Geheimnisumwitterte, sagenumwobene Arbeitsplätze in der Umgebung, Teil IV:
Der Mittagskogel und sein Goldpfarrer
(von Hansi Mikl)
Nüchtern betrachtet besteht das Leben aus einer Vielzahl von mehr oder weniger intensiven Lebenabschnittspartnerschaften. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn ich über meine vergangenen Jahrzehnte nachdenke, so war die jeweilige Besetzung meiner Bezugspersonen ziemlich wechselhaft: Zuerst meine Eltern, dann meine Frau, anschließend meine Kinder und dazwischen ein paar Freunde und ziemlich viele Weggefährten, die irgendwann an irgendeiner Kreuzung abbogen. Auch die klitzekleine, ganz persönliche Welt ist also permanent im Wandel. Unermüdlich spült die Zeit die alten Bekannten weg und schafft neuen, unbekannten Nachschub heran. Die Anzahl der wirklich dauerhaften Begleiter von der Wiege bis zur Bahre ist mehr als überschaubar. Das mag ja völlig normal sein, setzt dem diagnostizierenden Menschen im Laufe der Jahre aber schon ein wenig mehr zu, als man offen zugeben würde.
Wirklich zuverlässig und stationär ist eigentlich nur …er.
Der Mittagskogel.
Für mich ist er klarerweise mehr als nur irgendein Berg unter irgendwelchen Bergen, denn er dominiert als attraktiver Mittelpunkt mein heimatliches Panorama und den Blick nach Süden, und die vielen, oft sehr besonderen Erlebnisse auf und mit ihm machen ihn mittlerweile ohne Zweifel zu einem geheimnisumwitterten, sagenumwobenen Arbeitsplatz. Wobei mir das Wort „Arbeitsplatz“ in diesem Zusammenhang nur bedingt gefällt.
Wie das selbst bei selbst bei extremen Langzeitbeziehungen so ist: Auch sie sind stetem Wandel unterworfen.
Als kleines Kind bewunderte ich ihn mit offenem Mund, wenn ihm die letzten Sonnenstrahlen eines kalten Wintertages zu einem fast unwirklichen Glanz verhalfen. Da malte ich mir als eine zweibeinige Stecknadel tief unter ihm und weit entfernt, in bunten Farben und wahrscheinlich überdimensional, aus, wie es wohl hoch oben auf dieser abgeschnittenen Pyramide sein könnte, mit einem Blick möglicherweise über die ganze Welt oder darüber hinaus.
In der Schule erfuhr ich dann, dass es keinen Weihnachtsmann und keinen Osterhasen gibt und dass es weitaus höhere Berge als meinen Mittagskogel gibt und zwar eine ganze Menge davon. Egal, dachte ich mir, dafür ist er viiiieeeeel schöner. Schon damals sah ich in ihm einen massiven, verlässlichen Sakralbau aus Kalkstein, schloss zwar einseitige, aber echte Freundschaft und schwor, wenn möglich, lebenslange Treue.
Als nicht gerade ausbalancierter Teenager lernte ich ihn schließlich ganz hautnah kennen und genoss den allerersten Aufstieg in einer unbeschwerten Mischung aus ahnungsloser Neugier und purer Lebensfreude als noch heute sehr prägendes kleines Abenteuer. Auch wenn mir die große Erleuchtung damals natürlich nicht zuteil wurde, die Landschafts- und Naturerfahrungen am Wegesrand erweiterten meine Wahrnehmung ganz erheblich, die sonnigen Steilhänge schulten meine Leidensfähigkeit und wenn man am Ende der Fahnenstange den höchsten Punkt erreicht hat, wirkt sich der Blick auf die Welt von oben bestimmt nicht negativ auf die Weltoffenheit und die plötzlich sehr relative eigene Größe aus.
