil, links und rechts ist der Waldboden mit Moos, Farnen und hüfthohen, lilafarbenen Blumen geschmückt und das Licht der frühabendlichen Sonne malt goldene Muster in die Luft. Die Atmosphäre hat beinahe etwas magisches, sodass ich schon fast damit rechne, einem Einhorn oder einem Hobbit zu begegnen. Wenigstens ein Druide wäre doch nett gewesen, wir scheinen jedoch nicht die Auserwählten zu sein, denen sich ein verborgenes Elfenvolk zeigt. Auch ohne magische Begegnungen lassen wir den Märchenwald hinter uns, an der Mitzel Moitzel Hütte machen wir unsere nächste Pause, unter uns der Faaker See, links neben uns eine zerklüftete Felswand. „Da oben ist das Gipfelkreuz“ sagt Hansi und deutet auf die Spitze des Felsen. „Auf dem letzten Stück muss man ein wenig klettern, aber wir sind in höchstens einer halben Stunde oben“. Die Worte „ein wenig klettern“ in Kombination mit der Steilwand vor uns lösen in mir ein nie zuvor gespürtes Unwohlsein aus, ich vertraue Hansi in Sachen Wandern voll und ganz, diese Wand sieht allerdings nicht wie etwas aus, was man ohne Sicherung hinaufklettern möchte. Da aber alle anderen vollkommen ruhig bleiben, schlucke ich meine Frage, ob das nicht ein wenig gefährlich wäre, hinunter. Gut so, wie ich fünf Minuten später merke, denn wir klettern natürlich nicht die im 90° Winkel stehende Felswand hoch, sondern nehmen die flachere Seite. Der Weg verengt sich zu einem schmalen Pfad zwischen Steinen und Felsen, diese Art zu Wandern macht unfassbar viel Spaß. Hansi hat recht, wir klettern mehr als das wir wandern, einen richtigen, vorgegebenen Weg gibt es an manchen Stellen kaum noch, such dir deinen eigenen Weg, passe dich der Natur an. Als ich gerade denke, meine doch relativ kurzen Beine könnten langsam eine kleine Pause verdienen, wartet hinter einem der vielen grauen Felskanten der Teil der Gruppe, den ich bereits der Spezies Sportler zugeordnet habe, die Rucksäcke liegen auf einer grünen Wiese, Hansi redet gerade davon, ein wenig Feuerholz zusammen suchen zu wollen, da es in den letzten Tagen genügend geregnet hatte, um bedenkenlos ein kleines Lagerfeuer zu machen. Meine Schultern atmen erleichtert auf, als ich zuerst meinen Rucksack und dann mich selbst zu den anderen auf die Wiese fallen lasse. Wow, was eine Aussicht. Jeder einzelne Tropfen Schweiß und jeder Muskelkater den ich garantiert bekommen werde ist es wert, hier oben zu sein. Die Natur darf hier noch machen was sie will, wir sind ihre Gäste uns sie die wohl beste Gastgeberin. Kaum melden die Beine wieder ansatzweise Betriebsbereitschaft, machen wir uns auf zum Gipfelkreuz, denn unser Schlafplatz liegt ein Stückchen davon entfernt. Auch hier klettern wir eher als das wir wandern, links und rechts der von einer spärlichen Böschung gesäumte Hang, denkt man zu viel darüber nach könnte es leichtsinnig klingen, lässt man dieses ewige Denken für einen Moment mal sein und verlässt sich auf seine Füße, ist es eines der besten Gefühle, was man sich vorstellen kann. Ich laufe hier, auf 1800 Metern über einen schmalen Pfad, um mich herum nichts als die pure Freiheit, es ist fantastisch. Am Gipfelkreuz angekommen scheinen Hansi die 1802 Meter, auf denen wir uns laut Schild befinden, nicht zu reichen, denn er klettert auf den Querbalken des Kreuzes um ein paar Fotos zu machen. Die sehen aus 1804 Metern Höhe natürlich gleich viel spektakulärer aus. Hansi halt. Mir reicht die Aussicht von „unten“ vollkommen, die Schönheit der Natur liegt wie ein Gemälde vor uns. Die Sonne nähert sich dem Horizont und taucht alles in ein goldenes Licht. Herrgott, das ist schon ein wenig kitschig.
Als die Sonne den Dienst an den Mond abgegeben hat, macht Hansi ein kleines Feuer an, das mittlerweile wirklich nötig ist, denn mit den letzten Sonnenstrahlen schwindet auch das letzte bisschen Wärme merklich. Mit dem Lagerfeuer werden Erinnerrungen an längst vergessene Tage wach und ich ertappe mich dabei, wie ich beinahe sehnsüchtig in den Flammen nach der Vergangenheit suche. Glücklicherweise lenkt mich das aktuelle Gesprächsthema ab, es geht um Musik, und so philosophieren wir über gute und schlechte Bands, witzige, prägende und schöne Momente auf Konzerten und und und, bis sich langsam aber sicher eine allgemeine Müdigkeit einstellt.
