Reiten mit Hansi und Ines, wie es wirklich ist

Enthüllungen über eine Legende Von Dr. med. vet. Katja Sauer

Am Abend, wenn die Luft abkühlt, geht es los: Ausritt! Ich sitze auf Bingo und habe damit automatisch Startposition drei erworben. Auf dem kurzen Stück Straße bis zum Wald müssen der Haflinger und ich uns darüber einig werden, ob permanentes Auf- und Abwerfen des Kopfes, bis die Zügel über die Ohren fliegen, erwünscht ist oder nicht. Beim letzten Ausritt hat er seinen Willen durchgesetzt, heute erkläre ich ihm, dass ich darauf diesmal keine Lust habe. Akzeptiert. Prima.
Dann geht es in den Wald, und ziemlich schnell lässt mich mein eigentlich nicht sooo schlechter Orientierungssinn komplett im Stich. Ob wir immer in kleinen Achten die gleichen Wege reiten oder eine lange Runde drehen, kann ich nicht mehr beurteilen. Die Pferde dagegen kennen die Wege. Potentielle oder obligatorische Galoppstrecken sind schon eine ganze Zeit vorher daran zu erkennen, dass Santo, mit Hansi im oder vielmehr ohne Sattel in der Pole Position, kleine Pirouetten dreht, Lenzo hinter ihm seitwärts geht und Bingo zu trippeln beginnt und das Kopfwerfen wieder zum Thema wird. Ist dann der betreffende Weg, der sich für das erste Rennen anbietet, erreicht, gibt es kein Halten mehr. Die Araber geben Gas und erreichen innerhalb kürzester Zeit Jagdgalopptempo. Bingo verliert wertvolle Sekunden, weil er vor lauter Freude erst einmal ein paar Bocksprünge vollführen muss. Angeblich hat er sich noch nie darin getäuscht, wem er das zumuten kann, und auch ich bleibe oben und darf nun erleben, wie er den Haflingerturbo anstellt. Klar, dass im Endeffekt doch die Araber das Rennen für sich entscheiden – aber das Tempo, mit dem Bingo durch die Hohlwege donnert, ist auch nicht von schlechten Eltern. So richtig zum Nachvornelehnen und Genießen! Die Reitkappe lohnt sich schon deshalb, weil es mir nicht immer gelingt, den sich in den Weg stellenden Ästen auszuweichen. Mit einer kleinen Zeitverzögerung erreiche ich also wieder Santo und Lenzo mit ihren Reitern, die am Ende der Galoppstrecke auf uns warten. Minka hinter mir ist ja schon eine ältere Haflingerdame – da macht man nicht mehr ganz so große Galoppsprünge. Sie holt uns etwas später wieder ein.

Wir reiten weiter, und ich genieße es insgeheim, nicht auf einer tickenden Zeitbombe zu sitzen. Das Gefühl, eine solche zu sein, vermittelt einem nämlich Santo, der trippelt und dessen weiße Nase ich dann und wann hoch ind er Luft in der hereinbrechenden Dämmerung sehe. Lenzo lässt sich bisweilen von seiner Unruhe anstecken, wie schwer man es mit ihm tatsächlich hat, kann ich nicht wirklich beurteilen. Aber vielleicht erfahre ich ja eines Tages ein Upgrade und darf mal ausprobieren, ihn zu reiten. Bingo dagegen bringt eigentlich hauptsächlich seine Freude über die Bewegung zum Ausdruck. Ich kenne ihn ja nur zu Beginn der Saison – da ist der Übermut noch groß, die Kondition dagegen verbesserungsfähig. Über den Sommer wird sich das sicher ändern. Die nächste Galoppstrecke beinhaltet als besonderes Highlight eine 90°-Kurve. Wie die Pferde um die Ecke fetzen, das verschlägt einem den Atem wie in der Achterbahn – nur viel, viel schöner. Langsam wird das Navigieren bei hohem Tempo relativ anspruchsvoll, weil die Wurzeln und sonstigen Unebenheiten im Boden nur noch schwer in der hereinbrechenden Dunkelheit zu erkennen sind. Ich selber würde hier sicher nie eine solche Geschwindigkeit vorlegen, aber die Pferde, nicht nur die als trittsicher bekannten Haflinger, finden ihren Weg bravourös. Links und rechts des Weges, zwischen Farnen und vor dem Hintergrund der schwarz erscheinenden Tannen, tauchen mehr und mehr kleine, grün fluoreszierende und sich langsam bewegende Punkte auf: Glühwürmchen begleiten uns. Jetzt beginnt der absolut zauberhafte Teil des Ausrittes. Im schwindenden Tageslicht das warme Pferd zu spüren, den Sattel knarren zu hören und im Schritt die Natur zu genießen – das gehört zu den schönsten Momenten des Urlaubs. Das zeitgleich stattfindende WM-Halbfinale mit deutscher Beteiligung ist dagegen keinen Cent wert.