Berufsbedingt musste/durfte/sollte (jedes Wort trifft zu) ich später meine häufigen Besuche auf ihm mit unseren Gästen teilen. Was oft mühsam, noch öfter unterhaltsam, manchmal sehr spannend und in ganz speziellen Fällen beinahe legendär war. Nicht zuletzt diese Erfahrungen schufen mit der Zeit neue Zugänge zum Berg. Während ich in den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus prophylaktischen Sicherheitsgründen den flachlandtirolertauglichen, aber eher langweiligen Weg über die Südseite wählte, wechselte ich direkt nach dem Millennium auf die anspruchsvollere, kaum begangene und aussichtstechnisch wesentlich spektakulärere Westseite, die sich damals im Vergleich zu heute menschenleer und ursprünglich präsentierte. Was die nun folgenden, sportlich wertvolleren Mittagskogelbegehungen sofort auf eine gesteigerte Qualitätsstufe mit noch größerem Unterhaltungswert stellte. Im Laufe der nächsten Jahre fielen leider laufend Haare in diese Suppe: Die Besucherzahlen am Berg stiegen nämlich an und mit dem fortschreitenden Forstwegebau kamen schließlich noch die Mountainbiker hinzu…mit der einstigen Ruhe unterm kleinen Mittagskogel war es schließlich bald und wohl endgültig vorbei. Die wachsende Anzahl an Ärgernissen sorgte zwangsläufig für die nächste Richtungsänderung: Übernachtungen im Schlafsack direkt unterm Sternenzelt auf dem Mittagskogel (!), Sonnenuntergänge und Sonnenaufgänge so ganz nebenbei inklusive. Selbsterfahrungsmäßig und abenteuertechnisch tatsächlich eine neue Dimension. Wenn die Dunkelheit die Landschaft überzieht und im Westen Gewitterwolken grollen und Blitze zucken…schrumpft man dort oben ganz schnell von 1Meter80 auf die Größe eines Zwergpudels oder gar einer Ameise. Kein Wunder also, wenn in solchen und ähnlichen Nächten wunderbare, skizzenhafte Geschichten entstehen, die dann mit jeder Erzählung bunter ausgemalt werden und die halt irgendwann zu später Stunde am Lagerfeuer ein fettes, opulentes Gemälde ergeben. So in etwa werden quasi im Bausatzsystem Sagen gebastelt, die zwar über einen wahren Kern verfügen, die aber mit jedem Erzähler etwas umfangreicher ausgeschmückt wachsen, bis sie irgendwann irgendwer in der XXL-Version aufschreibt.
Einer wie der Mittagskogel benötigt nicht unbedingt meine Geschichtchen, um geheimnisumwittert zu sein. Der wird schon seit längerer Zeit von einer gar nicht so alten Sage umrankt, deren Wahrheitsgehalt für eine Sage vergleichsweise relativ hoch ist (keine Drachen, keine Zwerge, keine Jungfrauen), und die es in nicht weniger als drei leicht bis deutlich abgewandelten Formen nachzulesen gibt:
Der Pfarrer von Latschach
Im 17. Jahrhundert erzählten sich die Bewohner eines Dörfchens in unmittelbarer Nähe des Faaker Sees, daß der Mittagskogel Gold berge. Es gab daher viele Leute, die es zu gewinnen trachteten und bald da, bald dort Grabungen anstellten, aber immer vergebens. Auf dem Berge, wo heute die Bertahütte steht, dehnten sich schöne Almen aus und auf den saftiggrünen Wiesen weideten die wohlgenährten Herden der Talbewohner. Grund und Vieh gehörte drei Bauern aus dem Orte, mit Namen Irschnig, Hojer und Koblar. Bei dem ersten stand eine Sennerin im Dienste, welche drei Dukaten besaß. In der damaligen Zeit war das für einen Dienstboten eine große Summe und deshalb war sie auch das Gespräch sämtlicher Dörfler. Ihr Dienstgeber drang so lange in sie, bis sie endlich sagte, woher das Geld stammte. Das Mädchen erzählte nun, daß schon dreimal ein fremder Mann aus Italien auf die Alm gekommen sei und oben übernachtet habe. Für die gebotene Milch und sein Nachtlager habe er ihr jedesmal einen Dukaten überreicht, frühmorgens die Hütte verlassen und sei abends, reich mit Gold beladen, in seine Heimat zurückgekehrt.
Irschnig erzählte dies dem Ortspfarrer, und beide rieten nun der Sennerin, vor dem bestimmten Tage einen Scheiterhaufen zu errichten und diesen beim Erscheinen des Fremden anzuzünden. Nach einiger Zeit brannte wirklich hoch oben am Mittagskogel ein Holzstoß. Der Pfarrer und der Bauer sahen das verabredete Zeichen, nahmen jeder ein Gewehr und eilten auf die Alm, wo sie den Fremden fanden. Alsogleich drohten sie ihn zu erschießen, wenn er ihnen nicht gutwillig die Hälfte des Schatzes abtrete. Mit saurem Gesichte ging der Goldgräber auf diesen Vertrag ein und konnte es tun, da ja für alle Gold genug vorhanden war. Die zwei nahmen ihn in ihre Mitte und ließen sich von ihm zur Fundstelle führen, wo sie so viel Erz nahmen, als jeder zu schleppen vermochte.
Als der Welsche eines Jahres nicht erschien, erhielt Irschnig den Auftrag, den auf den Entdecker entfallenden Anteil nach Görz in seine Wohnung zu bringen. Er tat dies und fand ihn wirklich in einem vornehmen Hause auf. Da er nun in einem Zimmer dem Welschen allein gegenüberstand, zog dieser plötzlich eine Pistole aus der Tasche hervor und sagte höhnisch: „So, jetzt will ich dir’s heimzahlen! Bringst du mir nicht jährlich meinen Anteil her, so bist du augenblicklich des Todes.” Willig oder nicht mußte der Kärntner sich fügen, denn das Leben war ihm lieb. Von nun an erhielt der Italiener jedes Jahr eine Menge Goldes aus Kärnten zugeschickt und brauchte selbst nicht mehr den weiten Weg zurückzulegen.
