Es ist schon sonderbar: Wenn schöne Geschichten plötzlich
zu Ende gehen, denkt man gerne an deren Anfang und an unzählige Momente der besonderen Art zurück. Und erst im Rückblick, dem dann gar nichts anders übrig bleibt, als sentimental zu sein….wird einem bewusst, dass es eigentlich eine ganz besondere Zeit war…
…die trotzdem zeitlos bleiben wird, weil sie immer
wieder von vielen Menschen, die Zeit auf ihr verbringen durften…. in den Mund genommen wird: „Weißt Du noch….damals mit Minka….in tiefster Nacht, als ich
dachte…ich komme niemals wieder heim ?”Als es anfing, war mir natürlich nicht klar, wie es enden
würde, aber jetzt kann ich ohne den Hauch eines Zweifels sagen, dass es zu 100
Prozent richtig war. Nach zwei pferdelosen Jahren waren Ines und ich uns
ziemlich einig, dass ein Bauernhof ohne Pferde kein Bauernhof und ein Leben
ohne Pferde kein Leben ist. Im September 1992 machten wir uns mit kleinem
Budget und nicht ganz konkreten Vorstellungen in ungefährer Richtung auf die
Suche. Pferdesuche, so finde ich, unterscheidet sich eigentlich nur
unwesentlich von Frauensuche: Es geht weniger ums Geld im Portemonnaie, als
vielmehr um riesige Schmetterlingsschwärme im Bauch – wenn die nicht flattern,
lässt man besser die Finger davon.
Die ersten Kandidaten waren nicht schlecht, aber auch
nicht gut. Im Rosental testete ich einen pfeilschnellen Haflo-Araber-Hengst,
der mich mit Überschall über die Feldwege trug. Die Geschwindigkeit war zwar so
hoch, dass meine Haare waagrecht nach Westen flogen, aber Plan A, die Rakete
noch vor dem Dorf zum Stehen zu bringen….scheiterte kläglich, denn wir fegten
mit fast unvermindertem Speed durch die halbe Ortschaft, ehe ich den Rasanten
mit rauchenden Hufeisen auf glühendem Asphalt zur Räson bringen konnte. Bei
Gegenverkehr hätte man definitiv keine Zeit mehr gehabt, über Plan B
nachzudenken. Er fiel in der +/- Statistik mit Pauken und Trompeten durch,
obwohl er mir gut gefallen hätte.
Eine Haflingerstute in der Nähe von Ferlach war zwar
adrett und nett, mein Puls blieb aber im alleruntersten Frequenzbereich.
Nächste Kandidatin war eine kohlrabenschwarze Haflo-Araberstute in einem
Seitental irgendwo am Ende der Welt im tiefsten Westen von Himmelberg. Nicht
unsympathisch, aber kurze Beine, leicht hängender Rücken und zu viele weibliche
Rundungen. Strich durch, Haken dran.
Auf dem Zettel stand noch eine Haflingerstute,
unglücklicherweise mit Hengstfohlen. Schlecht, weil wir wollten eigentlich mit
EINEM Pferd starten = ledige Lady OHNE Kind. Wir fuhren trotzdem hin. Ferndorf,
unteres Drautal, kleiner Hof am Südhang, eine fast unsichtbare Koppel, gut
versteckt hinter Bäumen und Sträuchern. Der Besitzer, ein alter Mann, rief
seine Stute, die sofort mit freundlichem Wiehern und unverschämtem Fohlen aus
dem Unterholz auftauchte: Minka !!!! Wir sahen sie und wussten in
Sekundenbruchteilen: DAS IST SIE 🙂 !!!!!! Liebe auf den ersten Blick, fast
wie im Film. Schöne volle Mähne, freundliches Auftreten, bezaubernde
Ausstrahlung, Charme vom Scheitel bis zur (Huf)Sohle. Einziges Handicap war der
vierbeinige Rüpel, der an ihrem Rockzipfel hing und der unentwegt, fast
penetrant, Versuche startete, uns zu beißen oder zu zwicken. Bei den folgenden
Preis- bzw. Verkaufsverhandlung überredete uns der Alte, nicht nur Minka,
sondern auch den kleinen Drecksack ohne Aufpreis mitzunehmen und rang uns das
Versprechen ab, ihn bitte NICHT zum Schlachter zu geben. Wir nannten das Fohlen
spontan „Bingo” und auch wenn uns der Bursche in seinen folgenden Jugendjahren
mit unzähligen bösen Streichen das Leben mit boshafter Regelmäßigkeit schwer
machte, so machte er irgendwann seinem Namen alle Ehre und uns viel Freude.
An einem sonnigen Septembertag ganz am Ende des heißen,
trockenen Sommers 1992 zogen Minka und Bingo bei uns ein. Es wurden fast 21
Jahre mit wunderbaren Erlebnissen und Anekdoten, die ein ganzes Buch füllen
könnten. Unzählige Kinder (incl. unserer eigenen) sammelten ihre allerersten
Reiterfahrungen auf ihr, viele Frauen im fortgeschrittenen Alter fanden über
Minka in den Sattel zurück. 21 Jahre sind eine lange Zeit und sie erscheinen im
Rückblick viel zu kurz. Wer, wie Minka, 21 Jahre lang so behutsam, zuverlässig
und menschenfreundlich seine Arbeit erledigt, der wird automatisch zur Legende.
Noch zu Pfingsten nahm sie in gewohnter Manier an Kinderausritten
teil und freute sich sichtlich über den Hafer danach. Am Abend des 22. Mai
begleitete sie Santo, Lenzo und Bingo noch einmal auf einem richtigen Ausritt auf ihren alten Wegen durch die umliegenden Wälder und galoppierte mit Pia ohne nennenswerte Verspätung hinterher. Zum Abschied flochten ihr Lisa, Elli und
Yvonne Zöpfchen. Im Rasta-Look lief sie durch ihre letzten Tage. Als ich am
sonnigen Morgen des 8. Juni den Stall betrat, um die alte Dame und ihre
Kollegen auf die Koppel zu stellen, lag sie tot in ihrer Box.
Minka ist jetzt zwar weg, aber ganz weg wird sie nie
sein. Sie wird eigentlich immer dort bleiben, wo sie war, weil obwohl ich kein
Experte in Sachen Verdrängungsmechanismen bin, prognostiziere ich hier undjetzt:
Minka wird in Erinnerung bleiben.