Da mein Schlafsack ein Spontaneinkauf beim Hofer war, ist das mit der Wärme so eine Sache, aber mit zwei T-Shirts und einem Pulli übereinander ist es aushaltbar. Noch während ich eine geeignete Schlafposition suche, überrollt mich plötzlich eine bleierne Müdigkeit, auf dem Rücken liegend, über mir ein glitzernder Himmel, fallen mir die Augen zu. Der Schlaf hält allerdings nicht lange, denn neben mir wird sich noch die halbe Nacht lebhaft unterhalten. Ja, genau euch drei meine ich. Nun gut, wach kann man wenigstens die Sterne angucken und die geben sich diese Nacht ganz besonders viel Mühe, wunderschön auszusehen, die eine oder andere Sternschnuppe lässt sich auch blicken.
Gegen fünf Uhr werden wir nach und nach von der Kälte und den ersten zaghaften Strahlen der Sonne geweckt. Während sich die Sonne wie eine übergroße Orange hinter den Wolken hervorschiebt, werden die noch halb schlafenden Glieder daran erinnert, dass es gleich noch einmal knapp 950 Höhenmeter abwärts geht. Kaum das die Sonne über dem Horizont hängt und der Asche mit „Here comes the sun“ für die musikalische Untermalung gesorgt hat (glücklicherweise vom Handy abgespielt, nicht selbst gesungen), schultern wir hochmotiviert die Rucksäcke und laufen los in Richtung Kaffee und einer warmen Dusche. Hansis Methode „Man muss rennen, das ist besser für die Gelenke“ erweist sich zumindest auf dem ersten Stück bis zur Mitzel Moitzel Hütte als weniger clever, logisch, wenn man bedenkt, dass wir beim Aufstieg geklettert sind. Vielleicht liegt das auch an meiner Unerfahrenheit in den Bergen, in meiner Heimat am Niederrhein gibt es davon ja reichlich wenige, aber bevor ich diesen von Geröll bedeckten und Abhängen gesäumten Pfad entlang renne, nehme ich lieber ein bisschen mehr Muskelkater in Kauf. Am Aussichtspunkt der Mitzel Moitzel Hütte lassen wir uns noch Zeit für ein kleines aber einmaliges Frühstück, ich bin mir sicher, noch nie beim Essen eines Müsliriegels eine solch wunderschöne Aussicht gehabt zu haben. Während wir dabei zusehen, wie die Morgensonne unter uns den Faaker See türkis schimmern lässt, beschäftigen wir uns mit den wichtigen Fragen des Lebens; eine Bananenschale kann man ja bedenkenlos in der Natur entsorgen, aber wie sieht es mit dem Aufkleber aus? Gibt es biologisch abbaubaren Kleber? Wo ist Elisas Rucksack? Wer holt ihn aus dem Gebüsch, in das er gerutscht ist? Startet Hansi jetzt doch eine Karriere als Dichter und Denker? „Schlafplatz ist Vergangenheit, Rastplatz ist Gegenwart und die Zukunft besteht aus einer warmen Dusche und Kaffee. Kaffee? Gibt es erst Unten! Also weiter. Ab jetzt renne sogar ich, durch den Märchenwald, der im goldenen Licht des noch jungen Morgens, es muss ungefähr kurz nach 6 sein, nicht weniger magisch aussieht, nach einem kurzen Stopp an der Quelle die Serpentinen hinunter- Herrgott, am Hinweg waren die mein Endgegner- bis zur Bank mit Aussicht auf die beiden Wasserfälle. Hansi guckt mich deutlich weniger mitleidig an als beim Aufstieg, „das ist die Toni, wie ich sie kenne“, grinst er. Unten am Parkplatz geht es mit der Freude weiter, die Frauenquote der Erstankömmlinge ist hoch; Franzi, Elisa, Sandra und ich sitzen neben Hansi auf dem Boden und warten auf den Rest, der, zugegebenermaßen, auch zum Teil mit Knieschmerzen und umgeknickten Knöcheln zu kämpfen hat, wobei sich glücklicherweise niemand ernst verletzt hat. Die Autofahrt zurück zum Hof gestalten wir mit kollektivem Schweigen, schuld ist die Müdigkeit. Zuhause angekommen laufen Elisa und ich vom Hof bis zur Blockhütte, auf unserem Weg am alten Taborhof vorbei fällt unser Blick auf den Mallestiger Mittagskogel und trotz der müden Beine und meinem starken Koffeinbedarf bleiben wir beide kurz stehen und gucken ein wenig ungläubig diesen Berg an. Da oben waren wir. Und obwohl ich bereits jetzt den Muskelkater- oder heißt das bei mir dann Muskelkatze? Fragen über Fragen- spüre, bin ich mir zu 100% sicher; ich würd’s immer wieder machen.