Mei Bachl

Von Hansi Mikl

„Mei Bachl” heißt in breitem Kärntnerisch „mein Bächlein”. Ersetzt man das e kurzerhand durch ein a und schreibt man es in einem Wort, so wird daraus „Maibachl”. Beide Varianten kommen nicht nur im hiesigen Sprachgebrauch, sondern auch ganz real in der tatsächlichen Wirklichkeit vor.
Für mich gibt es da keinen Unterschied, denn „Maibachl”=”Mei Bachl”.

Der nun etwas Verwirrte wird hilfesuchend bei Wikipedia nachschlagen und dort für meinen Geschmack viel zu nüchtern nachlesen:

„Das Maibachl ist eine Thermalquelle am Fuße des Dobratsch in Villach im österreichischen Bundesland Kärnten. Es gehört hydrologisch zu einer Reihe von Thermalquellen, die in Warmbad Villach zu Kur- und Heilzwecken gefasst wurden. Die Maibachl Quellen bilden einen natürlichen Überlauf der Warmbader Thermalquellen und fließen nur zur Zeit der Schneeschmelze am Dobratsch oder nach länger anhaltenden intensiven Niederschlägen. In der Nähe der Hauptquellen haben sich im Laufe der Zeit zwei Quellbecken gebildet, die durch Steinschlichtungen der Badegäste zusätzlich aufgestaut wurden und nun mit ca. 1 m bis 1,2 m Tiefe zum Entspannen im 28°C warmen Thermalwasser einladen.

Im Jahr 2005 wurde das Maibachl zum Naturdenkmal erklärt.

Die Warmbader Quellen und damit auch das Maibachl entspringen am östlichen Fuß des Dobratsch. Dieser ist vorwiegend aus Wettersteinkalken aufgebaut, und an der Ostflanke über Staffelbrüche in einzelne Schollen zerteilt. Diese Schollen sinken nach Osten hin immer tiefer ab und somit erreichen die Wasser führenden Schichten Tiefen, in denen das Sickerwasser auf über 38°C erhitzt wird. Vorgelagerte Rotlehmschichten im Bereich von Villach Warmbad bilden eine wasserundurchlässige Grenze nach unten und nach Osten und zwingen so das erwärmte Sickerwasser nach oben. Das Thermalwasser vermischt sich nahe der Oberfläche mit kälterem Wasser und tritt in mehreren Quellen mit ca. 28°C an die Oberfläche. Die Maibachlquellen liegen dabei ca. 15m höher als die ständig Wasser führenden Thermalquellen in Warmbad und fließen deshalb nur bei entsprechend starker Wasserführung im Untergrund. Bei besonders heftigen Niederschlägen oder sehr rascher Schneeschmelze beginnt ein paar hundert Meter von den Maibachlquellen entfernt und noch ein paar Meter höher gelegen auch die Hungerbach Quelle zu sprudeln. Dieser Bach fließt dann gemeinsam mit dem Maibachl und den Abflüssen der Warmbader Quellen als Warmer Bach südlich von Villach in die Gail.

Seit dem Jahr 2003 wird mit einer automatischen Messstation des Hydrografischen Dienstes des Landes Kärnten sowohl die Temperatur und chemische Zusammensetzung als auch die gesamte Abflussmenge der Maibachlquellen erfasst.

Die Warmbader Thermalquellen weisen verschiedene gesundheitlich wirksame Inhaltsstoffe auf. Neben Kalzium (Osteoporose, Harnwegsinfektionen) und Magnesium (Herz- Kreislauferkrankungen) enthält das Wasser auch Hydrogencarbonat und andere heilwirksame Stoffe”.

Da steckt zwar schon einiges an Information drinnen, doch für den Eingeweihten fehlt den trockenen Ausführungen die Quintessenz:

Das Maibachl ist ein spektakuläres, außergewöhnliches Naturereignis in zwei verschiedenen Arten der Wahrnehmung :

Das Maibachl bei Tag.
Das Maibachl bei Nacht.

