von Dr. Diebels
Dichte Nebelschwaden züngelten am Villacher Becken und gaukelten uns einen trüben Herbsttag vor. Wie immer aber ließ unser Entdeckerdrang keinen Raum für Zweifel und so machten wir uns am frühen Morgen des 28. Oktobers 2014 wieder einmal auf, um in der Einsamkeit des Friauls nach dem Sinn des Lebens zu fahnden. Ziel unseres Ausflugs war erneut das Val Dogna, ein kleines, enges und kaum besiedeltes Seitental des Kanaltals…
Kaum in Italien angekommen, begrüßte uns ein strahlend blauer Himmel, der uns den ganzen Tag über treu begleiten sollte. Die Straße, ein Relikt des Ersten Weltkrieges, führte uns schließlich mitten hinein in den Kessel vermeintlicher Abgeschiedenheit. Knapp 20 km Weg und geschätzte 1000 Höhenmeter lagen vor uns, als wir das Auto verließen und uns aufmachten in den Schatten der mächtigen Bergflanken. Je weiter wir in die wilde Natur dieser Bergwelt vordrangen, umso mehr zog sich auch der Alltag aus unseren Gedanken zurück und machte Platz für einen Blick in die eigene Seele. Fantasien, Wünsche und Ideen bahnten sich ihren Weg an die Oberfläche und faszinierten uns wieder einmal durch Ihr hohes Maß an Übereinstimmung. Äußerlich betrachtet scheinbar in unterschiedlichen Welten lebend, sind es wohl gerade solche Ausflüge, die bewusst machen, wie ähnlich man sich sein kann, wenn man sich aufmacht in die Katakomben des Seins. Das Val Dogna, vermeintlich abstammend vom slawischen Dolina, was soviel heißt wie Trichter, bot hier offensichtlich ideale Voraussetzungen. Aber auch die Höhenmeter hinterließen ihre Spuren vor allem natürlich beim Flachlandtiroler, so dass dieser Tag nicht nur in dessen Gedanken hängen blieb. Nachdem ein Großteil jedweder medizinischer Vernunft im Auto geblieben war, trieb uns die Neugierde weiter und weiter den Berg hinauf bis hin zu 0° Grenze, die an diesem Tag irgendwo zwischen 1400 und 1500m lag. Belohnt wurden wir dann auf halber Strecke mit einem atemberaubend schönen Blick auf die slowenische Bergwelt. Eine Hütte auf der Passhöhe und eine Bank in der Sonne blieben indes eine Momentaufnahme. Nicht genug, dass das Ganze nur 2 Minuten später im Schatten lag, bemühte sich der Hüttenwirt redlich, einen so ungastlichen Eindruck, wie nur möglich, zu hinterlassen. So vertagten wir die eigentlich anstehende Pause, überquerten den Scheitelpunkt unserer Wanderung und begannen den Abstieg zurück in die Sonne. Unerfreulicherweise wartete dort zumindest für einen kurzen Moment aber die Zivilisation auf uns. Kaum nämlich hatte ich meinen Wegbegleiter auf die fantastische Stille unseres Rastplatzes aufmerksam gemacht, als mein Handy mich unsanft, wenn auch mit Bachs Toccata zurück in die Realität holte. Wenigstens war die Nachricht eine erfreuliche, so dass wir dann unseren Weg gut gelaunt fortsetzen konnten. In ungezählten Kurven schlängelte sich die Straße abwärts und vorbei an dem ein oder anderen monumentalen Überrest der beiden Weltkriege. Ein Kontrast zu den sonstigen Eindrücken dieses Tages, wie er kaum größer hätte sein können, und ein weiterer Beleg dafür, dass das Joch der Zivilisation unserer Zeit trotz allem ein relatives ist. Nach gut 7 Stunden wieder am Auto ankommend, begrüßte uns bereits der Mond, der scheinbar gerade auf einem Bergrücken Pause machte und mahnte uns, dass es Zeit sei, den Heimweg anzutreten. Überflüssig zu erwähnen, dass uns auf der weiteren Abfahrt bis zur Bundesstraße kein einziges Auto entgegenkam, genauso wenig, wie uns am gesamten Tag auch nur ein einziger Wanderer begegnet wäre. Wenn es so etwas wie eine vierte Dimension gibt, dann finde ich diese immer wieder auf meinen Wanderungen mit meinem Bruder im Geiste in den letzten Tälern des Friaul. Unsere Gespräche, die regelmäßig philosophische wie physikalische Überlegungen und Gesetzmäßigkeiten ad absurdum führen, bleiben natürlich streng geheim. Wer allerdings Interesse hat, all das zu erleben, was in diesem Text nicht steht, kann sich bewerben. Wo? Natürlich bei sich selbst und frei nach Lindenberg unter dem Motto „Eigentlich bin ich ganz anders, ich komm´ nur viel zu selten dazu.” Ich für meinen Teil freue mich jetzt schon auf das nächste Mal.