Der Pfarrer – Latschacher war sein Name – ließ das Gold zu Münzen prägen und erbaute an Stelle der kleinen hölzernen Kapelle des Dorfes eine schöne Kirche, die Schule und das Pfarrhaus. Aber einige Neider verklagten ihn heimlich bei Gericht, daß er auf unehrliche Art reich geworden sei. Da er das Geheimnis nicht verraten wollte, wurde er zum Tode verurteilt, und zwar sollte er lebendig eingemauert werden. Heiß und inbrünstig flehte er zu Gott, daß er ihn diese Schmach nicht erleben und lieber eines natürlichen Todes sterben lasse. Aber der Tag der Hinrichtung kam immer näher, und so sprach er denn einmal zu seinen Pfarrinsassen: „Ihr wißt, wozu ich das Geld verwendet habe. Sind es nicht gute Taten, die ich vollbracht, so soll mein Körper verwesen wie jeder andere. Ist das Geld aber zu gutem Zwecke angewendet, so werde ich selbst nach hundert Jahren nicht verwesen.”
Sein Gebet fand Erhörung, denn er fiel eines Tages, noch ehe die Zeit abgelaufen war, am Altare tot zu Boden. Der Bauer, welcher jetzt allein um das Geheimnis wußte, sank bald darauf im Gasthause Worouz in Oberferlach beim „Kegelscheiben” entseelt zur Erde, und niemand weiß zu sagen, wo jener unerschöpfliche Goldschatz verborgen ist. Der Leichnam des Pfarrers wurde im Mttelschiff der von ihm erbauten Ortskirche beigesetzt.
Noch jetzt zeigt man im Mesnerhaufe den Schmelzofen sowie die Pressen, worin das Gold geprägt wurde. Im Jahre 1870 wurde die Gruft zum zweiten Male geöffnet, und noch immer war der Leichnam unverwest. Das Volk sagt, wenn der Sarg im Jahre 1970 geöffnet werde und der Leichnam noch immer nicht in Verwesung übergegangen sei, werde Latschacher vom Papste heiliggesprochen werden.
Längst schon hat das Dorf einen andern Namen. Aus Dankbarkeit für den Gründer der Kirche nannte man es Latschach. Noch heute spricht man davon, daß der Besitzer des Irschnighofes ein Nachkomme des „Goldbauers” sei.
Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.© digitaler Reprint: www.SAGEN.at
Sagen aus Latschach (Valentin Pogatschnig, 1860)
In Kärnten geht die Sage: Ein Italiener habe noch vor zirca 100 Jahren sich oft auf der Jepca-Alpe unterm kleinen Mittagskogel südlich von Latschach eingefunden und aus einer jetzt nicht mehr wahrnehmbaren Grube edles Metall hervorgeholt. Die Sennerin, in deren Hütte er sein Nachtlager zu halten pflegte, habe er – so heißt es – jedesmal mit zwei harten Thalern belohnt. Als dies der Eigenthümer der Alpe, ein Bauer aus Latschach erfuhr, beauftragte er die Sennerin, ihn von der Wiederkehr des Wälschen durch ein am Rande des Gebirges angezündetes Feuer zu verständigen. Er begab sich sodann bei Wahrnehmung diese Zeichens auf die Alpe und nöthigte den solchergestalt überrumpelten Goldgräber mit vorgehaltenem Schießgewehre zur Theilung der von letzterem bereits gemachten Ausbeute.
Dieser soll es räthlich befunden haben, dem Bauer, um ihm Stillschweigen aufzuerlegen, die ganze Goldgräberei gegen die Verpflichtung zu überlassen, dass er alljährlich am Pfingstfeste den halben Gewinn nach Görz überbrächte. Als nun der Bauer im folgenden Jahr zur festgesetzten Zeit nach Görz kam und einen Sack voll Gold dem Wälschen ablieferte, nahm ihm dieser unter fürchterlichen Drohungen den Eid ab, dass er auch in Zukunft die bestimmte Frohne nach Görz liefern würde. Der Bauer hielt den so geschlossenen Vertag gewissenhaft und ward dabei unermesslich reich.
Am Sterbebett vertraute vertraute er das Geheimnis einem anderen, vor 20-30 Jahren verstorbenen Latschacher an, der daraus den gedachten Nutzen fortzuziehen nicht ermangelte, und da er große Mengen feinen Goldes in den Verkehr brachte, in den Ruf eines eminenten Chymicus kam. Thatsache ist, dass derselbe nicht nur seine Verwandten reichlich bedacht, sondern auch so viel Vermögen besaß, dass er die Kirche zu Latschach neu aufbauen lassen konnte. Viele aber meinen, selbigen Mannes Reichthum habe nicht von Schatzgräberei, sondern davon hergerührt, dass er aus alten spanischen Thalern, welche bekanntlich aus güld´schen Silber geprägt wurden, reines Gold zu extrahieren verstand.