Das tägliche Maibachl ist ein klarer Fall für den Durchschnittskonsumenten, der die sichere Seite, Bademode und den Durchblick bevorzugt.

Das nächtliche Maibachl hingegen ist MEIN Lebensraum. Zu allen Qualitäten, die diesen besonderen Ort schon im Tageslicht zu einem Erlebnis machen, kommen in der Nacht unzählige Ingredienzien hinzu, die für Genuss, Spaß, Spannung und Unterhaltung sorgen. Fast wie bei einem Überraschungsei – man(n) weiß wirklich nie, was oder wer warum drin sein wird.

Irgendwann später, wenn ich viel Zeit haben sollte, werde ich ein umfangreiches „Handbuch für nächtliche Maibachlbenützer” veröffentlichen, mit sämtlichen Tipps und Tricks für unfallfreie Aufenthalte. Und mit (fast) lückenloser Beschreibung heiter-besinnlicher Anekdoten und sonderbar-merkwürdiger Dinge, deren Täter, Opfer und Zeuge ich im langen Lauf der Jahre sein durfte.

Nach Sonnenuntergang ist es ein Unterschied wie Tag und Nacht. Durch die tieferen Temperaturen dampft das Wasser und wenn dann der volle Mond fahles Licht in diesen Dampf injiziert, wird aus dem Maibachl ein mystisch-geheimnisvoller Ort einer Verschwörung sämtlicher Sinne gegen die durchaus vernünftige eigene Vorstellung, sich noch immer auf diesem Planeten zu befinden und nicht etwa auf einer Zeitreise, die man nicht geplant hat. Die Steine auf dem Grund des Beckens werden fast plastisch, beinahe lebendig und der eigene Körper wirft Schatten. In besonderer Erinnerung bleiben windige Mondnächte im Winter, wenn der Südwest weiße Wolkenfelder über den dunklen Himmel treibt und für wechselnde Licht- und Schattenspiele im warmen Wasser sorgt. Es riecht nach Neuschnee, die Außentemperatur liegt bei 8 Grad unter Null, die Bühne ist völlig menschenleer. Man hört nur das Glucksen und Plätschern des Wassers, den kalten Wind oben in den Baumkronen und man kann jeden Gedanken zu Ende denken. Zugegebenermaßen sind die winterlichen Ausstiege (von + 28,5 auf -8 in 0,3 Sekunden) oftmals eine eher strenge Übung, denn der warme Wasserdampf verfängt sich im Bademantel, der einsam und unheimlich in den Zweigen eines Busches am Ufer hängt und kühlt dort derart gnadenlos ab, dass man das hektische Abtrocknen als eisigen Pfeilhagel in die Haut empfindet. Solche Mutproben schrecken glücklicherweise Warmduscher und Trittbrettfahrer nachhaltig ab und deshalb sind die Winternächte im Maibachl mit großem Abstand am erholsamsten.

Jetzt im April, wenn nach einem langen, dunklen Winter die Natur und mit ihr sogar die Lebensgeister der sonst eher Leblosen wiedererweckt werden, kann es schon passieren, dass durch die steigenden Temperaturen auch Halbstarke ihren Winterschlaf beenden und in zu großer Anzahl, bekleidet mit langen Badehosen den sakralen Ort lautstark entern, der übliche Romantikfaktor dann die Hände überm Kopf zusammenschlägt, in kürzester Zeit schreiend die Flucht ergreift und im dunklen Wald auf Nimmerwiedersehen verschwindet.
Ich beherrsche mich, als die Experten die Überlebenschancen eines Sturzes in den Grand Canyon diskutieren.
Ich beherrsche mich, als der Lärmpegel den Grenzbereich überschreitet.
Ich beherrsche mich auch noch, als erstes Spritzwasser in meine Intimsphäre eindringt.
Kurz vor einer „Meinungsverschiedenheit unter Freunden” wird ohne meine Einwirkung das Pedal der Euphoriebremse durchgetreten, als zwei Uniformierte mit Taschenlampe und Schäferhund am Rand des Beckens erscheinen und die coolen Falschparker unverblümt darauf aufmerksam machen, dass ihre untermotorisierten Mopeds erstens im Wald, aber zweitens im absoluten Halte- und Parkverbot stehen.