Hansi will noch einen Galopp über die normalerweise als Weide benutzte Polanawiese einbauen. An dem Punkt streikt Minkas Reiterin, ein Mädchen, das sich bisher bei allen Rennetappen tapfer gehalten hat. Gerüchte über ein Rodeo, zu dem die Tour an diesem Punkt werden könnte, haben sie verunsichert. Für mich ist es okay, dass wir auf den Galopp verzichten – haben wir doch bereits einige tolle Rennen hinter uns. Wer sich etwas nicht zutraut, soll es lieber von vornherein sagen, auch, wenn Hansi in diesem Fall sämtliche Bedenken für überflüssig hält.

Nach zwei solchen Ausritten durfte ich zum Ende des Urlaubs noch einen reinen Frauenausritt genießen. Hansi war zwar der Meinung, ohne ihn könne das nichts rechtes werden, weil das Grundtempo ohne Santo nicht wirklich spannend sei. Ich schätze aber auch Ines nicht nur als Person, sondern auch als Reitbegleitung – ein Genuss, in den man wohl ebenfalls nur in der Vorsaison kommt. Tatsächlich scheint sich die Sache sehr gemütlich anzulassen: Minka, die ich diesmal reite, hat weniger Abstand zu den anderen als sonst, Lenzo sieht niemanden, von dem er sich Araberallüren abschauen kann. Das hauptsächliche Problem besteht diesmal darin, den bei Minkas rundem Querschnitt stetig rutschenden Sattel gerade zu halten und ihre Begeisterung dafür, den minimal möglichen Abstand zwischen Reiterinnenbein und Baum zu ermitteln, zu dämpfen. Die Reiterinnen kommunizieren bezüglich des Weges und der Bereitschaft zu wechselnden Gangarten, es wird gewartet und Rücksicht genommen. Halt ein Frauenausritt. Klischee off: Am Ende stellt sich heraus, dass wir die Runde von sonst einer Stunde in 45 Minuten geschafft haben. Was sagt uns das über die Frauen? Übrigens galoppieren wir bei diesem Ritt über eine Wiese – das ist natürlich doch ein Highlight und NOCH schöner als die Waldwege. Minka ist um einiges motivierter als zuvor und steigt mit ein paar Pferdestärken mehr in das Rennen mit ein. Doch ein bisschen schade um den Polana-Galopp ein paar Abende zuvor?

Ganz ohne Wertung, ob nun rein weiblich oder gemischt: jeder dieser Ausritte war ein wunderschöner Höhepunkt des Urlaubs.

Hansi und Ines sind keine Reitlehrer und wollen es auch nicht sein. Hansi wäre vermutlich alles andere als beleidigt, wenn man ihn als das komplette Gegenteil eines Reitlehrers bezeichnen würde. Insofern darf man keinen Reitplatz erwarten, es gibt auch keine Reitstunden oder sonstige Veranstaltungen, die man auf einem „Reiterhof” antreffen würde. Die Ausritte sind nur ein Teil eines dichten Programms, das nichts mit Reiten, dafür um so mehr mit Ferien am Hof zu tun hat. Aber Hansi und Ines geben sich viel Mühe, meiner Sehnsucht nach dieser Art des Reitens zwischen Traktorfahrten und Grillabenden gerecht zu werden. Ich bin ganz genau so keine Freundin von Reitställen, sondern seit etwa 20 Jahren nur noch auf mehr oder weniger verrückte Art im Gelände unterwegs. Deshalb harmonieren wohl unsere Ideen davon, wie das Reiten sein sollte, recht gut.

Für die Kinder gibt es übrigens die Kinderausritte. Wer jemals Santo oder Lenzo im gestreckten Jagdgalopp gesehen hat, der würde es nicht glauben. Aber es stimmt: auch die beiden Raketen im Mikl-Stall tragen unter Hansis und Ines´ Führung brav ein bis drei Kinder über eine Stunde durch den Wald. Jüngste Reiterin auf Santo, den im freien Gelände nur Hansi allein reiten kann, war unsere Tochter mit ihren immerhin 22 Monaten. Und wenn sie nicht selbst nach einigen hundert Metern die Nase voll vom Reiten gehabt hätte, wäre der Ausritt kein Problem gewesen. Von Santos Seite aus jedenfalls nicht.