Das walische Mandl und der Pfarrer von Latschach
Der Igelbauer, vulgo Ičnik, aus Latschach hatte unter dem kleinen Mittagskogel eine Alm. Eine Sennerin versorgte auf dieser Alm das Vieh für den Bauer. Sie kam jede Woche einmal ins Tal herab, um für sich Verpflegung zu holen. Da fiel es dem Bauern auf, dass die Sennerin jedes Mal einen goldenen Dukaten herumzeigte, wenn sie ins Tal kam. Auf die Frage, woher sie denn diesen hätte, erzählte die Sennerin, es käme zu ihr des öfteren ein walisches Mandl und bleibe da in der Sennhütte über Nacht. Am frühen Morgen bricht es auf und kommt erst am späten Nachmittag mit einem vollen Sack wieder zurück. Für das Schlafen und Essen gibt es ihr immer einen goldenen Dukaten.
Jetzt wurde der Bauer neugierig und wollte erfahren, was denn das walische Mandl auf der Alm zu tun hätte. Er trug daher der Sennerin auf, sie sollte unbemerkt am Abend ein Feuer anzünden, wenn der Fremde wieder käme. Dies sei für ihn die Verständigung. Nach mehreren Tagen bemerkte der Bauer abends ein Feuer auf seiner Alm und wusste so, dass sich das walische Mandl dort befinde. Er nahm sein Gewehr und stieg auf seine Alm hinauf.
Am nächsten Morgen verfolgte der Igelbauer den Welschen. Dieser stieg zum kleinen Mittagskogel auf und verschwand dort in einem Felsloch. Nach längerer Zeit kehrte das Mandl mit einem prallgefüllten Rucksack aus dem Loch zurück. Jetzt verstellte der Bauer ihm den Weg und nahm sein Jagdgewehr in Anschlag. Er forderte den Welschen auf, den Inhalt des Rucksackes zu zeigen. Sogleich folgte der Fremde aus Angst um sein Leben. Da kamen Steinklumpen zum Vorschein, die wie Gold schimmerten.
Nun erzählte das walische Mandl von seinen Schürfungen und zeigte schließlich auch dem Bauer die verborgene Stelle. Alsbald kamen die beiden überein und schlössen miteinander einen Vertrag. Das walische Mandl versicherte, nicht mehr hier heraufzukommen, wenn ihm der Bauer die Hälfte seiner gewonnenen Schürfungen nach Italien, und zwar nach Udine bringe. Er trug weiters dem Bauer strenge auf, davon niemandem etwas zu sagen, ansonst würde ihn ein furchtbares Schicksal treffen.
Der Bauer hielt sich an dieses Übereinkommen und wurde ein reicher Mann. Als er nach längerer Zeit wieder einmal nach Udine kam, um sein Goldgestein abzuliefern, da lud ihn der Welsche zum Essen ein. Als sie so beim letzten Tischgericht angelangt waren, kam eine zugedeckte Schüssel auf den Tisch. Der Welsche nahm den Deckel ab, und in der Schüssel lag ein Revolver und ein Messer. Da meinte das walische Mandl: »Ich könnte dich jetzt töten, da auch du mich am Leben bedroht hast. Doch wir wollen uns an unseren Vertrag halten.« Jetzt nahm er den Revolver und meinte zum Igelbauer: »Schau hier in diesen Spiegel!« Als der Bauer in den Spiegel sah, erblickte er darin seine Alm daheim und vor der Hütte zwei Kühe auf der Weide. Nun fragte ihn das walische Mandl voll Gier und Hohn: »Aufweiche der beiden Kühe soll ich schießen?« Der verdutzte Bauer dachte sich nichts dabei und zeigte auf die ältere. Der Welsche drückte ab, und der Bauer sah, wie die Kuh tot umfiel. Dann wandte er sich zum Igelbauer: »Solltest du dich nicht an unsere Übereinkunft halten, so wird es dir genauso ergehen!« Als der Bauer wieder heimkam, erfuhr er alsbald, dass seine älteste Kuh auf der Alm plötzlich umgestanden sei. Da er nun näher um die Zeit des Vorfalles fragte, stimmte diese genau mit dem Augenblick überein, da der Walische zu Udine in den Spiegel geschossen hatte.
Jetzt bekam es das Bäuerlein gar sehr mit der Angst zu tun. Es ging bei nächster Gelegenheit zum Pfarrer Laitschacher, um zu beichten und alles zu erzählen. Der Pfarrer von Latschach war aber ein gelehrter Mann, der auch über die geheime Chemie Bescheid wusste. Er überredete den Igelbauer bald und ließ sich die Fundstelle zeigen. Nach einiger Zeit erfuhren die Leute, dass der Pfarrer unter dem Mittagskogel nach etwas schürfe, was er dann zu Hause verarbeitete. Zur selben Zeit begann der Pfarrer auch schon mit seinem neuen Kirchenbau. Dabei wurden die Arbeiter alsbald aufmerksam, dass sie der Pfarrer am Ende der Woche immer mit neuem Geld auszahlte. Bald verbreitete sich die Kunde, dass der Pfarrer Laitschacher das geschmolzene Erz nach Italien verkaufe und dafür immer neues Geld bekomme. Später aber hieß es, dass er sogar selber Münzen prägte.