Schlimmer geht’s nimmer ? Falsch. Schlimmer geht immer.

Nächste Nacht, selber Platz:

Zu Osterferienzeiten dient das Maibachl auch jungen Mädels aus Deutschland als trendiger Orientierungspunkt „zum Chillen” (so nennen es die Backfische in aktueller Jugendsprache) und zum eifrigen Sammeln ungewöhnlicher Erfahrungen. Im Dunkeln schimmern SMS-versendend ihre Handys mit integrierter Kamera, während sie von einer Bank in Ufernähe aus mit geweckter Neugier und Röntgenblick die Badenden beobachten und mich eher unangenehm daran erinnern, dass jenseits des Thermalwassers nicht nur der Alltag mit seinen Aufgaben, sondern auch unbedarfte Frauen mit wertenden Kommentaren auf mich warten. Man merkt plötzlich, dass man in diesem Naturparadies überraschend einen kurzen, aber dafür schmerzhaften Tod sterben kann, wenn man unvorsichtig genug ist, in falschen Momenten entscheidende Fehler zu begehen. Zentimeterweise zieht man sich in den unmittelbaren Quellbereich zurück und verschiebt das splitternackte Hinausgehen an Land auf einen späteren Zeitpunkt, weil einem rechtzeitig dämmert, dass die milde Frühlingsnacht im Handumdrehen kälter sein könnte als der Kuss einer Schwiegermutter. Ich wühle verzweifelt in meiner Trickkiste, finde aber keine Glanznummer, die mich dem Anlass entsprechend elegant aus der Bredouille bringen würde und beschließe spontan, zu einem späteren Zeitpunkt, wenn ich etwas mehr Zeit haben könnte, gleich zwei Handbücher auf den Markt zu werfen:

Den Klassiker:
„Handbuch für nächtliche Maibachlbenützer”
(Badetaschenbuch, 211 Seiten)

Die Fortsetzung:
„Alles, was sie über Frauen im Maibachl (und außerhalb davon) wissen sollten”
(Badetaschenbuch, 352 Seiten)

Der Geruch von billigem Parfum, Kaugummi und Zigaretten weht von der Bank herunter, ich atme tief ein, kurz durch und bin nicht gerade voller Glückseligkeit. Unbeschadet bleibt, denke ich mir, wer den längeren Atem hat. Die Theorie bestätigt sich in der Praxis: Während die Grazien irgendwann kichernd-schwatzend ihren exklusiven Aussichtspunkt verlassen und bald vom Schatten des Waldes verschluckt werden, formuliere ich in Gedanken schon grinsend die ersten zwei Gebote für sensible Männer aus der Perspektive eines sensiblen Mannes:

Unbekannten Frauen, von denen man(n) mitten in der Nacht maximal die Umrisse und den Klang der Stimme erkennen kann, begegnet man am besten so, als wären sie gefährlich.
Beim Kennenlernen von wildfremden Frauen empfiehlt es sich, sich umgehend nach schlechten Angewohnheiten und alten Verletzungen zu erkundigen.

Weil wir eine Familie sind, die ihre Kinder dazu ermutigt, vo®m Fernseher oder Computer in die freie Wildbahn zu flüchten und weil unsere Kinder eher eigenwillige und unabhängige Naturen sind ….begleitet mich neuerdings an Wochenenden bzw. zu Ferienzeiten oftmals mein Sohn Mariano. Mir war eigentlich schon immer klar, dass er einen guten Maibachl-Partner abgeben würde. „Zu klein” oder „zu früh”, „zu warm” oder „zu kalt”, „zu anstrengend” oder „zu gefährlich” waren noch nie Parameter, die ihn sonderlich beeindruckt hätten:

Mit 7 küsste er schon seine erste große Liebe aus Belgien.
Mit 7,5 übernachtete er schon auf der Mitzl-Moitzl-Hütte.
Mit 8 fällte er, nur mit einer kleinen Handsäge bewaffnet, eine 12 Meter hohe Fichte.
Mit 8,5 folgte der erste Fahrradsturz, der im Krankenhaus endete.
Mit 9 galoppierte er bereits lachend auf Bingo durch den Wald.
Mit 10 ist er Torschützenkönig seiner Fußballmannschaft.