Der Bauer, der davon erfuhr, erinnerte sich nun der Worte des walischen Mandls. An einem Sonntag ging er zum Wurotswirt, dem heutigen Hotel Mittagskogel, und als er dort fröhlich bei einer Tischrunde saß, fiel er plötzlich tot zu Boden.
Von den Goldfunden und der Geldmacherei erfuhren natürlich auch die Obrigkeiten und Behörden. Der Pfarrer wurde daher alsbald von Aufpassern beobachtet. Eines Tages kamen sogar früh morgens Trenkpanduren mit dem Auftrag, den Pfarrer zu verhaften. Dieser muss aber davon rechtzeitig erfahren haben. Als er nämlich die heilige Messe zelebrierte, stürzte er plötzlich nach der Kommunion tot zu Boden. Die Leute redeten später, er habe vor Beginn der Messe Gift eingenommen.
*
Man erzählt diesen Vorfall auch noch anders. Als nämlich nach der heiligen Messe die Köchin des Pfarrers bemerkte, dass Gendarmen in der Pfarrhof kamen und nach dem Pfarrer fragten, verwies sie diese, der Pfarrer sei in seiner Kanzlei, sie hätte ihm soeben das Frühstück dorthin gebracht.
Als man nun in die Kanzlei eintrat, lehnte der Pfarrer mit über dem Kopf verschränkten Händen an seinem Tisch. Als ihn nun die Gendarmen anfassten, bemerkten sie erst, dass er tot war. Es heißt, dass ihn der Herrgott nicht dem weltlichen Gericht ausliefern wollte, sondern dass er ihn selbst richtete. Das Urteil für ihn soll nämlich gelautet haben, dass er lebendig in der Kirche eingemauert worden wäre. In der Kanzlei aber soll man sein Testament mit folgendem Inhalt gefunden haben: »Sollte ich aus dem Erlös der verkauften Edelmetalle mit Unrecht meine Kirche gebaut haben, so wird mein Leichnam nach hundert Jahren verwest sein. Habe ich aber im Namen Gottes und recht gehandelt, so bleibt mein Leib unverwest.«
Die Obrigkeit erlaubte nun, dass Pfarrer Laitschacher in einer Gruft in der Kirche beigesetzt wurde. Im Jahre 1872 wurde diese Gruft erstmals nach hundert Jahren wieder geöffnet. Dabei fand man den Leichnam des Pfarrers unverändert vor. So bestätigte sich sein Testament und wurde damit erwiesen, dass er in Gottes Namen gehandelt hatte. Es wird auch erzählt, dass bei der Eröffnung der Gruft im Jahre 1872 ein Schuster namens Fritz zugegen war, der dem Verstorbenen die Betschnur ausgetauscht haben soll.
Quelle: Tschermernjak, 1965, S. 10 f., zit. nach Sagen aus Kärnten, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1993, S. 156 – 160.
Von dramaturgischen Schwächen und der oft merkwürdigen Wortwahl („ihr Dienstgeber drang so lange in sie, bis sie sagte …“) ganz abgesehen. Alles ziemlich dubios. Die überlieferten Geschichten können sich nicht einmal auf einen gemeinsamen Schauplatz einigen. Einmal wirtschaftet die Sennerin an der Ostseite des Mittagskogels auf einer Alm in der Nähe der Berthahütte, in der zweiten Version befindet sich der Tatort aber völlig entgegengesetzt auf der Westseite unterm kleinen Mittagskogel. Beide Adressen existierten tatsächlich als Almen, sind aber mit dem Niedergang der Landwirtschaft längst schon wieder im Wald verschwunden. Auch bei den beteiligten Bauern und dem bauwütigen Pfarrer handelt es sich nachweislich um reale (Sagen)Gestalten. Etwas bizarr erscheint hingegen der goldschürfende Italiener, dessen Stützpunkt das eine Mal in Görz liegt und das nächste Mal in Udine, und auch am sagenhaft Goldrausch im Mittagskogel (realistisch erscheint, wenn überhaupt, der Abbau von Kupfer – und der kann dort um 1750 wohl kaum heimlich stattgefunden haben) darf mehr als massiv gezweifelt werden. Blendet man also diese auflagensteigernden, zuhörerfesselnden Science-Fiction-Passagen aus, bleibt nur die zentrale Frage übrig: Woher stammte das Geld für den Kirchenbau ?
Im Jahre 1752 löste sich Latschach von der Urpfarre Maria Gail und verselbstständigte sich. Der erste Seelsorger der brandneuen Pfarre, Johannes Leitschacher (1718-1772) setzte einen Neubau der bisherigen, klitzekleinen
Filialkirche durch und errichtete in den Jahren zwischen 1752 und 1762 ein barockes Gotteshaus, welches wegen seiner Größe gerne als „Dom des oberen Rosentales“ bezeichnet wird. Die Finanzierung dieses Großprojekts wirft bis heute Fragen auf und war der perfekte Nährboden für die nachfolgende Legenden- und Sagenbildung innerhalb der ländlichen Bevölkerung, die nicht nur mit eher kargen Lebensumständen zu kämpfen hatte, sondern auch mit latentem Analphabetismus. Wesentlich wahrscheinlicher als der fragwürdige Goldbergbau dürfte ein anderer Zugang zur Wahrheit sein: Leitschacher war nicht nur ein Diener des Herrn, sondern verfügte vor allem über umfangreiches (Spezial ?)-Wissen im Bereiche der Montanlehre/Metallurgie/Geologie und Chemie und dürfte seine Kenntnisse in einem geheimen Laboratorium (der Volksmund spricht vom Keller des alten Schulhauses oder vom Getreidespeicher des Pfarrhauses) mit diversen Experimenten weiterentwickelt und verfeinert haben. Drei umfangreiche Veröffentlichungen zu diesen Themenbereichen (insgesamt immerhin stolze 1347 Seiten stark) untermauern diese These. Möglicherweise also lukrierte der geschäftstüchtige Geistliche die benötigten Mittel aus dem heimlichen Verkauf von Metallfarben oder ähnlichen Erzeugnissen im benachbarten Friaul. Dass sich chemisch-metallurgische Arbeiten und Experimente auf Dauer nicht übermäßig gesundheitsfördernd auswirken, sollte außer Streit stehen. Johannes Leitschacher verschied jedenfalls gar nicht sagenhaft vorm drohenden lebendigen Einmauern oder gar während der Messe vorm Altar, sondern am 22. Februar 1772 als kranker Mann mit 55 Jahren in seinem Sterbebett, nahm seine Geheimnisse mit ins Jenseits und wurde ohne klare Beweise für den Lauf der Dinge bzw. den Fluss der Gelder für die Nachwelt zur legendären Figur.
In meiner Kindheit fand ich die Passage mit dem unbegrenzten Haltbarkeitsdatum von Leitschachers sterblichen Überresten außerordentlich gänsehauterzeugend. Meine Mutter erzählte mir dann gerne und ergänzend, als Insider- I-Tüpfelchen sozusagen, ihr Vater, mein Großvater also, wäre in seiner Funktion als Faaker Kirchenkämmerer bei der zweiten Öffnung der Gruft im Jahre 1972 persönlich anwesend gewesen, und man habe bei dieser Gelegenheit den vor 200 Jahren verstorbenen Priester weiterhin völlig unversehrt vorgefunden. Als ich einige Jahre später mit gerade 13 Jahren in der stickigen Wiener Michaelergruft Dutzende luftgetrockneter, vollständig erhaltener Leichname in Augenschein nehmen und dort uA das ganz natürlich konservierte Leben nach dem Tod „kennenlernen“ durfte, wurde mein Zugang zu solchen Themen ganz automatisch sehr humanistisch und ich sah sofort die klaren Vorteile von Erd- und Feuerbestattungen, weil man dann posthum zumindest nicht mehr Gefahr läuft, ständig von Schaulustigen angestarrt zu werden. Mit ewiger Ruhe hat das herzlich wenig zu tun. Spätestens seit ich mit Archäologen konfrontiert bin, tendiere ich sogar stark zum alle Spuren beseitigenden Krematorium – da bleibt dann tatsächlich kein Raum mehr für Spekulationen.
Wie auch immer, 1872 wird Leitschacher noch als unversehrt beschrieben, während Mitglieder des Kirchenchores bei einer Besichtigung der Gruft im Jahre 1982 (angeblich) „nur mehr ein Häufchen Asche“ vorfanden.
Zurück in die Gegenwart, um den Mittagskogel mit einer Tagestour von West nach Ost zu umrunden, dabei ein wenig in Erinnerungen zu schwelgen, aber auch im Vorübergehen aktuelle Projekte unter die Lupe zu nehmen. Ende Oktober ist wegen der eher erfrischenden Temperaturen von einer Übernachtungstour freundlich abzuraten und auch das Stapfen durch tiefen Schnee zählt nicht unbedingt zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Noch vor einer Woche nämlich war der Berg tief eingewintert, eine Warmfront hat ihn überraschend schnell wieder begehbar gemacht. Jetzt gilt es, die Gunst des Wetters zu nützen. Ines bringt das pflegeleichte Zweier-Team zu früher Stunde zum gewohnten Ausgangspunkt: Bleierner Start im „Tal der Gesetzlosen“. Begleitet werde ich diesmal von Paul, einem Tiroler aus der Steilwand-Kategorie. Schon nach den ersten Steigungen stellt sich heraus, dass unsere Betriebsgeschwindigkeiten ziemlich ähnlich sind. Wechselseitige Wartezeiten finden nicht statt und man kann sich ungestört im eigenen Rhythmus durch den Hochwald kämpfen. Die einst so dichten Wälder weisen von Mal zu Mal größere Lücken auf: Dieser Umstand ist einerseits den breiten Forststraßen geschuldet, welche sich schon fast bis an die Baumgrenze nach oben schlängeln. Andererseits schafft der Klimawandel permanent neue Baustellen, die dringend bearbeitet werden müssen.