Jetzt stiefelt er neben mir durch die Dunkelheit. Der kleine junge Mann mit seinem bunten Bademäntelchen und seinen nicht minder farbigen Erwartungen fühlt sich von der warmen Quelle angezogen, danach „seien seine Knochen weich und er schlafe ausgezeichnet” behauptet er im Brustton der Überzeugung. Er sammelt im Eilzugstempo Erfahrungen, strotzt vor überschüssiger Energie und glaubt einstweilen noch, er sei unsterblich.

Schon im dritten Anlauf zeigt sich augenscheinlich, wie nützlich das Entkleide-Training und die nachfolgenden Anzieh-Versuche ohne Beleuchtung für den blutigen Anfänger gewesen waren. Das Ablegen der Kleidung im Finstern sollte nämlich chronologisch erfolgen, damit man beim späteren Anziehen keine bösen Überraschungen erlebt bzw. kleine, dunkle Sachen (wie zB. Socken) nicht von der Nacht verschlungen werden. Weil Übung bekanntlich den Meister macht, ist er in der Zwischenzeit fast schon schneller als ich.

Unter uns gesagt: Richtig ruhig sind diese Vater-Sohn-Nachtbadesessions nicht unbedingt. Dafür stellt Mariano zu viele Fragen und unglücklicherweise gelingt es mir längst nicht immer, sie auch zu beantworten. Schweigend meinen Gedanken nachhängen ist praktisch unmöglich, denn es gibt zu viele, meist heitere Gesprächsthemen, die keine wirklichen Grenzen kennen und zwischen Schule, Mädchen und Fußball frei hin und her wandern. Im direkten Vergleich fallen mir öfters Gemeinsamkeiten auf, wenn er von seinem Leben als Linksaußen, von Toren und vergebenen Chancen erzählt. Scheint fast, als hätten wir genetisch bedingt ein breites Repertoire von Einfällen, die uns immer wieder in Schwierigkeiten bringen. Besser wäre es sinngemäß auch, nach beiden Seiten zu blicken, ehe man die Straße überquert. Während wir über die Lösung des Problems nachdenken, wird ihm kalt. Man merkt es an der veränderten Stimmlage und am lauter werdenden Klappern der Zähne. Für mich ein zu früher Abschied, aber wenn ich mich in diesem Punkt nicht kooperativ verhalte, müssen wir morgen zum Zahnarzt.

Der Ausstieg ist für den Kleinen jeweils eine Mutprobe. Er zittert wie Espenlaub, während er hastig in seine Klamotten schlüpft. Erfahrungsgemäß wirft der Körper seine Heizaggregate erst an, wenn man im rettenden T-Shirt steckt.

Als wir mit „weichen Knochen” heimwärts wandern, ziehen dunkle Wolken am nächtlichen Himmel auf und ein kühler Wind pfeift durch die Büsche. An der Brücke werden wir gleich in die Lichtkegel der Laternen fallen und ich kann mir denken, was ihm zu schaffen macht. Er überlegt, ob er nicht besser eine der Chancen zu einem zweiten Tor veredelt hätte. Dann gäbe es zwei Cheeseburgers statt nur einem.

Was für Garn er später wohl für seine Kinder spinnen wird ? Bestimmt wird er ihnen vom Maibachl erzählen, wo der Alltag sie nicht erreichen kann, es den Kummer und das Leid nicht gibt, die Knochen weich werden und man für immer jung bleibt.