Paul ist selbst durch das selektive Steilstück hinauf zur Jepca-Alm nicht totzulaufen und verzichtet dankend auf eine Pause beim klassischen Rastplatz an den Fundamenten der ehemaligen Annahütte. Eine private Initiative feilt hier schon seit längerer Zeit intensiv am Plan eines Wiederaufbaus „als bewirtschaftete Almhütte“, der in den Wirren des 2. Weltkriegs niedergebrannten Unterkunft. Unter dem Motto „Wem gehört die Natur ?“ versucht man deshalb, die tiefen Gräben zwischen Grundbesitzern, Jägern und Umweltschützern auf der einen, und E-Bikern, Mountainbikern und anderen Freizeitsportlern auf der anderen Seite, möglichst im Konsens zu überbrücken. Schwierig. Meinen Erfahrungen und Beobachtungen nach fehlt dem Outdoor-Bewusstsein und dem Freizeitverhalten der modernen Pedalritter häufig der nötige Respekt und der noch nötigere behutsame Umgang vor und mit der Natur. Über den angeblich trendigen Ansatz, die Natur als Sportgerät zu betrachten, sollte man besser noch einmal genauer nachdenken.
Der Abschnitt zwischen der Annahütte und kleinem Mittagskogel zählt für mich zu den landschaftlichen Highlights der Wanderung: Felsen, Latschenkiefern, orange Lärchen und jede Menge Aussicht. Spätestens am kleinen Mittagskogel kann ich den zügigen Tiroler von der Notwendigkeit einer ersten Pause überzeugen. Ein spektakulärer, windiger Ort, ideal zum Studium der Mittagskogel-Nordwand und des West-Grats. Unten im Tal liegt noch dichter Nebel, der aber schon erste Lücken aufweist. Ein wenig mystisch tauchen mit dem Kanzianiberg und dem Kathreinkogel uralte Berge auf. Nur ein flotter Imbiss, für einen längeren Aufenthalt ist es zu ungemütlich.
Bald passieren wir den bedrahtseilten Übergang in den Westgrat und bemühen uns, in der Geröll- und Gesteinswüste auf Kurs zu bleiben. Überm Berg hängen noch ein paar graue Wolken, die für eine etwas monochrome Stimmung sorgen. Da und dort passieren wir noch vereinzelte Schneereste. Langsam, aber sicher wird das gerade noch ziemlich kleine Gipfelkreuz größer, und als die Sonne durchkommt, leuchtet es, als wäre es an einer Steckdose angeschlossen worden.

Wir sind da. Selbst beim hundertsten Mal ist es ein besonderer Moment. Die begrünten, leicht windgeschützten Mulden an den südwestlichen Ausläufern des Gipfelplateaus stellen nicht nur eine halbwegs komfortable Übernachtungsmöglichkeit dar, sie sind mit ihrer ungestörten Fernsicht nach Osten und Süden der willkommene Schauplatz für unsere zweite Pause an diesem Tag. Man überprüft, was Rucksack und Plastikboxen so zu bieten haben und darf sich entspannungstechnisch zwischen der geerdeten Horizontalen und der luftigen Vertikale entscheiden. Rechts ein paar weiße Wölkchen überm Triglav, links darunter das Klagenfurter Becken im herbstlichen Nebel-Vollbad, dazwischen der freie Blick über die Karawanken nach Osten. Im Zeitraffer ziehen so viele Gedächtnisprotokolle und abgespeicherte Bilder von vergangenen Gipfelsiegen vorüber, während ich versuche mit der digitalen Kamera ein kleines Stück der Gegenwart in die Zukunft zu retten. Dazwischen sinnieren wir ein wenig über Gott und die Welt, Kärnten und den gemeinen Kärntner. Hier oben fällt es offensichtlich etwas leichter, vollendete Tatsachen mit dem nötigen Humor zu kommentieren. Paul erweitert das Spektrum sogar und begibt sich auf mögliche Spuren alter Jäger und Sammler, ohne dabei fündig zu werden.

Erst jetzt geht es zum Gipfelkreuz. Erwartungsgemäß hat sich dort schon eine Vielzahl an Alpinisten eingenistet, was dem Augenblick einen geselligen, großfamiliären Charakter verleiht. Wir halten nur kurz die Stellung, um schon bald auf der Suche nach etwas mehr Ruhe in Richtung Ostgrat weiterzuwandern. Schwindelerregende Blicke über die Nordwand mit ihren Türmen, die kräftiger werdende Sonne fräst zunehmend die Nebelfelder um den Faaker See weg. Auf einer Kuppe hat sich in luftiger Höhe ein Fotografierender mit seinem Stativ positioniert, er genießt blinzelnd den sonnigen Rundumblick in vollen Zügen. Wenigstens am näheren Gesichtsfeld wird sich hier so schnell nicht allzuviel ändern, denn der Mittagskogel wurde von seinem Eigentümer, dem Unternehmer Robert Rogner, und den zuständigen Landespolitikern längst zum „Natura 2000“-Gebiet erklärt und befindet sich demnach auf der Liste der Europaschutzgebiete. Was sich auf einer Fläche von immerhin 672,3 Hektar nicht nur positiv, weil erhaltend auf die lokale Flora und Fauna auswirken sollte, sondern zusätzlich möglichen künftigen Großevents oder jedweder kommerzieller Infrastruktur auf diesem Berg einen Riegel vorschiebt( http://archiv.btvon.at/videos/3767/view?page=2 ).
Ganz menschenleer ist es auch beim Ostkreuz nicht, aber hier hält sich der Ansturm in erträglichen Grenzen. Mittlerweile ist bereits ein Großteil der Landschaft überschaubar und unsere Beinaheumrundung des Mittagskogels schreitet weiter fort. Zuerst geht es zurück zum Ausgangspunkt im Gipfelbereich, von dort aus zügig über die Südseite bergab. Am letzten Grat verabschieden sich die Julischen Alpen und der Blick nach Süden. Über eine Strecke, die außer ein paar Tiefblicken nach Osten keine nennenswerten Perspektiven bietet, geht es vergleichsweise unaufgeregt weiter. Bei sommerlichen Touren bestrahlt die Sonne jene Bereich zu fast 100% und verschafft den Schwitzenden in Verbindung mit der gleichzeitigen Wärmespeicherung der Felsen die sehr unmittelbare Erfahrung einer mühsamen Wanderung in einer überdimensionalen, aber ganz natürlichen Mikrowelle. Diesen (un)menschlichen Transpirationsprozess beschrieb hier einst ein Hamburger sehr prägnant und mit einem Gesichtsausdruck, in dem sich alles Elend dieser Welt wiederspiegelte: „Ey Alder, das is die Hölleee“. Das Faszinierende am Gedächtnis: Es verfügt über enorme Speicherkapazitäten. Mit einem breiten Grinsen fallen mir in der Bergabbewegung ganze Hundertschaften bemerkenswerter und merkwürdiger Begebenheiten ein, die ich teilweise auch gerne vergessen hätte und die das geistige Auge zwecks Bodenhaftung unbestellt mitliefert. Die emotionale Bandbreite deckt mit fast unbekleideten Holländern in leichten Strandsandalen bis hin zu einem völlig Beinlosen (weder Beine, noch Strandsandalen !), der sich hier mit kaum fassbarer Motorik und Willenskraft steil und stufig, aber beständig bergauf hievte, fast das gesamte und ziemlich breite Spektrum menschlicher Kuriositäten ab. „A groassa Stoanahaffa, sunst nix“ (wie ein grantiger Bayer den Berg mit Augenzwinkern (t)adelte) als gelungener Integrationsort für Alltagsflüchtlinge ? Wer weiß ? Wahrscheinlich sind es ja gerade diese unzähligen heiteren Episoden, die stark bewölkten Anekdoten, teils regnerischen Begebenheiten und oft gewittrigen Grenzerfahrungen aus nun bald 35 langen und doch so kurzen Jahren, welche den Mittagskogel für mich zu einem ganz speziellen, mitunter sogar geheimnisumwitterten Arbeitsplatz machen.
Weiter unten wird das Labyrinth noch felsiger, hier erzwangen Starkregenereignisse mit entsprechender Erosion schon die eine oder andere kleine Streckenänderung. Wichtig sind in diesem Zusammenhang die üppig wuchernden Latschenkiefergemeinschaften, die mit ihren Wurzeln dem brüchigen Untergrund etwas Stabilität verleihen. Die Baumgrenze liefert spät im Oktober mit goldorangen Lärchenwäldern unentwegt erhellende und im Vorbeilaufen bewegte Bilder, an denen man sich kaum sattsehen kann.
Schneller als erwartet sind wir an der Berta-Hütte, einigen uns aber noch schneller darauf, sie einfach links liegen zu lassen. Paul ist als kritischer Geist auch kein großer Freund von kollektiver Hüttenkulinarik in zirbenschnapserhöhten Lärmpegeln. In gewohnter Paul-Manier, also pausenlos, geht es fast fluchtartig den nächsten Steilhang hinauf. Oben, auf der sonnigen Schädeldecke des Türkenkopfs bleibt genügend Zeit und Lust für die dritte und letzte Pause, für prächtige Rundumsicht auf die absolvierten Tagesschauplätze, für digitale Rundumfotos und verbale Rundumschläge. Hier, mit ein wenig Abstand und im Gegenlicht, wird mir wieder einmal klar, was ich eh vorher schon wusste: Die Begleiter ändern sich so zuverlässig wie das Wetter. Wirklich stationär bleibt nur er – der Mittagskogel.
Für den Rest der Strecke hinunter nach Kopein hat schon anno 2003 der bekannte norddeutsche Alpinist Thorsten Bruhns mit einem zeitlosen Zitat die richtigen Worte gefunden: „Es ist erstaunlich, wie lange man bergab gehen kann, ohne unten anzukommen“. Das mag so sein, ist aber nicht schlimm. Paul und ich haben noch jede Menge Gesprächsstoff.
